Frankfurter Rundschau
19. September 2005

König der Bäuche
John Dew inszeniert Verdis "Falstaff" an der Oper Darmstadt vor allem bunt

VON TIM GORBAUCH

Dieser Mann sieht kaum danach aus, als könnten ihm die Frauen zu Füßen liegen. Man möchte nicht einmal glauben, dass das Leben ihn liebt. Eher hat es ihn ausgezehrt und müde gemacht, so wie er sich in seinen zu schmalen Sessel quetscht, mit seinen Pantoffeln, seiner grauen XXL-Jogginghose, über die ein roter Morgenmantel fällt, der den aufgeblähten Bauch kaum zu verbergen weiß. Auch im Gesicht findet man kaum Spuren vom savoir vivre, es ist aufgedunsen, fettig und wird von ausgedünntem, rötlich schimmerndem Haupthaar kümmerlich gekrönt. Diesen Mann, den wir als Sir John Falstaff kennen, umgibt keine Aura. Dass seine Lakaien Bardolfo und Pistola, die sich als amerikanische Halbwelt-Figuren der 70er Jahre kleiden (Kostüme: José Manuel Vázquez), ihm unterwürfig begegnen, ist ein Rätsel.

Würde und Energie, Lust und Übermut, das alles gibt John Dew, der Verdis Falstaff am Staatstheater Darmstadt inszeniert, seiner Titelfigur erst spät. Ohnehin ist Dews Blick auf die handelnden Personen nicht immer sonderlich genau. Weniger als auf geschärfte, plausible Charaktere setzt er auf die Kraft der Tableaux und das Glück des einzelnen Augenblicks.

Dew, seit einem Jahr auch Intendant in Darmstadt, ist ein Virtuose des unterhaltsamen Arrangements. Pointensicher bringt er Falstaff auf die Bühne, als Kette hübsch verpackter Bilder, die stets von einer leeren, zu allen Seiten hin offenen Bühne ausgehen und mit nur wenigen Requisiten auskommen. Die lustigen Weiber von Windsor, die man heute wohl Desperate Housewives nennen würde, etwa brauchen bloß einen Einkaufswagen, Trockenhauben, Lockenwickler und kreischend bunte Kostüme (Mrs. Quickly: gelb, Mrs. Meg Page: rosa, Mrs. Alice Ford: grün).

Mr. Ford wiederum wird als passionierter, nicht einmal schlecht gebauter Golfspieler eingeführt, an den sich Dr. Cajus schmierig andient. Dass ein Fettsack wie Falstaff seine Frau verführen will, muss ihm absurd erscheinen. Zum Rendezvous mit Mrs. Ford, die in ihrem Heim Blumenmuster aller Art bevorzugt, erscheint Falstaff dann überraschend stattlich: Anzug (grauer Cord) und Toupet (rot) machen aus ihm fast einen ansehnlichen Mann, die in Herzform verpackten Pralinen, die er als Geschenk mitbringt, stopft er aber rasch selbst in sich hinein.

Das spielt sich alles in moderatem, nie überdrehtem Tempo ab

Zum großen Finale schließlich jongliert Dew virtuos mit dem Kitsch, zitiert üppige Wald- und Wiesenromantik (Bühne: Heinz Balthes) und lässt den Damenchor im weißen Nussknacker-Tüll über die Bühne hüpfen. Das alles ist überaus nett, manchmal gar komisch und dabei im moderaten, nie überdrehten Tempo. Das alles ist Theater, wie Dew es sich wünscht: leicht, locker, schnell vorbei. Und so ist auch dieser Falstaff vor allem amüsant und hübsch anzusehen, flott und voll mit vielen schönen, bunten, nicht mal besonders schrillen Einfällen.

Musikalisch geht es forsch zu. Stefan Blunier hat sich kaum den Weg durch das Orchester gebahnt, da setzt die Ouvertüre schon ein und zeigt einen rauen, burlesken Verdi, dessen Kanten nicht geglättet sind, sondern widerborstig bleiben dürfen. Das tut der Oper gut, die ohnehin weniger vom blühenden Melos lebt als viele Vorgänger.

