Locken mit falschen Engelszungen Von Markus Häfner MAINZ Der Raub der Proserpina vollzieht sich nicht etwa mit einem Paukenschlag, sondern als fein ausgetüftelte musikalische Verführung. Mit großem dramatischem Gespür präsentiert der Komponist Joseph Martin Kraus die Titelfigur seiner Oper "Proserpina" zunächst in einem melodisch verspielten Dialog von Sopranstimme und Streichorchester (Alexandra Coku singt diese Arie mit viel vokaler Wärme, Bestimmtheit und Eleganz in den Koloraturen), dessen wichtigste Motive gelegentlich in zarten Oboensoli und Hornrufen widerhallen. Als dann plötzlich der Höllengott Pluto (Nikolay Borchev) erscheint, nimmt die keusche Stimmung den Charakter einer ganz ähnlich klingenden, schmeichelnden Verlockung an: Borchev übernimmt den samtenen Vokalausdruck von Coku, auch der "Chor der Götter der Tiefe" lockt Proserpina mit falschen Engelszungen. Als dann endlich immer hitzigere Läufe im Orchester die Szene erobern, Proserpinas Hilferufe umlodern und erdrücken, ist es zu spät, sie muss ihrem Räuber in die Unterwelt folgen. Was die Hörer der Uraufführung am schwedischen Königshof 1781 in Bann gezogen haben muss, wirkt auch auf heutige Ohren noch spannend - vorausgesetzt es wird so detailfreudig musiziert wie vom Chor des Staatstheaters Mainz und vom Philharmonischen Staatsorchester Mainz mit Michael Millard am Pult. Kraus´ "Proserpina", ein musikalisch reizvolles, aber handlungsarmes Symboldrama über den antiken Mythos der Entstehung der Jahreszeiten (Proserpina wird fortan die Hälfte des Jahres bei Pluto verbringen und im Frühling zu ihrer Mutter, der Fruchtbarkeitsgöttin Ceres zurückkehren), wurde bereits vor drei Wochen bei den Schwetzinger Festspielen aus langem Dornröschenschlaf erweckt. Nun kam dieses Werk des 1756 (im gleichen Jahr wie Mozart) geborenen, in der Tonsprache aber Gluck näher stehenden Odenwälders Joseph Martin Kraus von dort als letzte Musiktheaterpremiere dieser Spielzeit nach Mainz. Leider gelingt nicht jede Szene so überzeugend wie die Verführung der Proserpina, denn das Sängerensemble agiert nicht durchweg auf höchstem Niveau. Silvia Weiss´ Cyane hat im Vergleich zur Schwetzinger Premiere an Ausdruck und Intensität hinzugewonnen, gleiches gilt für Nikolay Borchevs Pluto. Johanna Stojkovic gibt eine gute, aber bisweilen sehr hart forcierende Ceres; zusammen mit dem ebenfalls phasenweise sehr angestrengt wirkenden Johannes Chum als Atis gelingt deshalb etwa im Terzett im zweiten Teil keine homogene Verbindung ihrer Stimmen. Georges Delnons Inszenierung kommt reichlich kühl daher. Sie beißt sich fest im endlosen Durchexerzieren des Wechselspiels von Schwarz und Weiß in Bühnenbild und Kostümen, zeigt Hell und Dunkel, Licht und Schatten, immer wieder, mal oben mal unten, in ermüdender Intensität - derweil die Darsteller in überwiegend hölzernen Stehposen zu wenig Emotionalität zeigen dürfen. Orchester und Chor entdecken da deutlich mehr Abstufungen und Zwischentöne in Kraus´ zu Unrecht so lange vergessener Partitur. |
