Frankfurter Rundschau
26.5.2003

Der Vamp und das Wrack
Eine gekonnt unschöne Angelegenheit: Richard Strauss' "Salome" in Darmstadt

Von Stefan Schickhaus

Die beiden sind ein seltsames Paar. Jochanaan ist angeblich Prophet und somit eine Art moralische Instanz, doch in der neuen Darmstädter Inszenierung der Richard-Strauss-Oper Salome ist er ein komplett Würdeloser, Heruntergekommener. Und die Titelfigur selbst, die Prinzessin Salome, gleicht einem stilverwirrten Vamp, unschön beide. Wie diese Personen aufeinander zu wirken vermögen, ist ein Rätsel. Warum fühlt sich Salome von dem salbadernden Wrack aus der Zisterne angezogen? Warum desgleichen Herodes von seiner niemanden aufreizenden Stieftochter Salome? Wo fliegen da jene Funken, die schließlich das anzünden, was am Ende dieses kurzen, kompakten Strauss-Musikdramas so lichterloh brennt?

Darmstadts Operndirektor Friedrich Meyer-Oertel hat bewusst alles Erotisierende und Knisternde herausgenommen aus seiner Neuproduktion. Er hat recht, provozieren kann man mit einem lasziven Schleiertanz heute niemanden mehr. Sein Prophet ist dann eben nicht der edle Gottesmann, und seine Salome kein störrisches Jungmädchen mit Allmachtsfanatasien. Was die hübsche Tochter der Herodias statt dessen ist, bleibt eher im Dunkel. Doris Brüggemann singt sie zwar mit mustergültig klarem Sopran, hell und unwidersprechbar bis in ihre Hochtonforderung "Ich will den Kopf des Jochanaan" hinein, doch ist ihr Rollenbild eher indifferent. Jungmädchen mit alles verzehrendem Bachfischcharme ist sie jedenfalls nicht.

Charme wäre ohnehin das falsche Stichwort für diese Inszenierung. Schönheit und Anmut sieht Meyer-Oertel nirgends, vielmehr Verrottung und Endzeit. Als Anmutig schön könnte man vielleicht am ehesten noch den übergroßen Mond bezeichnen, der zu Beginn die gesamte Bühnenrückwand einnimmt. Doch es dauert nicht lange, bis ein schräg zugeschnittener schwarzer Vorhang ihn ausblendet. Die Schräge ist die eines Fallbeils.

Auch die Bühnenoberfläche ähnelt einer Mondlandschaft (Bühne: Harald B. Thor), karg und metallen hart ist sie. Im Zentrum ein Loch, brutal aufgerissen, als wäre ein Meteorit eingeschlagen. In das Loch senkt sich eine Brücke aus Eisengittern - sollte das ein Phallus-Vagina-Symbol sein, wäre jede zarte Bühnenerotik drumrum ohnehin obsolet. Zerfetzter hätte man in Darmstadt Geschlechtlichkeit noch nicht zu sehen bekommen.

Im Loch ist Jochanaan angeschmiedet, man hört seine Stimme wie von tief unten. Hubert Bischof singt ihn mit einer Kraft, die etwas Visionäres hat, dieser Prophet ist längst nicht mehr von dieser Welt. Im Schauspielerischen allerdings bleibt auch er ähnlich wenig positioniert wie seine Titelkollegin Brüggemann. Drohend muss er die geketteten Hände schütteln und zu Boden sinken - softe Gesten für einen, der aus einem solch harten Loch kommt.

Herodes (Wolfgang Neumann) und seine Frau Herodias (Elisabeth Hornung) jedoch bringen dann wirkliches Leben in die Szene. Da ist dann Dekadenz zu spüren, große Kulisse vor kleinem Sein. Und auch sie singen hervorragend, bestens verständlich über das Orchester hinweg. Dafür bedanken dürfen sie sich bei Stefan Blunier im Orchestergraben, der den Spagat schafft: Zum einen alle Ecken und Kanten, alle Schärfen und Punktierungen dieser Strauss-Partitur auszuspielen, nichts glättend abzutönen, zum anderen den Bühnensängern keine Phonkonkurrenz zu sein. Oben muss niemand schreien, unten keiner auf seine Drastik verzichten.

