Trio infernal im Wäschekorb Von Andreas Bomba Kehraus am Staatstheater - es dauert einen Moment, bis man die Putzfrauen auf der Bühne als Teil der Inszenierung wahrnimmt und nicht als Begleiterscheinung des nahenden Spielzeitendes. Die offene Bühne (Jon Morrell) zeigt einen betrieblichen Aufenthaltsraum: Zigarettenautomat, Feuerlöscher, Neonlicht, Wasserspender rechts, ein Fernseher links in der Ecke. Alles wird später noch gebraucht. Aufgetreten wird über einen Aufzug. "Pling" spuckt er seine Ladung aus, "pling" fährt er sie wieder weg. Und immer rhythmisch-akkurat zur Musik. Ebenso steigt, im Verlauf des Abends, die Bewunderung für den flitzender Diener, der zu Ballettmusik zwei Dutzend orangefarbene Plastikstühle an den Wänden aufreiht und mit dem letzten Ton ermattet auf einen von ihnen niedersinkt. Auf dem Programm steht übrigens Cendrillon, eine französische Version des Aschenputtel-Märchens (Libretto: Henri Cain nach Charles Perrault, Musik: Jules Massenet, Uraufführung: 1899). Dem Komponisten wurde zeitlebens vorgehalten, sich der Frage: Kunst oder Publikumsgeschmack entweder nicht zu stellen oder sie in Richtung des bequemen Erfolges zu beantworten. Der Vorwurf trifft jedenfalls bei diesem Stück nicht zu. Natürlich ist die Handlung - arme unterdrückte Kreatur wird Prinzessin - von der Sorte "Musical", aber niemand verlässt das Theater mit einer zündenden Melodie im Kopf oder der Erinnerung an eine schmissige Ouvertüre oder gar wuchtige Chöre; Franz Brochhagen und das Orchester des Staatstheaters geben sich auch gar keine vergebliche Mühe, sondern legen Wert auf Details, das Punktuelle, die Klangfarbenregie, die präzise Interaktion mit der Bühne. Den Klamauk hier inszeniert Nicholas Broadhurst in kräftigen Nuancen, von doof bis komisch. Pandolfe (staksig-hölzern: Thomas Fleischmann), so heißt hier Aschenputtels Vater, leidet an der Emanzipation und bekommt noch nicht mal eine Saftflasche auf. Das ist doof. Madame de la Haltière (Elisabeth Hornung), so heißt hier Aschenputtels Stiefmutter, und ihre aufgebretzelten Töchter Noémie (Andrea Bogner) und Dorothée (Katrin Gerstenberger) kippen, auf der Suche nach dem Märchenprinzen - früher nannte man das "gesellschaftlichen Aufstieg" - schließlich rücklings in Wäschekörbe. Das ist komisch, sehr sogar, ein bizarres Trio infernale. Der Prinz - er heißt "Charmant" - liegt im Keller und leidet am mitternächtlichen Verlust der unbekannten Schönen; das geht, in Maßen, ans Herz. In diesem dritten Akt sind alle Tanzturniertruppen (unter Beteiligung des Tanzsportzentrums Blau-Gold-Kasino Darmstadt), die zwischenzeitlich schrillbunte Szenerie, ist das kleinbürgerliche Möchtegernmilieu für einen Moment vergessen. Die Bühne fährt hoch. Im dampfigen Keller wird das Stück "Sommernacht im Waschsalon" gegeben: zauberhafte Fernchöre, sanft schillernde Klänge, schwerelose Sopranvokalisen (Hege Gustava Tjønn). Cendrillon träumt (schön, aber nicht ohne Härten: Susanne Reinhard). Und tatsächlich kommt es zur poetisch-anspielungsreichen Vereinigung mit dem weichgespülten Prinzen (wie angemessen wirkt hier Andreas Wagners Tenor-Schmelz!), die anschließend nur noch in der Wirklichkeit nachvollzogen werden muss. Eine letzter Wink der guten Fee, alles erstarrt, alles gelingt, Schluss, aus, "wir haben uns bemüht, euch zu unterhalten" heißt es in der Musik. Haben sie. Nicht mehr und nicht weniger. In drei Wochen ist die Spielzeit zu Ende. Darmstadt. Aufführungen im Juli: 5., 9., 16., 19.30 Uhr, Karten-Tel. 06151/ 29 38 38. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2003 Dokument erstellt am 29.06.2003 um 17:16:02 Uhr Erscheinungsdatum 30.06.2003 |
