Frankfurter Rundschau
30. September 2003

Samiel, hilf!
Probleme, die seinerzeit auch Batman hatte: Am Darmstädter Staatstheater beginnt die Opernsaison mit Carl Maria von Webers "Freischütz" im klassisch grünen Gewand

Von Stefan Schickhaus

Die National Rifle Association wäre begeistert: In jedes Mannes Faust ein Gewehr! Ob Bauer oder Jäger oder Teufel gar, jeder bei dieser Freischütz-Inszenierung hatte eine Büchse zu umklammern und zu schwenken. Die bayerische 65-Prozent-Partei wäre ebenso entzückt: Auf jedem Männerkopf ein Filzhut, um jede Frauenhüfte eine grüne Schürze. Die deutsche Nationaloper Der Freischütz von Carl Maria von Weber, wie sie die Saison am Staatstheater Darmstadt eröffnete, erfüllte fast alle Klischees. Nur der Wald fehlte. Zwei gesplitterte Bäume in der Wolfsschlucht, der übrige Forst war wohl für die Holzgewehre draufgegangen.

Aber da war ja noch das Böse. Zwischen den tanzenden Bauernpaaren, den grünen Jägern und weißen Jungfern schlich ein Bocksfüßiger im Frack herum. Nicht immer, sondern nur dann, wenn sich die Musik Carl Maria von Webers düster einfärbte. Das passiert jedoch wohltuend oft, und so gehörte Samiel häufiger als gewohnt die Szene. Und dieser Samiel-Darsteller, der Schauspieler Michael Witte, war die präsenteste Gestalt im ansonsten eher naturbelassenen Regiekonzept des Darmstädter Operndirektors Friedrich Meyer-Oertel. Wittes Samiel war die Reinkarnation von Jack Nicholson, wie er einst den Joker gab in Batman. Ein herrlicher Böser, ein Hedonist, einer, der das Teuflische genießt.

Und so wie Batman eine vergleichsweise blasse Figur blieb damals im Film, hatten es auch die Guten im Freischütz jetzt unendlich schwer. Wenn etwa die betuliche Agathe mit dem biedermeierlichen Ännchen Dialog hält, wünschte man, das Böse würde bald mal wieder einbrechen in diese langweilige Welt. Wenn weitgehend ironiefrei Jungfernkränze gebunden und Kettenhundgeschichten erzählt werden, ist die Bildsprache der Inszenierung auf dem Nullpunkt angekommen. Samiel, hilf!

Die Wolfsschlucht-Szene dagegen hatte Wirkung, ohne gängigen Theatergrusel zu bemühen. Kluge Trugbilder, kein Nebel, wenig Feuer. Den dort gegossenen Kugeln nimmt man ihre Treffsicherheit ab.

Ein Schweizer war es, der dieser deutschesten aller Opern endgültig auf die Sprünge half. GMD Stefan Blunier packte die Weber-Partitur befreiend herzhaft an, hatte stramme Tempi (für den Chor mitunter zu stramm) und drastische Farben. Das Solocello ließ er inbrünstig singen, die Hörner risikoreich forcieren, die Klarinetten und Piccoloflöten rausstechen, dass es eine Freude war. Aus dem Orchestergraben kamen keine halben Sachen. Aus den Sängerkehlen eigentlich auch nicht. Doris Brüggemann als Agathe ist sicher keine ideale Besetzung, sie klingt leicht zu dramatisch, doch hält sich die Sopranistin auch hier gewohnt souverän. Für ihren Jägersfreier Max (Scott MacAllister) wurde vor Beginn eine Erkältung angesagt, wobei aber allenfalls eine unproblematische stimmliche Anstrengung attestiert werden kann und zudem das etwas Fiebrige dieser Unruhepartie recht gut anstand. Andrea Bogner als Ännchen sang ihre Biedermeierrolle herausragend, die übrigen Protagonisten waren alle tadellos.

Darmstadt liebt seinen Operndirektor Friedrich Meyer-Oertel übrigens wie bedingungslos. Selbst nach einem völlig verfahrenen Schlussbild - der fehlgeleitete Probeschuss auf eine wackelnd kreisende Papptaube in merkwürdigem Bilderrahmen, danach Massenhinknien zum Gebet - gab es einige Bravo-Rufe. Für Meyer-Oertel begann nun die letzte Saison, danach kommt John Dew, bei dem sich Oper doch etwas anders ansehen dürfte. Das wird manchem Darmstädter vorkommen wie das Böse schlechthin.