Auch den Sängern stehen kaum ariose Kantilenen zur Verfügung, doch profilieren sie sich ausgezeichnet. Allen voran Elisabeth Hornung als Mrs. Quickly, heimliches Zentrum der Posse. Aber auch Tito You als stimmgewaltiger Mr. Ford, Susanne Serfling als jugendlich-frische Nannetta und natürlich Carlo Hartmann als Sir John Falstaff. Er gibt den König der Bäuche nicht nur als Slapstick, sondern auch mit Tiefe und einer Spur Traurigkeit. Und so konnte man immerhin hören, was doch jeder weiß: Dass die Komödie ihren Ursprung in der Tragödie hat.

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Dokument erstellt am 18.09.2005 um 17:12:25 Uhr
Erscheinungsdatum 19.09.2005

 

WIESBADENER KURIER
20.09.2005

Kette hübsch verpackter Bilder
Zur Eröffnung der Spielzeit bringt John Dew Verdis "Falstaff" auf die Darmstädter Bühne

Von Tim Gorbauch


Carlo Hartmann als wieder einmal gehörnter Falstaff.
Aumüller

DARMSTADT John Dew kennt vier Kategorien von Stücken: bombensichere, sichere, fragwürdige und flopverdächtige. Bombensicher, das ist zum Beispiel die "Traviata", der "Barbier von Sevilla", die "Gräfin Mariza" - alles Werke aus Dews erster Spielzeit als Intendant des Staatstheaters Darmstadt. Für die zweite, nun beginnende Spielzeit gerät er ein wenig ins Stocken: klar, die "Evita", die ist bombensicher. Bei Mozarts "Entführung" muss man schon hoffen. Und Verdis Falstaff? Nein, der nicht, sagt Dew. Der Falstaff sei eher fragwürdig. Beliebt bei den Kritikern und Opernfreaks, in der Praxis aber ein Kassenschoner. Und in der Tat, Falstaff, die letzte aller Verdi-Opern, entstanden aus dem brennenden Wunsch, noch einmal eine komische Oper zu riskieren, ist bei weitem nicht so leicht zugänglich wie das umfangreiche Früh- und Mittelwerk. Bei Dew, der ihn zur Spielzeiteröffnung selbst auf die Bühne bringt, ist er indes in sicheren, man könnte auch sagen: bombensicheren Händen. Denn die proklamierte neue Leichtigkeit, mit der Dew das Darmstädter Theater wieder im breiten Bewusstsein verankern möchte, findet hier eine dankbare Vorlage.

Und so ist dieser Abend vor allem eins: unterhaltsam. Schnell, aber nicht überdreht, bunt, aber nicht schrill, lustig, aber nie anarchisch. Dass man mehr aus dem Falstaff machen, man ihn tiefer anlegen könnte, melancholischer oder zumindest hintergründiger, das alles ist so klar wie nicht gewünscht: "Alles in der Welt ist Posse", heißt es zum Schluss der Oper. Auch das Theater also.

Pointensicher bringt Dew Verdis Falstaff auf die Bühne, als Kette hübsch verpackter Bilder, deren Ausgangspunkt stets eine leere, zu allen Seiten hin offene Bühne ist. Wenige Requisiten reichen zur Kennzeichnung von Welt und Charakter. Die lustigen Weiber von Windsor, die man heute wohl Desperate Housewives nennen würde, etwa brauchen bloß einen Einkaufswagen, Trockenhauben, Lockenwickler und kreischend bunte Kostüme (Mrs. Quickly: gelb, Mrs. Meg Page: rosa, Mrs. Alice Ford: grün - Kostüme José Manuel Vázquez) und schon ist klar, woran man ist. Erst zum großen Finale darf Heinz Balthes die Bühne üppig bestücken und nebulöse Wald- und Wiesenromantik zitieren. Dafür schwebt eine gewaltige Eiche vom Bühnenhimmel herunter und der Damenchor hüpft in weißem Tüll um den wieder einmal gehörnten Falstaff.

Musikalisch geht es forsch zu. Stefan Blunier setzt auf einen rauen, burlesken Verdi, dessen Kanten nicht übertrieben geglättet sind. Das tut der Oper gut, die ohnehin weniger von der großen, ariosen Melodie lebt als seine vielen Vorgänger. Die Sänger wissen sich dennoch ausgezeichnet zu profilieren. Allen voran Elisabeth Hornung als Mrs. Quickly, aber auch Tito You als stimmgewaltiger Mr. Ford, Susanne Serfling als jugendlich-frische Nannetta und natürlich Carlo Hartmann als Sir John Falstaff. Er gibt den König der Bäuche nicht nur als Slapstick, sondern auch mit Tiefe und einer Spur Traurigkeit. So konnte man immerhin hören, was doch eigentlich jeder weiß: dass jede Komödie ihren Ursprung in der Tragödie hat.