OPER Von Gerhard Schroth Immer wieder kommt es vor, daß nahezu vergessene Komponisten ins Rampenlicht des Interesses rücken, freilich nicht immer dauerhaft. Derzeit ist Joseph Martin Kraus an der Reihe. So erregten seine Instrumentalwerke, zumal seine elf Symphonien, unvermutet Aufmerksamkeit; für Juli hat die Stuttgarter Oper sogar die Aufführung seiner Oper „Aeneas in Karthago" angekündigt. Vor wenigen Wochen konnte man bei den Schwetzinger Festspielen Kraus' Bühnenerstling „Proserpina" erleben, die Oper, mit der dem Komponisten nach schweren Jahren der Durchbruch am Stockholmer Königshof gelang: König Gustav III. von Schweden, der wenig später einem Attentat erlag (Verdi hat daraus eine Oper gemacht), hatte selbst zu diesem Sujet den Entwurf geliefert. Jupiter spricht ein Machtwort Georges Delnon, designierter Leiter der Schwetzinger Festspiele, hat seine Inszenierung des Werks nun an seinen derzeitigen Wirkungsort, das Mainzer Staatstheater, übertragen. Auch die Protagonisten sind gleichgeblieben: Proserpina (mit klangvollem Sopran Alexandra Coku) wird von Pluto (mächtig auftrumpfend Nikolay Borchev) in die Unterwelt entführt, und erst auf energischen Einspruch ihrer Mutter Ceres (mit beweglicher Strahlkraft, aber scharfer Höhe Johanna Stojkovic) spricht Jupiter (fast ironisch-lässig: Thomas Laske) ein Machtwort; ein halbjährlicher Wechsel befriedigt beide Seiten. Traurig hingegen endet als Seitenstrang der Handlung die unerfüllte Liebe mit dem Hirten Atis (Johannes Chum) und der Nymphe Cyane (mit klarer Diktion Silvia Weiss). Während insgesamt auf solidem Niveau gesungen wird, der Chor (einstudiert von Sebastian Hernandez-Laverny) ein wenig handfest, kommt das Orchester eher zögernd in die Gänge, obwohl sich Michael Millard vor allem auf sachliche Zeichengebung konzentriert. Breithüftig-androgyne Götter Die eigentliche Überraschung ist die bislang unerhörte Musik. Das Diktum vom „Odenwälder" oder gar „schwedischen" Mozart führt in die Irre, zumindest hier. Zwar ist Kraus im gleichen Jahr wie Mozart geboren, er hat ihn nur um ein Jahr überlebt, doch stilistisch ist er weit stärker an dem verehrten Gluck orientiert. Charakteristisch sind die flexiblen Übergänge von den (seltenen) Rezitativen über ariose Teile zu den Arien. Großes Gewicht haben die Chöre. Aus Schwetzingen haben Delnon und seine Partnerin Marie-Therese Jossen, die auch für die Kostüme verantwortlich ist, den strengen, sich nach hinten auf Türesbreite verengenden Bühnenschacht übernommen. Von symbolhafter Plakativität sind die Farbkontraste Weiß (für die Ober-) und Schwarz (für die Unterwelt); sie bestimmen auch die Kostüme, die etwa die Götter zu breithüftig-androgynen Figuren verwandeln. Allzu selten, etwa bei der Entführung, kommt Bewegung in die antikisierende Statuarik. Dafür gibt es aktuelle Details, die sich nicht immer spontan erschließen: ein Bildschirm, der auf hohem Gestell hin- und hergeschoben wird, ein (im Terzett umkämpftes) Mikrophon, Bildprojektionen über die ganze Bühne, schon zum raschen Teil der Ouvertüre liefert ein Textband die Vorgeschichte der Handlung. Ob aber Kraus hier an Kampfgetümmel gedacht hat? |
Staatstheater Mainz VON STEFAN SCHICKHAUS So viel vorweg: Ein Joseph Martin Kraus ist kein Wolfgang Amadeus Mozart. Kraus wurde zwar gleichfalls vor 250 Jahren geboren und starb lediglich ein Jahr nach Mozart. Auch nennt man ihn gerne, je nach Standort, den "Odenwälder Mozart" oder den "Schwedischen Mozart", denn seine Musik ist nicht ohne Charme. Doch eine Oper wie Proserpina, 1781 komponiert, hat längst nicht das Format einer Mozart-Oper, wie könnte sie auch! Man darf also nicht zu viel erwarten von jener Rarität, mit der das Staatstheater Mainz den kleineren Jubilar ehrt und mit der der Intendant sich als Regisseur von seinem Haus verabschiedet. Ab der kommenden Spielzeit wird Georges Delnon das Theater von Basel leiten. Die Proserpina hat er in erster Linie für das Rokoko-Theater in