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16.05.2006

Oper Frankfurt, 23. Juni 2006
"Agrippina" von Georg Friedrich Händel
Agrippina ist die zweite und letzte Oper, die Georg Friedrich Händel (1685-1759) während seiner Italienreise von 1706 bis 1710 schrieb. In Frankfurt ist das Stück in der Inszenierung des international erfolgreichen schottischen Regisseurs David McVicar zu sehen.

Mit ihrer kompositorischen Eindringlichkeit und ihren sinnlichen Facetten gilt das am 26. Dezember 1709 in Venedig uraufgeführte Werk nicht nur als Höhepunkt von Händels erster Schaffensperiode, sondern auch als „Motivdepot" für die späteren, in London komponierten Opern.

Zum Inhalt: Um ihrem Sohn Nerone den Kaiserthron zu sichern, ist Agrippina jedes Mittel recht. Sie lässt ihren Ehemann Claudio für tot erklären und spielt ihre beiden Verehrer Pallante und Narciso gegeneinander aus. Noch dazu versucht sie, die schöne, von Claudio und Nerone ebenso wie von Claudios General Ottone begehrte Poppea vor den Karren einer Intrige zu spannen. Am Ende verzichtet Claudio zugunsten Nerones auf den Kaiserthron. Ottone entsagt der Macht und heiratet Poppea. Agrippina hat ihr Ziel erreicht.

David McVicarDie Inszenierung des international erfolgreichen schottischen Regisseurs David McVicar feierte ihre Premiere am 2. Mai 2000 am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel. Er zeigt das Werk als aktuelles Satyrspiel, ohne in die bei Händel-Inszenierungen beliebten Albernheiten abzugleiten. Fachpresse und Publikum waren sich einig: Moderner und intelligenter kann man Barockoper kaum spielen. Im Anschluß an die umjubelte Premiere begeisterte die Produktion am Théâtre des Champs-Elysées auch die Pariser Opernfans. Nach der Frankfurter Premieren- und einer Wiederaufnahmen-Serie im Herbst wird die Produktion an der English National Opera gezeigt.

Juanita Lascarro, seit 2002 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, beweist in der Titelpartie einmal mehr ihre Wandlungsfähigkeit. Aus dem Frankfurter Opernensemble sind zudem Simon Bailey (Claudio), Soon-Won Kang (Pallante), Gérard Lavalle (Lesbo) und Anna Ryberg (Poppea) besetzt. Zu den Gästen dieser Produktion gehören Malena Ernman, die in diesem Sommer u.a. als Annio in Mozarts La clemenza di Tito bei den Salzburger Festspielen auftreten wird. Die beiden Countertenöre Lawrence Zazzo und Christopher Robson singen die großen Barockpartien an den wichtigsten Musikzentren der Welt. Robson gilt als einer der bedeutendsten Vertreter seines Fachs und ist besonders der Bayerischen Staatsoper in München künstlerisch verbunden. Dort wurde er 2003 zum Kammersänger ernannt. Die musikalische Leitung dieser letzten Premiere der Spielzeit 2005/06 hat Frankfurts GMD Paolo Carignani.

Text: Oper Frankfurt

Paolo Carignani, Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, hat aufgrund starker Beanspruchung in den letzten Monaten und eines daraus resultierenden, sich bereits über längere Zeit aufbauenden Erschöpfungszustandes Opernintendant Bernd Loebe gebeten, ihn vom Dirigat der Neuinzenierung von Händels Agrippina ab 23. Juni 2006 im Opernhaus zu entbinden.
Nach der Musikalischen Leitung von Wagners Parsifal im Opernhaus sowie Ponchiellis La Gioconda (konzertant) und der beiden letzten Museumskonzerte in der Alten Oper sieht Paolo Carignani nach Anraten seines Arztes keine Alternative zu dieser Entscheidung.
Die Opernintendanz entspricht diesem Wunsch, indem sie nun Felice Venanzoni, Studienleiter und Assistent von Paolo Carignani, die Musikalische Leitung der Premierenserie von Agrippina überträgt. Felice Venanzoni hat in der Vergangenheit vor allem durch seine Monteverdi-Dirigate im Bockenheimer Depot auf sich aufmerksam gemacht und war ohnehin als Dirigent einiger Vorstellungen von Agrippina in der kommenden Spielzeit - alternierend mit Paolo Carignani, der dann die Mehrzahl der geplanten Aufführungen übernehmen wird - vorgesehen. (atla/nrc)

