Frankfurter Oper Wagners letztes Bühnenwerk nimmt eine Sonderstellung ein: Es sammelt in einem serenen Altersstil die Erfahrungen früherer Jahre; darüber hinaus hat es auf die nachfolgende Generation mindestens so viel Einfluß genommen wie der oft beschworene "Tristan". Eine andere Besonderheit ist die von Wagner selbst mit dem Stichwort "Bühnenweihfestspiel" ausgelöste Entwicklung zur Kunstreligion mit einem Geschehen, das christliche Elemente wie Abendmahl und Taufe mühelos integriert, aber auch über sie hinausgeht. Heute ist schwer abzugrenzen, was vom Komponisten selbst gewollt war und was auf Kosten seiner Sachwalter, voran Cosima, geht. Ähnliches gilt für die Wagner-Pflege fern von Bayreuth. So verzeichnet Albert Richard Mohrs Buch über die Frankfurter Oper zwischen 1925 und 1943 nicht weniger als 17 Neueinstudierungen, jeweils zur Osterzeit: manchem Wagnerianer mag das Erleben des "Charfreitags-Zaubers" am Festtag den Kirchgang ersetzt haben. Wagner hatte das Orchester in den "mythischen Abgrund" des Festspielhauses verbannt und damit die Basis für eine Klangarchitektur bis zu den in "höchster Höhe" wirkenden Choristen geschaffen. Jetzt prangte das Orchester auf der Bühne und machte den hinter ihm postierten kleineren Partien bei aller Klangkultur das Leben schwer. Freilich lenkt das Konzept Paolo Carignanis zu Recht die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Orchestersatzes, der in sinfonischer Durchführung der Thematik zum Träger des Geschehens wird, auch in den zukunftsweisenden Verwandlungsmusiken, man denke nur an die Zwischenspiele der Straussschen "Frau ohne Schatten". Die sorgsame, klar konturierte Entfaltung dieser Prozesse ist einer der Vorzüge dieser Aufführung, ungeachtet kleiner Ungenauigkeiten im Zusammenwirken, zumal Carignani die Absage seines Gurnemanz wegzustecken hatte. Daß es gelang, Matti Salminen zum kurzfristigen Einspringen zu gewinnen, darf als Glücksfall gelten: Mit unforcierter Sonorität, vorbildlicher Artikulation und intensivem, dabei unpathetischem Ausdruck prägte er vor allem den ersten Akt. Sein Vorbild wirkte unüberhörbar stimulierend auf seine Partner, unter ihnen immerhin drei Rollen-Debütanten. Unter ihnen hinterließ Nadja Michael als Kundry den nachhaltigsten Eindruck. Die Sängerin mit dem auffallend hellen Timbre steigerte sich an den ekstatischen Höhepunkten ihrer Partie bis an die Grenzen ihrer Stimme, überwältigend der Sprung über den Abgrund bei "und lachte", bewundernswert die Piano-Kultur auch nach dramatischen Exzessen. Ausgewogener, aber auch begrenzter in Dynamik und Ausdruck wirkte Stuart Skelton in der Titelpartie. Vielversprechend vor allem seine Piano-Phrasen: ein Parsifal der Zukunft. Gerd Grochowski dürfte für die Partie des Klingsor noch an stimmlicher Zentrierung gewinnen. Souverän Eike Wilm Schulte, auch in den aufwühlenden Schmerzensklagen des Amfortas; nur zu hören: Magnus Baldvinsson als Titurel. Leistungsstark waren auch die Rollen der Ritter, Knappen und solistischen Blumenmädchen besetzt, genannt seien hier stellvertretend Britta Stallmeister und Annette Stricker, die jeweils zwei Partien wahrnahmen. Wirkungsvoll kontrastierten die klangvoll-würdigen Chöre der Gralsritter mit den verführerischen Ensembles der Blumenmädchen. An den Schlüssen des ersten und dritten Aktes fanden die Bühnenchoristen wirkungsvolle Ergänzung durch Chöre aus der Höhe des dritten Ranges. Suggestiv die schrittweise Aufhellung des Klangs bis zu seinem Entschweben in den Holzbläsern am Ende des ersten Aktes ("Selig in Lieb' und Glauben"). Alessandro Zuppardo und Pablo Assante, für die Einstudierung verantwortlich, verstärkten damit das Konzept Carignanis, der auf einen auffallend breit entfalteten ersten Akt einen beflügelten zweiten folgen und sich