Darmstadts Neuinszenierung der Salome hat ein klares Profil, biedert sich nicht an, findet deutliche Bilder. An die Version der Oper Frankfurt, 1999 von Christof Nel so herausragend szenisch gefasst, kommt sie allerdings nicht ganz heran.

Alleine schon die Realisierung des Schleiertanzes, jeweils eine gewollt unschöne Angelegenheit, macht die unterschiedliche Fallhöhe klar: Bei Meyer-Oertel jetzt ein betont lustloses Hüftkreisen, ein Tanz an der Stange und von der Stange - nicht schlecht. Bei Nel damals ein regungsloses Stehen der Salome auf einem Billardtisch. Um sie herum zuckten und wanden sich Männer zur eigenen Befriedigung. Stärker noch, weit stärker.

• Darmstadt; "Salome", nächste Termine: 29. Mai, 4., 13., 21. Juni.

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Dokument erstellt am 25.05.2003 um 17:37:20 Uhr
Erscheinungsdatum 26.05.2003

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Seite 46 / Dienstag, 27. Mai 2003, Nr. 122

Liebestotentanz

Von ELLEN KOHLHAAS

Zwei Welten prallen dekadent aufeinander: Lusternheit and messianische Askese, orientalisch-antike Sinnenlust and frühchristliche Transzendenz. Die biblische Erzählung von Salomes perversem Verlangen nach dem Messiasverkünder Jochanaan (Johannes der Täufer) ist so brisant, daß der Regisseur dem Schock in Richard Strauss' Einakter nach Oscar Wildes Schauspiel explosive Konzentration entgegensetzen kann, ohne die Spannung zu gefährden. So haben Friedrich Meyer-Oertel and sein Bühnenbildner Harald B. Thor das blutige Grauen der Handlung gewissermaßen versachlicht, auf Distanz gehalten.

Der Eingang zur Zisterne, ein geborstener Krater, wird von einer Treppe flankiert, von einer Aussichtskanzel aus Draht überragt. Das wirkt eher modern-nüchtern als üppig-morbid. Mit den rotgoldenen Prachtroben des Herrscherpaars im alten Palästina zitiert die Kostümbildnerin Annette Beaufaÿs eine Luxus-Antike inmitten zeitlos-heutiger Garderobe. In diesem Ambiente erzählt Meyer-Oertel die Geschichte klar and gediegen nach; im Einverständnis mit der Ausstattung verzichtet er weitgehend auf psychologische, metaphysische oder metaphorische Verdichtung, vom Riesenmond einmal abgesehen.

Bis zu Narraboths Selbstmord beleben Gesten and Gebärden noch etwas zu vordergründig betriebsam die Szene. Doch mit der Zuspitzung des Dramas intensivierte sich auch die Darstellung, gerade in der Konzentration auf Wesentliches. Freilich hat die Neuinszenierung in Döris Brüggemann und Hubert Bischof auch großartige Protagonisten. Die Entwicklung der infernalischen Liebes-Todes-Beziehung ist von Regie wie Darstellern minutiös umgesetzt: von Jochanaans taumelnd-geblendetem, stimmlich noch bewußt brüchigem Auftauchen aus dem unterirdischen Kerker bis zur bald visionären, bald bedrohlich anklagenden Macht des Propheten. Auch mit fülligem, klangvollem Bariton wirkte Hubert Bischof in dieser Rolle charismatisch. Jochanaas Unerschütterlichkeit setzte Döris Brüggemann, auch stimmlich verlpckend nuancenreich, bis in die Fingerspitzen zügelndes Begehren entgegen. Der Tanz in Jo Ann Endicotts Choreographic entsprach konsequent der Vorstellung des Komponisten von einer „orientalische(n) Prinzessin nur mit einfachster, vornehmster Gestik" - gleichwohl unmißverständlich lasziv. Dadurch wurde zugleich Salomes Abscheu gegenüber der voyeuristischen Begehrlichkeit des Stiefvaters Herodes (Wolfgang Neumann tenoral überzeugend als Angstneurotiker) deutlich.