Termine 1., 4., 10., 14., 24. Oktober, 19.30 Uhr, Karten-Tel. 0 61 51/29 38 38.

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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2003
Dokument erstellt am 29.09.2003 um 16:20:35 Uhr
Erscheinungsdatum 30.09.2003
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Darmstädter Echo
28.9.2003


VON SEINEN JÄGERN lässt sich Fürst Ottokar (Hans Christoph Begemann, im Vordergrund auf einem Stuhl sitzend) feiern und füllt derweil – wie Jupiter seinen Weingott Bacchus – Samiel (Michael Witte) mit Trauben ab, der hier in der Gestalt eines fürstlichen Bediensteten auftritt. (Foto: Cornelia Illius)

Der Teufel steckt im Detail
Opernpremiere: Friedrich Meyer-Oertel inszeniert Carl Maria von Webers „Freischütz" im Staatstheater Darmstadt

Von Heinz Zietsch

DARMSTADT. So scheinbar harmlos kommt der Gesang der Brautjungfern daher: „Wir winden dir den Jungfernkranz". Doch statt des Brautkranzes erhält Agathe einen Totenkranz. Sie ist geschockt. Am Ende der Szene klingt auch dieses Lied nicht mehr so vordergründig heiter, sondern kommt im traurigen Moll daher. Die schöne Melodie verfliegt förmlich und macht dem prallen Leben Platz. Denn dann platzen die Jäger mit ihrem Chor geradezu herein. Dabei werden Opernchor und Extrachor vom Chor des Mozartvereins verstärkt. Das Harmlose in einen Abgrund stürzen und die Gegensätze aufeinanderprallen zu lassen, das ist das musikalische Prinzip von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz", die am Samstag im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt Premiere hatte.

Das scheint überhaupt die Methode des Komponierens um 1820 zu sein, in der Zeit des Biedermeier. Schuberts musikalische Gestaltung, seine Lieder zehren davon. Und der Opernkomponist Weber offenbart in seinen „Freischütz"-Arien mehr Nähe zu Schubert und zum Volkslied als zur Operngeste. Was heute in Vergessenheit geraten ist: Weber war auch ein ausgezeichneter Liederkomponist. In der Ouvertüre werden sofort die Gegensätze ausgebreitet. Im anheimelnden Hörner- und Streicherklang wird alsbald Verzweiflung und Bedrohung spürbar.

Generalmusikdirektor Stefan Blunier breitet die Spannung buchstäblich aus, indem er das Tempo dehnt und äußerst leise Töne spielen lässt, die so zerbrechlich sind, dass zu Beginn die Hörner – an dieser verdammt schweren Stelle – arge Mühe haben und die Streicher zu straucheln beginnen, als hätte auch sie das Schicksal zerrissen wie der Jägerbursche Max, der ob seiner Fehlschüsse verzagt, weil seine Existenz und seine Liebe zu Agathe dranhängen. So gießt er mit Kaspar in der Wolfsschlucht Freikugeln. Kaspar nämlich steht mit dem Bösen, dem Teufel in Samiels Gestalt im Bunde. Der Teufel hat in dieser Inszenierung überall seine Hände im Spiel. Denn der Teufel steckt im Detail. Gleich zu Beginn führt er als Dirigent die Bühnenmusiker an. Ein Biedermann mit Frack und Zylinder.