auch in der Gloriole des dritten nie zu falschem Pathos verführen ließ. Um so zwingender die Entfaltung der Details, gerade auch bei verhaltener Dynamik. Selten wurde so deutlich, wie gerade der erste Akt sich ganz aus dem Piano entwickelt. Hier bewies auch das engagiert spielende Museumsorchester seine klanglichen Qualitäten. Es gab reichen Beifall, zumal für den Retter aus Finnland. Die konzertante Aufführung: nur eine Notlösung, ein Sparprogramm, wenn Wesentliches vermittelt wird? Was der "Parsifal" an Zeitlos-Gültigem zu sagen hat, war auch an diesem Abend zu spüren. GERHARD SCHROTH |
In eherner Gemessenheit VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH Mit der Selbstironie, die einem geborenen Theatraliker wohl ansteht, apostrophierte sich Richard Wagner in der Parsifal-Phase gerne als "Oberkirchenrat". Die der lutherischen Hierarchie zugehörige Bezeichnung kontrastiert zu dem eher katholischen Habitus dieses Spätwerkes, dessen sakrale Sequenzen im Gralstempel denn auch von Kirchen römischer Konfession inspiriert wurden. Als ins Protestantische transferiert könnte entschieden eine Parsifal-Darstellung wie die jetzt an der Frankfurter Oper gebotene wahrgenommen werden, die sich des bildlich-szenischen Aspekts entledigte und aufs Konzertante beschränkte. Obwohl womöglich auch Vorarbeit einer Neuinszenierung (mit Christof Nel) in einer kommenden Spielzeit, hatte die Konzertform ihren eigenen Wert, ihre spezifische Dramaturgie. Sänger singen "anders" (nicht unbedingt schlechter, nicht unbedingt besser), wenn sie vor einem Notenständer auf einem Podium postiert sind. Konfessionelle Fragen Natürlich ist ein konzertanter Parsifal prinzipiell auch wieder mehr katholisch, weil er vom Element kritischer Handlungsinterpretation absieht. Was das betrifft, war die Frankfurter Ruth-Berghaus-Deutung des Parsifal vor 20 Jahren eine sehr "protestantische" Demonstration und exzessiv ideologiekritisch. Solche Dimensionen sind einer rein musikalischen Wiedergabe nicht zugänglich. Was nicht bedeutet, dass hier nur über Schöngesang und Orchestergepflegtheit zu berichten wäre. Nein, auch an der Rampe waren die Rollen "dramatisch" erfühlt und erfüllt. Der Gurnemanz-Sänger Matti Salminen etwa (eingesprungen für den erkrankten Gregory Frank) bedurfte auch seiner Hände, um die erzählerische, magistrale oder visionäre Eindringlichkeit seiner Monologe "sprechend" zum Ausdruck bringen zu können. Der gleichsam frontale rezitierende Vortrag vermindert den Abstand zum Publikum im Vergleich zur Bühnenimagination. Da gibt es zunächst Befangenheiten, denen selbst ein so erfahrener Akteur wie Salminen ausgesetzt war. Doch fand er sich schnell in die Situation und realisierte den immensen Part (den gewichtigsten des Stückes; noch für die gesamte Dauer des "Karfreitagszaubers" im dritten Akt ist Gurnemanz ein umfassender Cicerone) mit sprachgewandter Distinktion und allzeit präsenter vokaler Würde. Salminens Quintessenz aus langer Rollenerfahrung konnte hier selbstverständlich nicht, wie bei Ruth Berghaus, einen schmallippigen autoritären Pedanten erbringen, sondern eine ritterlich-edle Vatergestalt mit allen Facetten von Bedächtigkeit und Warmherzigkeit. Nicht minder profiliert war die Amfortas-Verkörperung mit Eike Wilm Schulte, der es fertig brachte, gerade mit einem kraftvoll-kernigen, ungefährdet registermächtigen Organ die Exaltationen eines Ewig-Wunden und Todessüchtigen zum Ausdruck zu bringen: Beispiel dafür, wie kunstvoll und "künstlich" Darstellung zu funktionieren vermag. Als dritte tiefe Männerstimme verlieh Gerd Grochowski dem Klingsor statt bleckender Dämonie die baritonale Gediegenheit eines seriösen ehemaligen Gralsritters. Interessanteste Figur im Parsifal und vielleicht überhaupt die psychologisch exponierteste