"Parsifal" in Frankfurt Paolo Carignani und die Suche nach dem Gral Ein Richard-Wagner-"Originalklang" lasse sich allenfalls im Bayreuther Festspielhaus erreichen. Und eine konzertante Aufführung des Bühnenweihfestspiels "Parsifal", wie sie mit der Premiere am Sonntag um 17Uhr an der Oper Frankfurt geplant ist, sei sogar eine "historische Fälschung", räumt Generalmusikdirektor Paolo Carignani, der die musikalische Leitung hat, lachend ein. Zumindest müßte das Orchester aus Gründen des Raumklangs und um die erwünschte Balance zu den Sängern herzustellen im Orchestergraben und nicht auf der Bühne sitzen. Das Ganze sei eine Notlösung. Auf die geplante szenische Produktion unter der Regie von Christof Nel mußte aus Kostengründen verzichtet werden. Sie soll in zwei Jahren nachgeholt werden. Da eine konzertante Aufführung weniger häufig wiederholt wird als eine szenische, hat der Generalmusikdirektor zusätzlich zu "Parsifal" die Wiederaufnahme von Mozarts "Cosi fan tutte" übernommen. Dabei nun näherte er sich allerdings stark der historischen Aufführungspraxis an: Neben den Naturhörnern waren hier erstmals im Museumsorchester auch ventillose Trompeten und dazu kleine Militärpauken zu hören (weitere Aufführungen am 5. und 11. März). Das Orchester sitzt zudem, wie zur Mozart-Zeit, fast auf Höhe der Zuschauer und kann das Geschehen auf der Bühne mitverfolgen - konträr zum abgedeckelten Orchestergraben des Wagnerschen Festspielhauses. Um diese Unterschiede und Schwierigkeiten kreisen derzeit Carignanis Gedanken. Beim konzertanten "Parsifal" komme es darauf an, auf der Bühne einen leiseren, etwas gedeckelten Klang und dennoch verschiedene Forte-Qualitäten zu erreichen. Ist das Instrumentarium für Wagner umstandslos vorhanden, so müßten für einen historischen Mozart-Klang noch weitere Schritte gegangen werden: Vielleicht spielen die Streicher irgendwann auch mit Darm- statt mit Stahlsaiten, erläutert Carignani. Wichtiger als das seien zunächst aber die richtige Artikulation, Bogengeschwindigkeit und ein reduziertes Vibrato. Der Klang müsse nicht immer schön sein im Sinne der Karajan-Kultur. Ein Sforzato-Akzent solle knallen: Es gehe darum, dramatische Funktionen wiederzuerkennen. Die junge Generation von Musikern sei demgegenüber sehr aufgeschlossen. Als ausgebildeter Organist, Meisterkursteilnehmer von Gustav Leonhardt und als jemand, der zu Hause ausschließlich Barockmusik spiele und höre, hat er daran selbst ein besonderes Interesse.. Allerdings fänden sich auch im "Parsifal" Anklänge an Alte Musik, bis hin zum A-cappella-Chor am Ende des ersten Akts mit seiner Nähe zum "stile antiquo" Palestrinas. In diesem stilistischem Schweifen spiegle sich das große "Parsifal"-Thema, die Suche, ebenso wie in der Bühnenhandlung. Tendenzen zum französischen Impressionismus nach Art Ravels oder Debussys sieht Carignani in der Partitur weniger. Bei allem Duft könne höchstens von einem deutschen Impressionismus die Rede sein. Ihn selbst erinnere manches eher an den Jugendstil. Den Gesamtaufbau, die große Architektur des Werks, vergleicht Carignani hingegen mit einer gotischen Kathedrale, wie er sie in Albi bei Toulouse besichtigt habe. Dort, so sagen die Franzosen, sei auch irgendwo der Gral versteckt. Doch könne man ihn ebenso in der Partitur finden: "Der Gral ist eine Utopie." Fände man ihn, so müßte niemand mehr im Krieg oder vor Hunger sterben. Daher gehe die Suche für jedermann weiter. In der Auseinandersetzung mit Wagner sieht sich Carignani dennoch vorerst an einer "Endstation" angekommen: Nach dem Frühwerk "Der fliegende Holländer", das mit Arien und Rezitativen noch nicht so weit vom italienischen Stil oder dem späten Weber entfernt sei, über "Die Meistersinger von Nürnberg" und "Tristan" nun zum Spätwerk "Parsifal" gelangt, sei ein Rückweg zum "Tannhäuser" möglicherweise erst in zwei oder drei Jahren möglich. GUIDO HOLZE | |
Der Mensch Kundry