Im Waschkeller wartet der Prinz Premiere: Putzfimmel auf der Opernbühne: Nicholas Broadhurst inszeniert Jules Massenets „Cendrillon" in Darmstadt Von Klaus Trapp DARMSTADT. Bevor das Orchester mit dem Vorspiel beginnt, ist auf der Bühne eine Putzfrau mit dem Staubsauger beschäftigt. Regisseur Nicholas Broadhurst setzt bei seiner Inszenierung der Märchenoper „Cendrillon" (Aschenputtel) von Jules Massenet im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt auf den Reiz des Reinigungspersonals. Während die böse Stiefmutter mit ihren Töchtern für den Ball beim König große Toilette macht, wird gleichzeitig der Boden geschrubbt, und die gute Fee, mit deren Hilfe das arme Aschenputtel doch noch zu einem prächtigen Ballkleid gelangt, ist Vorarbeiterin der Putzkolonne. So versteht man auch, dass die rettende Begegnung Cendrillons mit dem angebeteten Prinzen im Waschkeller stattfinden muss. Broadhurst, der mit seinen Deutungen von Mozarts „Figaro" und Wagners „Lohengrin" ein geteiltes Echo in Darmstadt gefunden hat, kann diesmal dank Humor und Ironie einen eindeutigen Erfolg verbuchen. Allerdings leidet die Inszenierung ein wenig darunter, dass die eingebrachten Ideen und Gags rund um den Putzfimmel sich durch Wiederholung bald verbrauchen. Auch das spröde Bühnenbild von Jon Morell dient nicht unbedingt der angestrebten Leichtigkeit: zu Beginn einer niederer, lang gestreckter Raum, der Züge einer lieblos ausgestatteten Disco trägt, dann ein daraus entwickelter Tanzsaal, dessen Reiz im Wesentlichen durch eine von der Decke hängende, spiegelnde Kristallkugel bestimmt wird, ferner ein düsterer Waschkeller, der alles andere ist als ein geheimnisvoller Feen-Treffpunkt. Für originelle Auftritte und Abgänge sorgt ein großer Lift im Hintergrund. Farbe bringen die gleichfalls von Morell entworfenen Kostüme ins Spiel. Broadhurst versteht es, den vier Akten jeweils ein eigenes Gesicht zu geben. Den Beginn beherrscht die Konfrontation der Eheleute: Madame dominiert ihren gefügigen Ehegatten, der als Pantoffelheld und Versager drastisch porträtiert wird, bevor Aschenputtel die erlösende Erscheinung der Fee erlebt. Ein Tanzwettbewerb mit dem Prinzen als „Champion 2002" steht im Mittelpunkt des zweiten Aktes, der durch die Mitwirkung von rasanten Tanzpaaren der Tanzsportzentren Blau-Gold Kasino Darmstadt und Blau-Gelb SG 1886 Weiterstadt eine ganz besondere sportliche Note erhält. Der dritte Akt zielt auf die Rettung der verzweifelten Cendrillon mit Hilfe der Fee, nachdem ihr Vater vergebens die gemeinsame Flucht aufs Land vorgeschlagen hat. Schließlich das Happy-End: auf die etwas chaotische Suche nach dem passenden Schuh folgt die süße Rache, wenn Cendrillon – anders als in der historischen Quelle des Märchens bei Charles Perrault – die verhasste Stiefmutter samt den bösen Schwestern hinterrücks in Waschkörbe befördert. Franz Brochhagen macht mit dem