Frankfurt Rundschau
4. Oktober 2005

Ahnungen und Tod eines Politikers
Giuseppe Verdis "Maskenball", neuinszeniert von Claus Guth und dirigiert von Paolo Carignani, zur Spielzeiteröffnung an der Oper Frankfurt

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Wenn Hochkomisches ins Dramatische oder Unheimliche unversehens überspringt, wird Dramatik noch intensiver und unheimlicher. In der neuen Frankfurter Verdi-Inszenierung Un ballo in maschera nutzte der Regisseur Claus Guth diese dialektische Dynamik, die der Autor selbst in seinem Stück mobilisierte, indem er einen ersten Mordversuch (am Ende des 2. Aktes) knapp in eine Farce umkippen ließ: Spottchor für den vermeintlich gehörnten Ehemann, der seine eigene Frau von einem nächtlichen Stelldichein heimführt. Die düstere zweite und zum Ziel führende Mord-Einfädelung geschieht dann im Zuge einer eleganten Einladung zum Maskenball, vorgetragen (vom Pagen Oscar) als hedonistisch-virtuose Koloraturarie. Das Ineins von Maskenball und Bluttat umspannt überhaupt Verdis Opern-Poetik der extremen Gefühls-Wechselbäder, der eine wilde, traumhafte Bühnen-Optik gut tut.

Die Hauptpersonen mit Vornamen

Bei der Frankfurter Version ist die Frage nach den ursprünglichen Opernakteuren und Schauplätzen unerheblich geworden. Kein König von Schweden kommt ins Blickfeld, aber auch kein durch die Zensur erzwungener Gouverneur von Boston, der das Tabu eines theatralisierten Königsmordes vor 150 Jahren zu entschärfen hatte. Bei Claus Guth werden die Hauptpersonen nur mit ihren Vornamen bezeichnet. So ist der Tenor Riccardo ein politischer Chef von heute. Der Freund Renato, in dessen Gattin Amelia sich Riccardo verliebt hat, gehört zu seinem engen Mitarbeiterstab. Der Page Oscar wird - ein völlig plausibler Transfer - zu Riccardos persönlicher Referentin und rührigen Parteiarbeiterin. In Riccardos unmittelbarer Umgebung knistert es von Verschwörung und Mordlust, und so braucht es, will man die Handlung auf gegenwärtige deutsche Verhältnisse beziehen, ein bisschen Phantasie. Aber so viel auch wieder nicht.

Die Bühnenbilder von Christoph Sehl sind von gekonnter Nüchternheit, verzichten aber auch nicht auf einige hintergründig imaginative Pointen. Im ersten Bild frappiert der Gegensatz zwischen dem großen leeren Parteibüro und dem dichtgedrängten Gewimmel im kleinen Vorraum daneben. Unter einem riesigen Wahlplakat mit erstklassig nichtssagendem Slogan liegt Riccardo auf der Couch im Schlummer, während die Vorzimmer-Bittsteller vergeblich auf Einlass warten. Ein erster urkomischer Moment, wenn Riccardo plötzlich aufspringt und sein "Amici.." schmettert: der immer perfekt aufgedrehte politische Akteur, in Lidschlagschnelle von null auf hundert.

Die Szenenverwandlung zum Ulricabild geschieht, indem Riccardo durch eine Tür (leichte Bewegung der Drehbühne) die Gänge des Bürohauses betritt. Hier kauert die Wahrsagerin und Zauberin als schlichte Reinigungskraft am Boden bei der Arbeit. Aus einem Behälter mit Scheuersand zieht sie dann später auch ihren magischen Kreis. Eine weitere Bühnendrehung geleitet in das grausige Gelände vor der Stadt, wo es zum fatalen, von Renato und den Verschwörern gestörten Treffen zwischen Amelia und Riccardo (mit einem der schönsten, schmerzhaft leidenschaftlichsten Liebesduette der Opernliteratur) kommt. Sehl vermeidet hier ein Landschaftstableau, er bleibt innerhalb einer nun aber gänzlich lädierten, wie von dichter Pulverisierung bedeckten Büroarchitektur (Ground-Zero-Assoziation?), wo Amelia unter zertrümmertem Mobiliar kein Zauberkraut, sondern eher ein hilfreiches Dokument zu suchen scheint.

Im nächsten Bild kontrastiert die Wucht des Geschehens mit dem diesmal scheinbar besonders harmlosen, spießigen Handlungsort: Christoph Sehl stellte Renatos Domizil als Sperrholzhäuschen samt kinderschaukelbesetztem Vorgartenrasen auf die Bühne. Zum finalen Maskenfest dann ein mutiger Stilbruch: Der Ball vollzieht sich in einem Illusionsraum (mit gemalten Lüstern und Pseudo-Plüschwänden); der Chor als eine betont läppisch posierende und tänzelnde Versammlung von Perücken tragenden Rokokofiguren. Riccardo nimmt als einziger nicht teil am eitlen Mummenschanz. Nun doch gleichsam eingeholt von zunächst weggewischten Vorahnungen, verharrt der ehemals so Leichtfertige im blutigen Zauberkreis Ulricas. Auf diese Weise wird vielleicht auch glaubhafter, dass er im Tode so großmütig auch allen Feinden verzeiht...

