Frankfurter Allgemeine Zeitung
13. September 2005

Triumph des Tenors
Wieder im Programm der Oper Frankfurt: Puccinis La Bohème

Puccinis Erfolgsoper La Bohème, seit 1998 im Spielplan der Oper, wurde jetzt als Auftakt der neuen Spielzeit zum fünften Mal wiederaufgenommen. Nach wie vor ist es kalt und düster im Paris der Inszenierung Alfred Kirchners. Um so wirkungsvoller die Gegenpole: Das Glück der unverhofften Begegnung, vor allem aber die komödiantischen Elemente, die voll ausgespielt werden. Damit ist auch das Rollenprofil des "Gegenpaars", George Petean als sonor-aufbrausender Marcello und Britta Stallmeister als hinlänglich kokett-zickige Musetta, bis an die Grenze ausgereizt.

Das altersmäßig auffallend gemischte Publikum, darunter viele Erstbesucher, schien gerade diese Pointen zu goutieren. Dass das Orchester im ersten Akt die Dynamik auf Kosten des spielfrohen Künstlerquartetts allzu brillant auskostete, sei nicht verschwiegen. Um so kostbarer der Klangteppich für die leisen Szenen mit selten gehörten Farbnuancen (Harfe!). Natürlich war alles auf das Paar des Abends gespannt: Joseph Calleja als Rodolfo, der nach Erfolgen in Wien, London und Salzburg an den Ort seiner ersten Triumphe zurückkehrte, und Tatiana Lisnic, die als Mimi ihr Debüt gab. Nach eher verhaltenem Beginn steigerte sie sich in den beiden Schlussakten stimmlich wie im Ausdruck zu einer eindrucksvollen Leistung: im sanften Abschied des dritten Akts wie in der anrührenden Sterbeszene des vierten. Calleja freilich war der ungekrönte König des Abends: stimmlich wie darstellerisch vom ersten Ton an präsent, dabei auch dynamisch flexibel bis ins Pianissimo, ohne andererseits mit der Macht seiner hell timbrierten Stimme allzu sehr zu prunken. Die Mühelosigkeit bis in die unforcierten Spitzentöne hinein eröffnet außerordentliche Zukunftsperspektiven. Bei Roland Böer war der Abend in sicheren Händen; ein vielversprechender Saisonauftakt.

GERHARD SCHROTH

 

OFFENBACH POST
13. September 2005

Oper wie aus dem Bilderbuch
Giacomo Puccinis "La Bohème" bietet mitreißenden Saison-Auftakt in Frankfurt


Auch im wirklichen Leben ein Paar: Tatiana Lisnic (Mimì) und Joseph Calleja (Rodolfo)

Eine gute Nachricht für alle Freunde des Musiktheaters: Die spielfreie Zeit an der Oper Frankfurt hat ein Ende. Passend mit einer Künstler-Oper startet das Haus am Willy-Brandt-Platz in die neue Saison. Bereits zum fünften Mal wurde Alfred Kirchners ganz realistisch ausschauende Deutung von Giacomo Puccinis "La Bohème" wieder in den Spielplan aufgenommen. Mit ihrem Ofen in der Pariser Künstler-Mansarde, dem illuster bewegten Volks-Treiben im Quartier Latin ist die Produktion, die vor sieben Jahren Premiere hatte, nicht zuletzt ein Angebot für alle Besucher, die erstmals Opernerfahrung sammeln wollen. Denn die rührende Liebesgeschichte zwischen dem brotlosen Künstler Rodolfo und der stickenden Kunsthandwerkerin Mimì erzählt Regisseur Kirchner so unmittelbar nachvollziehbar wie regietheatralisch unaufdringlich.

Dass die Wiederaufnahme weit kräftiger schmeckt, als es der fünfte Aufguss einer schon etwas älteren Regiearbeit vermuten lässt, gewährleistet die musikalische Seite: Eine starke Vorstellung bietet der aus Malta stammende Joseph Calleja als Rodolfo: ein strahlkräftiger und technisch makellos geführter Tenor der Mimìs "eiskaltes Händchen" am Schluss des ersten Aktes nur im äußersten Forte ein wenig flackernd besingt. Die Partie der Mimì selbst ist mit der fast mädchenhaft silbrig klingenden Tatiana Lisnic, die in Frankfurt debütierte, viel versprechend besetzt. Die beiden Darsteller von Rodolfo und Mimì, im wahren Leben ebenfalls ein Paar, werden sich übrigens kommendes Jahr auch bei einem Liederabend im Frankfurter Opernhaus vorstellen.

In der wieder aufgenommenen "Bohème" bewegen sie sich im Umfeld zuverlässiger Frankfurter Ensemble-Kräfte, seien es Soon-Won Kang als Philosoph Colline mit trockenem Bass, Britta Stallmeister als auch vokal reizvolle Musetta oder der ein wenig zurückhaltend, aber gewohnt geschmeidig singende Johannes Martin Kränzle (Schaunard). Immer noch eine komödiantische Klasse für sich bildet Carlos Krause, der seinen kurzen Auftritt als Miete fordernder Hausherr Benoît grandios ausspielt. Kapellmeister Roland Böer am Pult des Museumsorchesters treibt die Sänger bisweilen zu erheblichem Kraftaufwand, setzt auf den reißerischen Effekt der meist im frühen Beifall endenden Akt-Schlüsse und gleicht ansonsten kleinere koordinatorische Schwachstellen zwischen Bühne und Orchestergraben recht schnell wieder aus: Insgesamt ein mitreißender Saison-Auftakt.