Immer wieder geifert der Schauspieler Michael Witte als Samiel dazwischen, in seinem Verführungstrieb lüstern mit der Zunge schlabbernd. Er ist mal hier und mal da, mal oben und mal unten, als bocksbeiniger Teufel erscheint er in vielerlei Gestalt und scheut sich auch nicht, in Frauenkleidern aufzutreten. Wie ein Faun, ein Puck (als wär’ er Webers „Oberon" entsprungen) oder ein Punk von heute kommt Samiel daher, ein Black Rider vom Dienst. Die wahren Meister des Teufels waren in dieser Inszenierung Masken- und Kostümgestalter. In der Wolfsschlucht schließlich vollführt Samiel einen veritablen Teufelsspuk mit Feuer und mit viel Schall, Hall und Rauch. Überhaupt entfacht die Kostümbildnerin Eva Dessecker ein prachtvolles Fest. Und erst die vielen Frisuren, die in dieser Inszenierung häufig wechseln. Da wird viel fürs Auge geboten. Raffiniert wird der Wald ausgeleuchtet, der als Guckkasten in Form von Kulissen die Bühne umgrenzt. Immer wieder öffnen sich einzelne Kulissen, schieben sich Teile dazwischen, die dem Raum, den Hans-Martin Scholder gestaltet hat, Tiefe verleihen. In diesem Bühnenbild ergibt sich die Regie Meyer-Oertels fast von selbst, der das Stück in der Zeit des Biedermeier spielen lässt. Nur noch der als historisches Zitat fungierende Zwischenvorhang verweist mit seiner Zielscheibe von 1672, dass die Handlung des „Freischütz" sich ursprünglich in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg zugetragen haben soll. Und am Ende, beim Probeschuss, da wird der magisch-fantastische Realismus eines René Magritte herbeizitiert. Wie eine Kasperlbühne wirkt die Zielscheibe. Der Probeschuss ist zum Kasperletheater verkommen. Höchste Zeit also, diesen Probeschuss durch ein Probejahr zu ersetzen, wie der Eremit, ein weiser Mann in weißer Kleidung, am Ende vorschlägt. Kommen wir noch einmal zur „Jungfernkranz"-Szene zurück. Wer Agathe von ihrer Trübsal befreit hat, das ist eigentlich Ännchen, die viel Realitätssinn einbringt.

Andrea Bogner spielt diese Rolle mit wohlgesetzter Stimme derart variantenreich aus, dass sie fast in den Mittelpunkt rückt. Ein regelrechter Wirbelwind, der förmlich über Bett, Stuhl und Tisch steigt. Sie singt nicht nur glänzend, sondern artikuliert die gesprochenen Dialogen so natürlich, wie das sonst nur richtige Schauspieler vermögen, während in dieser Inszenierung, vielleicht Scott MacAllister als Max ausgenommen, die übrigen Sänger in den Dialogen allzu volltönend ihre Texte sprechen. Kein Wunder also, dass Andrea Bogner nach der knapp drei Stunden dauernden Aufführung den meisten Beifall erhält. Begeistert war das Publikum auch von der Leistung der Chöre - bestens einstudiert von André Weiss und auch spielerisch immer bei der Sache. Trotz einer Beeinträchtigung durch Erkältung, wie eingangs der Abendspielleiter Daniel Herzog verkündete, sang Scott MacAllister den Max mit wohlgeformter Tenorstimme. Wie Andrea Bogner ein Gewinn im Ensemble des Staatstheaters. Auch Hans Christoph Begemann als Fürst Ottokar merkte man die Erkältung kaum an. Großartig, wie Doris Brüggemann Agathes Arien mit feinem lyrischem Schmelz ausstattete und entsprechende Stellen rasch mit dramatischer Kraft versah. Geschickt setzte sie den Wandel von der naiven zur lebenserfahrenen Frau um. Mit sonorem, angenehmen Bass gestaltete Friedemann Kunder die Partie Kaspars. Sicher und stimmlich fein ausgeformt versah Hans-Joachim Porcher die Rolle des Erbförsters Kuno. Mit wendigem Bariton spielte Werner Volker Meyer den Bauern Kilian, und mit prononciertem Bass gestaltete Magnus Baldvinsson die Rolle des Eremiten.

Im Orchestergraben sorgte Stefan Blunier für reiche Klangfarben, indem er die Partitur geradezu kammermusikalische auffächerte und, nach einem etwas diffusen Beginn, auch zu dramatischer Schlagkraft fand. Sorgfältig tarierte er die harmonische-klangfarbliche Mischung bei den Holzbläsern aus. Glänzend gelangen die Soli im Cello, faszinierend das Bratschensolo in der Begleitung von Ännchens Arie im dritten Akt. Webers „Freischütz" ist eben nicht nur spannend anzusehen, sondern gewiss ebenso spannend anzuhören.

