MICHAEL HIERHOLZER
Christof Loy, gerade zum "Regisseur des Jahres" gewählt, inszeniert am "Opernhaus des Jahres" Mozarts 1782 entstandenes Singspiel "Die Entführung aus dem Serail". Am Sonntag um 18 Uhr ist Premiere. Auf naheliegende Aktualisierungen, sagt Loy, habe er verzichtet. Es sei wenig sinnvoll, unser heutiges Wissen über den Orient in das Stück einzuarbeiten. Das Orientalische stehe in dem Libretto von Johann Gottlieb Stephanie d. J. für das Sinnliche, das Exotische, und es gehe nicht um den Zusammenprall von zwei Kulturen oder politischen Systemen. Im Wien des Jahres 1782 habe man ein sehr eigenes Bild von der Türkei gehabt, womöglich noch geprägt von der Zeit, als sie die Kaiserstadt belagerten. Da hätten Mozarts Zeitgenossen im Zusammenhang mit den Türken wohl immer noch in erster Linie an Despotismus gedacht. Mozart jedoch, der, so Loy, "verspielte Hund", beginne mit türkischer Musik in der Ouvertüre, lasse aber den ersten Türken, der auftritt, nämlich Osmin, ein Lied von großer Traurigkeit singen - als wolle er dem Publikum von Anfang an vor Ohren führen, daß es zwischen den Kulturen, daß es zwischen den Menschen keine gravierenden Unterschiede gebe. "In diesem Stück werden menschliche Grundbedingungen freigelegt", ist Loy überzeugt. Für alle Figuren stelle sich die Frage nach der Balance zwischen den Trieben und den eigenen Ansprüchen, ein menschenwürdiges Zusammenleben zu ermöglichen. Das Stück sei "eine Reise zu den inneren Abgründen", die sich in zwei Dreiecksbeziehungen spiegelten. Konstanze stehe zwischen Belmonte und Bassa Selim, Blonde zwischen Pedrillo und Osmin. Am Ende der "Serail"-Inszenierung von Christof Loy löst sich durchaus nicht alles in aufgeklärtes Wohlgefallen auf. Es bleibe, erläutert er, eine tiefe Melancholie zurück. Und Ratlosigkeit. "Alle sind an dem Punkt angekommen, wo sie spüren, daß sie hohe Ansprüche an sich selbst gestellt haben, aber weit davon entfernt sind, sie verwirklichen zu können." Sie merkten, daß es nicht so einfach sei, "ohne Eigennutz" zu "verzeihn". In den ersten beiden Akten hat der Regisseur wenig Text gestrichen. Im dritten Akt dagegen fällt die Entführungsszene mitsamt Leiter ersatzlos aus. Ihn interessiere das Davor und Danach. Das innere Drama. Nicht das äußeren. |
Spannung vor der Martern-Arie Von Claus Ambrosius
Vom 19. Oktober an stellt sich in der Neuproduktion von Mozarts "Entführung" an der Oper Frankfurt eine junge Sängerin der "Herausforderung Konstanze", die in den vergangenen Jahren eine kometenhafte Laufbahn eingeschlagen hat: Diana Damrau, derzeit freischaffende Sängerin, zuvor in Würzburg, Mannheim und Frankfurt fest engagiert. Eigentlich war sie lange Zeit von Hauptberuf Königin: Eben jene "Königin der Nacht" aus Mozarts "Zauberflöte" war die zuverlässige Visitenkarte der brillanten Vokalartistin. In diesem Sommer hat sie sich noch einen letzten Gruß an ihr altes Fach geleistet: Als Blondchen war sie bei der "Entführung" bei den Salzburger Festspielen ein Fels in der Brandung der hemmungslos verrissenen Inszenierung Stefan Hernheims. Jetzt sagt sie dem Blondchen ade und nimmt die Konstanze in Angriff. Dieser Schritt passt gut in die stetige Weiterentwicklung der Ausnahmeinterpretin: Weg von den Soubrettenrollen hin zum umfassenden Repertoire, das nicht nur das Fach des lyrischen Koloratursoprans und einiges darüber hinaus ausfüllt. Eckpunkte - stimmlich wie auch in ihrer erstaunlichen Bühnenpräsenz sind ihr kecker Oscar im "Maskenball", die idealtypische Sophie im "Rosenkavalier", ihre quirlige "Ariadne"-Zerbinetta oder eben die energische Königin der Nacht. Basis dieser Vielseitigkeit ist eine sattelfeste Ausbildung: Nach einer Opernbegeisterung schon im Kindesalter lernte Diana Damrau in ihrem Heimatort Günzburg die ehemalige Opernsängerin Carmen Hanganu kennen. Die Rumänin erkannte das Ausnahmetalent, empfahl der Elfjährigen aber Geduld - und bildete ihre Elevin vom 15. Geburtstag an so gut aus, dass beim Vorsingen an der Würzburger Hochschule nicht nur die junge Schülerin, sondern auch ihre Lehrerin als Gastdozentin akzeptiert wurden. An der Internationalen Sommerakademie Salzburg lernte Diana Damrau mit Hanna Ludwig ihre zweite Lehrerin kennen, mit der sie bis heute alle Rollen erarbeitet. Dann ging es Schlag auf Schlag: erste Engagements in Würzburg, am Mannheimer Nationaltheater und an der Oper Frankfurt - und immer wieder Gastspiele an den großen Häusern. Große Beachtung fand im vergangenen Jahr ihre Interpretation der "Kleinen Frau" in der Uraufführung der Oper "Der Riese vom Steinfeld" von Friedrich Cerha an der Seite von Thomas Hampson an der Wiener Staatsoper. Die vergangene Saison markierte auch ihr Amerikadebüt unter Leonard Slatkin, kommende Engagements umfassen Zerbinetta an der New Yorker Met und als Europa in Salieris "Europa Riconosciuta" zur Scala-Saisoneröffnung in Mailand, im Mozart-Jubiläumsjahr 2006 stehen viele Kompositionen des Meisters auf dem Programm. Das beginnt bei den himmelstürmenden Konzertarien wie "Vorrei spiegarvi, oh Dio" und führt zu neuen Fachpartien, wie jetzt zur "Entführung" in Frankfurt. Unter Opernfans werden die Vorstellungstermine als heiße Tipps gehandelt, denn im Rhein-Main-Gebiet hat Diana Damrau zahlreiche bemerkenswerte Auftritte absolviert: Zuletzt feuerte sie als Margarete von Valois in der konzertanten "Hugenotten"-Aufführung in Frankfurt ein Koloraturengewitter in Tornadostärke ab, in Darmstadt war sie mit Glieres unerhört schwierigem "Konzert für Koloratursopran und Orchester" zu hören. Die Frankfurter "Entführung" sollte man sich nicht entgehen lassen - allzu bald wird die international gefragte Künstlerin in der Region wohl nicht mehr zu erleben sein. |