Orchester des Staatstheaters deutlich, dass Jules Massenets feinsinnige Partitur von 1899 durchaus eine häufigere Aufführung dieser spätromantischen Feenoper rechtfertigt. Der Dirigent schärft die Kontraste: schmetternde Blechfanfaren und Marschrhythmen stehen neben scherzo-artigen Elfenpassagen und lyrischen Kantilenen. Brochhagen treibt das Tempo immer wieder federnd voran, schafft aber Ruhepunkte in den meditativen Arien und Duetten und achtet auf die Balance zur Bühne. Insgesamt hätte man sich eine noch differenziertere Darstellung der delikaten Klangfarben gewünscht. Susanne Reinhard macht die Wandlung der Cendrillon vom schüchternen, verklemmten Mauerblümchen zur eleganten jungen Dame glaubhaft. Sie setzt ihren klaren Sopran variabel ein und gewinnt im Lauf der Aufführung sängerisch an Profil. Elisabeth Hornung erzielt einen bemerkenswerten Publikumserfolg mit ihrer Verkörperung der bösen Stiefmutter; sie treibt ihre voluminöse Altstimme in abgründige Tiefen und gibt der Figur Schärfe durch bühnenbeherrschende Gestik. Die Partie des Märchenprinzen gestaltet Andreas Wagner mit hellem Tenor und vornehmer Gestik. Die Sopranistin Hege Gustava Tjønn in der Rolle der guten Fee zaubert fabelhaft leichte Melodien und Koloraturen aus ihrer Kehle. Thomas Fleischmann als Pandolfe, geschundener Ehegatte und unglücklicher Vater, überzeugt durch treffende Charakterisierung wie durch die Wandlungsfähigkeit seines tragfähigen Baritons. Ein musikalischer Höhepunkt ist das fein ausgewogene Duett mit Aschenputtel im dritten Akt. Andrea Bogner und Katrin Gerstenberger prägen die Figuren der Töchter Noémie und Dorothée sängerisch und darstellerisch scharf aus. Hans-Joachim Porcher als König, Bruce Miller als Dekan, Stefan Grunwald als Zeremonienmeister und Frank Weigel als Premierminister runden die Ensembleleistung ab. Einen ausgefeilten Beitrag zum Erfolg leistet der von André Weiss einstudierte Chor, der gewandt in die Rollen von Elfen, dienstbaren Geistern und Personen der Gesellschaft schlüpft. Nach der zweieinhalb Stunden dauernden Aufführung in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln gab es starken, anhaltenden Beifall für die Sänger, den Dirigenten und das Orchester. Regisseur und Ausstatter bekamen auch einige wenige Buhs zu hören. Weitere Aufführungen: 5., 9. und 16. Juli, jeweils 19.30 Uhr. |
Aschenputtel träumt im Mehrzweck-Saal Massenets "Cendrillon" hatte am Staatstheater Darmstadt Premiere Von Axel Zibulski
Foto: Illius Seine Darmstädter "Lohengrin"-Inszenierung sorgte in der südhessischen Presse für gefüllte Leserbrief-Spalten: Dass Regisseur Nicholas Broadhurst Wagners Oper mit Attrappen von Atomsprengköpfen und allerhand totem Schwanengetier aufgerüstet hatte, bot reichlich Reibungs- und Diskussionsstoff. Das dürfte nun, nach der jüngsten Neuinszenierung Broadhursts, ein wenig anders aussehen: Im Staatstheater Darmstadt mischten sich nur ein paar wenige Buh-Rufer unter den Schlussapplaus für seine Lesart von Jules Massenets Aschenputtel-Oper "Cendrillon", die in der kommenden Saison im Wiesbadener Staatstheater gastieren wird. Broadhurst gibt sich so richtig viel Mühe, das Märchenstück zu entromantisieren, zu aktualisieren - und doch wirkt dieser Versuch letztlich nicht weniger bieder als das