 

30.9.2003
Versöhnung auf Probe
Oper: Webers „Freischütz“ in veränderter Besetzung im Darmstädter Großen Haus

DARMSTADT. Friedrich Meyer-Oertels Darmstädter Inszenierung von Webers „Freischütz“ stattet das Stück in den dafür prädestinierten Szenen mit allem nur heute möglichen Zauber und modischer Magie aus. Dabei hat sie auch in der alternativen Besetzung, die sich am Sonntag in der so genannten B-Premiere vorstellte, hervorragende Protagonisten.

John Pierce in der Rolle des Max verlieh der Figur mit heldentenoral gefärbter Stimme zumindest musikalisch jenes Maß an psychischer Verzweiflung, das in die Moderne weist und doch im romantischen Typus des Zerrissenen seinen Ursprung hat. Hans-Christoph Begemann brachte mit geschmeidigem Bariton den Kilian rollengerecht auf die Bühne.

Ungewiss, ob das Probejahr, das der versöhnliche Opernschluss verordnet, die Folgen zeitigt, wie Mary Anne Kruger als Agathe sie erhoffen lässt. Die Innigkeit, zu deren Ausdruck ihre Stimme mit noch im Pianissimo bestechenden Phrasierungen und einem Ebenmaß, das auch an forcierten Stellen nichts zu wünschen übrig lässt, fähig ist, scheint eine Charakterfestigkeit zu garantieren, der die Stürme des Lebens nichts anhaben können. Hege Gustava Tjønns Ännchen besitzt eine zauberhafte Unbekümmertheit in ihrer sicher geführten Stimme. Die sonore Väterlichkeit des Erbförsters Kuno wurde von Thomas Fleischmann auch stimmlich souverän verkörpert.

Das Gewicht der Entscheidungen, die getroffen werden, beglaubigt Hans-Joachim Porchers Eremit mit der suggestiven Ausstrahlung seines dunklen Basses. Und Werner Volker Meyer, in der B-Premiere mit der Partie des Fürsten Ottokar betraut, gibt dem auf stimmlich zurückhaltende, aber darum sympathische Weise seinen Segen. Schwer zu glauben, dass Kaspar, Maxens Gegenspieler, ihn hat stören können, obwohl Thomas Jesatko sich dazu mit äußerst flexibler und schöner Bariton-Stimme alle erdenkliche Mühe gibt. Aber er hat gegen die überwältigende Bühnenpräsenz, welche die Regie dem Samiel von Michael Witte zumisst, nicht immer leichtes Spiel. (gde)

 

Frankfurter Neue Presse
29.09.2003

Darmstadt eröffnete die neue Opernsaison mit Webers "Der Freischütz".
Feuerrot spukt der Teufel

Von Rudolf Jöckle

Wie inszeniert man heute diesen "Freischütz"? Oberspielleiter Friedrich Meyer-Oertel, der alte Theaterpraktiker, entschied sich für einen griffigen Mittelweg zwischen einem obsoleten Realismus und einer rabiaten Modernisierung. Zum Bild wird das Biedermeierliche in den Kostümen, nicht zuletzt in den hochgebundenen und nicht immer vorteilhaften Damenfrisuren (Eva Dessecker). Die Szene wiederum (Hans-Martin Scholder) zeigt sich sanft abstrahiert, sie verbirgt nichts zwischen den wild vegetativ bemalten Wänden, die sich im Hintergrund stark verjüngen und ansteigen.

Verblüffend bruchlos vollziehen sich die Verwandlungen auf offener Szene, sogar auch vom alten Forsthaus mit Agathe hinüber in die Wolfsschlucht. Die Arbeiter, die die Versatzstücke herbeischleppen, werden als dunkle Lemuren geschickt ins Spiel integriert. Für die Szenen im Forsthaus genügt neben Tisch und Sofa eine halbe Trennwand, die vor allem im 3. Aufzug brillant als "holländisches" Interieur bemalt ist.