Wagnersche Frauengestalt ist Kundry. Die im männerbündlerischen Treiben der Rahmenakte unscheinbare Botin und Dienerin (man könnte Kundry auch als eine etwas zwielichtig-schnöde jüdische Chiffre verstehen) zeigt sich bei einer Konzertaufführung als besonders unergiebig, zumal ihr in Frankfurt das szenenübliche Schreien und Stöhnen verwehrt war. Im Schlussakt war sie tatsächlich 75 Minuten lang anwesend, um lediglich die vier Noten "Dienen, dienen" beizutragen. Nadja Michael, die junge Kundry aus Leipzig, konnte im Mittelakt umso mehr die Tiefenschärfe ihrer klugen und empathischen Rollenaneignung zeigen. Vokale Untadeligkeit war dabei nicht ihr Hauptargument; die Erzählung von Herzeleides Tod hätte eine schlichtere, gleichsam volksliedhafte Diktion vertragen. In jedem Moment, jeder Fiber ihrer Präsenz ließ Nadja Michael die schillernde Gemischtheit, ja Brüchigkeit des Kundry-Charakters deutlich werden, und das gab der Stimme eine eigenartig vibrierende Intensität, ein mehr durch Expressivität als durch technisches Kalkül erzeugtes gleißend-leuchtendes Timbre, das im jähen Aufblühen und im elaborierten Erlöschen auch alle Qualitäten vokaler décadence offenbarte. In punktgenauer Konzentration gelang der emotionale Höhepunkt bei der Beschwörung ihres schrecklichen "Lachens". Auf dem Weg zur Gottesmonarchie Ein ansprechender und sicherer Parsifal war der Tenor Stuart Skelton, der an keiner Stelle den draufgängerischen Naturburschen hervorkehrte und auch im Schlussakt nicht usurpatorisch auftrumpfte, sondern eher so etwas wie eine mild-nazarenische Gottesmonarchie verhieß. Hier mochte sich ein dramaturgischer Akzent andeuten, vielleicht auch eine Verbindung zum Dirigenten Paolo Carignani, der sich dem semireligiösen Werk mit einer gewissermaßen seraphischen Ausstrahlung näherte. Die engelhafte Luzidität erwies sich aber bald als erzengelhafte Strenge und Gravität; der erste Akt verlief (wie dann auch der dritte) in einer geradezu ehernen Gemessenheit, dabei im Duktus ebenmäßig und unforciert. Mit überraschender Lebhaftigkeit wurde der zweite Akt angegangen, wohltuend zügig und fast aggressiv in der Blumenmädchenszene, ruhiger ausdifferenziert bei dem langen Zwiegesang Kundry/Parsifal. Die perfekte Klang-Alchemie Mit perfekt realisierter Klang-Alchemie zeigte dieser Parsifal eine noch stringentere dirigentische Handschrift als Carignanis Tristan. Im Gegensatz zum unsichtbaren Orchester in Bayreuth machte das auf dem Konzertpodium sich präsentierende Museumsorchester die raffinierten Klangmischungen auch optisch klar (etwa die durch Bläser konturierten Unisono-Streicher beim Anfangsthema des ersten Orchestervorspiels). Akustisch weniger befriedigend waren die in den Hintergrund verbannten kleineren Rollen (Ritter, Knappen, solistische Blumenmädchen) und die etwas muffig-verhangenen Gralsglocken (kompensiert durch den atemberaubenden Paukenpart). Raumklanglich schön disponiert die unsichtbaren Frauen- und Kinderchöre sowie das Altsolo (Bockyoung Kim). Der genügend markante Männerchor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo) war im dritten Akt vernünftigerweise verstärkt: Die noch moribundere Rittergemeinschaft artikuliert sich mit inständiger Insistenz. [ document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004 Dokument erstellt am 01.03.2004 um 18:28:01 Uhr Erscheinungsdatum 02.03.2004 |
