MANNHEIMER MORGEN
Sonntag Aktuell
16. April 2006

Besonderer Zauber des Grals
Stets eine besondere Aufführung: "Parsifal" an Karfreitag mit vielen Rollendebüts

Mannheim. Sie wird geschätzt und bewahrt, ja verehrt wie der Gral selbst: die 49 Jahre alte Inszenierung des "Parsifal" erlebte am Karfreitag im Nationaltheater wieder eine mit langem, kräftigem Applaus und lautstarken "Bravo"-Rufen gefeierte Wiederaufnahme mit zahlreichen Rollendebüts.

Erstmals eine Rolle zu singen, das ist für die Solisten immer ein besonderer Nervenkitzel. Und dann auch noch im "Parsifal", am "heiligen Karfreitag", wie es in Richard Wagners Libretto heißt! "Ich bin wahnsinnig aufgeregt, so aufgeregt wie schon lange nicht mehr", bekennt daher Susan Maclean, die im Bühnenweihfestspiel an diesem Abend erstmals die Kundry gibt, vorab, und auch Frank van Houve, der Gurnemanz, spürt "die enorme Herausforderung".

Es ist die 111. Vorstellung seit der Premiere 1957, als der damalige Nationaltheater-intendant Hans Schüler im weitgehend aus Projektionen bestehenden Bühnenbild von Paul Walter und mit Kostümen von Gerda Schulte die Geschichte von der unheilbaren Wunde des Gralskönigs Amfortas und dem "reinen Toren" Parsifal, der sie erst nach langer Irrfahrt mit dem heiligen Speer wieder zu schließen vermag, so in Szene gesetzt hat, dass sie nun seit Jahrzehnten das Publikum stets erneut in ihren Bann zieht.

"Es ist einfach ein Stück Geschichte, wenn man auf die Bühne geht", empfindet Susan Maclean geradezu Respekt vor der Inszenierung. Erst vor etwa zehn Jahren ist sie ins hochdramatische Fach gewechselt, "ich habe mich langsam 'rangearbeitet", sagt sie. Die Kundry, das war die letzte Wagner-Rolle, die ihr bisher fehlte, so die seit rund drei Jahren in Mannheim tätige Sängerin. "Nun freue ich mich riesig, sie ausgerechnet in dieser sehr stimmigen Inszenierung das erste Mal singen zu dürfen", jubelt sie und betont: "Sie ist nicht alt, sie ist nicht jung, sondern einfach hochintelligent."

Gleichfalls stolz empfindet Frank van Houve, der zwar einerseits von einer "betagten Aufführung" spricht, dann aber wieder hervorhebt: "Sie erzählt die Geschichte einfach so, wie sie einem aus den Noten entgegentritt, Wagner pur, als hätte man sie damals mit der Partitur in der Hand den Noten abgelauscht", lobt er. Da sei es schon eine besondere Ehre, eine Rolle übernehmen zu dürfen, die so viele berühmte Kollegen vor ihm gesungen haben: "Das spürt man in solchen Augenblicken." Sicher, es sei schon technisch anspruchsvoll, koste enorme Kraft, bestreitet Gurnemanz doch weite Teile des ersten und des dritten Aktes - aber das unglaublich dankbare Mannheimer Publikum trage einen ja mit. "Wir freuen uns alle auf diese Aufführung, weil da ja auch immer eine besondere Stimmung im Publikum ist, ein richtiges Event", ergänzt Susan Maclean.

Und tatsächlich - Wagners Werk heißt nicht nur "Bühnenweihfestspiel", man glaubt wirklich, im schon seit Monaten ausverkauften Opernhaus eine so würdevolle Stimmung wie sonst nie zu spüren - und das nicht allein, weil nach der feierlichen Abendmahlsszene der Gralsritter am Ende des ersten Akts traditionell nicht geklatscht wird. Der "Karfreitagszauber" erfasst Ensemble wie Gäste, das Publikum ist oft noch eleganter als beim Festlichen Opernabend, und aus dem Stimmengewirr im Foyer hört man so viele Dialekte wie sonst nie. Aus Braunschweig, Stuttgart, Wuppertal, Freiburg, Bochum und Überlingen hatte Irene Kaumeyr, die Kassenchefin des Nationaltheaters, in diesem Jahr Bestellungen. "Seit Schlingensief in Bayreuth inszeniert hat, ist die Nachfrage noch größer geworden, scheint mir", beobachtet sie.

Besonders groß ist stets eine Gruppe aus der Schweiz mit 96 Wagner-Freunden, die am frühen Morgen des Karfreitag in Basel losfährt - so rechtzeitig, dass selbst ein möglicher Stau sie nicht vom Mannheimer "Parsifal" abhalten würde. Manche bringen Irene Kaumeyr sogar immer "Rübli-Torte" mit - als Dankeschön.

Und für 2007, wenn die Inszenierung 50 Jahre alt wird, gibt es auch schon die ersten Vorbestellungen. Da gilt wieder, was der soeben seine heilige Mission erkennende Titelheld zu Kundry am Ende des zweiten Akts sagt - "Du weißt, wo Du mich finden kannst", im "Parsifal" eben. Denn auch wenn weder Kundry noch eines der vielen hübschen Blumenmädchen den künftigen Gralsritter zu betören vermag - Wagners aufwühlende, hochdramatische Musik, die mystisch-sakrale, sparsame und doch beeindruckende Inszenierung des heiligen Walds, von Klingsohrs bösem Reich oder der Gralsburg entfalten eben immer wieder ihren besonderen Zauber.

Peter W. Ragge