Die Hölle, das sind wir: "Orfeo" bei den Potsdamer Musikfestspielen Von Jochen Breiholz Der Mann im roten Samtfummel geriert sich, als würde er für den Christopher Street Day üben: ein schnippischer Blick hier, ein kecker Hüftschwung dort - die Götter sind eben auch nicht mehr das, was sie mal waren. Dass dieser "Chez nous"-Verschnitt eines Pluto sich auch nur peripher für Euridice erwärmen könnte, ist mehr als fraglich. Sei's drum, als Entertainment-Einlage in Carl Heinrich Grauns "L'Orfeo" taugt der Höllenfürst allemal. Die Potsdamer Musikfestspiele haben das 1752 uraufgeführte Opus des Hofkapellmeisters Friedrich II. exhumiert: keine wirklich zwingende Bereicherung des Repertoires, aber am Ende einer an Mittelmäßigkeiten kaum zu überbietenden Berliner Opernsaison doch ein interessanter und vor allem klug inszenierter Schlusspunkt. Anders als Monteverdi oder später Gluck entfernt sich Graun vom ursprünglichen Orpheus-Mythos, bevölkert sein Stück mit Figuren, die vom eigentlichen Konflikt ablenken. Streckenweise dient der Stoff als bloße Folie für die in der Opéra seria obligatorischen Verzweiflungskämpfe unglücklich Liebender. Dass die für Orpheus entflammte Königin Aspasia den Tod seiner Gattin Euridice plant, banalisiert ihn als Eifersuchtsdrama. Dass Aristeo, der Bruder des Orpheus, auftreten muss, der selbstredend in Euridice verliebt ist - schmückendes Beiwerk, dem Zeitgeschmack geschuldet. Dabei haben Dirigent und Regisseur bereits die Figur der Ismene gestrichen, Nummern umgestellt, das Ganze um 35 Minuten gestrafft. Dem Stück hätte es nichts geschadet, den Rotstift noch energischer anzusetzen. Längen gibt es dennoch keine. Weil die Regie auch jene Momente, die dramaturgisch (und musikalisch) entbehrlich gewesen wären, sensibel gestaltet. Weil Hinrich Horstkotte im Gegensatz zur Mehrheit der jungen Regisseure das Stück ernst nimmt, weil er nicht dem bequemen, weit verbreiteten Trend folgt, es unter einem vermeintlich hippen Konzept zu begraben. Sein Handwerk gelernt hat der 30-Jährige bei Karl-Ernst und Ursel Herrmann, die inzwischen nurmehr pseudo-bedeutungsvolle, glatte Designeroberflächen produzieren. Horstkotte unterscheidet sich schon darin von seinen Lehrern, dass er auf- statt zudeckt, dass er nicht auf Stereotypen zurückzugreift, sondern Charaktere zeigt, die eine Entwicklung durchmachen. Christiane Reikow hat ihm dazu einen nur scheinbar in einen Garten führenden Kuppelsaal gebaut, in dessen Zentrum ein gläserner, mattgold vergitterter Kubus steht: Orpheus' Kunst-Raum, ein Ort abgeschlossen von der wirklichen Welt, Refugium und Gefängnis zugleich. Die Gegenwelt, die Hölle, das sind wir: Horstkotte verlegt sie kurzerhand in den Zuschauerraum. Am Ende reißen die Wände des Kuppelsaals auf; die selbstgeschaffene, trügerische Idylle des Künstlers Orpheus zerbricht an der Realität - sein Mythos indes wird für die Nachwelt konserviert, seine zerbrochene Lyra andächtig in einem Glaskasten ausgestellt. Schade, dass der Orpheus an diesem Adend nur ein halber war - oder besser: ein doppelter. Alexander Plust, von akuter Kehlkopfentzündung heimgesucht, agierte die Partie, während Mezzo Ulrike Bartsch sie aus dem Orchestergraben sang. Netta Or als Aspasia und Joanne Lunn als Euridice führten das überaus motivierte Ensemble an, die Akademie für Alte Musik musizierte unter Ralf Popken eher mit Schmiss als mit filigranem Fingerspitzengefühl. Schön war's trotzdem. Schlosstheater im Neuen Palais, Potsdam. Nächste Vorstellungen: Heute, 22., 23. 6., 19.30 Uhr. |
Carl Heinrich Grauns L’Orfeo bei den Musikfestspielen Potsdam-Sanssouci 19.Juni 2003 Von Georg-Friedrich Kühn Musikalisch gold geht’s hier den Bösen. Aspasia etwa, einer vom Librettisten als eifersüchtelnde Thraker-Königin eingefügten Figur. Sie will Orpheus für sich und schickt der Rivalin Eurydike gleich nach der Hochzeit die Schlange und den Tod. Oder Pluto; Amor ist hier sein handlangender Dunkelmann. Nur widerwillig macht der Fürst der Unterwelt das Theater mit um den Sänger, der ungebeten alle Gesetze von Leben und Tod brechen will. Natürlich muss er letztlich an seiner Rebellion scheitern. Der Orfeo von Friedrich des Zweiten Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun ist eine noch tief im barocken Intrigen-Netz befangene Version des Stoffs: Italienische Oper mit einem Schuss Rameau in den Wahnsinnsszenen, wo Eurydike spürt, irgendetwas geht vor mit ihr. Aber noch weit entfernt von der holzschnittartigen Klarheit, in der Gluck und Calzabigi den Stoff bearbeiteten zehn Jahre später in ihrer bis heute berühmten Wiener Reformoper. 1752 in Berlin wurde Grauns Orfeo uraufgeführt. Ein kleines Highlight bei den Potsdamer Musikfestspielen. Vor allem musikalisch mit der silbrig-glänzenden Akademie für Alte Musik im Graben und Ralf Popken am Pult. Szenisch ist es historisierend brav gelöst von Hinrich Horstkotte im beengten Hof-Theater des Neuen Palais von Sanssouci; geschickt lässt der Regisseur auch über die Rampe spielen. Und mit Alexander Plust als Orfeo und Joanne Lunn als Euridice hat man stimmlich ausgesuchte Protagonisten. "Europäische Brücken" zwischen Utrecht-Potsdam- St.Petersburg wollen die Musikfestspiele Potsdam-Sanssouci bauen im 300.Jubiläumsjahr von Sankt Peterburg. Die Preußenkönige pflegten bekanntlich gute Kontakte sowohl nach Ost wie West. Und der Hofkapellmeister von Preußens anfänglichem Musenkönig, Friedrich II, hat heuer ebenfalls 300.Geburtstag - wahrscheinlich; denn ganz genau weiß man das Geburtsjahr von Carl Heinrich Graun nicht. Seine Orfeo-Oper jedenfalls war ebenfalls eine Geburtstags-Oper, nämlich eine für die Königin-Mutter. Und wenn man sich das Libretto so durch den Kopf gehen lässt, eine nicht eben schmeichelhafte. http://www.gf-kuehn.de/ |