Stuttgarter Nachrichten
06.10.2003

Nationaltheater Mannheim: Sebastian Baumgarten inszeniert Berlioz" "Die Trojaner"
Ein kurzweiliger Theater-Kraftakt

Von Stephan Hoffmann

Eine fünfaktige Oper war für das Pariser Publikum um 1850 einfach zu lang. Berlioz musste "Die Trojaner" also um die beiden Troja-Akte amputieren, übrig blieben die drei Karthago-Akte mit der Liebes-Geschichte zwischen Dido und Aeneas - zu der aber passte der ursprüngliche Schluss nicht mehr, Berlioz ließ "Die Trojaner" deshalb mit dem Liebestod der Dido und der Verfluchung des untreuen Aeneas enden.

Das frühere Finale hingegen spannte den ohnehin weiten Bogen durch die antike Mythologie noch weiter und bezog die römische Geschichte mit ein. Durch dieses Finale wächst den "Trojanern" der Rang einer umfassenden, in sich schlüssigen Mythenerzählung zu - durchaus vergleichbar mit Wagners Ring. Das fand auch Sebastian Baumgarten, der Regisseur der Mannheimer Produktion der "Trojaner", und er neigte zu Übertreibungen. So sinken sich Dido und Aeneas wie Tristan und Isolde, verzaubert von der Schönheit der Nacht und der Musik, in die Arme. Das ist auch so schon genug der Ähnlichkeit; muss man da wirklich noch der armen Dido eine Art Liebestrank einflößen?

Sebastian Baumgarten, Mitte 30, war einer der letzten Schüler von Ruth Berghaus; das merkt man durchaus. Seine Inszenierung in den ziemlich schmucklosen Bühnenbildern von Hartmut Meyer ist eher verrätselt als von sinnlicher Eindeutigkeit. Eine Reihe von Details erschließen sich dem Zuschauer nicht unmittelbar, fast immer sind mehrere Deutungen möglich. So viel wurde immerhin klar: dass sich nämlich Baumgartens Sympathie für das Volk der Trojaner in Grenzen hält. Schon Baumgartens Aeneas ist nicht eben ein Sympathieträger, seine Landsleute, die ohne jede Hemmung die Karthagerinnen reihenweise flach legen, sind es noch viel weniger. So viel hat Baumgarten aber zweifellos erreicht: Langweilig wird es nie, und das will bei knapp fünf Stunden Aufführungsdauer etwas heißen.

"Die Trojaner" sind für jedes Theater ein Kraftakt, und dass Mannheim alle Sänger bis auf die Dido aus den Reihen des Ensembles besetzen konnte, spricht für sich. Die Cassandra von Kathleen Broderick hinterließ einen ebenso starken Eindruck wie Michail Agafonov als Aeneas und Susan Maclean als überzeugende Dido.

Axel Kober machte am Pult des Nationaltheater-Orchesters eine glänzende Figur - ihm gelang nebenbei noch der Beweis, dass Berlioz mitnichten dick oder gar unförmig orchestriert hat - der Orchesterklang war von wunderbarer Durchsichtigkeit. Ein respektvolles Kompliment verdient der fabelhafte Chor, der vor allem im dritten Akt bis an seine Grenzen gefordert ist.

 

WIESBADENER KURIER
07.10.2003

Seltenheitswert: "Les Troyens" von Hector Berlioz in Mannheim
Theater der Andeutungen

Von Axel Zibulski

Er erlebte seine "Trojaner" nie im Ganzen auf der Bühne: Als Hector Berlioz 1869 starb, hatte es in Paris zuvor nur eine bruchstückhafte Aufführung seiner monumentalen Grand Opera gegeben. Auch später wurde das Werk entweder stark gekürzt oder zweigeteilt - in "Die Eroberung von Troja" und "Die Trojaner in Karthago" - an zwei Abenden aufgeführt. Erst ganze hundert Jahre nach Berlioz' Tod kam es erst in Glasgow, dann in London zu kohärenten Aufführungen der seinerzeit neu edierten Gesamtpartitur. Einen "Trojaner"-Boom lösten allerdings auch sie nicht aus: Das mit etwa vier Stunden reiner Spieldauer ziemlich sperrige Werk auf der Bühne zu erleben, hat immer noch Seltenheitswert.

Jetzt hat das Nationaltheater Mannheim aus Anlass des 200. Geburtstags von Berlioz seine neue Spielzeit mit "Les Troyens" eröffnet. Wer hier freilich einen aufwändigen Historien-Schinken in bester Tradition der Pariser Grand Opera erwartet hatte, durfte sich von der Regie des jungen Sebastian Baumgarten enttäuschen lassen: Der Schüler von Ruth Berghaus und Robert Wilson, der schon als Oberspielleiter in Kassel für kontrovers diskutierte Inszenierungen sorgte, bietet ein Theater der Andeutungen und Chiffrierungen, das vom Zuschauer viel Imaginationskraft verlangt. Im Einheits-Bühnenraum von Hartmut Meyer, den hinten ein dreistöckiger Aufbau mit vorgelagerten Balkonen begrenzt, darf man sogar optisch puzzeln. Während der Held Aeneas zwischen der Zerstörung Trojas und dem Aufbruch nach Italien in Karthago weilt, stehen Buchstaben auf der Bühne, aus denen sich zum Beispiel das französische Wort für "Tod", aber auch die Namen Rom/Roma und, mit ein wenig Phantasie, Troja bilden lassen. Und als die Oper eben dort noch spielt, stellt Baumgarten ein echtes Pferd auf die Bühne, ein ganz blutiges allerdings, an dessen aus dem Rumpf gerupften Fleisch man sich sättigt.