 

OFFENBACH POST
21. Juni 2006

Oper Frankfurt bringt zum Saisonfinale Händels "Agrippina" / Mozart im Depot
Kabale und Liebe im Kampf um den römischen Kaiserthron

Die Dame hat es in sich: Um ihrem Sohn Nero, der später Rom anzünden wird, den Kaiserthron zu sichern, lässt Agrippina ihren Ehemann Claudio schlicht für tot erklären. Zudem spannt sie die ebenso begehrte wie schöne Poppea in ihre Intrige ein, spielt ihre Verehrer Pallante und Narciso gegeneinander aus. Wie sie das alles schafft, zeigt Georg Friedrich Händels Oper "Agrippina" jetzt auch in Frankfurt - eine Übernahme der Inszenierung des Schotten David McVicar, die im Mai 2002 am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel startete und im Herbst an der English National Opera in London gezeigt wird. Frankfurt-Premiere ist am Freitag (23. Juni) um 19 Uhr.

Händel hatte das Bühnenwerk während seiner Italienreise (1706-1710) auf ein Libretto von Vincenzo Grimani komponiert und in Venedig erfolgreich uraufgeführt, Anregungen aus der damals führenden italienischen Oper inbegriffen. Und wenn’s um barocke Szenerien geht, sind skurrile britisch-schottische Ideen allemal gefragt. So betont der international geschätzte David McVicar in John Macfarlanes Bühnenausstattung die sinnlichen Momente in einem intelligenten Satyrspiel, das abendfüllend fesseln will. Natürlich auch durch Händels Musik, deren herzhafte Eindringlichkeit Paolo Carignanis Assistent und Studienleiter Felice Venanzoni nachweist. Ursprünglich war der Generalmusikdirektor fürs Dirigat vorgesehen, musste dies aber auf Anraten seines Arztes zurückgeben, der Erschöpfungszustände diagnostiziert hatte.

Venanzoni kann sich auf eine Mezzosopranistin verlassen, die mit Spezialisten der "historischen Aufführungspraxis" wie Nikolaus Harnoncourt, René Jacobs und Philippe Herreweghe eng zusammengearbeitet hat: Malena Ernman gestaltet die Rolle des Nero bei dieser Aufführung in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Die Sängerin stammt aus dem schwedischen Uppsala, ist an der Königlichen Musik-Akademie in Stockholm ausgebildet geworden und mittlerweile regelmäßiger Gast an den großen Opernhäusern von Berlin oder Brüssel bis London und Wien. In diesem Sommer ist sie als Annio in Mozarts "La Clemenza di Tito" bei den Salzburger Festspielen zu erleben.

Freuen darf sich Frankfurt auch auf die Titelheldin: Die durchtriebene Agrippina dürfte bei der großartigen Sopranistin Juanita Lascarro in besten Händen sein; eine Reihe weiterer Wahl-Frankfurter wie Simon Bailey oder Anna Ryberg anführend, die wieder einmal bezeugen, wie hochkarätig und gleichermaßen homogen das Ensemble der Oper am Willy-Brandt-Platz ist. Zu den international renommierten Gästen zählen die Countertenöre Lawrence Zazzo (Ottone) und Christopher Robson (Narciso). Beim Saisonfinale wird also noch einmal richtig gezaubert.