miefige Interieur des Bühnenbildes von Jon Morrell (auch für die Kostüme zuständig). Kein Schloss und keinen Festsaal sehen wird da, nein: Hier träumt Aschenputtel in und von einem tristen Mehrzwecksaal, wie wir ihn vielleicht von Familienfeierlichkeiten bestimmt ganz entfernter Verwandter kennen. Mit Disco-Kugel an der Decke, Zigarettenautomat an der Wand und einem dieser Alleinunterhalter, die zwischen zwei Zügen am Bierglas ein bisschen auf dem Keyboard herumklimpern. Dazu dürfen Eleven lokaler Tanzschulen über die Bühne schwingen, und der Prinz selbst, der ist der "Champion 2002", wie ein über seinen Frack geschlungenes Band verrät. Nur ein Weg führt in diesen Raum: Ein Aufzug, der mit seinem süßlichen "pling" jeden neuen Auftritt ankündigt und der ebenso wie die Uhr an der Wand zu Aschenputtel/Cendrillons Träumen ein bisschen verrückt spielt. Letztlich, wie vieles in Broadhursts Inszenierung, nur Gag, auch running gag: Vater Pandolfe scheitert ständig bereits beim Öffnen einer Flasche Orangensaft. Und Cendrillons gute Fee samt Feenstaat - die treten auf als ein Geschwader von Putzfrauen. Dass die Fee dabei einen Karton mit der Aufschrift "Fairy" in der Hand hält, ist einfach nur blöd. Das Duett von Cendrillon und dem Prinzen schließlich (da fährt im dritten Akt einmal die Bühne Aufzug) spielt im Waschkeller, den Herold des Königs hört man aus einem knisternden Fernsehgerät. Vollends zur Klamotte wird das ganze Spiel, wenn am Ende Cendrillon ihre böse Stiefmutter samt Stiefschwestern kopfüber in drei Wäschebehälter wirft. Spaßige Putzfrauen-Rache. Verträgt sich das alles wenigstens halbwegs mit Massenets Musik? Wohl nur dann, wenn sie so holzschnittartig aus dem Orchestergraben kommt wie unter dem Dirigat von Franz Brochhagen. Gewiss, das Darmstädter Orchester spielt auch dieses Mal akkurat. Aber die Zwischentöne, die feinen klangfarblichen Abmischungen, wie man sie an gleicher Stelle vor einigen Jahren noch in Marc Albrechts Interpretation von Massenets "Werther" gehört hatte - die vermisste man hier. Erfreulicher die solistischen Leistungen: Susanne Reinhard bot ein vokal und darstellerisch wendiges Aschenputtel, Hege Gustava Tjonn eine glockenhelle Fee, Elisabeth Hornung eine gar schaurige und darum herrlich lächerliche Stiefmutter. Der schmächtige Tenor von Andreas Wagner füllte die Partie des Märchenprinzen hier adäquat aus, beachtlich auch der balsamische Vater Pandolfe von Thomas Fleischmann. |
egotrip.de Das ironisierte Aschenputtel Die meisten Menschen kennen das Gefühl, von ihrer Umwelt missachtet, verspottet oder gar unterdrückt zu werden, und alle kennen wir den stillen Tagtraum, der darin besteht, eines Tages aufzutrumpfen und es "denen zu zeigen". Dieses allzumenschliche Gefühls- gemenge hat sich in dem bekannten Märchen vom Aschenputtel verdichtet und dort einen ewigen Platz gefunden. Heute lesen wir das Märchen nur noch unseren kleinen Kindern vor, können es jedoch nicht mehr wirklich ernst nehmen, da wir die empfindsamen und ichbezogenen Strukturen dahinter zu kennen glauben. Das neunzehnte Jahrhunderte ging jedoch mit diesen elementaren Gefühlen noch in einer fast naiven Weise um und nahm sie in ihrem Kern ernst. Das lässt sich leicht in Literatur, Schauspiel und Oper dieser Zeit ablesen.
