Am Ende spielt das Glück mit falschen Karten Von Rudolf Jöckle Wie bei seiner frühen Oper "Eugen Onegin" hat Tschaikowsky die literarische Vorlage bei Puschkin gefunden. Dessen knapp formulierte Erzählung hat Tschaikowsky-Bruder Modest zum Libretto umgestaltet. Eine russische "Carmen" sollte es werden, so, wie es sich der Petersburger Intendant Jesowosschki gewünscht hatte. In der Tat gibt es eine essenzielle Gemeinsamkeit beider Opern: Die Spielkarten werden für die Protagonisten Boten des Unheils. Modest Tschaikowsky änderte allerdings die Geschichte entschieden, Hermann, die zentrale Person, ist nicht der ausschließlich geldgieriger Spieler, sondern er liebt jetzt Lisa, ein Mädchen aus vornehmer Familie. Der Reichtum, den er sich aus dem Kartenspiel erhofft, soll seinem sozialen Aufstieg dienen. Er erfährt, dass Lisas Großmutter, einst als "Moskowiter Venus (so das Libretto) in Paris für Liebesgunst das Geheimnis der drei Glückskarten erkauft habe. Hermann gewinnt in der Tat Lisas Liebe – eigentlich ist sie mit dem Fürsten Jeletzky verlobt– und kommt dadurch ins Zimmer der alten Gräfin. Er will das Kartengeheimnis, doch die Alte erschrickt so sehr, dass sie der Schlag triff. Lisa aber sieht nun in ihm einen Mörder. Hermann sieht jedoch halluzinatorisch die drei Karten, er stößt die versöhnliche Lisa zurück, die sich in den Fluss stürzt. Im Spielhaus gewinnt Hermann zwei Mal, die letzte Karte – Fürst Jeletzky hält als einziger dagegen – ist die falsche: Pique Dame. Hermann ersticht sich. Das Motiv der drei Karten geht wie eine "idée fixe" durch die Oper. Das düstere Geschehen wird jedoch immer wieder aufgelockert durch die eindringliche Zeichnung eines spezifisch russischen Milieus, auch und gerade in der Partitur. Tschaikowsky zeigt sich dabei sensibel gegenüber den Zuständen seiner Akteure. Insgesamt ist das Werk höchst dramatisch, wirksamer jedenfalls als die andere Erfolgsoper, der "Eugen Onegin". Sebastian Weigle, nach seiner fulminanten "Frau ohne Schatten" nun Gastdirigent der "Pique Dame", spricht ausgezeichnet russisch und ist ein ausgewiesener Freund der slawischen Oper. Für ihn zeigt sich Tschaikowsky hier von seiner stärksten, seiner besten Seite, detailfreudig, mit großen, dichten Stimmungsbildern. Weigel ist jedenfalls beeindruckt, wie Tschaikowsky immer den rechten Ton findet, ob im Volksliedhaften oder in den Augenblicken der Düsternis (man spüre direkt den Nebel von Petersburg, meint er) bis hin zum "Mozartischen" des Ballfestes. Für das Orchester freilich, so Weigle, der jüngst als Nachfolger des Frankfurter Generalmusikdirektors Carignanis vermutet wurde, was er entsprechend klar dementierte, ist das alles ziemlich schwer, das "unheimlich Differenzierte" fordere höchste Konzentration. Umso mehr preist der Dirigent auch in diesem Zusammenhang das "Ehrliche", den "familären Zusammenhalt", den Willen zu Spitzenleistungen, die das Frankfurter Opernorchester auszeichneten. Gewiss ein Punkt, der ihn immer wieder nach Frankfurt lockt – die "Salome" war vor vier Jahren der Anfang, und Weigle wird sicherlich auch nach der "Pique Dame" wieder nach Frankfurt kommen. Diese "Pique Dame" begleitet im übrigen eine seltsame Pointe durch die Musikgeschichte. Schon sehr früh hat man