 

Frankfurter Neue Presse
20.09.2005

Weiberhelden schwören nicht
John Dews überzeugend zeitgenmäße Inszenierung von Verdis Oper "Falstaff" animiert das Staatstheater Darmstadt.

Von Andreas Bomba

"Ich glaube, das wird ziemlich modern", raunte ein Zuschauer schon vor Beginn der Vorstellung. Vermutlich hatte er im Programmheft das Bild von den vier schwatzenden, Einkaufswagen schiebenden Frauen gesehen und beim Eintritt ins Kleine Haus die leere Bühne. Die Befürchtungen aber verflogen so blitzartig, wie das Licht im Zuschauerraum aus und auf der Bühne anging und die Musik einsetzte: turbulent, temperamentvoll, scharf akzentuiert. John Dew hat in dieser Komödie, dem augenzwinkernden Satyrspiel Giuseppe Verdis, die Schauspieler in den Sängern animiert. Es sind ihre subtilen Gesten, ihre der Musik abgehörten Blicke und Bewegungen, das präzise Parlando und das hohe, perfekt funktionierende Spieltempo, die das zeitlose Stück um den alternden und geizigen Weiberhelden Falstaff beleben. Ohne dumme Blödeleien, ohne Firlefanz, durchaus so, wie das Leben noch heute spielt. Requisiten, soweit nötig, werden rein- und wieder rausgeschoben, diverse Sitzmöbel vor allem, der Wäschekorb, ein Paravent. Es geschieht das theatralisch Unglaubliche: Verschiedene Personen und Gruppen bewegen sich auf der leeren Bühne, und man glaubt ihnen, dass sie sich gegenseitig nicht bemerken. Genauso, wie es Verdis Musik vorgibt: Im zweiten Bild etwa die Männer am Tresen, die im Vierertakt singen, und die kaffeeklatschenden Frauen daneben im Dreiertakt. Auch Charakterwechsel im Stück gelingen eindrücklich: Fords (Tito You) ernsthaft wütende Betrachtungen über die Treue im zweiten Akt, oder die herrlich unbekümmerte Beziehung von Fenton (Andreas Wagner) und Nannetta (Susanne Serfling). Am Schluss, in der Waldszene, tanzen die Elfen im Schein der Taschenlampen um einen mächtigen Baum – die augenzwinkernde Rührseligkeit schafft ironische Distanz zum Treiben der Personen, die noch bei den finalen Verbeugungen ihre Geschichte weiterspielen.

Die Musik verbindet sich kongenial mit der Szene, Stefan Blunier und das blendend aufgelegte Staatsorchester zeigen das gesamte Potenzial der Partitur, die feine, bisweilen groteske Instrumentierung, die kammermusikalische Note, das bewegliche Spiel der Tempi, die kraftvollen (bisweilen etwas lauten) Tutti. Herausragend im bravourösen Ensemble: Elisabeth Hornungs dunkel-schrille Mrs. Quickly und, natürlich, Carlo Hartmanns feister und entschlossener, aber auch bemitleidenswerter Falstaff.

So hinreißend gut kann modernes Musiktheater sein!

 

Darmstädter Echo
18.9.2005

Wer zuletzt lacht, lacht am besten
Die Komik des Stoffes behutsam in die Gegenwart verlegt

Von Heinz Zietsch


WAS MACHT MAN mit einem Galan wie Falstaff (Carlo Hartmann), wenn sich der wahnsinnig eifersüchtige Hausherr ankündigt? Falstaff muss in den Wäschecontainer, in den allerdings der dicke Tunichtgut nur mühsam hineinkommt. Szene aus John Dews Inszenierung. (Foto: Barbara Aumüller)

DARMSTADT. Nur sein dicker Bauch habe ihm das Leben gerettet, erklärt Falstaff. Ohne dieses kostbarste Stück, das er liebevoll tätschelt, wäre er bestimmt ertrunken, meint er, der nun begossen wie ein Pudel dasitzt und seine nassen Socken auswringt.

Die Frauen haben ihn, um ihn vor dem eifersüchtigen Mister Ford zu verstecken, in einen Wäschecontainer gesteckt, der dann im Kanal entleert wird, dass das Wasser auf die Bühne des Kleinen Hauses des Staatstheaters Darmstadt spritzt.