Auch Jules Massenet hat sich dem Märchen-Genre gewidmet und die Geschichte vom Aschenputtel in seiner Oper "Cendrillon" vertont. Die Handlung erzählt er ohne jeden ironischen Bruch nach, lässt das arme Aschenputtel erst leiden, dann triumphieren, und die böse Stiefmutter mit ihren beiden affigen Töchtern bekommen kommen bei ihm keinen Deut besser als im ursprünglichen Märchen weg. Will man diese Oper - warum auch immer - heute auf die Bühne bringen, so muss man sich schon etwas einfallen lassen, um der Lächerlichkeit zu entgehen. Der Engländer Nicholas Broadhurst, der in Darmstadt bereits den "Figaro" inszeniert hat, ist der Herausfor- derung dieser Oper nicht ausgewichen und hat sie für das Darmstädter Theater in einer gelungenen Form inszeniert. Schon mit dem Bühnenbild treibt er allerlei Scha- bernack. Die Wohnstatt der armen Cendrillon ist zeitgenössisch-schäbig mit Wasserspender, Cola-Automat und anderen Versatzstücken ausgestattet. Ein Fahrstuhl in der Rückwand der eher spießig anmutenden Behausung stellt den einzigen Zu- und Abgang für die Darsteller dar. Jede Annäherung neuen Personals wird durch ein perfekt in den Ablauf der Musik eingeblendeten Glockenklang angekündigt, wie man ihn von Fahrstühlen kennt. Und fast jedes Mal quellen ganze Heerscharen an Bühnenpersonal hervor. Um Umbaupausen und Längen der Handlung zu überbrücken, lässt er zusätzliches Personal in Gestalt rassiger Tanzpaare auftreten, die mit ihren Vorführungen nicht nur die Herzen von Tanzfreunden sondern - durch die Kostüme der Damen - auch die Herzen der anwesenden Herren höher schlagen lassen. Geschickt baut er diese Formationen in die große Ballszene ein und verleiht dieser dadurch zusätzlichen "Pep". Die Stiefmutter (Elisabeth Hornung) und ihre beiden Töchter Noémie (Andrea Bogner) und Dorothée (Katrin Gerstenberger) treten als Zerrbilder ihrer selbst auf, schreiten in ebenso abgezirkelten wie missglückten Tanzfiguren daher und streiten sich permanent um den Vortritt. Ihr Auftritt soll unbedingt Eindruck schinden und gerät nur zur absoluten Farce. Kurz, Broadhurst verzichtet auf jegliche "realistische" Darstellung der Figuren, weil dies angesichts der simplen "Moral" der Geschichte nur peinlich wäre. Auch der Prinz (Andreas Wagner) ist bei ihm eher ein etwas vertrotteltes Sensi- belchen, Cendrillons Vater (Thomas Fleischmann) ein Abbild des Pantoffelhelden und der König (Hans- Joachim Porcher) schließlich geht den Brautkandida- tinnen gerne an die Wäsche. Den Höhepunkt der Ironie liefert er jedoch mit Cendrillon selbst. Susanne Reinhard ist nicht nur in die hässliche Dienstbotenkleidung gehüllt, sie trägt zu allem Überfluss auch noche eine riesige Brille. Und wenn sie dann von der Fee (Hege Gustava Tjønn) in eine wunderschöne Frau verwandelt wird, so wird dies als Tagtraum entlarvt, weil Cendrillon auch jetzt recht ungeschickt in einem weißen Brautkleid und groß bebrillt im Raum herum- steht. Sie fühlt sich wunderschön, ist jedoch immer noch das ungelenke Aschenputtel. Das mag vielleicht etwas gemein anmuten, setzt jedoch dem Märchen den ironischen "I-Punkt" auf. Die einzige wirklich lyrische und beinahe ernst- hafte Szene spielt in dem Zauberwald, den Broadhurst als Waschsalon im hoch gefahrenen Untergeschoss der Bühne anlegt. Trotz diesem ironischen Bruch bewahren die gesungenen Liebesträume der beiden Prota- gonisten einen ursprüngichen Schmelz und so etwas wie authentisches Gefühl. Und wenn die beiden am Ende zusammenfinden, kommt sogar so etwas wie Rührung auf. Dagegen kommt das Ende sehr schnell. Als die Stiefmutter