Die überzeugendsten Lösungen bietet die Regie in den Szenen, die einst die technische Leistungsfähigkeit der Grand-Opera-Bühne beweisen sollten, etwa die pantomimische "königliche Jagd" samt Hagel, Sturm und Donnerwetter zu Beginn des vierten Aktes - hier zu sehen als schnell geschnittene Video-Sequenz (von Stefan Bischoff) auf dem geschlossenen Vorhang.

Erstmals spielt Mannheim das vollständige Finale der ursprünglichen Opernfassung von 1858, in dem das zu gründende Rom triumphal auf der Bühne erscheint. Doch selbst da belässt es Baumgarten bei einer geschickten Andeutung: Man pinselt die rot-weiß-grünen Farben Italiens auf die Bühne. Insgesamt kann die Regie allerdings manche szenische Zusammenhanglosigkeit nicht vermeiden, wie sie freilich bereits in Berlioz' noch ganz nummernhafter Komposition angelegt ist. Ziemlich altklug wirken zudem die dazuerfundenen Szenenüberschriften wie "Rache", "Virus" oder "Inselleben", die auf der Übertitelungsanlage zu lesen sind.

Man singt französisch, und man singt auf vorwiegend hohem Niveau: Von den 18 Solistinnen und Solisten sind vor allem die metallisch-präsente Kassandra Kathleen Brodericks und die höhensichere, wendige Dido von Susan Maclean hervorzuheben. Dagegen bleibt Michail Agafonov in der Riesen-Partie des Aeneas (Énée) nicht frei von tenoralen Mühen. Über jeden Zweifel erhaben sind dagegen der stark geforderte Opernchor und das dramatisch mitreißend und klangfarbenstark aufspielende Orchester des Nationaltheaters, dessen Dirigent Axel Kober bereits nach der Pause mit "Bravo"-Rufen empfangen wird; dagegen muss sich das Regieteam am Ende einen heftigen "Buh"-Sturm um die Ohren wehen lassen.

 

Allgemeine Zeitung
07.10.2003

Liebestod der Königin im Pappkarton
Berlioz-Oper "Die Trojaner" am Nationaltheater Mannheim/Regie: Sebastian Baumgarten

Von Johannes Bolwin

Muss Theater immer gefallen? Der trojanische Held Aeneas - ein zottelmähniger Rocker in Lederkluft und mit seitwärts baumelndem Fuchsschwanz; sein Sohn Ascanius - ein Prol mit Tendenz zur Bösartigkeit, der virtuos mit Sektflaschen und Klappmessern hantiert und im Suff auch mal karthagische Blondinen aufs Kreuz legt; Kassandra - hinkend, mit Juckreiz und blutigem Knieverband: Am Mannheimer Nationaltheater wird Hector Berlioz' selten gespielter, riesenhafter Prunkoper "Die Trojaner" dreist die Fratze real existierender Hässlichkeit übergestülpt. Als der pflichtbewusste Edelrocker Aeneas Dido an Libyens Küste zurück lässt, um sich auf die Suche nach dem sagenhaften Italien zu machen und dort das "neue Troja" (also Rom) zu gründen, da lässt Jungregisseur Sebastian Baumgarten die Königin in unschön gegen die Musik anknisternden Plastikplanen vorläufig schon mal absaufen. Den Todesstoß darf sich die frustrierte Königin dann in einem Pappkarton geben, den ein Räumkommando mit Zielrichtung Hades entsorgt.

An provokanten Schäbigkeiten, von der sperrigen Etagenbühne (Hartmut Meyer) über die Farben bis zu den Kostümen (Valerie von Stillfried), herrscht also kein Mangel; da werden Parallelen zu Mozarts "Titus", derzeit in einer Regie Matthias Schönfeldts am selben Ort zu sehen, deutlich. Die ersten beiden, in Troja spielenden Akte über ist das auch von starker Suggestivkraft. Mit frischer Respektlosigkeit zerrt Baumgarten den antiken vergil'schen Heldenstoff in den Hinterhof einer konsumversessenen, verrohten Industriegesellschaft: Zum Triumphmarsch, mit dem die Trojaner einen veritablen Griechen-Gaul im Eisenkäfig in die Stadt ziehen, schwenkt man Luftballons und trägt die Einheitskluft einer VW-Montage-Belegschaft. "Dummes Volk!", zetert Kassandra. Und Didos fleißige Karthager sind gleichgeschaltete Werktätige mit Hammer und Sichel.

Dann aber gerät alles auf die schiefe Bahn. Die Andeutungen und Symbole purzeln munter durcheinander wie Konfettischnipsel, ohne dass sich ein Bild ergibt - imperiale Giftgas-Attacke hier, Dia-Abend da, Saufgelage dort. Was fehlt, das ist das tragende Fundament, eine die Ideen-Flut ordnende Kraft. Letztlich wird diese komplette, mit surrealen Video-Sequenzen angereicherte Inszenierung, die wohl auch die Destruktivität der mobilen Überflussgesellschaft aufs Korn nehmen will, selbst ein Opfer des Überflusses.