Dieser Falstaff macht noch aus der für ihn schlechtesten Situation das Beste. Doch er hat den Kanal immer noch nicht voll und lässt sich von Alice Ford in den Wald locken, wo ihm von allerlei Geistern übel mitgespielt wird. Auch da weiß der selbstbewusste Dickwanst sich aus der Affäre zu ziehen. Schließlich habe nur sein Witz und Verstand die anderen beflügelt. Alles sei nur eine Narretei, alle seien Betrogene („tutti gabbati").

Nur wer zuletzt lache, lache am besten, behaupten alle in Giuseppe Verdis Oper „Falstaff". Und wer am besten lacht, das ist allemal das Publikum. Nach der Premiere am vergangenen Samstag applaudierte es am Ende der mit Pause knapp zweieinhalb Stunden dauernden Aufführung lange und begeistert.

Mit einer Opernkomödie hat der Regisseur John Dew seine zweite Spielzeit als Intendant des Staatstheaters Darmstadt eröffnet. Er setzt dabei ganz auf die Komik des Stoffes, den er behutsam in die Gegenwart verlegt hat.

Man braucht nicht immer die deutschen Übertitel der auf Italienisch gesungenen Oper für die komischen Situationen, die der Regisseur hier weidlich ausnutzt, weil er ganz auf das nicht nur äußerliche Gewicht der Titelfigur setzt, die der luxemburgische Bariton Carlo Hartmann verkörpert. Er spielt dabei fast alle an die Wand mit seiner Wucht in Körper und Stimme.

Herrlich, wie Falstaff ins Schwitzen gerät, als er drei köstliche Flaschen sieht, die ihm Mr. Ford als vermeintlicher Fontana mitbringt. Oder die Pralinen stibitzt, die er Mrs. Ford geschenkt hat. Diesem Falstaff kann nur Tito You als Mister Ford Paroli bieten, wenn er fast wahnsinnig vor Eifersucht am Boden liegt.

Alle Sänger waren ihrem Part wie ihrem Charakter gemäß bestens eingesetzt. Für Dew ist das Spielerische meist wichtiger als nur die Kunst, schön zu singen. Herausragend im Gesang wie in der Darstellung waren Susanne Serfling als Nannetta mit sicherem und quirligem Sopran und Elisabeth Hornung als Mrs. Quickly mit ihrer wohltönend tiefen, zum Alt tendierenden Mezzosopranstimme.

Sehr schön auch der feine Tenor von Andreas Wagner als Fenton, treffend in der Charakterisierung Anja Vincken als Mrs. Ford, Sven Ehrke als Cajus, Jeffrey Treganza als Bardolfo, Andreas Daum als Pistola und Inna Kalinina als Meg Page.

Dew lässt der Komödie viel Raum. Ein Bühnenbild, für das Heinz Balthes als Verantwortlicher genannt wird, gibt es eigentlich nicht. Bei offener Bühne greift der Regisseur auf Requisiten zurück. Wo sonst mit mächtigen Kulissen gerade zur Spielzeiteröffnung geklotzt wird, übt sich Dew mutig in Sparsamkeit.

Dafür darf José-Manuel Vázquez mit seinen bunten, farblich gut abgestimmten Kostümen glänzen. Nur in der letzten Szene füllt eine blätterreiche Eiche den Bühnenraum, der zum fantastischen Spätsommernachtstraum-Spuk mit Elfen, Feen und im venezianischen Stil maskierten Gestalten bevölkert ist.

Das ist im Stile Shakespeares, der mit seinen „Lustigen Weibern von Windsor" und „Heinrich IV." die Vorlagen zum „Falstaff" lieferte, die Arrigo Boito zu einem Libretto umformte. Die karge Ausstattung ist wohl auch im Verdischen Sinne, der sich eigentlich eine kleine, kammerspielartige Bühne wünschte und nicht die Mailänder Scala, wo das Werk 1893 uraufgeführt wurde.

In der Konzentration des Regisseurs auf die Figuren wird das Stück kammerspielartig. Generalmusikdirektor Stefan Blunier betont die kammermusikalischen Details mehr als den großen Bogen des Formablaufs. Alle Extreme der Dynamik fördert der Dirigent zu Tage. Wenn es manchmal recht laut hergeht, haben die meisten Darsteller Mühe, dagegen anzusingen.