Rabiate Verdi-Optik

Abgesehen von Willy Deckers diesjähriger Salzburger La Traviata-Inszenierung (die freilich hochstilisiert-aseptisch anmutete) gab es wohl seit dem frühen Hans Neuenfels keine ähnlich packende, in ihrer Bildfindung rabiate Verdi-Optik mehr. Mit Neuenfels verbindet Claus Guth der auch Triviales unbedenklich integrierende Zugriff. Guth hat indes eine eigene, dezidierte Musikalität (die ihn auch zu besonders "interpunktierten" Übergängen und Bildanschlüssen veranlasst), einen differenzierten Witz (der karnevalisierte Renato mag bitter an Leoncavallos Bajazzo erinnern) und eine weniger Ambivalenzen als kompakte Intensitäten herausarbeitende Figurenpsychologie. So zeigt diese auch durch Leichtigkeit und Schwung gekennzeichnete Inszenierung eine deutliche Handschrift.

Vorzügliche Sängerdarsteller machten die Aufführung zu einem großen Erfolg. Carlo Ventre hatte als Riccardo Leichtigkeit und Schmelz, gegen Ende auch emotionalen Nachdruck. Die vielseitige Silvana Dussmann erwies sich auch als eine vokal groß dimensionierte, voll aufblühende, im Finale schließlich das gesamte Ensemble nochmals überstrahlende Amelia. Beeindruckend der Bariton Marco Vratonga (ebenfalls ein Rollendebüt) als Renato, gleichermaßen des chevaleresken Tones wie der finsteren Ausstrahlung mächtig. Mit anmutig gerundeten weiblichen Formen und beweglicher Stimmgebung brillierte Anna Ryberg als Oscar. Abgrundtiefe Ulrica-Sonorität spendete Ildiko Szönyi.

Weitaus wohler als beim vorangegangenen Macbeth schien sich der Dirigent Paolo Carignani mit der Partitur dieser Oper zu fühlen. Luftig und eloquent das erste Orchestervorspiel, gut dosiert die dramatischen Attacken und die virtuosen Parforcetouren (Chorszene am Ende des 1. Bildes, Einstudierung: Alessandro Zuppardo), mehr straff als locker die Sängerführung, insgesamt eine schöne Flexibilität und Aufgelichtetheit auch im orchestralen Vortrag. Großer Jubel für den vielversprechenden Auftakt einer neuen Frankfurter Opernsaison.

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Dokument erstellt am 03.10.2005 um 18:24:14 Uhr
Erscheinungsdatum 04.10.2005

 

DIE WELT
4. Oktober 2005

Frankfurter "Maskenball" zwischen Putzfrau und Batman

von Uwe Wittstock

Die Frankfurter Bühnen haben zur Zeit eine Vorliebe für politische Morde. Im Schauspielhaus hatten gerade Sartres "Schmutzige Hände" und Camus' "Gerechte" Premiere. Nun zeigt die Oper Giuseppe Verdis "Maskenball".

Wie in Sartres Stück wird auch hier der Machthaber zunächst aus politischen Motiven verfolgt und dann aus Eifersucht getötet. Regisseur Claus Guth verlegt die Handlung - ganz streng nach den Konventionen des schlechten Regietheaters - rücksichtslos in die Gegenwart: Sein Gouverneur Riccardo ist ein wahlkämpfender Politiker, der in einem Schleiflack-Büro residiert und sich die Zukunft von seiner Putzfrau weissagen läßt, die magischen Zeichen mit Scheupulver auf die Auslegware streut.

Als der Skandalspanier Calixto Bieito vor gerade mal einem halben Jahr in Frankfurt Verdis "Macbeth" als tödlichen Machtkampf zwischen Bankmanagern inszenierte, war das Ergebnis gleichermaßen blutverschmiert wie platt. Guth dagegen gewinnt seinem - in Wahlkampfzeiten sehr naheliegenden - Regieeinfall auch ironische Seiten ab.

Wenn Amalia bei ihrem nächtlichen Ausflug zum Richtplatz nicht den dort üblichen Ratten begegnet, sondern eine Computer-Maus findet und die politischen Widersacher nicht mit Degen, sondern offenbar mit abgebrochenen Schreibtisch-Beinen aufeinander losgehen und dazu Clownsmasken tragen wie Joker in "Batman", dann hat das durchaus erheiternde Züge. Vielleicht darf man Guths Inszenierung sowohl als ein Beispiel für Regietheater wie auch als eine Parodie aufs Regietheater verstehen.

Doch viel wichtiger als die Regie ist die musikalische Leistung der Frankfurter Oper. Paolo Carignani beweist sich erneut als ein vorzüglicher Verdi-Dirigent, er versteht es, das Orchester wie schon bei "Macbeth" zu einem ungeheuer lebendigen, kontrastreichen und transparenten Ausdruck zu führen. Daß man sich in diesem "Maskenball" nicht eine Sekunde langweit, ist nicht so sehr dem Geschehen auf der Bühne zu verdanken als vielmehr dem im Orchestergraben. Dazu zeigt sich auch der Frankfurter Chor unter der Leitung von Alessandro Zuppardo wieder in Hochform.

Der Frankfurter Intendant Bernd Loebe hatte wieder eine außerordentlich glückliche Hand dafür, herausragende Sänger an sein Haus zu ziehen. Carlo Ventre erweist sich in der Rolle des Riccardo als ein lyrisch-dramatischer Tenor von Rang, der den Zuhörer immer wieder zu ergreifen versteht. Marco Vratogna ist nicht nur ein exzellenter, energiegeladener Bariton, sondern spielt das Eifersuchtsdrama mit seiner Frau und die Verschwörung gegen den Gouverneur ähnlich gekonnt wie ein Mafiosi aus Francis Ford Coppolas "Paten". Und Silvana Dussmann schließlich läßt als Amelia ihren Sopran kraftvoll und klar über allem erstrahlen.

 

Frankfurter Neue Presse
4.10.2005

Zwischen Tod und Vergnügen
Claus Guths "Maskenball"-Inszenierung an der Frankfurter Oper wurde vom Premierenpublikum mit großem Jubel aufgenommen.