Die Wolfsschlucht selbst zeigt sich weniger dunkel-dräuend, sondern wird in nahezu grellen Auftritten des Samuel und des Geisterchores zwischen plötzlich aufgerissenen Wänden zur Quelle der Erkenntnis der eigenen Ängste. Bedrohung und Angst personifizieren sich ohnehin in Samuel, der als Grundmotiv des Bösen, Verbotenen (und auch als Antreiber) in verschiedenen Gestalten und der immer gleichen Maske des feuerroten Haares ("feuerfarben" ist er ja nach Libretto gekleidet) durch die Oper geistert. Michael Witte spielt ihn schlank und gewandt und mit schneidender Diktion. In solchen Linien verläuft die Inszenierung, die freilich kaum die Grenzen zum Dämonischen, zum Erschrecken erreicht. Bisweilen entwickelt sie Schärfe wie etwa im Streit der Bauern mit den Jägern, doch das stets ordentlich gewandete Volk feiert lieber.

Meyer-Oertel zeichnet das fast liebevoll, mit unverzichtbar gewordener, hier nicht denunziatorischer Ironie, wofür auch der wippende Jägerchor oder das prächtig tollpatschige Jungfern-Sextett stehen mag. Das alles ist sehr unterhaltsam gemacht, um nur im Finale mit dem Eremiten (Magnus Balvinsson als eine Art Sommerfrischler) unerwartet steif zu geraten. Das vokale Niveau litt darunter, dass sich sowohl Scott MacAllister (Max) wie Hans-Joachim Porcher (Erbförster Kuno) als Indisponierte entschuldigen ließen. Wobei gerade MacAllisters Leistung vermuten lässt, dass er gesund die Partie differenziert und mit viel Glanz durchstehen wird.

Doris Brüggemann singt die Agathe mit schönem Ausdruck, fast zart bisweilen und mit einer ungetrübten Höhe. Andrea Bogner als Ännchen ist ihr, obwohl sie nahe der Soubrettentradition steht, mit der Biegsamkeit und Süße ihres Soprans fast eine Schwester. Friedemann Kunder ist ein eher kerniger als finsterer Kaspar, Werner Volker Meyer ein fast jungenhafter Kilian. Der verstärkte Chor zeigt sich ebenso durchschlagskräftig wie spielfreudig.

Stefan Blunier am Pult setzt auf extreme dynamische Werte, die nervösen Hörner störten freilich den dramatischen Effekt der Ouvertüre. Insgesamt jedoch fordert Blunier entschiedener als die Inszenierung das Unheimliche, die Verstörung durch verstärkte instrumentale Färbung und erreicht so eine fesselnde Dichte der Stimmungen. Ungetrübter Beifall.

 

Offenbach Post
1.10.2003

Schwarzer Ritter schlüpft ins Brautkleid
Friedrich Meyer-Oertels historisierende "Freischütz"-Inszenierung am Staatstheater Darmstadt

Von AXEL ZIBULSKI

Vielleicht ist kaum ein zweites Werk des gängigen Opern-Repertoires so schwer zu inszenieren wie Carl Maria von Webers "Freischütz". Einerseits sperren sich tief romantische Szenen gegen Aktualisierungsversuche. Andererseits hat man in einer Inszenierung, die sich allzu nah am Buche orientiert, das Gefühl, dass diese zum tönenden Museum wird, mit Exponaten zwischen Romantik und Biedermeier.

Für seine Neu-Inszenierung am Staatstheater Darmstadt hat sich Friedrich Meyer-Oertel für den eher historisierenden Weg entschieden. Auch wenn der Wald verdammt ist aus dem Bühnenbild von Hans-Martin Scholder, einem von hohen Wänden begrenzten Einheits-Raum, in den sich Agathes pittoreske Stube leicht hineinschieben lässt: Meyer-Oertel hat das Grün schon recht gern. Zu sehen an den Kostümen des Chors, der im ersten Akt so munter in Trachten von einem Bein aufs andere hupft, dass man sich fast an den Musikanten stadel erinnert fühlt. Die Wolfsschlucht steht erwartungsgemäß unter reichlich Bühnen-Dampf, im dritten Akt amüsiert man sich über die Brautjungfern, die sich so artig zum Ringelreihen drehen. Man wittert Ironie, die wahrscheinlich nicht einmal beabsichtigt ist. Schade.