Dick trägt zudem das erstmals in Mannheim gezeigte Finale dieser Liebesgeschichte auf, die auch die Pole Emotion und Ratio, Eros und Prinzipientreue thematisiert: Zum "fuit Troja, stat Roma!" kleistert eine uniforme Malerkolonne die italienische Trikolore auf den Plastikplanen-Prospekt. Mit brachialer Gewalt schließt sich im Epilog der Bogen dicht am Hier und Jetzt - vehement sperrt man sich vom überfrachteten Ende her gegen diese diffuse, experimenthaft politisierende Regie, der immerhin zugute zu halten ist, dass Theater nicht immer gefallen muss.

So behält die famose Musik die Oberhand. Erster Güte ist die Solistenriege, die mit dieser Oper den Ruf des Nationaltheaters einmal mehr untermauert. Herausragend, stimmlich wie schauspielerisch, vor allem Susan Maclean (Dido) mit über die vierstündige Spieldauer nie nachlassender Geschmeidigkeit und ausdrucksstarkem Mezzo; ihr ebenbürtig Michail Agafonov als Aeneas, dessen leicht in höchste Höhen aufsteigender, klangschöner Tenor einen bizarren Kontrapunkt zur optischen Tristesse abgibt. Mit flackerndem, passend hysterischem Furor agiert Kathleen Broderick als die unverstandene Mahnerin Kassandra, die nur im Selbstmord einen Ausweg sieht. Kontrastreich sind die Gegenpole angelegt, ein charakteristischer Personen-Dualismus: hier Thomas Berau als Kassandras Verlobter Choroebus, dort Ceri Williams als Didos Schwester Anna, beide mit jener warmherzigen, soliden Verlässlichkeit, die den Partnern fehlt.

Ein Lob verdienen auch der makellos intonierende, stimmgewaltige Chor und das Orchester unter dem stets enge Tuchfühlung zum Bühnengeschehen wahrenden Dirigenten Axel Kober. So erstrahlt diese an melodisch-motivischen Einfällen und Klangfarben so überreiche, nobel strömende Musik in einem Glanz, wie man es nicht alle Tage hört.

 

Pforzheimer Zeitung
08.10.2003

Die Geschichte als eine Folge von Kriegen
Hektor Berlioz’ selten aufgeführte Oper "Les Troyens" hatte am Nationaltheater Mannheim Premiere

Von Thomas Weiss

MANNHEIM. Die erste Aufführung der kompletten "Les Trojens" von Hektor Berlioz fand, auf zwei Abende verteilt, erst 1890 in Karlsruhe statt, also lange nach dem Tod des Komponisten. Im Berlioz-Jahr nahm sich nun das Nationaltheater Mannheim der gewaltig dimensionierten Oper mit einigen hauptsächlich die Balletteinlagen betreffenden Strichen an. Und stellte zudem erstmals das ursprüngliche Finale des Werkes vor. In diesem schlägt Berlioz den Bogen von Troja zur glorreichen Geschichte Roms, lässt die siegreichen Kriegsherren vorbeiparadieren.In Erinnerung bleibt aber eine besonders die musikalischen Aspekte der Oper betreffend beachtliche Leistung des Hauses. Die groß dimensionierten "Les Troyens" waren ein Schmerzenskind von Hector Berlioz. Trotz der berühmten Frankfurter Berghaus-Inszenierung anfangs der 80er Jahre hat das Regietheater um "Die Troyaner" eher einen Bogen gemacht, in den 90er Jahre folgte noch Dortmund, 2000 dann die Salzburger Festspiele.In Mannheim war es nun Sebastian Baumgarten, durch einige heftig umstrittene Regiearbeiten in Kassel bekannt geworden, der sich mit dem Schicksal der Trojaner befasst, das Berlioz nach Virgil selbst zu einem Libretto gestaltet hat. Das Ende Trojas, das, von einem Zwischenspiel in Karthago unterbrochen, die Gründung und den Aufstiegs Roms zur Weltmacht bedingt, ist ein Thema, bei dem der Regisseur das Zeitlose des Geschehens in den Vordergrund rückt. Baumgarten und sein Ausstattungsteam (Bühne Hartmut Meyer, Kostüme Valerie von Stillfried) sind an einer historischen Rekonstruktion der Geschichte um Äneas nicht interessiert, der nach dem Fall Trojas und dem Selbstmord der der Versklavung trotzenden Frauen, den göttlichen Auftrag bekommt, nach Italien zu segeln und dort Rom zu gründen.

In Mannheim sind die Trojaner und ihr Schicksal so nah, wie es die inzwischen zum Klischee herabgesunken Mittel des Regietheaters möglich machen: einheitlich gekleidet sind die Trojaner ebenso wie die Karthager, später fehlen dann auch die unvermeidlichen Plastiktüten bei der offensichtlich von VW gesponserten Siegesfeier der Trojaner nicht. Beide Bevölkerungs-Gruppen erscheinen als manipulierbare Menschenmasse, als Objekte, nicht Subjekte der Geschichte. Dazu passt der Bühnenraum von Meyer, der für Troja und Karthago einen nur im Finale mit Plastik verhüllten Einheitsraum schuf, einen dreistöckigen, gelben Wohnblock mit Feuerleitern und Galerien, auf denen sich zum beachtlichen Teil das verrätselte Geschehen abspielt. Das Opferpathos und die historische Gestimmtheit, die die Handlung auch gegen den Willen der Akteure vorantreibt, wie dem von Äneas, der Dido verlassen muss, scheint der Inszenierung zutiefst suspekt. Und es herrscht immer Krieg. Ein Krieg, der die Menschen entmenschlicht. Schon in den ersten Augenblicken der "Trojaner" lynchen die Siegestrunkenen einen jungen Griechen, ein toter Fallschirmspringer bleibt im ersten Teil stets präsent auf der Bühne. Anstelle des hölzernen trojanischen Pferdes wird in Mannheim ein lebendiges in einem Käfig auf die Bühne geschoben: In diesem Käfig werden sich unter der einpeitschenden Führung der verkrüppelten Seherin Kassandra die Frauen Trojas töten. Eine der stärksten Momente der Aufführung.