Andererseits hört man Feinheiten in der Harmonik und Instrumentation (beispielsweise wunderschöne Klangmischungen und Soli auf dem Englisch Horn), die einem sonst kaum auffallen, wenn der späte Verdi mit parallelen Akkordführungen fast schon so etwas wie impressionistische Farbwirkungen erzeugt.

Blunier setzt auf ein recht hohes Tempo und auf die Quirligkeit der Musik. Nicht ganz nach Maß, mitsamt dem von André Weiss einstudierten Opernchor, gerät indes die Schlussfuge. Dennoch, die muntere Komödienmaschinerie hält selbst Auseinanderdriftendes zusammen.

Am Ende bleibt wohl kaum ein Auge trocken, auch wenn es einen Tag vor der Wahl in Verdis Oper heißt: Wir seien alle Betrogene. Ums Lachen jedenfalls kann man das Publikum nicht betrügen. Es bleibt der lachende Dritte und lacht zuletzt am besten.

 

egotrip.de
September 2005

Liebesleid eines liederlichen Lebemanns
Giuseppe Verdis Oper "Falstaff" im Staatstheater Darmstadt

Im Jahre 1893 erschien Giuseppe Verdis Oper "Falstaff" als sein letztes Werk dieser Gattung. Nach über fünfzig Jahren als Opernkomponist lieferte er mit "Falstaff" seinen Beitrag zum musikalischen "Fin de siècle" und zum Anbruch einer neuen Musikgattung, die von Wagner angestoßen und von Richard Strauss fortgeführt wurde.

Das besondere an dieser Oper ist nicht die Handlung; die lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: der alternde und stets klamme Lebemann Falstaff sucht bei den - verheirateten - Damen Alice und Meg eine lukrative Liaison. Da diese sich dummerweise gut kennen, zeigen sie sich gegenseitig Falstaffs "Rundbrief" und beschließen, ihm eine Lektion zu erteilen. Sie vereinbaren mit ihm zum Schein ein Rendezvous, bei dem sie den dreisten Tölpel hereinlegen wollen. Da leider Alices Ehemann nicht eingeweiht ist, eskaliert die Angelegenheit, da er Wind von einer angeblichen Liaison seiner Frau bekommt. Vor dem empört hereinstürzenden Ehemann können die Frauen den "Liebhaber in spe" gerade noch in eine Wäschetruhe verfrachten, die sie dann vom Personal in den Fluss kippen lassen. Dem überlebenden Falstaff lassen sie noch eine zweite Rendezvous-Einladung mit Meg Page zukommen, die er in seiner Selbstüberschätzung ernst und annimmt. Nachts an dem einsamen Treffpunkt beider Eiche verwirren sie ihn erst mit einem improvisierten Elfenreigen, um ihn dann mit Hilfe ihres gesamten Gefolges ein wenig zu verprügeln. Falstaff muss am Schluss einsehen, dass seine erotische Attraktivität wohl doch begrenzter ist als - von ihm - gedacht, nimmt das Schicksal als Prügelknabe jedoch mit einem gewissen Galgenhumor auf sich.

Carlo Hartmann als Falstaff

Die deftig-komödiantische Handlung ermöglicht natürlich vielerlei szenische Möglichkeiten für effektvolle Auftritte. Vor allem die Rolle des Falstaff bietet einem Sänger und Schauspieler eine ideale Gelegenheit, alle Register zu ziehen. Saufen, großspurige Reden, Anbandelungsversuche und kräftige Abreibungen haben schon immer das Publikum begeistert, und nicht nur die typischen Zuschauer der "opera buffa". Hier gilt es also aus dem Vollen zu schöpfen und die pralle Lebenslust und auch den plumpen Überschwang mit Tempo und Witz zu inszenieren. Dabei heißt es jedoch aufzupassen, nicht in Plattheit zu versinken und sich nicht auf die gängigen Klischees zu beschränken. In Darmstadt hat Intendant John Dew persönlich die Inszenierung übernommen und auch gleich beim Bühnenbild einen Akzent gesetzt.