Am Abend zuvor (Donnerstag, 20 Uhr) zieht Mozarts "La finta semplice" ins Bockenheimer Depot ein. Die Neuinszenierung der "Einfältigen aus Klugheit" hat Christof Loy übernommen, der in Frankfurt bereits bei "La clemenza di Tito" Regie führte. Die musikalische Leitung des Mozart-Erstlings übernahm Gastdirigentin Julia Jones aus England. (ack)

 

Frankfurter Rundschau
16. Juni 2006

"Das wird bestes britisches Theater"
Christopher Robson singt in der Frankfurter "Agrippina" - Ein Gespräch über die Rückkehr der Barockoper und eine Karriere als Countertenor

Frankfurter Rundschau: Herr Robson, 2003 wurden Sie zum Kammersänger der Bayerischen Staatsoper ernannt. Waren Sie der erste Countertenor, dem diese Ehre zuteil wurde?

Christopher Robson: Ja, in Bayern war ich der erste. Zuvor wurde schon Jochen Kowalski in Berlin Kammersänger.

Die Staatsoper in München war eines der ersten großen Opernhäuser hier zu Lande, das wieder regelmäßig Barockoper gespielt hat, 1994 ging es dort mit Händels "Giulio Cesare" los, und Sie waren von Anfang an dabei. Erinnern Sie sich noch, wie das Publikum diese ungewohnte Materie aufgenommen hat?

Bei der Premiere damals gab es die übliche Mischung aus Buhs und Bravi, ganz normal. Was aber ungewöhnlich war: Diese Händel-Inszenierungen brachten ein ganz neues, viel jüngeres Publikum ins Theater! In England gab es solch einen neuen theatralen Zugriff ja schon länger - für die Münchner Staatsoper aber war es wirklich neu.

Weil die Münchner Oper ansonsten so traditionell war?

Traditionell ist ein furchtbares Wort. Nennen wir es lieber so: In München wurde normalerweise ein spezielles deutsches Konzepttheater gemacht. Mit diesem Giulio Cesare aber wurde der Sängerschauspieler ins Zentrum gerückt, er musste tanzen, spielen, nicht nur singen.

Und wie hat das Publikum auf einen Countertenor reagiert? Immerhin waren Sie auch der erste männliche Altsänger, der in der ehrwürdigen Staatsoper auftrat.

1994 war die Countertenorstimme in Deutschland nicht mehr so ungewöhnlich. Man kannte sie schon, etwa durch Jochen Kowalski und Axel Köhler.

Wenn hier schon der Name Jochen Kowalski gefallen ist: Es gibt Countertenöre, die durch eine reine, schöne, gleichmäßige Stimme auffallen. Sie dagegen scheinen das Charakteristische zu bevorzugen, auch die Extreme. Ist Ihnen nur schön zu langweilig?

Wenn ich eine Partie habe, die nach schöner Musik verlangt, will auch ich schön singen. Aber ich versuche immer den Charakter einer Rolle zu finden, und der ist nun einmal selten eindimensional. Jochen Kowalski stammt aus der gleichen Generation wie ich, aber aus einer anderen Tradition. Er hat eine wunderbare Stimme, nach meinem Geschmack vielleicht etwas zu feminin. Wenn ich eine neue Rolle lerne, gehe ich zunächst vom Charakter aus und versuche dann, das in die Stimme zu transportieren. Das macht mitunter mehr Arbeit als das reine Notenlernen. Wenn dann in der Zeitung steht, Robson singt wie ein altes Weib, hat der Schreiber nicht verstanden, um was es mir geht.

Manchmal aber müssen Sie ja auch wirklich singen wie ein altes Weib, zum Beispiel kürzlich die Partie der Amme Arnalta in Monteverdis "Poppea"...

... die aber etwas zu tief für mich liegt. Ich war da kurzfristig eingesprungen, es war nicht mein bester Auftritt.

Die Amme ist ein komische Rolle für Countertenor, ebenso wie der Narciso in Händels "Agrippina". Barockopern-Komponisten haben also männliche Altisten eingesetzt, um komische Effekte zu erzielen?