Von Michael Dellith

Das Spiel mit Masken ist so alt wie die Menschheit – nicht nur in der theatralischen Verstellung. Die Grenzverschiebung zwischen Sein und Schein gehört zu den alltäglichen Verhaltensmustern, und besonders in der Politik scheint die Selbstinszenierung ein gängiges Thema zu sein, zumal in Wahlkampfzeiten. In diesem Sinne ist es als besondere Pointe zu werten, dass die Premiere von Claus Guths erster Regiearbeit in seiner Heimatstadt Frankfurt ausgerechnet auf den Nachwahltermin zur Bundestagswahl fiel. Und so sorgte das Bühnenbild von Christoph Sehl natürlich für einige Lacher, als der Vorhang den Blick auf ein modernes, mit Design-Klassikern möbliertes Bürozimmer freigab, an dessen Wand ein riesiges Wahlplakat hing, mit dem Konterfei des Spitzenkandidaten und einem entsprechenden Slogan.

Verdis "Maskenball"-Personal – im Original mit dem schwedischen König Gustaf III., der aus Zensur-Gründen wegen des Meuchelmords am Ende bei der Uraufführung 1859 in einen Gouverneur von Boston verwandelt werden musste – mutiert bei Guth also ganz folgerichtig zu einem Politikerstab unserer Tage, an dessen Spitze Riccardo steht, der in seiner Machtzentrale von seinen Parteisoldaten umzingelt wird. Die Wahrsagerin Ulrica tritt als ausländische Putzfrau auf, die mit Scheuerpulver einen magischen Kreis auf dem Bürofußboden zieht, um die Zukunft zu prophezeien. Dass dies mehr als nur kleine Regie-Gags sind, sondern Mosaiksteinchen eines durchdachten Inszenierungskonzepts, zeigte der weitere Verlauf der Handlung. Die schrittweise Demaskierung der Protagonisten und ihrer wahren Gefühle ging mit einer zunehmenden Auflösung des Bühnenbilds einher. Die Bürowände entpuppten sich mehr und mehr als bloße Fassade, hinter der sich ein Aluminium-Skelett verbirgt, während sich die Gesellschaft auf dem Maskenball in Barock-Kostümen und mit gepuderten Perücken (Kostüme: Anna Sofie Tuma) noch einmal der Illusion hingeben konnte, bevor das tragische Ende alle Beteiligten aus der Traumwelt in die mörderische Realität reißt.

Dieses Leben zwischen Tod und Vergnügen findet auch in Verdis Partitur musikalischen Ausdruck. Paolo Carignani gelang es vortrefflich, das Museumsorchester auf dieser Gratwanderung zwischen operettenhafter Leichtigkeit und dramatischer Leidenschaft auf Kurs zu halten. Besonders die Ensemble-Nummern zu den Akt-Finali hatten enormen musikantischen Sog. Gesungen wurde allenthalben mit großer Emphase – prachtvoll wie immer der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor. Silvana Dussmann gab ein famoses Rollendebüt als Amelia, ihr Sopran wurde im Lauf des Abends immer runder, das Piano immer berückender. Carlo Ventre als Riccardo entfaltete seinen Tenor kraftvoll und strahlend. Marco Vratogna als Gegenspieler Renato nahm mit einem kernigen Bariton für sich ein, während Ildikó Szönyi als Ulrica ihren Alt lodern lassen durfte. Entzückend auch Anna Rybergs Koloraturen in der Hosenrolle des Oscar.

Die kleine Buh-Fraktion im Publikum wurde am Ende vom allgemeinen Jubel glatt übertönt.

 

WIESBADENER KURIER
04.10.2005

Der Kanzler und die Masken der Macht
Giuseppe Verdis Oper "Un ballo in maschera" in der Inszenierung von Claus Guth

Von Volker Milch


Das Plakat auf Frankfurts Opernbühne verspricht "Einen klaren Weg in die Zukunft":
Auf diesem wird Riccardo (Carlo Ventre, rechts mit seinem Pappkameraden)
aber nur noch begrenzte Zeit gehen. Der grau melierte Renato (Marco Vratogna) erschießt ihn.
Photo: Rittershaus

FRANKFURT Ähnlichkeiten mit Personen des wirklichen Lebens sind natürlich rein zufälliger Natur, aber der Einfachheit halber nennen wir Riccardo aus Verdis "Maskenball" jetzt doch mal den Kanzler. Trägt ja zur garantiert naturschwarzen Tolle auch eine signalrote Krawatte. Riccardos Amtssitz haben der Regisseur Claus Guth und Bühnenbildner Christoph Sehl in Frankfurts Oper nachempfunden, mit Kopierer, Hydrokultur und einer illegalen Putzfrau namens Ulrica. Sie ist von Ausweisung bedroht, lässt sich davon aber nicht beeindrucken und zieht mit Scheuersand unverdrossen magische Kreise auf dem Teppichboden. Schreckliches wird sie in ihrer Kaffeepause wahrsagen.

Aber zurück zum Anfang: Riccardo hat offenbar einen so anstrengenden Wahlkampf hinter sich, dass er eine Flasche Whisky leeren musste, um auf den Barcelona-Chairs von Mies van der Rohe Ruhe zu finden. Da schnarcht er nun den Rausch aus, während seine persönliche Assistentin Oscar die grauen Herren im Vorzimmer in Schach hält. Hinter sich hat Riccardo das Wahlplakat mit dem Slogan der aktuellen Kampagne: "Für einen klaren Weg in die Zukunft".