Auch Scott McAllister (Narraboth), Katrin Gerstenberg (Page) und Elisabeth Hornung (Herodias) vertreten überzeugend die beträchtliche Qualität des hauseigenen Sängerensembles. Das Darmstädter Staatstheaterorchester fühlt sich mit Stefan Blunier am Pult in der Schlagkraft noch heimischer als im Oszillieren der Farben. In künftigen Aufführungen kann das tüchtige Orchester noch an „subtiler Nervenkontrapunktik" (Strauss) and bitonaler Schärfe auf Kosten schierer Lautstärke zulegen.

 

Darmstädter Echo
26.5.2003

Salome – süchtig und fast züchtig
Premiere: Friedrich Meyer-Oertel inszeniert die Strauss-Oper in Darmstadt mit Doris Brüggemann in der Titelpartie

Von Heinz Zietsch

DARMSTADT. „Das ist ja Wahnsinn", soll Cosima Wagner gesagt haben, als sie zum ersten Mal, noch vor der Dresdner Uraufführung von 1905, die Musik von Richard Strauss zu dessen Oper „Salome" gehört hat. So Unrecht hatte die Witwe Richard Wagners nicht: Die Musik, die Strauss zu Oscar Wildes gleichnamigem Drama komponiert hat, ist wahnsinnig schräg und dissonant. Strauss ist harmonisch seiner Zeit weit voraus. Wenn Salome vor dem Verließ darauf lauert, dass dem Propheten Jochanaan der Kopf abgeschlagen wird, dann erinnert die Musik an Bergs 20 Jahre später entstandenen „Wozzeck".

Vor allem die dissonanten Klangverbindungen betont Generalmusikdirektor Stefan Blunier am Samstagabend bei der Premiere dieses Strauss-Operneinakters im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt. Er vergisst aber auch nicht die süffig-süßlichen Harmonien, mit denen der Komponist sein Publikum immer wieder zu versöhnen versteht. Großartig, wie rasch das faszinierend spielende Orchester die Dynamik zu wechseln versteht und die extreme Lautstärke flugs in das sanfteste Säuseln verwandelt, das sich dann ins Gespenstische verkehrt, etwa wenn sich zu den Flageoletts der Bässe ein röhrendes Kontrafagott hinzugesellt. Selten wurden diese Gegensätze und Feinheiten in der „Salome" derart konturiert herausgearbeitet. Eine Glanzleistung vom Orchester wie vom Dirigenten.

Noch bevor der Zuschauer szenisch erlebt, wie es um Salome bestellt ist, kündet bereits der Orchestergraben, dass Salome förmlich besessen ist von ihrer Liebe zu Jochanaan. Diese Besessenheit wird zum Wahn, wenn sie, den abgeschlagenen Kopf in den Armen, am Ende ihre Liebe zu Jochanaan wehmutsvoll besingt. „Und das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes", meint Salome. Deshalb braucht sie den Kopf des Propheten. Ihre Liebe fordert den Tod des Geliebten. Sie ist süchtig nach Liebe und Tod.

Klar, dass Friedrich Meyer-Oertel in seiner Darmstädter Inszenierung die Titelfigur in den Mittelpunkt stellt. In Doris Brüggemann hat er auch eine Sängerin von Format, die geradezu instrumental ihre Stimme führt, rasch die Lautstärken sowie den mal dramatischen, mal lyrischen Gesangsstil wechselt und mühelos die gut eineinhalb Stunden währende Aufführung durchsteht und dabei noch große Gesangslinien nachzeichnet. Die Partie der Salome ist eine Paraderolle für diese außerordentliche Sängerin. Mit dem Kostüm, das mit dem ungleichmäßig langen, weiten Rock in eine stilisierte Gegenwart verweist, kann die Sängerin, die auch noch einen Hut zu tragen hat, indes weniger paradieren: Ihre Kleidung wirkt etwas unvorteilhaft für sie. Vielleicht betonte ein Zuschauer deshalb am Ende: „Kostüme – buh!" So wirkt der Tanz der sieben Schleier eher dezent und fast schon ein wenig zu züchtig. Geschickt hält Brüggemann in dem nachdenklich stimmenden Mittelteil des Tanzes inne, als wolle sie sich das Ganze nochmals überlegen, während ihr Stiefvater Herodes ihr geifernd nachgiert.