Baumgarten gelingen bei so manch überflüssigem Gag immer wieder dichte Momente, wo seine Personenführung über so manch kryptische Filmeinblendungen triumphiert. Dass Äneas kaum ein Held, sondern eher der Anführer einer immer weiter herabsinkenden Straßengang ist, wird im zweiten Teil noch greifbarer. Der Schatz des Priamos ist in einer Aktentasche mit Sicherheitskette untergebracht, die heimatvertriebenen Trojaner gleichen einer Söldnergruppe, der Sohn von Äneas zeigt sich als frühentwickelter Macho, der Frauen sexuell misshandelt. Wohin das führen wird, zeigt die Aufführung am Schluss, als die italienischen Farben auf die verpackte Bühne gemalt werden. Die Geschichte von Troja über Rom, den Faschismus bis zur Gegenwart als Abfolge von kriegerischer Grausamkeit.

Wirkt vieles in der Inszenierung nur bemüht, verpufften gute Ansätze in der Beliebigkeit einer Regie, die sich in Klischees verfängt, so kann die musikalische Leistungsfähigkeit des Nationaltheaters mehr als überzeugen. Allen voran der junge, seit dieser Saison als erster Kapellmeister verpflichtete Axel Kober am Pult des in souveräner Form musizierenden Nationaltheaterorchesters begeistert. Über die allein schon handwerkliche beachtenswerte Koordinationsleistung hinaus, Berlioz’ Oper lebt nicht nur von ihrer raffinierten Instrumentation, sondern auch von ihren spektakulären Orchester-Fernwirkungen, gelingt es Kober, die Mitte zwischen den großen Orchesterausbrüchen und der fein getönten Lyrik zu finden.

Dies ist auch bei dem von Bernhard Schneider bestens vorbereiteten, in gewaltigen Tableaus geforderten Chor des Hauses der Fall, wobei die Damen den Herren in Puncto stimmlicher Geschmeidigkeit eine Spur überlegen sind.

Dass die "Trojaner" so selten aufgeführt werden, liegt auch an den hohen Anforderungen der zentralen Rollen. Eine mit dramatisch grundiertem Mezzosopran grandiose Dido, die in all ihren Facetten, der Einsamkeit, des kurzen Liebesglücks, aber auch in der wütenden Entsagung der Verlassenen begeistert, ist Susan Maclean. Mit gleißendem Sopran, der die vielen Facetten der ungehörten Seherin Kassandra transportiert, steht ihr Kathleen Broderick nur wenig nach. Die Tenorpartie des Äneas gehört in ihrer Mischung aus heldentenoralen Aufschwüngen und zärtlicher Liebeslyrik zum Anspruchsvollsten, was das 19. Jahrhundert zu bieten hat: Michail Agafonov macht unter diesen Voraussetzungen das Beste daraus. Sein robust-höhensicherer Tenor hat das Durchhaltevermögen und das nötige Metall für die Partie, zudem versucht er sich achtbar an der lyrischen Zurücknahme, auch wenn er kein großer Legato-Sänger ist.

Da auch die weiteren Partien mit Tomasz Konieczny (Schatten Hektors), Tobias Schabels Narbal, Winfried Sakai (Panthée), Uwe Eikötter als Hylas, Marina Ivanova (Ascagne) und Ceri Williams (Anna) auf beachtlichem Niveau besetzt werden können, trug bei der Mannheimer Premiere das Musikalische klar den Sieg über das vom Publikum heftig abgelehnte Regiekonzept davon.

 

Online Musik Magazine
Premiere im Nationaltheater Mannheim am 3. Oktober 2003
(Uraufführung des originalen Finale)

Bravourös gemeistertes Mammutprojekt

Von Thomas Tillmann

Mit seiner Oper Les Troyens schrieb Hector Berlioz, der in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiern würde, ein Werk, das ihm gleichermaßen Herzensangelegenheit wie Schmerzenskind war, ein opus magnum, das immer wieder mit Wagners Ring verglichen wurde und ebenso kühn entworfen und groß gedacht war, im Gegensatz zur Tetralogie des Deutschen aber bedenkenlos zusammengestrichen und in zwei Teile geteilt wurde - der Komponist selber hörte sein Werk, mit dem er seinen literarischen Vorbildern huldigt, indem er den antiken Mythos vom Untergang Trojas und dem Aufenthalt der Trojaner in Didos Karthago aus Vergils Aeneis übernahm und mit Shakespearschem Geist und dem Blick des französischen Romantikers neu belebte, nie in voller Länge - bereits in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts erwies sich dieser Stoff als zu sperrig für den Geschmack des Publikums, so außerordentlich auch immer die Komposition ausgefallen sein mag. Nach bangen Jahren des Wartens und Hoffens auf eine Aufführung - die Direktion der Opéra vertröstete Berlioz immer wieder - willigte er schließlich ein, dass das kleinere und unzulänglich ausgestattete Théâtre-Lyrique sich des Werkes annahm; gespielt werden unter dem Titel Les Troyens à Carthage im November 1863 allerdings nur die drei letzten Akte, und er musste auch zahlreichen Strichen und Änderungen zustimmen. Das verstümmelte Werk brachte es auf 21 Vorstellungen, war wohl auch ein großartiger Erfolg mit endlosem Beifall und berauschenden Lobreden der Kritik auf den Verfasser, wie Dömling es in seiner Biografie des Komponisten belegt; das Schicksal des Werkes schien indes besiegelt, denn auch der Klavierauszug, der 1863 erschien, gab die entstellte Fassung wieder, und bis heute hört man nach wie vor die Auffassung, es handele sich eigentlich um zwei getrennte Opern. 1957 fand in London die berühmte Aufführung in Covent Garden unter der musikalischen Leitung von Rafael Kubelik statt, in der zum ersten Mal das ganze Werk an einem Abend gegeben wurde.