Kein Wunder, dass der Regisseur in Frankfurt angesichts unserer politischen Realitäten die Lacher auf seiner Seite hat. Dabei ist Claus Guth, wie er etwa in der subtilen Salzburger Inszenierung von Berios "Cronaca del luogo" oder dem suggestiven Bayreuther "Holländer" gezeigt hat, keinesfalls ein Mann des szenischen Knalleffekts.

Aber die politische Situation mit ihren offenen Besetzungsfragen scheint die Farce vorzugeben: Eine Steilvorlage für Oper mit groteskem Operetten-Touch. Im beschwingten Allegretto von Oscars Ballata "Volta la terrea" lässt sich fast die Munterkeit der "Fledermaus" erlauschen, deren bürgerliche Maskenspiele ja ohnehin eine parodistische Affinität zu Verdis Melodramma haben. Auch darin lässt es Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani an Delikatesse der Begleitung nicht fehlen und dirigiert einen federnden, bereits in den Pianissimo-Nuancen des Vorspiels genau ausgehorchten, durch und durch transparenten Verdi. Für ein paar Operngänger bringt der Abend indes zu viel des Flotten: Zwischenrufe stören die Aufführung empfindlich. Aber der Beifall ist enthusiastisch.

Verdis Oper "Un Ballo in maschera", die ursprünglich vom Mord am schwedischen König Gustav III. handeln sollte und 1858 zensurbedingt ins Boston des 18. Jahrhunderts verlagert werden musste, tritt von dort aus also die Reise in ein Kanzleramt an, in dem die Masken der Macht nur noch mit Mühe gute Miene zum bösen Spiel machen. Der Spitzenkandidat Riccardo, Gouverneur zu Boston, hat seine patriarchalischen Phrasen sofort parat, wenn er von Oscar geweckt wird: Die Ansprache an Freunde und (Partei-)Soldaten absolviert er wie eine gut geölte Wahlkampfmaschine, und es passt ins Bild, dass der Tenor Carlo Ventre hier einigermaßen stentorhaft auf die Tube drückt - das Fortissimo klingt hohl. Dass Carlo Ventres Ausdrucksspektrum breiter ist, wird er später noch oft genug zeigen: Die Saisoneröffnung der Frankfurter Oper hat großartige vokale Momente. Zu verdanken sind sie neben Carlo Ventres Riccardo dem Renato Marco Vratognas, Anna Rybergs brillantem Oscar, Ildikó Szonyis dunkel glühender Ulrica und vor allem der grandiosen Amelia der Silvana Dussmann. Ein großformatiger Sopran, der im zweiten Akt in der Begegnung mit Riccardo das Eis zum Schmelzen bringen könnte - wir befinden uns hier keineswegs auf einsamem Feld in der Nähe Bostons, sondern in Riccardos desolatem Machtzentrum, in dem die Decke heruntergekommen ist und der Schnee die Symbole der Bürokratie bedeckt: Hier beginnt ein Endspiel, in dem das Private, die Affäre Riccardos mit Renatos Gattin Amelia, nur Mittel zur Demontage des "Spitzenkandidaten" ist.

Freunde des eher traditionellen Musiktheaters werden am Ende übrigens üppig fürs Durchhalten belohnt: Szenischer Hintergrund der Ermordung Riccardos ist, auf der Drehbühne hübsch dekoriert, ein stilreiner Maskenball in Kostümen des 18. Jahrhunderts. Sieht so herrlich verstaubt aus wie die Ballszene aus Polanskis "Tanz der Vampire" - und von diesem ließen sich ja auch einige Bezüge zu den lebenden Toten der aktuellen politischen Landschaft spannen. Ähnlichkeiten sind natürlich wieder rein zufälliger Natur.

 

OFFENBACH POST
4. Oktober 2005

Fassaden der Macht bröckeln
Claus Guths Frankfurter "Maskenball"-Inszenierung zieht aktuelle Parallelen

Eigentlich ist es gleichgültig, wo Giuseppe Verdis Oper "Ein Maskenball" spielt. Der Komponist selbst hat auf die Vorgabe der Zensur, ein Königsmord dürfe auf offener Bühne nicht gezeigt werden, mit einer geradezu absurden Verlegung des Handlungsorts reagiert: Statt den Mord an Schwedens König Gustav III. in Stockholm spielen zu lassen, siedelte er das Geschehen im amerikanischen Boston an; aus dem König Gustavo wurde der englische Gouverneur Riccardo.

Seiner Neuinszenierung von "Un ballo in maschera" zur Saisoneröffnung an der Oper Frankfurt hat Regisseur Claus Guth diese Bostoner Fassung zugrunde gelegt, das Geschehen freilich noch einmal versetzt, und zwar ins Hier und Heute: Sein Riccardo strahlt uns von Wahlplakaten entgegen, trägt die Maske des Politprofi-Lächelns und wirbt samt zukunftsweisender Internet-Adresse mit sinnentleertem Slogan "für einen klaren Weg in die Zukunft". Aus den Herrscher-Gemächern ist ein aseptisches Büro geworden, aus dem eingangs die wartende Volks- und Journalistenmeute reichlich mit Postillen versorgt wird. Setzt sich die von Christoph Sehl verschachtelt errichtete Drehbühne in Bewegung, gerät man in die Hinterflure dieses Machtzentrums: Wahrsagerin Ulrica (Ildikó Szönyi), über deren Verbannung (heute: Abschiebung) verhandelt worden war, streut ihre mystischen Kreise als Putzfrau mit dem Scheuerpulver aus. Exakt hier soll Riccardo am Ende von seinem engsten Vertrauten Renato erschossen werden.

