WIESBADENER KURIER
26.01.2006

Eine Oper der harten Kontraste
Vor der Premiere: Hermann Schmidt-Rahmer inszeniert "Carmen"

Von Volker Milch


Regie ist ein riskantes Handwerk: Aber der Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer hat keine Angst vor "Carmen".
Kaufhold

WIESBADEN Also wieder īmal Bizets "Carmen" in Wiesbaden: Das einzige Mutige an dieser Spielplan-Entscheidung des Staatstheaters ist, könnte man mäkeln, dass die Premiere am 28. Januar sozusagen in die Katerstimmung nach Mozarts globaler Geburtstagsparty am 27. Januar platzt.

Wenn man den "Carmen"-Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer fragt, ob er nicht doch lieber "Die Perlenfischer" von Bizet inszeniert hätte als die gute alte "Carmen", zuckt er die Achseln: "ist mir nicht angeboten worden". Nein, er scheint mit dem Auftrag gut leben zu können, zumal er das Werk, wie er gesteht, eigentlich nicht gekannt hat. "Unheimlich überrascht" war er dann, dass sich in der Beschäftigung mit der Oper manche Vorurteile nicht bestätigt haben. Er betont zum Beispiel die erstaunlich "heiteren und hoch ironischen" Aspekte einer "Opéra Comique mit tragischem Ende". Es handele sich um ein "sehr starkes Zwitter-Genre mit extrem harten Kontrasten". Die Wiesbadener Produktion greift auf die Oeser-Ausgabe zurück, mit deutschen, von Schmidt-Rahmer bearbeiteten Dialogen und französisch gesungenen Arien.

Musikalisch kommt Hermann Schmidt-Rahmer aus einer ganz anderen Ecke: 1979 fing der 1960 in Düsseldorf geborene Theatermann in seiner Heimatstadt ein Schlagzeug-Studium an, wechselte dann nach München (Musikwissenschaft und Philosophie) und ließ sich schließlich in Berlin zum Schauspieler ausbilden. Erste Regie-Erfahrungen sammelte er 1990 am Kölner Schauspiel. Neben seinen Engagements als Schauspieler (etwa bei Neuenfels an der Berliner Volksbühne, am Hamburger Schauspielhaus oder am Burgtheater) war er als Bühnenmusik-Komponist und als Musiker in diversen Jazz- und Elektronik-Formationen tätig. Zur Gattung Oper scheint er - zumindest, was ihre gutbürgerlich-plüschige Seite angeht - eine gewisse Distanz zu haben. Schmidt-Rahmer ist mehr mit Schauspiel- als mit Opern-Inszenierungen hervorgetreten, und in der Oper dann auch eher mit Werken des 20. Jahrhunderts: Im Jahr 2000 etwa hat er von Jan Müller-Wieland "Das Märchen der 672. Nacht" oder 2001 von Aaron Copland "The Tender Land" inszeniert. Aber deutsche Erstaufführungen verlangt man in Wiesbaden nicht von ihm, hier sind "Carmen" gefragt und "Rigoletto" - die Verdi-Oper hatte er 2004 mit einigem Erfolg als erste Premiere des neuen Generalmusikdirektors Marc Piollet auf die Bühne gebracht. Schmidt-Rahmer lieferte eine detailscharfe Inszenierung mit spannungsvoller Personenführung - und der Bühnenbildner Herbert Neubecker fand für die Unausweichlichkeit des Geschehens eine treffliche Metapher. Da in Wiesbaden nun das gleiche Team wie bei "Rigoletto" antritt, darf man auf Qualität hoffen. Am Pult steht am Samstag indes nicht GMD Piollet, sondern der französische Dirigent Emmanuel Joel. Die Titelpartie singt in der Premiere Milana Butaeva, hier bekannt als temperamentvolle Lady Macbeth von Mzensk.

Der letzten Wiesbadener "Carmen", 1998 von Gabriele Rech inszeniert, wird man nicht gerade einen feministischen Ansatz unterstellen können, aber die Regisseurin bemühte sich um eine differenzierte Titelfigur, um Glaubwürdigkeit auch jenseits der erotischen Attacke. Schmidt-Rahmer ("über Carmen selber erfahre ich ja fast nichts") sucht nun eher die Perspektive von Don José, interpretiert die Figur Carmen als "Phantasmagorie", sieht die "Sehnsucht unserer Welt nach Entgrenzung, nach dem Amoralischen". Für das Publikum, meint der Regisseur, sei seine die Kontraste betonende Inszenierung "sicher ungewöhnlich".