Dieses besteht im Grunde genommen darin, dass es keins gibt. Auf der nackten Bühne, vor einer ebenso schwarzen und leeren Rückwand und bei offen gelegter Technik der Seitenwände spielt sich das Geschehen mit nur wenigen Requisiten ab. Das Ensemble karrt die Möbel und Requisiten für die jeweiligen Szenen spielerisch selbst heran, und fast möchte man diese Art der Bühnenausstattung als Seitenhieb auf die Sparappelle der Politik auffassen. Angesichts seiner britischen Herkunft wäre John Dews diese Art trockenen Humors durchaus zuzutrauen. Doch der Verzicht auf bühnenbildnerisches Zeitkolorit schadet der Inszenierung durchaus nicht. Tempo und Witz der Aufführung lassen den Mangel an Augenschmaus durchaus vergessen. Dabei verlegt Dew die Handlung durch wenige Handgriffe in die Gegenwart. Der Ehemann von Falstaffs vermeintlicher Geliebten erscheint bei seinem ersten Auftritt als Golfspieler mitsamt Schläger, und die Frauen tauschen die Inhalte der Falstaffschen Liebesbriefe beim Einkauf im Supermarkt aus. Die gefüllten Einkaufswagen erlauben dem einschlägigen Experten sogar gewisse Rückschlüsse auf den Discounter. Dass die drei Damen - Alice Ford, Meg Page und Mrs. Quickley - mit ihrer Kleidung die rot-grün-gelbe Ampelkoalition widerspiegeln, lässt sich als verstecktes Apercu auf die politische Gegenwart deuten (falls da nicht der nackte Zufall wirkt), bilden die drei doch tatsächlich eine ungewöhnliche Koalition, um dem dickfelligen, wohllebigen und uneinsichtigen Patron (das Wahlvolk?) den Marsch zu blasen. Wie dem auch sei, politisch wird dieser Koalition wohl keine Zukunft beschieden sein, dafür siegen die drei Damen auf ganzer Linie, und Alice Ford kann ihrer Tochter Nanetta mit einigen Tricks auch noch den von Vater Ford unerwünschten Fenton als Ehemann zuschanzen.

Dagegen führt die nächtliche Szene zurück in eine tiefe deutsche Romantik. Eine riesige Eiche fügt sich aus dem Boden und aus dem Bühnenhimmel majestätisch zusammen, und davor posiert der dickleibige Falstaff (Carlo Hartmann) mit einem gehörnten Helm. Der Berg von Bayreuth lässt unübersehbar grüßen! Der nächtliche Reigen des Chors ergänzt dieses Zitat der Romantik um das damals so beliebte Elfen- und Satyrspiel und gibt obendrein den Damen des Chors die Gelegenheit, sich auch einmal als Tänzerinnen zu beweisen.

Das "Damenquartett": v. l. Susanne Serfling (Nannetta), Anja Vincken (Mrs. Alice Ford), Elisabeth Hornung (Mrs. Quickly) und Yannchen Hoffmann (Mrs. Meg Page)

Der Musik Verdis gebührt besondere Beachtung. Von ihm sind wir einprägsame Arien und weit gezogene Melodiebögen gewohnt. Musik von Verdi pfiff zu bestimmten Zeiten jeder Gassenjunge, und noch heute liegen uns viele Motive in den Ohren. Das Orchester nimmt oft viel Raum ein und tritt neben dem Bühnengeschehen gerne als eigenständige Kraft auf, die den Emotionen auf der Bühne eine zweite Darstellungsebene eröffnet. Nicht so in "Falstaff". Hier dämmert bereits das 20. Jahrhundert mit Richard Strauss herauf. Von Wagner hat Verdi im "Falstaff" die Technik des durchgehenden Gesangs übernommen. Die Musik ist vollständig in die Szenerie integriert und umgekehrt. Das Rezitativ hat sich zu Gunsten eines gestalteten Gesangs verabschiedet, und reine Sprechpartien, früher wichtig für das Verständnis der Handlung, sind völlig verschwunden. Alle Handlungsabläufe und Emotionen werden durch musikalische Mittel interpretiert, wobei im Zweifelsfall das Verständnis nicht aus dem Text sondern aus dem emotionellen Ausdruck der Musik kommt. Das ist bei einer eher burlesken Handlung einerseits einfacher, andererseits schwieriger. In Ermangelung existenzieller Konflikte kann die Musik das einzelne Handlungselement nur unzureichend erklären, auf der anderen Seite sprechen natürlich Saufgelage und erotische Annäherungsversuche auch ohne musikalische Interpretation ihre eigene Sprache. In dieser Hinsicht erscheint auch die Übersetzung des italienischen Textes auf der elektronischen Anzeige zwiespältig. Bei grober Kenntnis der Handlung - Programmheft vorher lesen - erübrigt sich das Verständnis der einzelnen Bemerkungen, zum Beispiel zwischen Falstaff und seinen mitsaufenden Dienern, sind sie doch von mäßigem Informationsgehalt und enthalten die üblichen Beschimpfungen und Schlüpfrigkeiten. Das fast nicht zu vermeidende Mitlesen der Übersetzungen lenkt dabei nur vom aktuellen Geschehen auf der Bühne ab, und am Ende hat man zwar brav den Text gelesen, aber die Hälfte der Bühnenkomik verpasst. Doch dieses Dilemma ließe sich wohl nur mit einer deutschen Fassung des Librettos lösen, die wiederum auf Kosten der Authentizität gehen würde....