die Situation durch Einschmei- cheln für sich retten will, wird sie von den Dienstboten zusammen mit ihren Töchtern in Waschkörbe gestopft, so dass nur noch die Beine herausragen. Das Ensemble gibt einen kurzen Abgesang auf die nette Unterhaltung zum Besten, und das war´s dann. Dafür wird dann das Défilée bei der Entgegennahme des Beifalls noch einmal zu einer eigenen Szene, wenn sich jeder in den Vordergrund drängen will und der Chor auch schon mal Andreas Wagner in den Hintergrund abdrängt. Man macht halt bis zum Schluss Spaß und nimmt wirklich nichts ernst. Kurz und gut: Nicholas Broadhurst hat bei dieser Inszenierung wirklich leichte Hand bewiesen und eine sehr unterhaltsame Interpretation abgeliefert, gerade richtig zum hochsommerlichen Wetter dieser Tage. Das Orchester unter der Leitung von Franz Brochhagen unterstützt ihn dabei durch frisches und aufmerksames Spiel, wobei immer wieder das Zusammenspiel zwischen Bühne und Musik überrascht. Wer genau hinsieht und -hört, kann viele kleine Überra- schungen entdecken, die teilweise geradezu musikalischen Slapstick-Charakter aufweisen. Das Premiernpublikum dankte allen Beteiligten mit langem, mehr als freundlichem Beifall, für Susanne Reinhard und Elisabeth Hornung gab es sogar kräftige Bravos. Auch die Regie erhielt viel Beifall, einige offensichtlich obliga- torische "Buhs" verhallten schnell. An diesem Abend ging es nicht um Tiefsinn und Erden- schwere sondern um leichte, humorvolle Unterhaltung. |
Jules Massenets Märchenoper "Cendrillon" hatte im Staatstheater Darmstadt Premiere. Von Matthias Gerhart Hinter dem Namen "Cendrillon" verbirgt sich das gute, alte Aschenputtel, das die Herzen der Zuschauer wie wohl kaum eine zweite Märchengestalt zu bewegen vermag. Das hübsche Mädchen wird verlacht, geschlagen, diskriminiert. Und muss auch noch den Tod der Mutter verkraften. Da tut schon eine gute Fee wirklich Not. Sie schenkt Aschenputtel festliche Kleider und schickt es zum Ball mit dem Prinzen. Neben Rossini befasste sich auch Jules Massenet mit dem "Aschenputtel"-Stoff. Heraus kam die Musik zu einer hübschen Märchenoper, die heutzutage allerdings kaum mehr aufgeführt wird und auch im Schatten anderer Massenet-Opern steht. Die Darmstädter Opernleute gingen nun das "Wagnis" ein - nach der Premiere sollte es niemand mehr bereuen. Regisseur Nicholas Broadhurst verlieh der Inszenierung comichafte Züge. Schon die schreienden Farben ihrer Kostüme lassen die böse Stiefmutter "Madame de la Haltière" und ihre beiden Töchter Noémie und Dorothée unsympathisch erscheinen. Kein Wunder, dass ein sensibler Prinz von derart aufgedrehten Geschöpfen nichts wissen will. Er findet Gefallen am lieblichen Aschenputtel, das selbst in den zerrissenen Lumpen noch mehr Grazie ausstrahlt, als alle anderen Weibsbilder zusammen. Susanne Reinhard war die optimale Besetzung für die auch sängerisch nicht einfache Titelrolle. Eine zarte, einfühlsame Person, in deren ausdrucksvoller Stimme Sehnsüchte und Leidenschaften überzeugend mitschwingen. Hier war Andreas Wagner als Märchenprinz die richtige Ergänzung: Zwei derartige Stimmen müssen am Ende einfach als Liebespaar zusammenfinden. Als herrisch-eifersüchtiges Trio konnte man Elisabeth Hornung (Madame Haltière), Andrea Bogner (Noémie) und Katrin Gerstenberger (Dorothée) erleben. Sie machen mit ihren schrillen Stimmen nicht nur dem Aschenputtel das Leben zur Qual, sondern strapazieren auch die Nerven des gutmütigen, aber leider etwas zu ehrgeizigen Familienvaters Pandolfe, den Thomas Fleischmann angemessen verkörperte. Das von Franz Brochhagen routiniert geleitete Orchester des Staatstheaters brachte zusätzlich Farbe in die Aufführung. Massenets Musik ist ja eine wohldosierte Mischung aus Anmut und Dramatik, für die die Musiker des Staatstheaters die richtigen Händchen hatten. Am Ende Beifallsstürme für alle Beteiligten. |