Nadja Michael: Ich weiß gar nicht, ob ich das in all seinen Verschachtelungen, in all seinen Metaphern wirklich verstanden habe - das möchte ich nicht für mich in Anspruch nehmen. Aber ich denke, wenn man ein bisschen was über Richard Wagner weiß, hat man es leichter mit der Handlung, denn hier spiegelt sich viel von seiner Person wider. Ich habe für mich einen Weg gefunden, diesen christlichen, katholischen Überbau zu interpretieren und auch zu relativieren, so dass eine Liebesgeschichte erkennbar wird, oder besser: eine Thematisierung des Begriffs Liebe. FR: Der "Parsifal" an der Oper Frankfurt wird eine "nur" konzertante Produktion. Macht man sich da als Sängerin überhaupt die gesamte Spannweite der Rolle bewusst? NM: Absolut. Gerade beim Parsifal, der ja so schwer zu durchsteigen ist, muss ich für mich einen Charakter erkennen können. Ich kann ja nicht nur die Töne singen und nicht wissen, was sie aussagen sollen. Die Kundry ist ja ähnlich wie die Carmen ein Archetyp von Frau, schon jenseits des Menschlichen - und das kann so in einer Oper nicht dargestellt werden. Ich muss versuchen, die Kundry auf die menschliche Ebene zu holen. Meiner Interpretation nach geht es in dieser Oper um eine sehr, sehr männliche Sicht auf das Thema Liebe und um die Frage, wie man mit Macht und Liebe umgeht. Ein großes Thema, wie immer bei Wagner. Der Gral, die Wunde, der Speer: Dies sind alles Symbole, die so gar nichts mit der christlichen Metapher zu tun haben. FR: Wäre Ihnen eine szenische Umsetzung lieber? Oder ist die Kundry auch rein konzertant zur Genüge ausgelastet? NM: Das ist eine schwere Frage, weil ich den Parsifal noch nie in einer Inszenierung gesungen habe - das hier in Frankfurt ist mein Rollendebüt. Gerade im Parsifal ist die Musik alleine schon so reich und bildhaft, das ich es als entlastend finde - wirklich im Sinne von "Ballast abwerfend" -, wenn man sich alleine auf diese Musik konzentrieren kann. Ja, ich finde es als einen Glücksfall, dass wir hier konzertante Aufführungen machen. FR: Was ist es, das diese Partie der Kundry für alle Sängerinnen so zum Gipfel hat werden lassen? NM: Ich denke, der Gipfel ist immer noch die Isolde. Für das dramatische Mezzofach allerdings mag es wirklich die Kundry sein, und das kann daran liegen, dass diese Rolle ein ewiges, weibliches Prinzip verkörpert; wobei man ihr da eben auch etwas Unrecht tut, denn Kundry kann auch durchaus menschlich sein. Sängerisch ist sie natürlich eine riesige Herausforderung, weil man für sie eine enorme Spannweite braucht zwischen lyrischen, ziselierten Momenten und der ungeheuren Dramatik am Ende. Man braucht als Sängerin einfach alles dafür. FR: Wissen Sie, wie viel Sie da zu singen haben, bei einer Gesamtdauer von fünf Stunden? NM: Das ist letztlich gar nicht so viel, obwohl die Kundry eine zentrale Gestalt ist. Die große Venusberg-Szene des Tannhäusers verlangt von der Venus eine knappe Stunde Singen, die Kundry hat da nicht wesentlich mehr. Aber ich habe das nie nachgemessen, vielleicht täusche ich mich auch. Die Partie der Kundry wirkt auf jeden Fall immer ungeheuer beeindruckend. FR: Dass all die christlichen Metaphern nur ein Schutzmäntelchen seien, hat die Regisseurin Ruth Berghaus einmal beschlossen und in ihrer "Parsifal"-Inszenierung ein großes Coming Out veranstaltet - 1982 war das, hier an der Oper Frankfurt. Die Gralsritterschaft als homosexueller Klüngel, allem Weiblichen entsagend: Würde Sie das überzeugen? Wie wurde da dann der Parsifal selbst gedeutet? FR: Als Angebot der Päderastie, würde ich sagen. NM: Der "reinigende Tor", ja, das kann ich nachvollziehen. Ich denke, in den "Mann"-schaften, den Bünden, den Logen ist die Homosexualität mehr oder minder latent immer ein Thema gewesen. Und schließlich hat das auch mit dem zu tun, wie ich den Parsifal für mich deute: Als ein Einlassen auf ein Prinzip Liebe, welcher Art auch immer. Über "Bruder"-schaft muss das dann aber weit hinaus gehen. FR: Die "Parsifal"-Vorstellungen fallen jetzt passenderweise in die Fastenzeit, die Opernhandlung selbst spielt an einem Karfreitag - für echte Wagnerianer gehört sie zum persönlichen Karfreitagsritual, genau so wie für andere Bachs "Matthäus-Passion". Für welches der beiden Werke würden Sie sich entscheiden, wenn Sie am Karfreitag die Wahl hätten? NM: Sie müssen wissen, ich komme aus Leipzig, bin also völlig atheistisch erzogen... FR: Aber aus Leipzig kam schließlich auch Bach. NM: Durchaus, aber ich bin ganz klar in der sozialistischen DDR-Tradition aufgewachsen, wo so etwas überhaupt keine Rolle spielte, ja spielen durfte. Der Hintergrund des verwurzelten Wissens um diese Zusammenhänge fehlt mir, und ich empfinde das auch als echtes Manko, gerade in meinem Beruf. Was da eigentlich untrennbar zu unserer Kultur gehört, musste ich mir mühsam anlernen, es hat mich leider nicht wirklich geprägt. Ich liebe die Matthäus-Passion und ich liebe den Parsifal, aber mir fehlt das Bedürfnis, an einem Karfreitag genau diese Musik zu hören. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 Dokument erstellt am 26.02.2004 um 16:40:01 Uhr Erscheinungsdatum 27.02.2004 | |