Durch einen kreisförmigen, stufenweise nach hinten an- und absteigenden gitterartigen Rost hat der Bühnenbildner Harald B. Thor ein gut bespielbares wie imposantes Bühnenbild geschaffen, das, wie auch die Kostüme von Annette Beaufaÿs, teils in die Moderne, teils in die Antike verweist. Herodes und Herodias wirken in ihren roten, aber kalt glitzernden Kostümen wie ein Cäsarenpaar. Während die Soldaten dieser Despoten im Stil der Gegenwart gekleidet sind: schwarz, gestiefelt und mit Knüppeln rasch zur Stelle. Durch die Mitte des kreisförmigen Rosts führt ein höhlenartiges Verließ, das mit einer Art Wellblech ausgekleidet ist, darüber eine Gitterrampe, die Salome auch in ihrem Tanz Hüften schwenkend nutzt.

Ganze Arbeit hat die Maskenbildnerei geleistet, die Salome aufreizend-auffällig geschminkt hat, vor allem aber den kritischen Mahner Jochanaan mit seinen langen Haaren recht jung aussehen lässt – dabei ist der Darsteller schon über 60: Hubert Bischof spielt diese Partie sicher, verlässlich und mit einer immer noch bewundernswerten Klarheit, Weichheit und Eleganz in der Stimme. Beachtung verdient auch Scott MacAllister als Narraboth mit seiner klaren, hohen und fein ausgewogenen Tenorstimme. Ganz der lüsterne, doch ängstliche Herrscher ist Wolfgang Neumann als Herodes. Sorgfältig setzt er seine zu vielerlei Nuancen fähige Stimme ein. Kühl und distanziert, als ob sie über dem ganzen Geschehen steht, gestaltet Elisabeth Hornung die Partie der Herodias. Katrin Gerstenberger überzeugt mit sicheren Gesangslinien und Gesten als Page. Als Juden, Nazarener und Soldaten sind Radoslav Damianov, Fred Hoffmann, Dirk Eisermann, John Garst, Thomas Fleischmann, Friedemann Kunder, Werner Volker Meyer, Christian Tschelebiew, Hans-Joachim Porcher und Jürgen Orelly zu erleben.

Den stärksten Eindruck in dieser Premiere hinterließen das Orchester und die Sänger, die nicht immer zu verstehen waren, was bei diesem opulenten und auch gesanglich aufzehrenden Werk eben auch nicht leicht ist. Friedrich Meyer-Oertels Inszenierung bietet das, was man von ihr erwartet – nicht mehr und nicht weniger. Der Beifall des Publikums war am Samstag lange, anhaltend und begeistert. Einige Buhs konnten durch den lauten Applaus rasch übertönt werden. Den meisten Beifall, vermischt mit vielen Bravos, erhielt Doris Brüggemann, die ihn sogleich mit entsprechenden Handbewegungen ans Orchester im Graben weiterreichte. Die Instrumentalisten haben dieses Lob für ihre grandiose Leistung allemal verdient.

Weitere Aufführungen am 29. Mai, 4., 13. und 21. Juni, jeweils um 19.30 Uhr im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt.

 

Wiesbadener Kurier
26.05.2003

Darmstadt: Friedrich Meyer-Oertels Neuinszenierung der Strauss-Oper "Salome"
Schwüle Unruhe in finstrem Schlund


Doris Brüggemann als Salome und Wolfgang Neumann als Herodes
auf der Darmstädter Bühne.
Bild: Illius

Von Axel Zibulski

"Im Hintergrund ist eine Zisterne sichtbar." So steht's in der ersten Szenenanweisung zur Oper Salome. Grausig, grausig: Hier hält Herodes den Täufer Johannes gefangen. In Friedrich Meyer-Oertels Darmstädter Neuinszenierung des Einakters von Richard Strauss ist eben diese Zisterne ins Zentrum gerückt: Als finstrer Schlund, um den inmitten des unwirtlich dunklen Bühnenbildes (Harald B. Thor) alle Bewegungen kreisen. Gut anderthalb Stunden lang. Da ist mancher szenischer Leerlauf unausweichlich, auch wenn die Idee, den in der Oper "Jochanaan" genannten Propheten in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken, durchaus schlüssig ist. Er, dessen toten Kopf Salome begehrt, weil er sich lebendig ihr versagt.