AXEL ZIBULSKI

 

Frankfurter Neue Presse
12.09.2005

Das eiskalte Händchen wird sanft erwärmt

Die Oper Frankfurt hat zum fünften Mal Giacomo Puccinis "La Bohème" in den Spielplan wieder aufgenommen.

Sie ist die Alte Dame des Repertoires: 1997/98 hat sie Alfred Kirchner inszeniert, und Andreas Reinhardt baute das Bühnenbild: ein illustres Paar. Ein wenig Staub liegt zwar schon auf den hohen Gründerzeit-Mauern, doch zwischen denen hält Kirchner, und nunmehr Axel Weidauer für die Wiederaufnahme, den Gefühlen Raum frei. Bewegung und Musik aber besitzen durchaus mehr Vitalität als zur Premierenzeit (übrigens unter Klauspeter Seibel). Kapellmeister Roland Böer steht am Pult und gibt mit dem plastisch spielenden Orchester und von einigen geringen Ungenauigkeiten in der Balance zur Bühne abgesehen immer wieder zwingende "agitato"-Anstöße. Er lässt Strenge walten, er mischt den Klang behutsam, die Farben leuchten dankend. Genau dies gewinnt die Kraft, um alle eiskalten Händchen gleichsam in emotionalen Tiefen zu erwärmen: Das Orchester trägt die existenzielle Not. Dazu gesellt sich ein ausgezeichnet abgestimmtes Ensemble. Voran natürlich Joseph Calleja als Rodolfo und Tatiana Lisnic als Mimi . Ersterer hat schon vor drei Jahren in dieser Partie in Frankfurt Furore und inzwischen Weltkarriere gemacht, ein Tenor fast so hell ("weiß") wie der des jungen Pavarotti, kaum weniger geschmeidig und wandlungsfähig in den Empfindungen, vor allem nicht ohne Schmelz. Tatiana Lisnic ist kein blasses Kind, sondern eine leidenschaftliche junge Frau. Sie übertreibt die Expressivität nicht, findet zu schöner intensiver Lyrik. Britta Stallmeister als Musetta bleibt bei allen Temperamentsausbrüchen kontrolliert, vor allem aber locker in der Stimme. Große Publikumsbegeisterung. (jö)

 

Frankfurter Rundschau
13. September 2004

In bester Verfassung
"La Bohème" in Frankfurt

VON ANNETTE BECKER

Wenn die Saison der Oper Frankfurt mit einem Todesfall beginnt, könnte man das besorgt als schlechtes Omen werten. Wenn aber so intensiv gelebt, geliebt und eben auch gestorben wird wie jetzt zum Spielzeitauftakt in der fünften Wiederaufnahme von Puccinis La Bohème, dann kann man sich über die aktuelle Verfassung des Hauses nur freuen. Nach wie vor hat Alfred Kirchners Inszenierung von 1997/1998 einen dezidiert düsteren Grundton mit einigen flotten Einlagen (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Axel Weidauer). Schwer angeknackst hängt der Sternenhimmel inmitten der Backsteinmauern der Dachkammer. Zerfleddert ist der lebensgroße Schimmel im zweiten Bild. Joche statt Eimer schleppen die Milchmädchen am Schlagbaum, und fast alle tragen Dunkelgrau (Bühnenbild und Kostüme: Andreas Reinhardt). Nur Mimi ist eine wahre Lichtgestalt. Und Tatjana Lisnic, die als regelmäßiger Gast unter anderem an der Wiener Staatsoper zu erleben ist und die Rolle der Mimi bereits 2002 im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel sang, verkörpert sie zum Sterben schön.

An der Seite ihres Ehemannes, des gefeierten maltesischen Tenors Joseph Calleja in der Rolle des Poeten Rodolfo, debütierte die Moldawierin nun in Frankfurt. Und beide eroberten das Publikum im Sturm. Hell und kraftvoll ließ Calleja seine Stimme strahlen, fast zu stählern und stramm für einen darbenden Dachstubendichter, aber mit viel Spielraum für Emotionen. Warm und gewinnend sang Lisnic die Mimi, gab sie zu Beginn betont vage und scheu, bevor sie sie in kleinen Schritten zur großen Liebenden formte. Den quirligen Gegenpol bildete Britta Stallmeister als Musetta. George Petean als Maler Marcello, Johannes Martin Kränzle als Musiker Schaunard und Soon-Won Kang als Philosoph Colline waren trotz leichter stimmlicher Schwächen bei Kang ein großartiges Team, gesetzlos, albern und trotz aller Bemühungen in Richtung Ruchlosigkeit irgendwie unschuldig. Genüsslich zeichnete Carlos Krause den Vermieter Benoît als unappetitlichen Lustgreis. Gérard Lavalle als Alcindoro dagegen blieb selbst in der Demütigung distinguiert. Als Spielzeughändler, Sergente und Doganiere überzeugten die Chorsolisten Young-Shik Kim, Thomas Charrois und Walter Jäkel.

Glänzend sangen Chor (Leitung: Alessandro Zuppardo) und Kinderchor (Apostolos Kallos). Auch Kapellmeister Roland Böer, dem gegen Ende des dritten Bildes gar der Taktstock kurz in die vorderen Reihen flog, hatte allen Grund zum Stolz. Zwar dauerte es etwas, bis alle Mitglieder des Orchesters mental aus der Sommerfrische zurückgekehrt waren. Dann aber verschmolzen Bühne und Graben perfekt. Vor allem den Streichern gelangen Klangbilder von höchster Dichte und Intensität. So kann die Oper Frankfurt getrost in die Saison aufbrechen.

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Dokument erstellt am 11.09.2005 um 20:04:05 Uhr
Erscheinungsdatum 12.09.2005