Die Oper Frankfurt führte Richard Wagners "Parsifal" konzertant auf. Von Rudolf Jöckle Warum konzertant? Die ursprünglich vorgesehene Neuinszenierung hat man um etwa zwei Jahren verschoben, die städtischen Sparauflagen zwangen zu diesem Schritt. So bedauerlich der Verzicht auf die Szene sein mag, die musikalische Umsetzung unter Paolo Carignani geriet freilich zum Ereignis. Den Nachteil, auf Bayreuther Bedingungen naturgemäß verzichten zu müssen deren akustische Verhältnisse sind ja ein wesentliches strukturelles Element dieses "Bühnenweihfestspiels" , glich die Intensität seiner Interpretation aus. Wirkte also die Aufführung klanglich heller, direkter, schärfer gezeichnet als bei Bayreuther Erfahrungen, so brachte Carignani bei seinem "Parsifal"-Debüt doch das Kunststück fertig, in der Bewegung des Klangs gleichsam Unschärfen auszulösen, Wagners eigentümliche Bindungen der Musik über ein strenges metrisches Maß hinaus zu suggerieren. Seine ruhigen Zeitmaße etwa in der Nähe des zu Unrecht als "Schlepper" geschmähten Hans Knappertsbusch (nicht ganz 110 Minuten für den 1. Akt) gaben ihm auch die Zeit zu einem Espressivo, in dem die instrumentalen Farben in sanfter Wärme aufglühten. Doch keineswegs ließ Carignani eine lastende sakrale Aura oder gar Düsternis zu. Nicht zuletzt standen dem die Unmittelbarkeit des Zugriffs wie auch die Durchhörbarkeit des Klangs entgegen. Das Fehlen der Szene wurde übrigens wohl am deutlichsten bei den "rituellen" Szenen, wie im lange sich hinziehenden Finale des 1. Aktes spürbar. Das mit außerordentlicher Hingabe spielende Museumsorchester in der schlanken Fülle der Streicher und der Brillanz der Bläser trug entscheidend zur Lebendigkeit der Aufführung bei. Die Chöre traten da schon etwas zurück, vor allem die scharf klingenden Frauen im 1. Akt, was Klingsors Blumenmädchen, mit den besonders zauberhaft "duftenden" Solistinnen wie Britta Stallmeister, Annette Stricker oder Barbara Zechmeister voran, wieder wettmachten. Als weniger glücklich erwies sich auch der Verzicht auf die Doppelchörigkeit der Gralsritter im Finale. Die Verzweiflung der ansonsten eindrucksvoll-geschlossen singenden Herren blieb da auf der Strecke, ortsbedingt wohl auch der Raumklang ("aus großer Höhe") des "Erlösung dem Erlöser". Auch unter den Solisten gab es drei "Parsifal"-Debütanten. Stuart Skelton, den die Frankfurter schon als Peter Grimes gefeiert haben, sang die Titelpartie mit seinem leicht baritonal gefärbten, klaren Tenor, erfüllt und ohne jedes Pathos und mit einer Intonationssicherheit, die manchen Bayreuther Kollegen gut täte. Nadja Michael wiederum war eine hochdramatische Kundry, mit Vehemenz zwischen Verführerin und Furie im 2. Akt schwankend und sich verausgabend. Der berühmte Sprung ". . . und lachte" war gewiss einer der Höhepunkte der Aufführung. Gerd Grochowski schließlich sang nachdrücklich charakterisierend den Klingsor. Eike Wim Schulte, unerschütterlich zuverlässig, war ein sehr präsenter Amfortas. Überraschender Einspringer und nun "Stargast" war Matti Salminen als Gurnemanz anders als die ebenso würdig-verhaltenen wie sonoren deutschen "Oberlehrer", die so perfekt Hans Sotin oder Manfred Schenk verkörperten, ein vitaler, kraftvoll-bewegter, aber auch ausdrucksvoll-empfindsamer Ritter des Grals. Am Ende Ovationen. |
Konzertante Weihestunden Obwohl gerade am Karfreitag gern praktiziert, kann das nicht der Bühnenweisheit letzter Schluss sein: Richard Wagners komplexer und langwieriger "Parsifal" war am Sonntag in der Oper Frankfurt konzertant zu erleben - und hinterließ Zwiespalt. Zwar stimmte durchaus positiv, was die "Oper des Jahres" - allein mit drei Rollendebüts aufwartend - und ihr Generalmusikdirektor Paolo Carignani zu leisten vermögen. Doch oratorienmäßig konfrontiert mit Solisten, Museumsorchester und Chor, fehlte diesem entsagungsvollen Wagner-Werk mit seinen eng verwobenen Motiven um die urmenschlichen Themen, Glaube, Liebe und Hoffnung auf Erlösung jene geheimnisvolle Aura, die selbst in Wolfgang Wagners mittlerweile abgelegten, betont statuarischen Bayreuther Inszenierung dauerhaft bannte. Fünfeinhalb Stunden Konzentration auf die Suggestivkraft der hier