Danach starrt sie fest in den Schlund, und das Orchester deutet dabei schon einmal jenes Thema an, zu dem Salome später den Kopf des Jochanaan fordern wird. Überhaupt das Orchester: Es bietet im Staatstheater Darmstadt unter der Leitung von Stefan Blunier eine Höchstleistung in Sachen Strauss-Interpretation: Blunier setzt die Partitur sinnlich, farbenreich um, mit der nötigen kraftvollen Emphase nach Jochanaans Fluch und glücklich gelungenen Momenten schwüler Unruhe. Fest im Griff hat Blunier auch die dichtesten Ensembleszenen. Das Laszive, das Verführerische, die Zwischentöne - in Darmstadt noch mehr zu hören als zu sehen.

Allzu erotisch geht es in Meyer-Oertels Inszenierung nicht zu: Im "Schleiertanz" lüpft die Salome von Doris Brüggemann nur ein paar Accessoires, Handschuhe, Hütchen, um sie Herodes wie Fetische vor die Füße zu werfen. Überhaupt scheinen den Despoten eigenartige Triebe befallen zu haben, macht doch seine schlanke und rot gewandete Herodias (Kostüme: Annette Beaufaÿs) hier weit mehr her als die von ihm begehrte Salome. Wo die Dekadenz herrscht, fragt eben auch Meyer-Oertel nicht mehr nach dem Warum. Am Ende bleibt seine Regie relativ nah am Libretto: Da serviert er seiner Salome den Kopf des Jochanaan auf einem Silbertablett. Tatsächlich gehörig blutverschmiert. Grausig, grausig. Aber schockiert das heute noch?

Der Schlussgesang der Salome jedenfalls bewegt: Zwar ist Doris Brüggemann keine jugendliche Salome, singt aber mit variablem Timbre und silbrigen Höhen, während sich Wolfgang Neumann mit einer Art Sprechgesang durch die Partie des Herodes gleichsam hindurchmogelt. Elisabeth Hornung gibt eine auch vokal schnittige Herodias, Scott MacAllister einen eher blassen Narraboth. Aus den zahlreichen kleineren Rollen verdient Katrin Gerstenberger für ihren höchst sauber gesungenen Pagen Erwähnung. Und natürlich der Jochanaan von Hubert Bischof, zwar längst fern seines vokalen Zenits, aber in der Premiere der glaubhafteste Darsteller. Damit steht er würdig im Zentrum, in das ihn Meyer-Oertels Regie gestellt hat.

 

egotrip.de
27.5.2003

Fin de Siècle - entschlackt
Richard Strauss´ Oper "Salome" im Staatstheater Darmstadt

Nur selten bietet sich einem Rezensenten die Gelegenheit, eine selten gespielte Oper innerhalb von sechs Wochen in zwei unterschiedlichen Neuinszenierungen zu sehen. Wir hatten dieses Glück und konnten nach der umstrittenen "Salome" - Inszenierung in der Deutschen Oper Berlin Anfang April Ende Mai die Neueinstudierung des selben Stückes von Friedrich Meyer-Oertel im Staats- theater Darmstadt erleben.

Nun würde man üblicherweise annehmen, dass die so genannte Provinz von den großen Bühnen lernen kann und zwangsläufig immer in deren Schatten stehen wird. Doch wie schon bei der Meininger "Ring"- Inszenierung hat auch Darmstadt bewiesen, dass man ein scheinbar verstaubtes Sujet aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus ohne radikale Brüche in die Neuzeit retten kann. Wir können uns hier den Rekurs der Handlung ersparen und einfach auf die Berliner Aufführung verweisen. Dafür wollen wir uns hier der unterschiedlichen Auffassung der Regisseure und Dirigenten widmen.


Elisabeth Hornung als Herodias, Wolfgang Neumann als Herodes und Doris Brüggemann als Salome

Wo Achim Freyer und Marc Albrecht in Berlin das Groteske und Farcenhafte des Sujets betonten und ohne jegliches Zugeständnis an die Opern-Tradition umsetzten, da gelingt Meyer-Oertel mit einer nur scheinbar traditionellen Inszenierung eine erstaun- liche, weil durchaus nicht nur süffige und im Sinn- lichen verharrende Aufführung, die diesem Stück seine Bedeutung auch ohne provozierenden Aufsatz entlockt. Dabei hatte er durchaus mit einem Besetzungsproblem zu kämpfen, denn sein "Star" Doris Brüggemann ist bei aller stimmlichen und auch schauspielerischen Brillanz nicht unbedingt der Typ Frau, der ein junges, verwöhntes und ver- spieltes, von den Männern angebetetes Mädchen glaubhaft darstellen kann. Und obwohl es der Opernbesucher mittlerweile gewohnt ist, Abstriche bei dem Bühnenabbild der meist idealisierten Pro- tagonisten zu machen, ist es nicht immer einfach, die Vorstellungen des Komponisten in den realen Personen auf der Bühne wieder zu erkennen.