Das Frankfurter Publikum reagiert teils amüsiert, teils aber auch mit störenden Zwischenrufen auf diese Szenerie, die sich eigentlich doch ganz dicht am Kern des zeitlosen Stücks bewegt: Diesen Riccardo treibt es durchs Leben wie durch die verschiedenen Stationen der Drehbühne, nie kann man so recht hinter die lächelnde Fassade der Macht blicken. Da erscheint Renato, nachdem er erkannt hat, dass seine Gattin Amelia ihn mit Riccardo betrogen hat, schon handfest ehrlicher, wirft vor seiner Arie "Eri tu" erst einmal eine Flasche auf das im Vorgarten seines gebrochenen Familienglücks stehende Wahlplakat. Auch vokal ist Marco Vratogna ein eher deftig affektgeladen als balsamisch singender Renato, während Carlo Ventre als Riccardo mit zunehmend strahlkräftigem Tenor auftrumpft.

Neben der finalen Maskenball-Szene, die Guth in kräftigem zeitlichen Bruch in einer golden ausgeleuchteten Perücken- und Ballkleidschlacht spielen lässt (Kostüme: Anna Sofie Tuma), erscheint Riccardo hingegen unmaskiert, authentisch immerhin im Moment seines Todes. Dieser Tod war als eine Art fatales Kinderspiel zuvor schon einmal von Renatos kleinem Sohn und Riccardos Diener Oscar per Wasserpistole durchgespielt worden.

Die Partie des Oscar ist hier einmal nicht als Hosenrolle angelegt, sondern man sieht die so erfrischend hell und wendig singende Sopranistin Anna Ryberg tatsächlich als junge Frau. Silvana Dussmann als Amelia bietet mit ihrem vollen, dunkel gefärbten Sopran eine vokal wie szenisch ungemein mitreißende Leistung, trotz eines manchmal recht kräftigen Flackerns der Stimme glühend intensiv im Ausdruck. Paolo Carignani leitet das Museumsorchester kompakt und straff, manchmal mit kräftigen dramatischen Effekten, dabei aber stets sängerfreundlich. Und der Chor, gewohnt zuverlässig einstudiert von Alessandro Zuppardo, darf in der illustren Ball-Szene die Augen jener beglücken, die auch ansonsten ein Kostümfest lieber gesehen hätten: Das freilich wäre indessen nur unter Verzicht auf Claus Guths so aktuelle, detailfreudige und streckenweise auch humorvolle Inszenierung möglich gewesen.

AXEL ZIBULSKI

 

Deutschlandradio
4. Oktober 2005

Maskenball im Kanzleramt
In Frankfurt wird Verdis Oper in die Gegenwart rund um die Bundestagswahl versetzt

Von Frieder Reininghaus

Claus Guth hat Giuseppe Verdis "Maskenball" in die Gegenwart des politischen Berlin versetzt. Der Tenor ist Bundeskanzler. Die zentrale Botschaft des Werks ist auch in einer der historischen Idylle entkleideten Form wohl zu vernehmen: "Aufmerksamer als die Liebe ist der Haß".

So schmal das Vorzimmer ist, in dem sich Geschäftspartner, politische Freunde und Bittsteller drängen, so breit wurde Riccardos Büro angelegt - und beide Räume sind, getrennt von einer Leichtbauwand, in ihrem scharrend wartenden Überquellen beziehungsweise in der ruhiggelegten Leere als inszenierte Räume moderner Machtentfaltung zu bewundern. Riesenbreit prangt über dem Sofa, auf dem sich der im Wahlkampf gestresste Spitzenpolitiker ein Nickerchen genehmigt, der zentrale Wahlslogan: "Für einen klaren Weg in die Zukunft". Daneben das Konterfei des kräftigen Tenors Carlo Ventre, das erkennbar dem eines noch amtierenden und an seinem Sessel klebenden Kanzlers angenähert wurde.

Der hohe Herr hatte zuletzt keine guten Nächte. In sein erotisch-sexuelles Vakuum soll Amelia stoßen, die Frau seines Sekretärs und Freundes Renato. Die ahnt, was da ausgelöst werden könnte, wenn sie dem Werben der No.1 nachgibt, die nicht nur respektabel aussieht und mediengewandt auftritt, sondern auch mit satter Tenorstimme ausgestatteten ist.

Die Partie des Pagen Oscar (eine Hosenrolle) mutierte im Milieu der modernen Machtzentrale zu der einer persönlichen Referentin: Anna Ryberg beglaubigt die Schlüsselstellung, die sie in der Intrige einnimmt. Doch funktioniert deren Übertragung ins Regierungsmilieu von Berlin im Jahr 2005 nur teilweise. Gleichwohl ist die Motivation für dieses Modell der Aktualisierung zunächst nachzuvollziehen.

Wie in der Vorlage von Eugène Scribe, so war auch Giuseppe Verdis 1859 für Rom geschriebene Oper mit dem Libretto von Antonio Somma zunächst im Schweden des späten 18. Jahrhundert angesiedelt. Die päpstliche Zensur veranlaßte dann freilich die Verlegung der Handlung nach Boston ins ferne Nordamerika - aus König Gustav III. wurde Richard, der Gouverneur. Ein König muß sich bekanntlich nicht zur Wiederwahl stellen und darf seinen privaten Obsessionen noch ungehemmter nachgehen als ein auf demokratische Legitimierungsmechanismen verwiesener Politiker. Hier also beginnt der von Regisseur Claus Guth angestrengte Übersetzungsvorgang zu hinken. Dass Ulrica, die "schwarze Seherin", als ungarische Putzfrau in einem Gang hinterm Kanzlerbüro tätig ist, mag vergleichsweise plausibel erscheinen; auch, dass der historische Richtplatz zu einem Raum wurde, dessen Decke wohl von einer Bombe getroffen wurde, die herunterbrach und auf deren Trümmern Schnee liegt. Die zentrale Botschaft des Werks ist auch in einer der historischen Idylle entkleideten Form wohl zu vernehmen: "Aufmerksamer als die Liebe ist der Haß". Und vom Umschlag der einen in den anderen weiß Marco Vratogna auf charakteristische Weise zu singen.