Das Nationaltheater Mannheim ist das erste Haus, das den verkannten französischen Komponisten im Jahr seines zweihundersten Geburtstags mit einer Neuinszenierung dieses wunderbaren, die traditionelle Form der fünfaktigen grand opéra aufnehmenden und den Geist der französischen Oper von Gluck und Cherubini atmenden Werkes ehrte und sich dafür auch die Uraufführungsrechte für das erste Finale sicherte, das nach dem Tod Didons in einen großen Epilog führt, in dem Berlioz große römische Herrscher und Feldherren am Kapitol vorbei ziehen lässt. Dramaturgisch überzeugender ist dieser Schluss allemal, bei dem die Italien-Idee und Berlioz' epische Vision, das Rom des Kaisers Augustus als wahren Erben einer großen Dynastie zu zeigen, die bis in das antike Troja zurückreicht (Clio, die Muse der Geschichte, begrüßt zuvor auch Scipio Africanus und Caesar), noch deutlicher betont werden, musikalisch indes bleibt er hinter der späteren Version zurück.


Cassandre (Kathleen Broderick) sieht den Untergang Trojas voraus.

Das Volk und seine dezimierte, degenerierte Königsfamilie nimmt den dreistöckigen, mit gelber Plastikplane ausgeschlagenen Palast wieder in Besitz, vor dem ein toter Fallschirmspringer die getöteten griechischen Kämpfer repräsentiert - Trojas heimatlose Bewohner befinden sich nach jahrelangem Kriegstreiben in euphorischer Aufbruchsstimmung und nach dem Verlust kultureller Zusammenhänge, nach familiärer Entwurzelung auf der Suche nach einer Neudefinition ihrer Identität. Stefan Baumgarten, Assistent von Ruth Berghaus und Robert Wilson und Mitarbeiter von Einar Schleef, der für seine Kasseler Tosca den Götz-Friedrich-Preis für Nachwuchsregisseure erhielt, dessen Werther-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin für großes Aufsehen sorgte und der seit dieser Spielzeit als Chefregisseur für Musiktheater und Schauspiel am Meininger Theater engagiert ist, beschwört die Stimmung der vom zweiten Weltkrieg sich erholenden Bundesrepublik im Wirtschaftswunderrausch, in der eine verwundete, sich auf eine Krücke stützende Cassandre im paillettenbesetzten Minikleid und mit Munitionsgürtel vermutlich ebenso irritiert hätte wie Andromache und ihr Sohn Astyanax, die als Sinnbild des Kriegsopfers und Symbol für die zerbrochene Familienidylle mit ihrer Erscheinung die notdürftig wiederhergestellte gesellschaftliche Ordnung zerstören und folgerichtig unschädlich gemacht werden müssen - der Wunsch nach Korrektur der Geschichte verleitet zum Ausblenden, zum Verdrängen der Vergangenheit, und so werden auch in Troja die Überreste des Kriegsgeschehens unmittelbar nach dem Abzug der Griechen distanziert wie ein Stück Historie betrachtet. Das Regieteam erläutert das nur auf den ersten Blick befremdliche Bühnengeschehen durch prägnante, einleuchtende Überschriften für die einzelnen Szenen, die auch die Parallelen in der dramaturgischen Struktur der beiden Teile unterstreichen. Aeneas' Laocoon-Erzählung entfaltet eine virusähnliche Wirkung: Auf Geheiß des "Helden", der mit einer Anchises-Puppe auf der Schulter und in schwarzem Lederoutfit samt Fuchsschwanz auf die Bühne kommt und wie ein ziemlich ungehobelter Altrocker mit stattlichem Bierbauch wirkt, ein Antiheld, dessen Denken und Handeln allein in militärischen Denkstrukturen verläuft (auch hier weicht Berlioz erheblich von Vergil ab), bringen die Trojaner das Pferd in die Stadt (den Einsatz eines echten Tieres von der Reiter- und Diensthundestaffel Mannheim empfand ich dabei als ziemlich überflüssig) und kommen mit Plastiktaschen zurück, aus denen sie die neu erworbenen T-Shirts mit Volkswagen-Logo holen - der Wohlstand hält Einzug und lässt unkritisch werden, nur Cassandre zerschneidet eines, das sie erwischen konnte, bevor sie im selben Käfig, in dem vorher das Pferd gehalten wurde, die trojanischen Frauen zum kollektiven Selbstmord anstiftet (eine Idee Berlioz'). Aeneas indes hat sich nach dem Besuch des Schatten Hektors, der ihm einen die Italienvision symbolisierenden Aktenkoffer ans Handgelenk schnallt, auf den Weg gemacht.