Nicholas Broadhurst versucht in Darmstadt, Massenets Opernmärchen "Cendrillon" zu aktualisieren Von AXEL ZIBULSKI Seine "Lohengrin"-Inszenierung sorgte in der Darmstädter Presse für gefüllte Leserbrief-Spalten: Dass Regisseur Nicholas Broadhurst Wagners Oper mit Attrappen von Atomsprengköpfen und allerhand totem Schwanengetier aufgerüstet hatte, bot reichlich Reibungs- und Diskussionsstoff. Das dürfte nun, nach der jüngsten Neuinszenierung Broadhursts, ein wenig anders aussehen: Im Staatstheater Darmstadt mischten sich nur wenige BuhRufer unter den Schlussbeifall für seine Lesart von Jules Massenets Aschenputtel-Oper "Cendrillon". Broadhurst gibt sich so richtig viel Mühe, das Märchenstück zu entromantisieren, zu aktualisieren - und doch wirkt dieser Versuch letztlich nicht weniger bieder als das miefige Interieur des Bühnenbildes von Jon Morrell (auch für die Kostüme zuständig). Kein Schloss und keinen Festsaal sehen wir da, nein: Hier träumt Aschenputtel in und von einem tristen Mehrzwecksaal, wie wir ihn von Familienfeierlichkeiten bestimmt ganz entfernter Verwandter kennen. Mit Disco-Kugel an der Decke, Zigarettenautomat an der Wand und einem dieser Alleinunterhalter, die zwischen zwei Zügen am Bierglas auf dem Keyboard klimpern. Dazu dürfen Eleven lokaler Tanzschulen über die Bühne schwingen, und der Prinz selbst ist der "Champion 2002", wie ein über seinen Frack geschlungenes Band verrät. Nur ein Weg führt in diesen Raum: Ein Aufzug, der mit seinem süßlichen "pling" jeden neuen Auftritt ankündigt und der ebenso wie die Uhr an der Wand zu AschenputtelCendrillons Träumen ein bisschen verrückt spielt. Letztlich, wie vieles in Broadhursts Inszenierung, nur Gag, auch running gag: Vater Pandolfe scheitert ständig bereits beim Öffnen einer Flasche Orangensaft. Und Cendrillons gute Fee samt Feenstaat treten auf als ein Geschwader von Putzfrauen. Dass die Fee dabei einen Karton mit der Aufschrift "Fairy" in der Hand hält, ist einfach nur blöd. Das Duett von Cendrillon und dem Prinzen schließlich (da fährt im dritten Akt einmal die Bühne Aufzug) spielt im Waschkeller, den Herold des Königs hört man aus einem knisternden Fernsehgerät. Vollends zur Klamotte wird das ganze Spiel, wenn am Ende Cendrillon ihre böse Stiefmutter samt Stiefschwestern kopfüber in drei Wäschebehälter wirft. Spaßige Putzfrauen-Rache. Verträgt sich das alles wenigstens halbwegs mit Massenets Musik? Wohl nur dann, wenn sie so holzschnittartig aus dem Orchestergraben kommt wie unter dem Dirigat von Franz Brochhagen. Gewiss, das Darmstädter Orchester spielt auch dieses Mal akkurat. Aber die Zwischentöne, die feinen klangfarblichen Abmischungen, wie man sie an gleicher Stelle vor einigen Jahren noch in Marc Albrechts Interpretation von Massenets "Werther" gehört hatte - die vermisste man doch. Erfreulicher die solistischen Leistungen: Susanne Reinhard bot ein vokal und darstellerisch wendiges Aschenputtel, Hege Gustava Tjönn eine glockenhelle Fee, Elisabeth Hornung eine gar schaurige und darum herrlich lächerliche Stiefmutter. Der schmächtige Tenor von Andreas Wagner füllte die Partie des Märchenprinzen adäquat aus, beachtlich der balsamische Vater Pandolfe von Thomas Fleischmann. Gesungen wird, bei deutscher Übertitelung, auf Französisch. |