ungemein modern wirkenden Musik und einen reinen Tor, der durch sein Entsagen und sein Mitleid eine sieche Ritterrunde samt ihrem Heiligtum errettet - das schien zumindest auf den teuren Plätzen manchem zu viel. Zumal Textverständlichkeit bei Wagner kaum zu erreichen ist. Schon nach dem ersten Aufzug hatten sich einige Reihen gelichtet. Wer geblieben war, feierte am Ende zu Recht mit satten Bravos das hohe sangliche und klangliche Vermögen der Oper Frankfurt. Im Vorspiel dauert es ein wenig mangels Orchestergrabens, bis sich mystische Spannung aufbaut. Vom Abendmahl- und wundersamen Gralsmotiv bis hin zu den Glauben festigenden Posaunen scheint Carignani auf sorgfältiges Erkunden des musikalischen Terrains bedacht. Die herben dynamischen Kontraste wirken erst zum Ende hin voll ausgereizt, mit den Blechbläsern aus dem Seiten-Off. Ähnlich ereignet sich der erste Aufzug mit seiner fantastischen Steigerung und den insistierenden Glocken, vom viel beschäftigten Kesselpauker grundiert. Dass die Kirchenglocken vom Sampler kommen, erkennt man auch nur konzertant. Und wieder einmal hat Intendant Bernd Loebe im Vokalen ein glückliches Händchen: Die Mischung aus Neulingen und Bayreuth-erfahrenen Sängern hält wach. Vor allem der überragende, kurzfristig eingesprungene Matti Salminen - als Gurnemanz die bitteren Wahrheiten verkündend - zeigt hohe Wagnerschule eines eindringlichen Basses, dessen schmerzvolles Verhauchen noch stimmlich trägt. Gelegentlich dirigiert der Finne gar mit, dem ein weiterer Bayreuth-Recke zur Seite steht: Als leidender Amfortas zeigt Eike Wilm Schulte enorme Präsenz dank eines Baritons, der den Schmerz in Schöngesang ummünzt. Dass gerade in Klingsors Zaubergarten Szenisches stark vermisst wird, dem steuern Carignani und das flexibel auf abrupte emotionale Wechsel reagierende Orchester entschieden gegen, hier die Debütanten anspornend: Stuart Skelton ist ein Parsifal, der seine innere Wandlung mit Bedacht vollzieht. Und er hat einen kernigen runden Tenor, der zu weiteren Wagner-Taten ermuntert. Hin- und hergerissen zwischen Heilige und Hetäre zeigt Sopranistin Nadja Michael als Kundry eine gellende Höhe und eine erstaunlich tragfähige Tiefe. Nur tremoliert sie phasenweise etwas stark. Ideal in der Rolle des gefallenen Engels Klingsor ein weiterer Rollendebütant: Gerd Grochowskis feinstimmiger wie druckvoller Bass passt in jede Wagner-Oper. Die großen Frankfurter Ressourcen offenbaren zudem Magnus Baldvinsson als Amfortas-Vater Titurel, die Gralsritter Hans-Jürgen Lazar und Gérard Lavalle sowie die Knappen und Blumenmädchen mit Britta Stallmeister und Barbara Zechmeister an der Spitze. Dann sind da noch Chor, Extrachor und Kinderchor (Alessandro Zuppardo, Pablo Assante), die vor allem den weihevollen, wundersamen dritten Aufzug mittragen. Hier zweigeteilt, wird sogar Wagners Regieanweisung befolgt: Soprane und Tenöre singen oben, im vierten Rang - ein nicht durchweg reiner Engelschor mit Vorsängerin Bockyoung Kim. In Bayreuth wird der Berufsprovokateur Christoph Schlingensief demnächst den "Parsifal" inszenieren. Dann doch lieber konzertant, mag mancher sagen. Wie in Frankfurt ... KLAUS ACKERMANN |
Wagners "Parsifal" konzertant in Frankfurt Von Axel Zibulski Das Auge muss noch verzichten. Zum Beispiel auf Blumenmädchen, die sich derzeit noch nicht auf Frankfurts Opernbühne räkeln. Richard Wagners "Parsifal" kommt dort in Folge der Sparmaßnahmen nämlich etappenweise auf den Spielplan: In konzertanter Aufführung hatte das Bühnenweihfestspiel bereits jetzt Premiere, während die Inszenierung von Christof Nel erst in der übernächsten Spielzeit nachgereicht wird. Ganz so ungewöhnlich ist ein konzertanter "Parsifal" doch eigentlich nicht: Man denke nur an Wolfgang Wagners letzte Bayreuther Inszenierung, die