Falstaff im nächtlichen Reigen unter der Eiche

Zurück zur Musik, die sich beinahe nach impressionistischer Manier in viele kurze und fein durchgearbeitete Figuren zerlegt. Nicht mehr die große Geste steht im Vordergrund, sondern die musikalische Kommentierung und Ergänzung jeder einzelnen Geste und nahezu jeden Wortes. So folgt die Musik nicht großen Linien sondern schreitet von Augenblick zu Augenblick fort, immer die jeweilige Befindlichkeit der handelnden Personen widerspiegelnd und die Situation markierend. Wie bereits ausgeführt, verweist diese Struktur bereits auf die Musik von Richard Strauss, so z.B. auf den Rosenkavalier. Es versteht sich von selbst, dass diese Art von Musik wesentlich höhere Anforderungen an das Zusammenspiel von Bühnenpersonal und Orchester stellt als die "klassische" Oper, gilt es hier doch, auf den Moment genau zu reagieren. Das Orchester unter der Leitung von Timor Oliver Chadik löste diese Aufgabe mit Bravour und zeigte damit wieder einmal den Reifegrad, den es im Laufe der Jahre unter Marc Albrecht und Stefan Blunier erreicht hat.

Dem entsprechen die Leistungen des singenden Personals. Allen voran ist natürlich Carlo Hartmann als Falstaff zu nennen, der mit dieser Figur seine Traumrolle gefunden hat und restlos in ihr aufgeht. Laut seinen eigenen Aussagen muss man schon einmal über 100 Kilo auf die Waage gebracht haben, um Falstaff spielen zu können, und obwohl sein Kostüm offensichtlich ausgestopft ist, ist ihm durchaus zuzutrauen, dass er es schon einmal auf dieses Gewicht gebracht hat. Seine Stimme und sein Leib dominieren die gesamte Bühne, und die ganze Konstellation dieses Librettos macht es anderen schwer, neben ihm zu bestehen. Das schafft jedoch Werner Volker Meyer, der Ford, dem Ehemann von Alice, stimmlich wie darstellerisch ein ausgeprägtes Profil verleiht, das dem Zuschauer im Gedächtnis verbleibt. Diese Leistung ist umso mehr zu würdigen, als Ford eigentlich von der Handlung her keine tragende Figur darstellt und mehr oder minder als "Brandbeschleuniger" für Falstaffs Entsorgung via Wäschetruhe dient. Andreas Wagner spielt und singt den verliebten Verehrer Nanettas im Rahmen, den diese Rolle erlaubt, mit Souveränität, die anderen Nebenrollen - Saufkumpane und der biedere Ehekandidat für Nanetta - sind ebenfalls gut besetzt.

Bei den weiblichen Rollen überzeugt vor allem Elisabeth Hornung mit ihrem tiefen Alt und ihrem schauspielerischen Witz. Herrlich ihr "Reverenza" bei den verschiedenen Treffen mit Falstaff. Anja Vincken als quirlige und fintenreiche Alice steht ihr in nichts nach. Susanne Serfling gibt eine frische Nanetta im Pettycoat der fünfziger Jahre, und Yannchen Hoffmann rundet das Gruppenbild der Damen gekonnt mit der Rolle der Meg Page ab.

John Dew ist mit "Falstaff" ein temporeicher und witziger Saisonstart gelungen, und seine Einladung an Carlo Hartmann, die Hauptrolle zu übernehmen, hat sich als goldrichtig erwiesen.

Frank Raudszus