Immerhin: Den teufelsbündlerischen Kern wertet Meyer-Oertel ein wenig auf, indem er den schwarzen Ritter Samiel (als rothaariges Teufelchen von Michael Witte mit viel Elan verkörpert) häufiger auftreten lässt, als es Friedrich Kinds Libretto verlangt. Zum Beispiel ist es Samiel, der im ersten Akt den von Max abgeschossenen Steinadler auf die Bühne wirft. Dass der schwarze Ritter in der Wolfsschlucht allerdings im Brautkleid Agathes auftritt, ist ein fast schon peinlicher Psychologisierungs-Versuch in dieser reichlich biederen Inszenierung.

Zwiespältig bleibt die musikalische Seite. Vorzüglich einstudiert sind Chor, Extra-Chor und die für den unverwüstlichen "Jägerchor" dazu kommenden Mitglieder des "Mozartvereins 1843 Darmstadt". Und unter den Solisten überzeugen zur Premiere (fast alle Partien sind doppelt besetzt) immerhin die Damen: Doris Brüggemann ist als Agathe zwar fast schon eine Spur zu dramatisch, doch kann sie mit ihrer Arie im dritten Akt auch durch feine, schwebende Höhen für sich einnehmen. Exzellent auch Andrea Bogners Ännchen: Wendig, leicht und doch bereits von großer vokaler Reife. Mehr Frau als Mädchen.

Weniger überzeugend der ungenau artikulierende Max von Scott MacAllister (wenngleich als indisponiert angekündigt) sowie der allzu brustig und grob gesungene Kaspar von Friedemann Kunder, während Hans-Joachim Porcher die Partie des Erbförsters routiniert ausspielt. Seitens des Darmstädter Orchesters werden sich manche Ungenauigkeiten der Hörner sicher noch korrigieren lassen; im Übrigen setzt Dirigent Stefan Blunier schon in der Ouvertüre auf überdeutlich ausgekostete Tempo-Kontraste und eine unauffällig dezente Begleitung des Bühnengeschehens.

Auch am 1., 4., 10., 14. und 24. Oktober

 

egotrip.de
september 2003

Wenn Samiel kein Gruseln mehr weckt...
Carl Maria von Webers "Freischütz" im Staatstheater Darmstadt

Um 1817 hatte sich Europa beruhigt: die französische Revolution mit ihren Exzessen war Geschichte, Napoleon endgültig in den Südatlantik verbannt, und Metternichs Restauration hatte für eine Rückkehr zum vermeintlich bewährten Feudalsystem gesorgt. In diesem faulen Frieden begann sich das Biedermeier einzurichten und konnte sich wieder Alltagssorgen und Aberglauben hingeben, da die Aufklärung ins Stocken geraten und die industrielle Entwicklung noch nicht um sich gergriffen hatte. In solchen "Zwischenzeiten" haben Gruselgeschichten aller Art Hochkonjunktur, und lustvoll weidet man sich - ähnlich dem Horrorfilm heutigen Zuschnitts - an nicht mehr selbst zu erleben- dem Schrecken.

Carl Maria von Weber griff diese Stimmung auf und vertonte die "schreckliche " Legende vom Freischütz, der sich vom Teufel treffsichere Kugeln einhandelt, in seiner gleichnamigen Oper. Während jedoch die Volks- sage tragisch endet, ließ Weber nur den Bösen ster- ben und die Guten überleben.

Der Jägerbursche Max will den alten Förster beerben und dessen Tochter Agathe heiraten. Vorher muss er jedoch nach altem Brauch for dem Landesfürst einen Probeschuss abgeben. Da er in letzter Zeit sehr schlecht geschossen hat, lässt er sich von seinem Kameraden Kaspar, der selbst ein Auge auf die Förs- terei geworfen hat, überreden, sich bei "Samiel", dem Teufel, sieben "Freikugeln" zu besorgen. Nur Kaspar weiß, dass nur sechs Kugeln dem Wunsch des Schützen folgen, die siebte aber vom Teufel gelenkt wird. Mit diesem vereinbart der selbst in der Falle der siebten Kugel steckende Kaspar, dass Maxens siebte Kugel Agathe treffen und damit Tod und Verzweiflung in die Förstersfamilie tragen soll. Doch bei Weber lässt trifft die letzte Kugel dank höheren Mächten Kaspar tödlich, während Agathe nur in Ohnmacht fällt. Ende gut, alles gut.