Cassandre (Kathleen Broderick, in der Mitte im weißen Kleid) überredet die trojanischen Frauen (Damen des Chores und des Extrachores) zum kollektiven Selbstmord.

Der gelbe Palast dient auch in Karthago als zentraler Spielort, an dem wir auf eine gelb-orange gewandete Hippie-Gesellschaft treffen, die sich mit Sonnenschutzmitteln eincremt und auch sonst, angeführt von einer attraktiven Königin im Leopardenmantel und mit Cowboyhut auf den ceresblonden Haaren, ganz dem Vergnügen zu leben scheint - eine prosperierende Metropole und Wohlstandsgesellschaft, die sich gegen Angriffe von außen jedoch nicht mehr zu verteidigen weiß und folgerichtig sofort von dem "Trojaner-Virus" befallen wird. Die Geflohenen haben nichts Besseres zu tun, als sogleich den aufblasbaren Ring des Sychaeus zu entsorgen, und auch Aeneas wird sich kurze Zeit später von dem Aktenkoffer befreien, so dass einer Liaison mit Dido nichts mehr im Wege steht, während Ascagne inzwischen zu einem flegelhaften Halbstarken herangewachsen ist, zu einer Miniaturausgabe seines ja auch nicht gerade stolz und edel wirkenden Vaters, die ihre kurze Vorstellung mit raumgreifenden Rappergesten meint unterstreichen zu müssen. Nicht vergessen werden dürfen die rasanten Videoprojektionen von Stefan Bischoff, der bereits in einer ersten aus Stummfilmszenen komponierten Sequenz die Todessehnsucht und das Leben am Abgrund der Trojaner einleuchtend umgesetzt hatte und auch beeindruckende Bilder für die "Chasse Royale et Orage" fand, die wie ein bizarrer, surrealistischer Drogenrausch gestaltet ist und damit dem, was Dido und Aeneas erleben, vermutlich näher kommt als eine peinlich genaue Umsetzung der ursprünglichen Ideen des Komponisten, die stark den Erwartungen des Pariser Publikums nach spektakulärem grand opéra-Pomp entgegen gekommen sein dürften. Danach ist die Bühne mit weißer Folie ausgeschlagen; der Blick fällt auf eine Wippe und riesige Buchstaben, die zusammengesetzt amour, aber auch mort ergeben - einer der wenigen wirklich platten Einfälle des Abends. Eine der gelungeneren Szenen folgt, als Iopas nicht nur brav sein Lied aus der Heimat singt, sondern zugleich mittels Diaprojektor Bilder aus derselben zeigt und so Dido zu beeindrucken sucht (und die Zuschauer, die sich nicht nur über ein makelloses hohes C freuen können, sondern über einen mit geschmackvoller messa di voce und großer Gestaltungskraft angegangenen Vortrag von Stanley Jackson), die zu diesem Zeitpunkt aber bereits dem trojanischen Helden verfallen ist, auch wenn sie sich während des großen Duetts noch zu wehren scheint, vor dessen Beginn ihr Ascagne spielerisch den Ring entwendet hat. Die "nuit d'ivresse et d'extase infinie" indes zeigt Baumgarten nicht als lauschiges Tête-à-tête im Halbdunkeln, sondern als gleichsam vom Personal des vorausgegangenen Septetts verfolgtes öffentliches Geschehen im Operationssaal, in dem Dido Opfer der Anästhesie von Ascagne und Anna wird und in dessen Hintergrund elfenartige Wesen Riesenluftblasen in den Raum pusten, bevor das Paar sich langsam auszieht und Hectors Schatten unerbittlich das Licht anmacht und an Aeneas' Auftrag erinnert. Man mag die kühle Optik und das Fehlen von Poesie beklagen - ein ungebrochenes Liebesduett hat Berlioz hier nicht geschrieben, denn das Paar bezeugt die wechselseitige Zuneigung merkwürdigerweise durch das Zitieren anderer Liebespaare, und diesem Verfremdungseffekt trägt Baumgarten hier Rechnung.


Didon (Susan Mclean) und Enée (Michail Agafonov) zelebrieren die berühmte "nuit d'ivresse et d'extase infinie".