in ihrer Statuarik ebenfalls weitgehend regiefrei blieb. Ohne den Frankfurter Etappen-Parsifal als Modell für gebeutelte Opernhäuser zu propagieren - die Konzentration zunächst aufs rein Musikalische kann auch vorteilhaft sein. Zumindest, wenn so viele Debüts zu erleben sind wie in dieser konzertanten Aufführung: Premieren für die Sänger der Kundry, des Parsifal und des Klingsor, Premiere vor allem für Paolo Carignani. Frankfurts Generalmusikdirektor dirigierte das Werk zum ersten Mal, und zumindest im mittleren Klingsor-Akt auch völlig überzeugend. Dessen stärker ausgeprägte Dramatik scheint ihm derzeit noch mehr zu liegen als mancher geheimnisvolle Moment des ersten und des dritten Akts. Da war bei eher breiten Tempi manche Pause noch ein Loch, wenngleich das Museumsorchester Fabelhaftes leistete. Farbenstark die Streicher, sehr kultiviert die Blechbläser. Eine Spur von Dramaturgie dann doch: Teils wirkt der Chor, ganz getreu dem Libretto, tatsächlich aus der "obersten Höhe": "Höchsten Heiles Wunder" hören wir gesungen vom dritten Rang, und das im Finale überhaupt noch etwas sauberer als im ersten Akt (Einstudierung der Chöre: Alessandro Zuppardo). Nadja Michaels Debüt als Kundry gewinnt dank der voll tönenden Tiefe an Gewicht. Eine Spur zu flackernd bisweilen die Höhen, die manchmal dynamisch auch etwas zurückhaltender ausfallen könnten. Immer noch hoch souverän Eike Wilm Schulte als Amfortas. Anstelle des angekündigten Gregory Frank sorgt Matti Salminen als Gurnemanz für den wohl stärksten Eindruck der Premiere. Zwar hat man die Partie schon sonorer, balsamischer gehört, aber Salminen begeistert mit einer an diesem Abend unerreichten Durchdringung und Artikulation des Textes, mit einer intensiven vokalen, auch reflektierenden Präsenz: Glaubhaft und tragend noch die leisesten Töne. Über diese verfügt auch der junge australische Tenor Stuart Skelton, der in Frankfurt erstmals als Parsifal zu erleben ist; auch zeigt seine zuweilen durchaus strahlkr&aum;ftige Stimme heldentenorales Potenzial. Ähnlich wie im Falle des jugendlichen Klingsor von Gerd Grochowski darf man auf die weitere Entwicklung der Stimme gespannt sein. Schließlich gibt der Frankfurter Etappen-Parsifal dazu hinreichend Gelegenheit. |
Bühnenweihfestspiele dauern eben etwas länger Von Christian Rupp FRANKFURT. Die Argumente sind immer die gleichen: Operninszenierungen kosten Geld. Viel Geld. Und da immer weniger Häuser über entsprechende Budgets verfügen, retten sich immer mehr in konzertante Aufführungen, um produktionsaufwändige und damit kostenintensive Inszenierungen zu umschiffen. Da macht auch die Oper Frankfurt keine Ausnahme. Gleich dreimal steht daher Generalmusikdirektor Paolo Carignani in dieser Saison am Pult der fehlenden Bilder. Doch während er in Verdis "Giovanna d΄Arco" Anfang Januar noch der große Star des Abends war, hinterlässt die zweite konzertante Oper dieser Saison, Richard Wagners "Parsifal", keinen wirklich guten Nachgeschmack. Premiere war am Sonntag. Es mag Zufall sein, dass es gerade jene beiden musikalisch und ästhetisch so weit voneinander entfernten Komponisten sind wie Verdi und Wagner, die in der Reihe konzertanter Premieren an der Frankfurter Oper aufeinanderprallen. Aber es wäre ein interessanter Zufall. Denn obgleich beide bekanntermaßen einen Orchesterapparat verlangen, der nur mit größter Mühe im Frankfurter Graben Platz findet, können die Unterschiede bei der Annäherung kaum größer sein. Das ist eine Herausforderung für einen jeden Dirigenten. Carignani stellt sich mutig der Aufgabe, und das ist ihm nicht hoch genug anzurechnen. Aber er ist offenbar kein Wagner-Dirigent. Entsprechend lag es nicht an den Solisten, dass es jedem wieder bewusst wurde, der es irgendwie doch vergessen haben sollte: Bühnenweihfestspiele dauern eben fast sechs Stunden - subjektiv auch länger. Und Carignani beherrscht dieses kleine Wunder der Zeitdehnung. Schon während des ersten Vorspiels machte er deutlich, wohin die Reise geht; langgezogene Akkorde schleppten sich durch eine Wüste in As-Dur, langsam und episch breit. Auf die üblichen - und durchaus sinnhaften - Sforzato-Akzente, die dem Vorspiel jenen schmachtend-schwelgerischen Gestus verleihen können, verzichtete Carignani vollkommen. Lediglich an Stellen höchster Emphase oder innigster Zurückhaltung wagte er sich ein wenig aus der Reserve und ließ das engagierte Museumsorchester ein wenig aufblühen. Zu selten entwickelte sich daher ein Beziehungsgeflecht der Motive zwischen Orchester und Sängern. Einen Spannungsbogen, der idealerweise das komplette Bühnenweihfestspiel überbrückt, gab es nicht. Bestenfalls der zweite Aufzug erschien homogen und der kompositorisch verwobenen Struktur nachzuspüren. So waren es tatsächlich die Solisten, die diesen "Parsifal" lohnend machen - allen voran Matti Salminen, der kurzfristig als Gurnemanz für den erkrankten Gregory Frank eingesprungen war. Freilich lässt sich mit einem Salminen grundsätzlich pfundschwer wuchern, doch der finnische Bass mit der Schwärze eines Fafner avancierte schlicht zum Star des Abends. Er riss sie alle mit. An seiner Seite ein vorzüglich disponierter Eike Wilm Schulte als Amfortas, der, obwohl er seine Bayreuther Zeit längst hinter sich hat, noch immer über ein klares Timbre verfügt. Respektabel auch die Leistung von Gerd Grochowski als Klingsor. Das Ensemblemitglied näherte sich in seiner Rollenpremiere stark dem von den beiden Wagner-Spezialisten vorgeschlagenen Weg der konsonantbetonten Artikulation an, ohne jedoch in Wagner-typisches Bellen zu verfallen. Stimmlich vorzüglich, wenngleich ein wenig zu lyrisch, auch Ensemblemitglied Stuart Skelton in der Titelrolle. Zwar verfügt Skelton (noch) nicht über die Durchschlagskraft, die man üblicherweise von einem Parsifal erwartet, gleicht dieses Manko jedoch durch eine gewisse Geschmeidigkeit wieder mehr aus. Nadja Michael als Kundy sang lispelnd, zog sich aber für jeden Aufzug um. Großen Applaus gab es für Chordirektor Alessandro Zuppardo, der auf dem besten Weg ist, aus dem Frankfurter Opernchor einen der differenziertesten Klangkörper der Region zu formen. |
Oper Frankfurt: Parsifal In days of tight budgets and dwindling public financing for the arts, it sometimes makes sense to do concert performances of operas. There are no directors, no stage sets, no lighting and no costumes to pay for. What restricted rehearsal time there is can focus solely on the music rather than what the singers have to do on stage. And the danger that something can go wrong on the night is greatly reduced - there's no tripping over, no missed entries and, of course, with the singers given the luxury of having the score in front of them, there are no flunked or forgotten words. For the audience, too, a concert performance come as something of a relief. They don't have to wrestle with a director's interpretation - obscure, bland, shocking or eye-opening - of the composer's work and they can surrender themselves totally to the music. There are drawbacks, too, of course. In an opera as long as Parsifal, a concert performance can become something of a trial - there are no sets to distract the audience's attention from poor or ill-prepared singing, scrappy conducting and below-par playing. And if you don't know the plot and can't make out the words, five and a half hours of music can seem like an eternity. Also, if, as was the case in Frankfurt, big-name international singers are not flown in as consolation for the lack of staging, and young in-house ensemble members take the main