in der alten Gräfin Tschaikowsky Gönnerin, die Frau von Meck, gesehen. Damals hatte diese Beziehung schon kräftige Risse bekommen. Als Frau von Meck die Oper studiert hatte, sagte sie sich tatsächlich vom Komponisten los und strich denn auch ihre Zuschüsse. René Leibowitz schrieb dazu: "Das wird, das weiß sie genau, seine Kreativität austrocknen. So wird sie ihn genau so sicher töten, wie der Dolch Hermann." Die Uraufführung war 1890, drei Jahre später, kurz vor Tschaikowskys Tod, folgte die "Pathétique". Nadeshda von Meck starb wenige Monate später. Mit der "Pique Dame" inszeniert Christian Pade nach seiner großartigen "Chowanschtschina" für Frankfurt seine zweite russische Oper. In den zentralen Partien singen Danielle Halbwachs (Lisa), Mikhail Davidoff (Hermann), Rodion Pogossov (Jeletzky) und Elzbieta Ardam (Gräfin). | |
"Ich mag es lieber schwer" | |
Frankfurter Rundschau: Herr Pade, Sie haben gerade in Hamburg Hindemiths "Mathis der Maler" inszeniert, in der letzten Spielzeit hier in Frankfurt Mussorgskis "Chowanschtschina" und nun Tschaikowskys "Pique Dame". Sind Sie ein Mann für schwerblütige Stoffe?Christian Pade: Doch, das bin ich wohl. Oder ich werde so eingesetzt, weil ich keine Angst vor schweren Stoffen habe. Alle drei Stücke, Mathis, Chowanschtschina und auch Pique Dame, so verschieden sie auch sind, eint, dass sie mit der Psyche nicht leichtfertig spielen, und das schätze ich sehr. Es geht da nicht um die kleinen Wirrungen der Liebe, sondern um schwere Verletzungen, um Pathologisches und auch um grundlegend Gesellschaftliches - bei Mathis heißt es: "Ist das denn genug, was du bildest und schaffst?" Und bei der Chowanschtschina: "Wie stehe ich als Einzelner im Räderwerk der Politik?" Und das ist das, was mich an Stoffen interessiert - der Einzelne im Verhältnis zur Gesellschaft, die ihn in Spannung setzt. Nur die Frage, wer denn wann wo mit wem, wäre mir zu wenig. Der Einzelne im Verhältnis zur Gesellschaft, was heißt das für die "Pique Dame" konkret? Auch hier geht es um einen Einzelnen, Hermann, der seine eigenen, oft überspannten, oft geradezu krankhaften Sehnsüchte mit einer nicht weniger krankhaften Gesellschaft abstimmen muss. Aber es fällt ihm immens schwer, eine Verbindung zur Gesellschaft herzustellen. Die Gesellschaft wiederum könnte ihn, würde sie funktionieren, vor dem Wahnsinn retten. Aber sie funktioniert nicht. Sie befördert ihn in den Wahnsinn. Und noch mehr: sie gebraucht seine Krankhaftigkeit, sie lebt von ihr in einem geradezu vampiristischen Sinn. Ist das auch eine Gegenwartsanalyse? Natürlich. Die Pique Dame muss jetzt stattfinden und nicht gestern, so wie sie auch für Tschaikowsky jetzt stattfand. Das heißt nicht, dass ich einen platten Anschluss an die Gegenwart suche und etwa Menschen auf die Bühne stelle, die aussehen wie Sigmar Gabriel. Aber es geht mir ums Heute. Das Schwerblütige der Stoffe hat oft ja auch eine Korrespondenz in der Musik, die, sagen wir mal: schwer an der Welt trägt. Haben Sie da manchmal als Regisseur das Gefühl, auch gegen die Musik arbeiten zu müssen? Nein. Ich gehe gerne mit ihr. Ich muss mich gegen sie nicht wehren. Ich denke, wenn man die Musik, gerade die Tschaikowskys, nicht sentimental, sondern sehr genau und konkret