Schwetzingen entworfen. Die Produktion eröffnete vor drei Wochen die dortigen Festspiele, deren künstlerische Leitung Delnon 2008 übernimmt. Mit der Kraus-Oper gab er sozusagen eine Arbeitsprobe für die Zukunft ab. Die aber wurde von der Kritik alles andere als warmherzig aufgenommen, an Delnon als Kraus-Regisseur ließ die Presse kein gutes Haar. Die Zweitpremiere jetzt im Kleinen Haus in Mainz zeigte eine Oper mit Höhen und Tiefen, sowohl musikalischer als auch szenischer Art. Joseph Martin Kraus' Musiksprache pendelt zwischen ungestümer Verwegenheit und berechenbarer Langeweile, Geniales und Banales scheinen wie mutwillig gewürfelt. Vieles erinnert mehr an Gluck als an Mozart, das sind wirklich herrliche Momente, bevor dann eine Nummer später wieder sequenziert wird bis zur völligen Ermüdung des Materials. Die Inszenierung zeigt diese Brüche zwar nicht, doch hat auch sie Stärken und Schwächen. Ihre Stärke ist: ein extrem geschickter Umgang mit den drehbaren Wandelementen (gemeinsam mit Kostümbildnerin Marie-Thérèse Jossen ist Delnon auch für das Bühnenbild verantwortlich), die einen neutralen Raum bilden, der sich perspektivisch stark nach hinten verjüngt. Damit lassen sich sinnvolle Auf- und Abgänge regeln, mit Licht und Schatten kann Delnon starke Bilder finden. Andererseits bleibt diese Proserpina statisch wie eine griechische Tragödie. Viele Arien in den zeitlich etwas überstrapazierten Einakter haben doch Längen, und die Standbilder der Inszenierung, die so kühl und überlegt positioniert sind wie bei einem Schachspiel, bieten kaum neue Reize. Schwarz gegen Weiß Die Weißen in diesem Schachspiel sind die Vertreter der Oberwelt, die sich auf die Suche nach Proserpina machen. Die wurde von (in seinem schwarzen Frauenkleid beste Figur machenden) Pluto in die Unterwelt entführt. Man streitet, lamentiert und intrigiert, bis kurz vor Ende der Oper Jupiter erscheint und salomonisch urteilt. Er tritt nicht aus dem Brausen des Windes heraus auf wie original bei Kraus, sondern begleitet von Hubschrauberrotoren-Lärm - ein wahrer Deus ex machina eben. Nicht Proserpina, sondern ihre Mutter Ceres hat die eigentlich tragende Rolle in dieser Oper, und es ist eine dauerhaft gefährlich hoch angesetzte Rolle. Darum wundert es nicht, dass die Sopranistin Johanna Stojkovic zu gewissen Schärfen neigt, ihre Dauerbelastung im Hochtonbereich hielt sie allerdings mehr als respektabel durch. Ihre Tochter Proserpina (Alexandra Coku) konnte wesentlich bequemer und damit auch runder agieren, ebenso Cyane (Silvia Weiss) mit ihrem ausgesprochen angenehmen Timbre. Fast zu laut, dabei aber völlig klar und kultiviert sang der Österreicher Johannes Chum den erfolglosen Proserpina-Verehrer Atis - sie selbst entschied sich, vielleicht nicht zuletzt wegen seines unmittelbar einnehmenden Baritons, für den Unterweltgott Pluto, gesungen von dem Weißrussen Nikolay Borchev. Eine durchweg junge Besetzung war da versammelt, frische Stimmen mit Sinn für klare Linien. Im Orchestergraben konnte Michael Millard in der trockenen Akustik die Streicher erst nach und nach zu einem tragfähigen Ton bringen. Doch das besserte sich bald, ebenso wie die zunächst schleppende Koordinierung des allerdings szenisch gut geführten Chores. Ein Kraus ist kein Mozart, doch leicht macht er es seinen Musikern und seinem Regieteam auch nicht. Applaus aber bekam schließlich jeder, ohne Gegenstimme. [ document info ] Dokument erstellt am 21.05.2006 um 19:44:12 Uhr Erscheinungsdatum 22.05.2006 |