Und auch dass Hylas sich auf Grund seines immensen Heimwehs die Pulsadern aufschneidet und nur im letzten Moment von den beiden Sentinelles gerettet werden kann, ist letztlich ein stimmiges Bild; Uwe Eikötter hatte offenbar erheblich unter Premierennervosität zu leiden und wird in den Folgevorstellungen das berühmte Lied sicher souveräner interpretieren, während die beiden Gesangsstudenten Michael Nagy und James Martin viel aus der kurzen Szene machen und sich für weitere Aufgaben empfehlen. Deutlich wird in dieser Szene, dass Karthago eben doch eine mögliche Utopie für Troja darstellen könnte, eine denkbare Alternative zur diffusen, zur unüberwindbaren idée fixe erstarrten Verheißung und Staatsvision Italien, die "wie ein aggressiver Virus mehr und mehr eine Spur von Zerstörung in die Geschichte beider Gesellschaften gräbt" (so beschreibt es Produktionsdramaturgin Ina Karr treffend im Programmheft). Und so macht es im Gesamtzusammenhang der Inszenierung sehr wohl Sinn, dass die Trojaner kurz vor ihrer Abfahrt in sexueller Hinsicht noch einmal alles mitnehmen, ebenso wie die Regieanweisung, dass Dido nach Aeneas' Abfahrt ihre blonde Partyperücke abstreift und in ihre Einzelteile zerlegt - eine zeitgemäße Umdeutung des antiken Trauerritus. Beklemmend nüchtern auch der Tod Didos, die in einer schnöden Pappkiste samt der trojanischen Geschenke ohne großen Aufwand und ohne nennenswertes Bedauern der Umstehenden "entsorgt" wird; wie schon Cassandre scheitert sie in ihrem Versuch, das Private mit dem Öffentlichen, also Liebe und Politik zu verbinden: So wie sie zunächst ihrem Volk einen neuen König verweigert, zum Kampf gegen Iarbas aufgerufen hatte, der um sie warb, und wegen ihrer Verbindung mit Aeneas ihre Staatsgeschäfte vernachlässigt hatte, so zerstört sie nun ihr Reich aus enttäuschter Liebe und verletztem Stolz. Das gesamte Ensemble streicht danach die weiße Plane in den italienischen Farben, Projektionen Roms und seiner Macht beschließen den bemerkenswerten Abend, der sich nicht darauf beschränkt, einen altbekannten, aber doch auch sehr fernen Mythos nachzuerzählen, sondern mit großem Ernst versucht, ihm aktuelle oder zeitlose Bezüge abzugewinnen. Dass dabei mancher Einfall übers Ziel hinausschießt, dass die Ideen und Bilder, von denen wenige wirklich unpassend oder nicht zu entschlüsseln sind, sich jagen und weniger oft mehr gewesen wäre - man hat als Beobachter geradezu Angst, ein bedeutungsschwangeres Detail zu übersehen -, dass auf Grund der konsequenten Entmythologisierung und Aktualisierung manches Geschehen reichlich banal erscheint, wollte die Mehrheit des ansonsten enthusiastischen Premierenpublikums nicht goutieren; zu konzedieren ist aber in jedem Fall, dass bei dieser Sichtweise trotz einer Spieldauer von mehr als viereinhalb Stunden (es fehlen nur die Auftritte der Handwerker, Seeleute und Bauern und das Ballett des 4. Aktes, das man ja eigentlich auch nur dann sehen möchte, wenn man eine Spitzentruppe zur Verfügung hat; die Szene um den griechischen Spion Sinon hatte Berlioz selber gestrichen) nie Langeweile aufkommt, nicht zuletzt weil Baumgarten bereits beträchtliches Gespür für eine differenzierte Figurencharakterisierung besitzt. Es geht mit Sicherheit auch anders, aber so geht es auch!


Didon (Susan Maclean) ist fassungslos über Enées Abreise.

Auch hinsichtlich der Besetzung stellt dieses Werk natürlich eine besondere Herausforderung an jedes Opernhaus, und es ist bewundernswert, dass mit Ausnahme der Didon alle Partien - manche gar doppelt - aus dem eigenen Ensemble besetzt werden können, das durchweg mit großem Engagement sang und agierte und auch mit dem französischen Idiom bestens vertraut war, was das Ergebnis einer intensiven, kompetent-profunden Einstudierung sein dürfte.

Michail Agafanov war mir bereits in den konzertanten Aufführung von Verdis Masnadieri als leistungsfähiger Spintotenor aufgefallen, und auch die heikle, unangenehm hoch liegende Partie des Enée bewältigt der Künstler meisterlich und scheinbar mühelos: Schon die Laocoon-Erzählung erklingt mit erstaunlicher Sicherheit, Tonschönheit und viel Stilgefühl, aber auch heldischem Aplomb und Durchschlagskraft bei den fulminanten Spitzentönen, ohne dass man auf zartere Töne, ein vorbildliches Legato oder die für französische Opern unentbehrliche clarté und Leichtigkeit des Ansatzes hätte verzichten müssen. Kein Wunder also, dass nach seiner Arie im fünften Akt das Publikum zum ersten und einzigen Mal den Abend durch frenetischen Beifall unterbrach - das hört man selbst auf CD nicht besser (nicht nur das hohe C bei "Bienfaitrice des miens"), und auch optisch passt der Russe hervorragend zum Konzept des gebrochenen Helden. Kathleen Broderick, die in Mannheim Senta, Turandot, Elektra und demnächst auch Isolde singt, trotzt ihrer großen, vielleicht etwas allgemein timbrierten Stimme wahrhaft imposante, energisch-expressive Töne ab, lässt bereits mit erschütterten "Malheureux roi"-Rufen aufhorchen, interpoliert gegen Ende des Duetts mit Chorèbe wie Eleanor Steber in dem berühmten Mitschnitt aus dem Jahre 1959/1960 gar ein weiteres H und verzehrt sich, gerade auch in darstellerischer Hinsicht. Eine ungemein natürlich agierende Interpretin der Didon ist Susan Maclean, deren Abschied vom Leben zu Tränen rührt, nicht zuletzt weil die Amerikanerin den ihr zugedachten Text mit bestechender Diktion präsentiert. Ihr ungemein flexibler, schlank geführter Mezzosopran weist die für französische Stimmen so typische leichte Schärfe und eine nicht unangenehme metallische Farbe auf und klingt durch sein leichtes Vibrieren ungemein verführerisch, erreicht problemlos hohe wie tiefe Töne und hat die Atemreserven für die endlos langen Bögen.