beobachtet, reicht das schon, um ihr nicht auf den Leim zu gehen. Es hilft sicher, wenn das Herz bei der Beobachtung auch mal kalt ist. Aber ich halte nichts davon, Schweres mit Leichtem zu konterkarieren. Ironie ist für mich kein inszenatorisches Mittel. Gibt es bei "Chowanschtschina" und "Pique Dame" etwas gemeinsam Russisches? Die Chöre. Sie fassen eine andere Dimension an als Chöre in anderen Opern. Und es gibt diesen grundsätzlichen Umgang mit Trauer, der wesentlich ist für russische Musik. Trauer, auch Schwermut gehören zu ihrem Charakter - auch dann, wenn die Musik gar nicht vordergründig traurig oder schwermütig ist. Es ist ein bisschen wie die portugiesische Saudade, von der jeder weiß, wie sie klingt und die man doch konkret kaum benennen kann. Ich mag diesen Ton. Ihre Inszenierungen sowohl von "Chowanschtschina" als auch von Brittens "Turn of the Screw" schienen mir auf das Wesentliche reduziert und doch keineswegs karg. Ist das ein Spannungsfeld, das Sie interessiert? Reduktion auf das Wesentliche ist für mich immens wichtig, weil sonst droht, dass die Bühne in einem inflationären Zeichenwald untergeht und das Wesen verschwindet. Aber es darf nicht dürr, nicht trocken, nicht zu spröde werden, sondern es soll reich sein, atmen. Ja, das ist ein Spannungsfeld, das mich interessiert. Tschaikowsky griff in Puschkins Vorlage ein und lässt sowohl Lisa als auch Hermann sterben. Bei Puschkin endet er im Irrenhaus. Ist das eigentlich von Belang? Oja. Als ein vom Schauspiel kommender Regisseur interessieren mich natürlich das Original und die Abweichungen von ihm. Dass er bei Puschkin im Irrenhaus landet, das werde ich zumindest stark beachten. Ist das eigentlich der Unterschied zwischen Schauspiel und Oper - bei Puschkin das Irrenhaus, bei Tschaikowsky der Tod? Das kann gut sein. Beim Sterben singt es sich einfach schöner. Und im Irrenhaus spricht es sich wohl besser. Sie haben es gerade selbst angesprochen: Sie kommen ursprünglich vom Schauspiel. Was haben Sie vom Schauspiel für die Oper gelernt? Ich habe gelernt, eine Grundsituation zu klären. Und selten erschöpft sie sich darin, dass Mann Frau liebt. Sondern meistens steht noch etwas dagegen. Ich habe gelernt, das sichtbar zu machen, was dagegen steht, auch wenn es nicht ausdrücklich im Text steht. Im Schauspiel muss das sofort virulent gemacht werden, in der Oper wird danach der Musik wegen manchmal gar nicht gefragt. Sie haben in den letzten Jahren mehr Oper gemacht als Schauspiel. Wie kam es dazu? Im Schauspiel stand ich vor der Entscheidung, ob ich nun endlich auch Klassiker inszeniere oder ob ich bei dem bleiben soll, was ich bis dahin hauptsächlich gemacht habe: also ein sehr spezielles, oft Literatur dramatisierendes, oft auch dokumentarisches Theater. Da drohte mir, dass ich für immer in eine Nische gesteckt werde. Ich wollte aber auch nicht das Repertoire runterbeten und Shakespeare, Goethe, Schiller inszenieren, sondern weiter nach Stoffen suchen. Und da kam mir die Oper als Ausweg aus der Zwickmühle gerade recht. Nun dachte ich immer, der Opernspielplan ist noch schmaler als der des Schauspiels. Aber sie bot mir ein komplett neues Feld. Und schön ist, dass mir auch hier nicht gleich die Aida angeboten wurde, sondern eher