Wer wird den Kanzler killen? Wie in Verdis originaler Spielvorlage entscheidet das von Amelia gezogene Los, wer der Glückliche sein soll, der die Rache an der No.1 vollstrecken darf. Der Machthaber aber will sich amüsieren, beraumt einen Maskenball an. Und den zeigt Guth nun als Rokoko-Inszenierung in den von Anna Sofie Tuma korrekt zitierten Kostümen des späten 18. Jahrhunderts; Christoph Sehl maskiert den Konferenzsaal des Amtes mit Tapeten, die an einen Redouten-Saal des Jahres 1792 erinnern. Nicht aber in dessen Gewühl, sondern im Vorzimmer erfolgt das Attentat - also in der Übertragungswelt 2005. In der aber müßten wenigstens zwei Bodyguards verspätet herbeistürzen und die Waffe ziehen; auch Dass während der ganzen langen Finalszene, bei der Riccardo angeschossen weitersingt und in mehreren Anläufen den Geist aufgibt, kein Notarzt kommt, ist unverzeihlich. Das wird personelle Konsequenzen in den Sicherheitsapparaten haben!

© 2005 Deutschlandradio

 

ONLINE MUSIK MAGAZIN
4. Oktober 2005

Von Macht und Masken

Von Thomas Tillmann

Es dauerte nicht lange, bis die Schimpferei im dritten Rang begann, die sich zu den Ablauf der Premiere von Un ballo in maschera störenden Wortgefechten und Rangeleien ausweitete. Sicher, Teile des Publikums sind inzwischen Inszenierungen leid, in denen sie auf der Bühne das präsentiert bekommen, was sie in ihrem täglichen Leben vorfinden, in denen ihnen die Flucht in wunderbar weit entfernte Zeiten und an ebensolche Orte verweigert wird, keine atmosphärisch beleuchteten Bühnenbilder und glanzvolle Kostüme das Auge verweilen lassen und man sich ganz dem Festival der schönen Stimmen hingeben kann, sondern die altbekannten Stücke auf ihre Aussage- und Sprengkraft für unsere Zeit hin befragt werden. Beide Ansätze und Bedürfnisse haben ihre Berechtigung. Opern sind nicht dazu da, als Folie für Profilneurosen von schlecht vorbereiteten Regiedilettanten ausgenutzt zu werden, die den ihnen anvertrauten Werken letztlich misstrauen und lieber eigene Geschichten erzählen wollen, dafür aber keine Geldgeber finden, aber Opern sind eben auch nicht allein der Kulinarik preiszugebende Bühnenwerke, die den Sehgewohnheiten einer konservativen und beschwörend nach kaum zu definierender Werktreue schreienden Zuschauerschaft unterworfen sind, die sich im ersten Teil des Abends so lautstark zu Wort meldete und dann mehr und mehr verstummte.

Claus Guth, der 2003 Der Fliegende Holländer in Bayreuth inszenierte und im kommenden Jahr mit seiner Sicht von Mozarts Le nozze di Figaro die Salzburger Festspiele eröffnen wird, lässt den Zuschauer einen Blick hinter die Kulissen der Politik werfen (in seiner Macbeth-Inszenierung im Mai hatte Calixto Bieito das Geschehen in die Bankenwelt verlegt): Wir begegnen Riccardo in seinem Büro, erschöpft von einem anstrengenden Wahlkampf, den er als Spitzenkandidat einer Partei bestreitet, die sich "Für einen besseren Weg in die Zukunft" einsetzt, wie das riesige Plakat zeigt, das den Raum dominiert und natürlich mehr als eine Anspielung ist auf die zurückliegenden Wochen und Monate in diesem Land (ein interessanter Zufall, dass in dem Moment, in dem die Premiere in Frankfurt begann, die Wahllokale in Dresden schlossen). Auf der linken Seite drängen Mitarbeiter und Journalisten auf Einlass, sie werden aber von Riccardos Wahlkampfmanagerin Oscar zurückgehalten (die Anlage als Hosenrolle wird hier aufgegeben, was wohl doch zu verschmerzen ist). Riccardo ist ein Vollblutpolitiker, der auch äußerlich durchaus ein wenig an den amtierenden Kanzler erinnert, wie dieser eine rote Krawatte trägt (die Verschwörer dagegen haben gelbe!), sofort nach dem Aufwachen wählerwirksame Parolen aufzusagen weiß, was besser zu Sommas Auftrittsworten passt, als mancher wahrhaben will, und die typischen Siegerposen souverän beherrscht, ein Meister der Verstellung eben, aber auch ein Einzelgänger, der sich danach sehnt, all die Masken abzulegen und wieder Authentizität zu spüren.

Im zweiten Bild trifft er auf dem Flur neben seinem Büro - der Wechsel der eindrucksvollen Bühnenbilder von Christoph Sehl, die ich freilich von meinem sichtbehinderten Platz im Seitenrang nicht vollständig einsehen konnte, wird mit Hilfe der Drehbühne problemlos bewältigt - eine geheimnisvolle Putzfrau, die ihren Lappen in einem Eimer voller Blut auswäscht. Putzfrauen als Prophetinnen, das ist so neu nicht (man erinnert sich an Robert Carsens spannenden Macbeth an der Kölner Oper), und es will zu dem ja sehr auf Realismus hin angelegten Ansatz auch nicht wirklich passen, sondern bleibt ein Fremdkörper, auch wenn die Szene an sich gut funktioniert: Es wird Karneval gefeiert auf den Gängen der Wahlkampfzentrale, aber spätestens als Riccardo neben dem Blutfleck in Ulricas mit Scheuermittel skizzierten magischen Kreis am Boden liegt, ahnt seine Entourage, dass hier aus Spaß Ernst geworden ist, da hilft auch das anschließende, flugs inszenierte Bad in der Menge nichts, die den Spitzenpolitiker inzwischen erkannt hat.