Und dennoch, Doris Brüggemann gelang dieses Kunststück eigentlich von Anfang an, wobei ihr jedoch die Personenanordnung und das Bühnenbild halfen. Meyer-Oertel hatte zusammen mit seinem Bühnenbildner Harald Thor ein so einfaches wie zwingendes Ambiente aufgebaut. Inmitten eines nach hinten aufsteigenden Podestes aus Metall- platten öffnet sich ein stollenartiger Schlund in den Kerker, der dem Zuschauer geradezu wie ein Mene- tekel entgegenstarrt. Auf der Bühnenrückwand präsentiert sich ein riesengroßer Mond, der in seiner Kälte und scheinbaren Starrheit die kalte Welt der Gesellschaft symbolisiert. Folgerichtig verschwindet der Erdtrabant, wenn sich die Hand- lung von dem rational Abgezirkelten zum irrational Sinnlichen wandelt, und lässt nur ein schwarz drohende Fläche zurück.

Meyer-Oertel legt die Inszenierung von Anfang an auf menschliche, allzu menschliche Figuren an. Herodes (Wolfgang Neumann) ist ein mitten im Luxusleben stehender Mann zwischen Fünfzig und Sechzig, im Gegensatz zur Berliner Inszenierung kein karikierter Vertreter einer pervertierten Spaß- gesellschaft, sondern ein bei allem Hang zu Laster und Luxus durchaus rational denkender und macht- bewusster Potentat. Seine Frau Herodias (Elisabeth Hornung) zeigt sich zwar angewidert von ihrem Gatten, aber wohl hauptsächlich wegen seiner Augen für ihre Tochter Salome und weniger aus moralischen Bedenken, vertreibt sie sich doch die Zeit bei engen Fingerspielen mit einem jungen Galan. Narraboth (Scott MacAllister) macht in dieser Inszenierung seinem Namen Ehre, führt er sich doch angesichts der für ihn unerreichbaren Salome wie ein Narr auf und entleibt sich selbst, als er der Liebe Solmes zu Johanaan gewahr wird.

Ein schwieriges Problem bestand sicherlich in der Charakterisierung der jüdischen Religionsgelehrten, und besonders im Deutschland auch des frühen 21. Jahrhunderts verlangt die Darstellung dieser Klientel immer noch sehr viel Fingerspitzengefühl. Man denke nur an Faßbinders Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", das ausreichend Stoff für Kontroversen gab. Meyer-Oertel lässt die Schrift- gelehrten als eine Gruppe wild diskutierender Wissenschaftler auftreten, die ewig um Herodes schwarwänzeln, permanent den Tod des "falschen" Propheten fordern und die lange schwankende Stimmung des Herodes mit ambivalenter Spannung, Enttäuschung und schließlich satter Zufriedenheit begleiten.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht jedoch eindeutig Salome, die Namensgeberin der Oper. Während die Berliner Inszenierung dem Johanaan viel Raum als integrer und konse- quenter Gegenpart einer vollständig perver- tierten Gesellschaft gewährt, führt Meyer-Oertel ihn auf seine reine Katalysatorfunktion zurück. Er stellt sich zwar als konsequenter und unbeugsamer Charakter dar, doch die Attribute der Lichtgestalt fehlen ihm. Er bleibt auf die Situation des Gefangenen reduziert, der die Welt verachtet, ihr ein schlimmes Ende vorhersagt und letztlich nur dem jungen Mäd- chen als Passepartout für ihre übersteigerten Wunschbilder dient. Nie steigt er wirklich zu dem großen Gegenspieler der anderen Figuren auf, bleibt auch dramaturgisch der Einsiedler. Im Mittelpunkt steht bei Meyer-Oertel immer Salome, und Doris Brüggemann verleiht ihr alle Attribute der so naiven wie verschlagenen jungen Frau. Bei aller Jugendlichkeit weiß diese Salome, wie sie die Männer und ihre Gier nach ihrem Leib nutzen kann, sei es nun der etwas biedere Narraboth oder ihr Stiefvater Herodias. In einer nur noch intuitiv zu beschrei- benden Berechnung verfolgt und erreicht sie ihr Ziel: den Kopf Johanaans. Der Prophet war der einzige, den sie nicht manipulieren konnte, und das ist der eigentliche Grund. Die Ableh- nung eines Mannes muss bei dieser Frau, der Allen bis dahin zu Füßen lagen, traumatische Erfahrungen bewirken. Wenn mich nur einer ablehnt, ist diese genau so, als ob mich alle ablehnten, scheint sie sich zu sagen. Und während der langen, stimmlosen Instrumental- szene nach dem Auftritt mit Johanaan windet sie sich förmlich vor verletzter Eitelkeit und getroffenem Stolz. Doris Brüggemann lässt dabei die Entwicklung der Gedanken von der Gekränktheit über die Rachegedanken bis zum finalen Entschluss mimisch und gestisch deutlich werden.

