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"Ihr müsst so psychotisch klingen wie ein gefangenes Tier" "The Turn of the Screw" heißt die kommende Premiere an der Oper Frankfurt: Ein Gespräch mit Dirigentin Karen Kamensek |
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FR: Bei "The Turn of the Screw - Die Drehung der Schraube" steht eine Dirigentin am Pult, noch immer ein seltenes Bild. Witzelte schon wer, dass dann eine Frau dirigiert, wenn es um Werkzeug geht?Karen Kamensek: Nein, mir gegenüber jedenfalls nicht. Ich schätze, ich kann schon auch mit einem Schraubenzieher umgehen, meine IKEA-Regale zumindest habe ich alle selbst aufgebaut. Was hat denn das Anziehen einer Schraube mit der Oper selbst zu tun? Im Englischen ist das eine Redewendung: "Turn of the Screw" bedeutet, dass sich etwas immer enger, immer fester zusammenzieht, bis es zerbricht. Für das Psychodrama, das Benjamin Britten vertont hat, passt das sehr gut. Das Schicksal dreht sich, niemand kommt dagegen an. Es kann nicht anders enden als mit dem Tod. Was steuert die Musik zu dieser Schraubenbewegung bei? Britten hat hier ein Turn of the Scre-Motiv aus zwölf Tönen genommen, das er immer dichter variiert - mit Zwölftonmusik oder auch Atonalität hat das aber nichts zu tun, alles bleibt sehr harmonisch. Dieses Thema wird immer stärker aufgeladen, das Tempo steigert sich, als drehe sich ein Schicksalsrad wirklich immer weiter. Etwa die Hälfte der handelnden Personen dieser Kammeroper sind Geister. Klingt die Musik dazu so, wie sie in einem Horrorfilm der 50er Jahre geklungen hat? Na ja, das nicht gerade, aber es gibt schon echte Horroreffekte. Die Geister haben kalte, vibratolose Klänge bekommen, oft im Flageolett, oder Harfe kombiniert mit Schlagwerk. Das hört sich so transparent, so durchsichtig an, dass man schon merkt: Die Geister kommen von woanders her, aus einer anderen Welt. Zu den Sängern habe ich dann immer gesagt: Ihr müsst klingen wie ein gefangenes Tier, gehetzt, psychotisch. Wenn heute für das Kino solche Horror-Soundtracks komponiert werden, verlangen die Filmkomponisten meist ein großes Orchester. Wie groß ist es bei Britten? 14 Musiker nur, es ist ein virtuoses Solistenstück. Umso wirkungsvoller können aber die Unterschiede zwischen Wärme und Kälte herauskommen. Denn nur ein einzelner, vibratoloser Ton kann so pur sein, dass man davon Gänsehaut bekommt. Komponiert wurde diese Oper 1954. In der Zwischenzeit haben die Zuschauer doch einen ganz anderen Maßstab, eine andere Seherwartung, was Geistergeschichten und Psychostorys angeht. Wirkt das Brittens Stück nicht eher altbacken? Oh nein, wirklich nicht! Schon alleine deswegen nicht, weil sich zwischen Geist und Opfer eine verborgene sexuelle Belästigung abspielt, und dieses Thema ist ja absolut aktuell. Weder hat Benjamin Britten sich dazu geäußert, noch wird es in seiner Oper konkret thematisiert. Aber unterschwellig ist das hier immer vorhanden, und das muss man auch zeigen. Wenn ich vor diesem Hintergrund den Jungen Miles singen höre, begleitet nur von einem Englisch Horn, ohnehin ein trauriges Instrument, dann bricht das einfach mein Herz. Viele halten "The Turn of the Screw" nicht nur für Brittens beste Oper, sondern auch für eine der stärksten der letzten 50 Jahre. Gehören Sie dazu? Ja. Es ist perfekt komponiert, und nirgends ist die dramatische Entwicklung und die Spannung besser aufgebaut. Es ist, ja, wirklich perfekt. • Frankfurt; Benjamin Brittens Kammeroper hat Premiere am Sonntag, 3. November 2002, um 18 Uhr im Opernhaus. Weitere Vorstellungen: 7., 9., 15., 17., 30. November, 6. und 8. Dezember, Telefon 13 40 400. |
[ document info ] Copyright © Frankfurter Rundschau 2002 Dokument erstellt am 28.10.2002 um 21:29:36 Uhr Erscheinungsdatum 29.10.2002 |