In seinem Büro haben unterdessen Zerstörung und Winter Einzug gehalten (ein Symbol für den inneren Abschied von dem öffentlichen Leben und den Masken, die er so leid ist?), was Amelia und Riccardo gegen Ende des Duetts nicht davon abhält, sich mehr und mehr zu entkleiden, sich nebeneinander in den Schnee zu werfen und eine Hochzeit zu improvisieren, die eine beklemmende Parodie erfährt, wenn die Verschwörer später Amelia Riccardos rote Krawatte umhängen, ihr einen Papierkorb als Zylinder aufdrücken, Renato den Schleier aufsetzen und ihm die Lippen nachziehen.

Die Familienidylle ist brüchig geworden: Amelia (Silvana Dussmann), ihr Sohn (Christian Holper) und ihr Mann Renato (Marco Vratogna).

Zu Beginn des dritten Aktes sehen wir Riccardo traurig auf dem kleinen Rasenstück vor dem Fertighaus seines ehemals besten Freundes und Mitarbeiters sitzen, das ebenfalls im Schatten der Wahlplakate und offenbar in einem Hochsicherheitstrakt entstanden ist - ein solch häuslich-familiäres Idyll ist ihm nicht gegeben, der Traum der Liebe mit Amelia funktioniert nicht, die der Wut ihres Gatten ausgesetzt bleibt und vergangenes Glück beschwört, indem sie drei Püppchen ihres Sohnes sich die Hände reichen lässt. Auch der gemeinsame Junge, mit dem beide jetzt abwechselnd spielen, hat schon erhebliches Gewaltpotential: Auf der Schaukel hatte er schon ein Stofftier achtlos zu Boden geworfen, jetzt setzt er Oscar eine Papierkrone auf und antizipiert so den Königsmord seines Vaters, bevor die beiden die Rollen tauschen und somit auch der Anteil am Tod Riccardos vorweggenommen wird, den die indiskrete Assistentin hat.

Alles nur Spiel? Oscar (Anna Ryberg) zielt auf den als König verkleideten Sohn (Christian Holper) des Renato (Marco Vratogna).

Obwohl das Büro des Spitzenkandidaten zerstört ist und selbst auf dem letzten Plakat sein Kopf ausradiert ist, hält er an der Idee des Maskenballes fest (ein Hinweis auf den Umstand, dass ein Politiker nicht wahrhaben will, dass seine Zeit abgelaufen ist?), und jetzt bekommt Anna Sofie Tuma doch noch Gelegenheit, Chor und Solisten in aufwändigen Roben der eigentlichen Handlungszeit zu präsentieren, während Riccardo im Nebenraum Abschied von Amelia nimmt und auch dort zu Tode kommt, umringt von den nach und nach Teile der Kostüme und Perücken ablegenden Menge.

Riccardo (Carlo Ventre) als Außenseiter auf dem Ball (Chor und Statisterie der Oper Frankfurt).

Carlo Ventre war bereits als Pinkerton und Cavaradossi in Frankfurt, und es wird Menschen geben, die die raue, belegte Mittellage seines robusten Tenors nicht besonders mögen, der mitunter fast mehr Nebengeräusche produziert als wirkliche Töne, aber insgesamt war man doch beeindruckt von seinem kraftvollen, leidenschaftlichen Singen und dem Umstand, dass man einen durchaus dramatischen Tenor in dieser Rolle nicht selten unterbesetzten Partie zu hören bekam, der auch das anspruchsvolle szenische Konzept problemlos umzusetzen verstand.

Amelia (Silvana Dussmann) ist fassungslos: Riccardo (Carlo Ventre) ist tot.

Silvana Dussmann, in Frankfurt gefeiert als Kaiserin in Die Frau ohne Schatten und demnächst auch als Vitellia dort zu erleben, hat eine große Affinität zum italienischen Fach - man erinnert sich an eine nicht unproblematische Leonora im Trovatore, an ihre Wiener Elisabetta im Roberto Devereux und Norma, die sie an verschiedenen Orten gesungen hat -, aber letztlich fehlt ihr der üppig-warme, dunkel-frauliche Ton, der Partien wie der Amelia so gut ansteht und der beispielsweise italienischen oder russischen Kolleginnen eher gegeben ist, so dass man ihre Absichtserklärung, demnächst das leichte Wagnerfach anzusteuern, doch für die richtigere Wahl hält. Gerade in der Tiefe hat die keinesfalls kleine, aber eben doch ziemlich helle, "blonde" Stimme wenig Farbe, dafür aber einigen "Peng" und ein aufregend hysterisches Vibrieren in der durchdringenden Höhe, auch wenn sie dabei nicht immer genau die Töne trifft, zum Schreien neigt und zu sehr auf äußerliche, vordergründige Effekte setzt, was auch für ihr nervöses, übertriebenes Spiel gilt (sie kann die Hände und den Kopf offenbar einfach nicht ruhig halten), aber spätestens ab der sehr sensibel gestalteten zweiten Arie hatte sie wirklich große Momente bei ihrem Rollendebüt.