Randständiges: Britten, Mussorgski, Hindemith. Die Oper hat da doch einiges zu bieten. Das heißt aber, Sie stehen bald auch in der Oper vor der gleichen Zwickmühle. Ja, aber immerhin ein paar Jahre später. Und wenn mir ein Intendant Verdi anbieten würde und mir plausibel machen könnte, wieso er die Oper gerade von mir sehen möchte, wäre ich auch nicht abgeneigt. Aber nur so, weil ich gerade frei bin oder ein anderer abgesagt hat, das interessiert mich einfach nicht. Wieso bloß? Ich muss da ganz ehrlich sein: wenn mir die Musik nicht gefällt, schließlich höre ich sie dann acht Wochen in den Proben, geht es nicht. Und dann kommt das Libretto, der Stoff. Es ist nicht so, dass ich leicht daherkommende Stoffe nicht mag, aber ich mag sie von mir nicht. Ich freue mich sehr, wenn ich Christof Loys Entführung sehe, aber für mich ist das nichts. Sie mögen es lieber schwer? Ja, ich mag es lieber schwer. Interview: Tim Gorbauch [ document info ] |
Christian Pade , als Kind Solist des Tölzer Knabenchors, absolvierte in seiner Heimatstadt München ein Regie- und Schauspielstudium an der Otto-Falckenberg-Schule und wurde noch vor seinem Abschluss Assistent von Dieter Dorn.Zur Oper kam Christian Pade erst, als er sich als Schauspielregisseur bereits einen Namen gemacht hatte. Gerade inszenierte er zur Eröffnung der neuen Saison an der Hamburger Staatsoper Paul Hindemiths "Mathis der Maler". In Frankfurt erarbeitete Pade Benjamin Brittens "The Turn of the Screw" und Modest Mussorgskis "Chowanschtschina". Am 6. November, 18 Uhr, hat nun seine Sicht auf Peter Tschaikowskys "Pique Dame" Premiere (weitere Termine: 10., 13., 19., 24., 27. Nov., 2. und 10. Dez.). gor |
PREMIERE: PIQUE DAME von STEFAN SCHICKHAUS 15 Jahre lang habe er unbezahlten Dirigierunterricht genossen, hatte Sebastian Weigle einmal gesagt. Denn so lange sei er Hornist gewesen in der Berliner Staatskapelle und habe von Daniel Barenboim dort eine Menge lernen können. "Ich hatte den Kopf frei zu beobachten, wie so ein Orchester-Apparat funktioniert." 1996 wurde aus dem Hornisten dann endgültig ein Dirigent: Er übernahm den Taktstock, weil der geplante Orchesterleiter die Grippe bekam. Dirigent im zweiten Bildungsweg: Sebastian Weigle zeigt, wie weit man damit kommen kann. Mittlerweile ist der 45-Jährige Generalmusikdirektor in Barcelona, und an der Oper Frankfurt begrüßt man ihn als Gast stets mit Kusshand, nicht nur weil er für seine Strauss-Opern hier zum "Dirigenten des Jahres" gekürt worden war. Gerade das Frankfurter Orchester schätzt den Mann aus Berlin, der einfach weiß, was gute Orchesterarbeit bedeutet. Und vielleicht kommt Weigle ja auch in Frage, wenn es darum geht, den GMD-Posten nach Paolo Carignani neu zu besetzen. Doch zunächst sortiert Weigle seine Trümpfe: "Pique Dame" heißt die Oper von Peter Tschaikowsky, die er in Frankfurt neu einstudiert hat. Es geht darin um einen Offizier, der auf der Suche nach den drei magischen Spielkarten ist, mit denen man nie verliert. Der russische Tenor Mikhail Davidoff singt diese Partie, als seine Braut Lisa gibt die Sopranistin Danielle Halbwachs von der Hamburgischen Staatsoper ihr Frankfurt-Debüt. [ document info ] Dokument erstellt am 02.11.2005 um 12:32:10 Uhr Erscheinungsdatum 03.11.2005 | |