Ich habe meinen Freund Dominique Visse gesehen als Narciso in der Brüsseler Produktion der Agrippina, die jetzt in Frankfurt übernommen wird, das war köstlich. Er ist ein wunderbarer Komödiant. Aber das ist nicht mein Weg, ich muss meine Rolle selbst finden. Oft hatten damals hohe Tenöre komische Partien, das stimmt. Meine Rolle hier aber war für einen Kastraten geschrieben.

Den Narciso sangen Sie schon 1981 an der English National Opera. Demnach haben Sie jetzt 25. Bühnenjubiläum.

Los ging es eigentlich schon viel früher. 1973 habe ich als professioneller Sänger begonnen, nachdem ich die Musikhochschule verlassen hatte - wo ich nur vier Monate geblieben war. Ich war ein schrecklicher Student, zu viele Drogen, ich hasste die Hochschule. Da musste ich einfach anfangen, Geld zu verdienen. Damals war es in England möglich, dreimal am Tag irgendwo zu singen, zuerst in Chören und Ensembles, später als Solist. In den ersten zehn Jahren habe ich enorm viel gelernt, das hätte mir eine Hochschule nie beibringen können.

Bei dieser "Agrippina" treffen Sie mit David McVicar auf einen Landsmann. Hatten sich Ihre Wege schon einmal gekreuzt? Immerhin ist er ein fleißiger und erfolgreicher Barockopern-Regisseur.

Wir sind seit 1993 befreundet, haben aber noch nie zusammen gearbeitet. Das war auch der Grund, warum ich hier für diese Produktion zugesagt habe: Endlich einmal in einer Inszenierung von David zu singen.

Nicht: Endlich einmal in Frankfurt zu singen?

Das hatte ich bereits, 1986, als Einspringer in Orpheus in der Unterwelt für zwei Vorstellungen. Ein Albtraum. Zum ersten Mal hatte ich Kontakt mit einer Souffleuse. In England haben wir so etwas nicht, ich kam damit nicht klar. Bei meinem ersten Auftritt herrschte mich die Souffleuse in einer Atempause an, ich verstand kein Wort und wusste nicht, worum es ging. Diese Frau schrie mich an, ich war total irritiert - und habe völlig den Text vergessen. Der Dirigent musste neu einsetzen. Seitdem flehe ich jede Souffleuse an: Bitte keine Stichworte für mich.

Was können Sie mit ihrer 30-jährigen Erfahrung in Händel-Opern nun zu dieser Frankfurter Produktion sagen?

Ich denke, diese Agrippina wird bestes britisches Theater. David McVicar geht extrem vom Text aus, kennt jede Note, stülpt nicht ein beliebiges Konzept über die Oper.

Die Inszenierung wurde 2000 für Brüssel entworfen. Statt Rom hatte McVicar damals als Machtzentrum das Weiße Haus genommen - und auf Washington schauen wir heute mit etwas anderen Augen als vor sechs Jahren.

Ja, aber George Bush ist der gleiche Politiker wie im Jahr 2000: ein Regent, der nichts sagt mit großen Worten. Das passt heute wie damals. Aber was ich mich frage: Kann George Bush eine so lustvolle Poppea haben?

Interview: Stefan Schickhaus

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Dokument erstellt am 15.06.2006 um 16:32:27 Uhr
Letzte Änderung am 15.06.2006 um 18:17:23 Uhr
Erscheinungsdatum 16.06.2006

Christopher Robson
Interview

Christopher Robson singt den Narciso in Georg Friedrich Händels "Agrippina", die David McVicar 2000 außerordentlich erfolgreich für Brüssel inszenierte und die jetzt an der Oper Frankfurt gezeigt wird.
Der 1953 in Schottland geborene Countertenor fällt durch seine extrem wandlungsfähige Stimme auf - sie "seufzt und schmeichelt, buhlt und bebt, schreit, stöhnt und vergeht", so ein Rezensent.

In München war Robson an der 1994 initiierten Renaissance der Barockoper maßgeblich beteiligt.