Der Höhepunkt der Inszenierung liegt jedoch in der letzten großen Szene, wenn Salome mit dem abgetrennten Kopf des Johanaan redet, ihn küsst, eine Antwort von ihm verlangt und schließlich in Enttäuschung darüber erstarrt, dass auch der von Rache getriebene Tod dieses Mannes ihr nicht die erträumte Befrie- digung verschafft. Ein Toter kann nicht mehr lieben, und seine Augen starren sie nur kalt und teilnahmslos an. Die letzte, zwischen Ekstase und Verzweiflung changierende Liebkosung des blutigen Kopfes erweist sich als Geste des endgültigen Verlustes. Doris Brüggemann verlieh dieser Szene eine eindrucksvolle Dichte und Tiefe, die das Publikum über die gesamte Länge dieser ausgedehnten Szene in Atem hielt. Auch die auf der Bühen verbleibenden Herodes und Herodias beschränkten sich auf eine stoische (Herodias) oder entsetzte (Herodes) Beob- achtung dieser Szene. Folgerichtig schließt der mit einem Rest von menschlichem Emp- finden ausgestatte Berodes die Szene und das Stück mit dem Befehl, Salome zu töten.


Wolfgang Neumann udn Elisabeth Hornung

Die Musik von Richard Strauss gewann in dieser Aufführung Plastizität und Transparenz zugleich. Natürlich war es für die Sänger, vor allem Doris Brüggemann in der ersten langen Szene, schwer, sich gegen das Orchester durchzusetzen, und man verstand vom Text nicht sehr viel. Doch darum geht es speziell in dieser Oper (und in den meisten anderen) gar nicht. Die äußere Handlung sollte der Besu- cher sowieso kennen, und sei es aus dem Progarmmheft, die innere jedoch erschließt sich im Wesentlichen aus der Musik sowie aus Gestus und Gesang der Sänger(innen). Das Innenleben findet in der Musik und nicht im Text statt. Singen ist nicht gleich Reden und in der Oper dem Letzteren weit überlegen. Von daher muss man die akustische Über- deckung der Solisten mit anderen Augen sehen. Dirigent Stephan Blunier ließ die reiche Polyphonie dieser Partitur und die weit gefä- cherten Klangbilder geradezu aufblühen, und nahezu Wort für Wort interpretierte und ver- stärkte das Orchester mit dieser Musik die Handlung und die Emotionen der Protago- nisten. Da bleibt zwar oft die klassische Harmonie auf der Strecke, doch dies ent- spricht nur dem Menschenbild auf der Bühne, das ebenfalls alles Andere als harmonisch wirkt. Das Orchester schlug das Publikum mit dem dichten, geradezu wie eine Droge wirken- den Klang nahezu zwei Stunden in seinen Bann und ließ es dabei keine Sekunde lang an Spannung fehlen.

Das Premiernpublikum wusste diese große Leistung zu schätzen und dankte dem gesamten Ensemble - allen voran einer großartigen Doris Brüggemann - mit begeistertem, von vielen Bravo-Rufen durchsetzten Beifall.