parts for the very first time instead, the risks can seem very big. Frankfurt, named Opera House of the Year last year by the influential German magazine Opernwelt, triumphantly overcame any such misgivings at the premiere of its new "non-staged" performance of Parsifal on February 29. Astonishingly, three of the main parts were role debuts Gerd Grochowski as Klingsor, Nadja Michael as Kundry and Stuart Skelton as Parsifal. Even Frankfurt's Generalmusikdirektor Paolo Carignani had never conducted a Parsifal before. But you'd never have guessed it. Right from the opening bars of the Vorspiel, you sensed we were in for something magical. Carignani's Tristan last season made you sit up and listen. But his Parsifal is even better. Every line is clearly, beautifully shaped, not too slow or cloying with long, breathlessly sung phrases. The first act, nearly two hours long, went by almost without you noticing. And Carignani, a Verdi specialist, is working wonders with his Frankfurt orchestra. The "Museumsorchester" can no longer be seen as the poor man's answer to the city's premier ensemble, the Frankfurt Radio Symphony Orchestra. Playing as warm, accurate and sensitive as this surely puts them in the top league of Germany's opera house orchestras. But it was the singers who really made the evening. Gerd Grochowski, who is already attracting attention in Frankfurt in roles such as Kurwenal or the Geisterbote from Die Frau ohne Schatten, may have been a little too youthful as Klingsor, and not quite as evil as he needs to be. But his baritone is powerful and strong in the lower register and his intonation accurate and tone agreeable higher up. The role of Gurnemanz was also to have been taken by a member of Frankfurt's own ensemble, Gregory Frank. But he was ill and the great Finnish bass Matti Salminen jumped in at a day's notice. Salminen's bass is rich and dark, resounding powerfully and beautifully around the house, near-perfect in every note and every word. Another top-league Wagnerian, Eike Wilm Schulte, sang Amfortas. He was not maybe as intense and moving as the broken king should be, but his heroic baritone was always pleasing and supple. Supple, too, was Stuart Skelton's youthful Parsifal. His is not the ugly barking voice that so frequently passes as "Heldentenor" nowadays, but well-rounded and always secure in intonation, from a bronze-timbred lower register to a radiant, metallic upper register. Skelton first came to people's attention as Lohengrin and Erik during Daniel Barenboim's and Harry Kupfer's 10-opera Wagner marathon at the Staatsoper Berlin a couple of years ago. Thankfully, he is now a full-time ensemble member in Frankfurt where he has already sung Peter Grimes and the Kaiser in Die Frau ohne Schatten. Most stunning of all was Nadja Michael as Kundry. Looking gorgeous in a simple black dress in the first and third acts, and a white dress in the second, the slender, athletic Michael has a voice to make your jaw drop right from her very first entry --and the looks to match. She scratched one or two notes, but that was probably nerves. And with a Kundry as gorgeous as this, it didn't really matter. The Flower Maidens, Grail Knights and Squires were all ably sung by members of the Frankfurt ensemble, even if they were not always easy to hear, seated behind the orchestra. The male members of the chorus were also seated on stage, while the female voices floated, very effectively, high up in the Gods. Parsifal is to be given only three more times in its concert performance this season in Frankfurt. But apparently, a fully-staged version is on the cards for 2006. Let's hope they can find a director and stage designer to match the top-notch musical standards set this time round. Simon Morgan |