Daneben reüssiert Thomas Berau als kultiviert singender, vorbildlich phrasierender Chorèbe mit seinem ausgeglichen strömenden, die Erfahrung im Liedgesang erkennen lassenden lyrischen Bariton, Winfried Sakai ist ein vokal wie szenisch ungemein präsenter Panthée mit wilder Stimme. Tobias Schabel hat mit dem Narbal eine Rolle gefunden, die seinem dunklen, leicht vibrierenden Bass weitaus besser liegt als König Heinrich im Lohengrin, auch wenn mancher extrem tiefe Ton keine geringe Anstrengung erfordert; für das peinliche hautfarbene Oberteil mit Brustwarzenpiercing kann der Sänger nichts. Ceri Williams gibt die Anna mit einem die tiefe Tessitura mühelos bewältigendem Alt, der vielleicht etwas derb klingt, sich aber von der deutlich höher gelagerten Stimme der Bühnenschwester gut abhebt. Marina Ivanova bleibt als Ascagne vor allem dank ihres unermüdlichen darstellerischen Einsatzes in Erinnerung, und auch bei den übrigen Mitwirkenden gibt es keine Ausfälle. In unerwartet guter Verfassung präsentierten sich zudem der erheblich geforderte Chor und der Extrachor, auch wenn es im letzten Akt zu einigen Unsauberkeiten kam.

Hauptereignis des Abends war aber zweifellos das Dirigat des neuen Ersten Kapellmeisters Axel Kober, der am Pult des Nationaltheater-Orchesters einen fulminanten Einstand hatte und Berlioz' komplexe Partitur zwischen Erhabenheit und Leidenschaftlichkeit mit großer Transparenz und bestechender Präzision gerade auch in rhythmischer Hinsicht zum Klingen brachte. Dabei unterstützte er die Solisten wie die Chöre vorbildlich, bewahrte auch in den großen Tableaux stets die nötige Übersicht und wählte grundsätzlich flüssige Tempi, die jede schwülstige Wirkung vermeiden halfen, ohne dass man auf das Majestätisch-Mitreißende der Musik hätte verzichten müssen; dass atmosphärisch ungemein dichte Spiel während der "Chasse Royale et Orage" verdient besondere Erwähnung - ein junger Dirigent, den man im Auge behalten sollte!

FAZIT
Es ist erstaunlich, was das junge Team um Sebastian Baumgarten und Axel Kober zu Beginn der 225. Saison des Nationaltheaters Mannheim auf die Beine gestellt hat, um dem Publikum ein wahrhaft unterschätztes Meisterwerk näher zu bringen, das für mein Empfinden in seiner Großartigkeit mit den Musikdramen Wagners zweifellos mithalten kann - ein Riesenkompliment an alle Beteiligten für ihren Mut, ihren Fleiß, ihre Kreativität und ihr großes Können! Umso deutlicher wird dem aus Nordrhein-Westfalen Angereisten bewusst, wie armselig sich müde Kinder-Versionen von Rossinis Barbier, ambitionierte, aber offenbar wenig überzeugende Kagel-Projekte und der Wettstreit um die beste Neuinszenierung der Zauberflöte in der Region gegen dieses Mammutunternehmen ausnehmen. Das Mannheimer Publikum sollte Ulrich Schwabs Appell ernst nehmen und alles daran setzen zu verhindern, dass das Nationaltheater durch das trojanische Pferd Sparen zum zerstörten Troja wird!

Fotos von Hans Jörg Michel

 

Financial Times
Oct 31, 2003

ARTS | Opera
Mannheim Opera: Les Troyens

LARRY L.LASH


The Troyan women seen by Baumgarten

Attempts to describe Regietheater usually fail to convey the validity of the art form: that Der fliegende Holländer with the the cast sunk in sand up to its knees or Aïda on a bare stage with one red sofa can truly heighten our appreciation of a work, complement its musical and dramatic content, and provide a rewarding experience. But this is when Regietheater succeeds. When it fails, it seems a cruel in-joke among director, designers and cast fabricated to make the audience feel intellectually inferior and test the boundaries of logic, decency, and musicianship.

Mannheim Opera's Les Troyens ranks as the single worst experience in 33 years of subjecting myself to international opera. Such an affront to sense and sensibility was this production that I resorted on several occasions to scrunching down in my seat and covering my eyes, and even that wasn't much help.

A disaster of this scale is such a waste of talent, time, and funding that someone needs to be held accountable, but who? Should we cite the conductor because he had zero grasp of Berlioz's epic score and drew sludge from an orchestra, chorus and principals hopelessly overwhelmed by its demands? Or do we look to the designers who made things as unyieldingly ugly as possible, and dressed an obese Aeneas in tight leather trousers and muscle shirt and painted him with bad horror-movie makeup? Maybe we could take issue with director Sebastian Baumgarten for his arrogance in expecting us to benefit from chorus members sporting Volkswagen T-shirts and chewing raw meat which fell off a diseased horse, and a white man in an Afro wig and black face strutting in the worst excesses of racial stereotyping.

Ultimately, we must turn to Ulrich Schwab, the company's artistic director. Did he never stick his head into a rehearsal and ask, "What's going on on my stage?" Did he just not care? Apparently not.

I get paid to sit through such excrement, but the good people who threw away hard-earned money deserve an apology and some assurance that it won't happen again.