Natürlich geht es Weber und auch seinen Interpreten nicht um die vordergründige Geschichte, sondern um die Konfrontation des schwachen Individuums mit einer in permanent prüfenden Gesellschaft, um die Angst vor dem Versagen und um die Versuchung, sich mit un- lauteren Mitteln einen Vorteil zu verschaffen, um das schlechte Gewissen, das daraus erwächst, und um die befreiende Selbstüberwindung - sprich Reue - die sich bei Max in der Beichte und dem Bekenntnis zum Glauben manifestiert. Um diese eher ernste Botschaft zu übermitteln, hat Weber jedoch eine leichte Hand bewiesen. In leichter, nahezu komödiantischer Manier dramatisiert und vertont er die symbolschwere Hand- lung, so dass vordergründig eine temporeiche Oper mit Anklängen an die damals noch nicht ausgebildete Operette ensteht. Eingängige Lieder wie "Durch die Wälder, durch die Auen" oder "Wir winden Dir den Jungfernkranz" und viele temperamentvolle Chorszenen mit einem kopfstarken Ensemble sorgen für viel Tempo und Witz. Die Musik, weniger von Themen als von der Situation gelenkt, passt sich der jeweiligen Szene an und durchläuft alle Phasen vom schmissigen Lied- thema bis zum schauerlichen, fast atonalen Konglome- rat aus Klängen und Motivfetzen in der Wolfsschlucht- szene.

Regisseur Friedrich Meyer-Oertel stand vor dem Prob- lem, eine Oper, deren Wirkung weit gehend auf dem Schaudern des frühen 19. Jahrhunderts vor Teufel und Magie beruhte, in unsere Zeit zu transportieren. Heute wird der Teufel allenfalls noch als theologisch-intellek- tuelles Denkmodell begriffen, und bei dunklen Schluch- ten besteht die größte Angst vor einem verstauchten Knöchel. Auch der Aberglaube beschränkt sich mittler- weile auf eine vom "Lifestyle" gesteuerte Selbstinze- nierung. Von der Wand fallende Portraits alter Ahnen erzeugen höchstens Ärger über den Sachschaden, und eine Vertauschung des Braut- gegen einen Totenkranz wirkt höchstens peinlich. Wie also brigt man dem Pub- likum diese Oper nahe, die ihre eigentliche Aussage hinter einer so schmissigen Fassade verbirgt?

Meyer-Oertel hat sich konsequent gegen eine radikale Modernisierung entschieden und lässt die Handlung in dem ursprünglichen Ambiente spielen. Die Kostüme verweisen deutlich auf das Biedermeier, ebenso wie die äußerst sparsame Kulisse, die auf einer perspektivisch geschickt bemalten Wand einen Biedermeiersalon mit Durchblick auf Flur und Fenster darstellt. Ein beson- ders hübscher weil doppelbödiger Einfall: auf diesem "Rückraumbild" ist die Zimmerwand in den Hintergrund verlegt - vorne prangt ein schönes Sitzmöbel - , das von der Wand gefallene Bild des Ahnen jedoch hängt real an der Kulisse und schafft damit ein Vexierbild aus unterschiedlichen Relaitätsebenen.

Die Bühne selbst ist raumhoch mit schwarz- weißen, abstrahierte Darstellungen des Waldes behängt und wird damit selbst zur Schlucht, der Bühnenboden steigt nach hinten links hoch an und symbolisiert damit den Abstieg in die Schlucht menschlicher Ängste und Gefahren. Im schrecklichen Finale nach dem fehl gegangenen Probeschuss hebt sich dieser Boden auf ganzer Breite an und droht die Protago- nisten unter sich zu begraben.

Eine Eigenart - soll man es Schwäche nennen? - der Oper besteht in den ausufernd langen Sprechszenen, die zwar zum Verständnis des Geschehens beitragen, das Tempo jedoch jedes Mal drosseln und wenig zur eigentlichen Drama- tik beitragen. Die bei allem Bemühen einge- schränkten schauspielerischen Fähigkeiten der Darsteller im Sprechtheater und die eher konven- tionellen als dramatisch aufgeladenen Dialoge verstärken diesen Effekt. Kurz: bei mancher Sprechszene wurden die Augen schwer.