Geschmackssache war zweifellos auch der sehr reife, ein erhebliches Vibrato aufweisende, trockene Bariton von Marco Vratogna, der sich am Main bereits als Nabucco und Scarpia vorstellte und sich an diesem Abend vor allem durch maßlose Lautstärke hervortat, was manche mit besonderer Intensität und Expressivität verwechseln, ohne die Eindimensionalität seines gepressten, brutalen und nur in wenigen Momenten zu sensiblen Zwischentönen findenden Singens zu bemerken. Keine Geschmackssache war dagegen das in mehrere Einzelstimmen zerfallende, flackernde Organ der häufig nach Luft ringenden, keine Furcht vor Sprechgesang erkennen lassenden Ildiko Szönyi. An den "Schaltstellen" zwischen der furchteinflössenden, barsch-vulgären Bruststimme, der scharfen, von einem nicht mehr zu tolerierenden wobble entstellten Mittellage und der gellenden Höhe war mitunter nur noch heiße Luft zu hören, so dass man das Buh nach ihrer Szene doch immerhin nachvollziehen konnte. Nicht teilen konnte ich die Begeisterung für das dünne, weder besonders liebenswürdig timbrierte noch besonders glanzvolle, sondern nicht selten überfordert klingende Soubrettenstimmchen von Anna Ryberg, während es in den kleineren Partien und bei den Chören keine Ausfälle, aber auch keine herausragenden Leistungen zu hören gab.

Der Trend zu hektischem Vorwärtspeitschen bei Verdi, den ich an den Vortagen in Mannheim hatte beobachten können, setzte sich in Frankfurt fort: Paolo Carignani, der das Frankfurter Haus 2008 verlassen wird (Spekulationen um eine Intrige als möglichen Auslöser für seine Entscheidung wollte der Italiener bisher nicht bestätigen), begann zwar mit pulsierend-bewegten und damit angemessenen Tempi, zog aber während des Abends mindestens streckenweise so an, dass er das Bühnenpersonal in Schwierigkeiten brachte, so dass man festhalten muss, dass die Eleganz und Brillanz des Spiels des Museumsorchesters um einen zu hohen Preis erkauft wurde.

FAZIT
Guths Konzept hat zweifellos einige Ecken, aber trotz des aktuellen Ambientes und der Aktualisierung verfremdet er die Geschichte nicht wirklich oder denunziert sie, sondern verdichtet sie in manchem Moment sogar dank einer zwar vielschichtigen, aber doch klaren, intensiven Erzählweise, einer soliden Personenführung und der präzisen Zeichnung der Hauptfiguren. Die vokale Seite des Abends indes kann den Rezensenten weniger überzeugen als das in dieser Hinsicht weniger kritische Premierenpublikum.

 

Bloomberg
October 4, 2005

Gerhard Schroeder Stars in Verdi's `A Masked Ball' in Frankfurt

Oct. 4 (Bloomberg) -- The chancellor dozes on a sofa. He wears his trademark red tie; above him is a giant election poster. Aides wait in an anteroom. Awaking with a start, he leaps to his feet and launches into a victory speech, rehearsing to the empty room, hands clasped in triumph above his head. The Frankfurt opening-night audience howls with laughter.

Verdi's ``Un Ballo in Maschera'' (A Masked Ball) isn't really a comedy. But in the current climate of economic and political uncertainty, Europe's banking capital needs all the humor it can get. And Claus Guth's new staging of this operatic thriller for the Frankfurt Opera provides plenty.

This is an opera about a blinkered politician who refuses to see that his leadership is on the brink of collapse. Surrounded by enemies and intrigues, he continues to utter the empty rhetoric of triumph and supremacy. It has to end badly. So Guth simply holds up the mirror to today's Germany.

There is ample historical precedent for what Guth does. Verdi's tale of illicit love and assassination was so familiar to the censors of his day that they banned it. Only when the composer grudgingly altered country, rank of ruler, century and murder weapon did they consider it suitable for local viewers. Guth returns to the spirit of the 1859 original and offers scenes that everybody will recognize.

Blood at the Watercooler

Riccardo is a chancellor on the way out, his spacious office backed by flimsy particle-board walls. The page Oscar is a blonde secretary in high heels, the fortune-teller Ulrica a cleaning lady whom we discover mopping up a pool of blood near the watercooler. Renato and Amelia live in a half-finished housing estate, IKEA domestic perfection masking marital strife.

Behind the plastic paint sheets backing Riccardo's office is a netherworld of construction, collapse and sordid crime. Like Verdi and his numerous librettists, Guth shows us a glossy political facade and the depths of violence, ambition, passion and tragedy behind the image and spin. It is utterly plausible. Amelia is Riccardo's Monica Lewinsky. Though he never consummates the union, his indiscretion destroys him.

Guth looks deeper, examining the function of the masked ball of the title in contemporary translation. He shows us the southern German carnival tradition, with its expression of covert urges, and the conservative world of opera itself, baroque costumes and powdered wigs to act out the nasty things that really happen just a few doors down.

Warbling Gerhard

Conductor Paolo Carignani spends the first half of the evening attempting to set the land speed record for Verdi, whipping his forces along at such a pace that most of the score passes in a blur. He calms down after the intermission, giving the singers more space to breath and replacing velocity with crashing force. It is never less than formidable.

The singing is consistently strong. Montevideo-born tenor Carlo Ventre as Riccardo manages to look and move just like Gerhard Schroeder while singing with energy and robust musicality. Marco Vratogna brings sinister shading and complexity to the part of murderous Renato, while Silvana Dussmann makes a warm, dramatic Amelia. Anna Ryberg's Oscar is witty and agile, Ildiko Szonyi's Ulrica guttural and exotic.

In all, a cheerfully provocative and wonderfully well-made season-opener for one of Germany's leading opera houses. ``Un Ballo in Maschera'' continues in repertory through Oct. 29, and returns in January and February 2006.