Wenn dann jedoch die Musik einsetzt, ist jedes Mal die Langeweile verschwunden. Das Orche- ster unter Stefan Blunier intoniert die Partitur mit viel Tempo und Dynamik. Doch neben der lebens- lustigen Seite der Romantik kommt auch die lyrische Seite zu ihrem Recht. Besonders bei den sehr innigen Arien der Agathe nimmt sich das Orchester soweit zurück, dass Doris Brüggemann keine Probleme hatte, sich auf der Bühne stimmlich zu entfalten.

Und damit wären wir auch schon bei den Darstel- lern. Abgesehen davon, dass Scott MacAllister (Max) und vor allem Doris Brüggemann (Agathe) nicht unbedingt der Vorstellung eines verliebten jungen Pärchens entsprechen und einiges Abst- raktionsvermögen bei den Zuschauern erforder- ten, zeigte sich das Ensemble der Darmstädter Oper wieder einmal von seiner besten Seite. Scott MacAllister und Christoph Begeman (Landesfürst Ottokar) hörte man die angekündigte Erkältung nicht an, vor allem der Part des Max litt darunter so gut wie gar nicht, und Doris Brüggemann beeindruckte wieder einmal durch ihre wandlungsfähige und klare Stimmgestaltung. Ihre Arien waren musikalische Höhepunkte des Abends. Doch Andrea Bogner als Ännchen lief Doris Brüggemann dieses Mal sogar noch den Rang ab, so beherzt und temperamentvoll gestal- tete sie die allerdings auch dankbare Partie des lebenslustigen jungen Mädchens. Auch stimm- lich war sie höchst präsent und überzeugte mit einer erstaunlichen Sicherheit in allen Lagen. Hans-Joachim Porcher legte als Erbförster im giftgrünen Gewand eine so sichere wie routinierte Partie hin, Christoph Begemann musste als wür- diger Landesherr diesmal auf alle Späße verzich- ten und absolvierte seinen Part mit der gebotenen Würde. Überzeugend auch Friedemann Kunder als Jäger Kaspar, der in seiner verzweifelten Verderbtheit sogar mehr Kontur auf die Bühne brachte als der "gute" Max. Aber die Bösen sind halt immer interessanter als die Guten. Besonders hervorzuheben ist auch MIchael Witte als "schwarzer Jäger Samiel", sprich: der Teufel. Überall schlich oder hinkte er hinterhältig-schlau umher, oft von den Menschen nicht gesehen, nur von Einigen erahnt, diente sich der hohen Politik (!) als alimentierter Berater an oder schleuderte aus der Höhe der Hölle (hier im (Bühnen-)Himmel angesiedelt) dem armen Kaspar seine so kalten wie hohlen Worte entgegen. Michael Witte bilde- te mit seinen weit gehend stimmlosen Auftritten dennoch eine Art Mittelpunkt dieser Inszenierung. "Am Teufel hängt, zum Teufel drängt doch alles, ach wir Armen" - möchte man da in plagiatori- scher Abwandlung fast ausrufen!

Ein besonderers Lob gilt auch dem Chor, der diesmal durch den "Mozartverein 1843 Darmstadt" verstärkt wurde. André Weiß hatte diesmal besonders an der szenischen Integration des Chors gefeilt, mussten desen Mitglieder doch in vielen Verkleidungen und Verrenkungen auf- treten, so bei der wahrhaft schaurigen Szene in der Wolfsschlucht als wolfsköpfige Gehilfen des Teufels. Selbst das 21. Jahrhundert konnte diese Szene noch - ein wenig - das Gruseln lehren.

Das Publikum dankte dem Ensemble für diese Leistung mit langem Beifall, zur Begeisterung reichte es dieses Mal jedoch nicht. Nur bei Andrea Bogners Verbeugungen zeigte der Beifall deutliche, fast begeisterte Ausschläge nach oben. Das mag wohl daran liegen, dass die Geschichte selbst eigentlich niemanden wirklich faszinierte oder zutiefst berührte. Tempora mutantur......