Darmstädter Echo
26.7.2006

Rettung aus dem Venusberg
Ausblick: Am Wochenende präsentieren die Darmstädter Residenzfestspiele die „Tanhäuser"-Oper Carl Amand Mangolds

DARMSTADT. Wolfgang Seeliger könnte auch Brahms, Beethoven oder Mozart spielen, und das tut der Dirigent ja auch. Aber der Leiter des Darmstädter Konzertchores und der Residenzfestspiele durchstöbert immer wieder gerne Archive und Bibliotheken auf der Suche nach jenen Raritäten, die eine Entdeckung lohnen. Zudem fühlt sich der Konzertchor auch der lokalen Musikgeschichte verpflichtet; so brachte das Ensemble unter anderem das Oratorium „Abraham" heraus, ein Werk des einstigen Darmstädter Hofkomponisten Carl Amand Mangold (1813 – 1889).

Am Wochenende machen die Residenzfestspiele mit „Tanhäuser" bekannt, einem weiteren Werk Mangolds, das vor 160 Jahren uraufgeführt wurde und nach wenigen Vorstellungen vom Spielplan verschwand, dem Erfolg beim Publikum zum Trotz. Ernst Pasqué dichtete später den Text in „Der treue Heinrich" um.

Weitere Aufführungen von Mangolds Oper sollen mit Rücksicht auf den Komponistenkollegen Richard Wagner vereitelt worden sein. Denn mit der Tannhäuser-Sage hatte sich Mangold fast zur selben Zeit den gleichen Stoff vorgenommen. Die Unterschiede freilich sind beachtlich. Nicht nur, dass Mangold dem Namen des Helden einen Buchstaben einsparte. Er konzentrierte sich ganz auf das romantische Märchen des Helden, der in den Venusberg zieht und erst durch die aufopfernde Liebe einer Frau errettet wird. In Wagners Oper hingegen kann man die Tragödie des modernen Menschen sehen, der sich gegen die starre mittelalterliche Gesellschaft zur Wehr setzt.

Die große romantische Oper hätte eigentlich schon im vergangenen Jahr auf dem Programm der Residenzfestspiele stehen sollen, als Gabe des Konzertchors zum Stadtjubiläum. Aber damals war der Schlosshof nicht verfügbar, und die Aufführung verlangt eine große Kulisse. Vor allem aber war es gar nicht so leicht, an das Aufführungsmaterial heranzukommen. Der Konzertchor musste es selbst herstellen.

Mangolds Oper existiert nur als handschriftliche Partitur, die in der Universitäts- und Landesbibliothek im Darmstädter Schloss aufbewahrt wird. Die Studenten und Musikwissenschaftler Daniel Barbarello, Markus Eisenhauer, Florian Eisentraut, Kim Heydeck und Steffen Mieder besorgten die Übertragung in eine moderne Druckfassung, schrieben die einzelnen Stimmen für Solisten und Orchestermusiker, Martin Schmeck übersetzte die Partitur zusätzlich in einen Klavierauszug, der von Chor und Solisten für das Studium des Stückes benötigt wird. Wenn sich je ein Verlag entschließen würde, das Stück zu verlegen – der Konzertchor hätte gute Vorarbeit geleistet.

Ein Vorteil dabei war, dass die originalen Partiturseiten als digitale Bilddateien vorlagen: So konnten mehrere Kräfte gleichzeitig an der Transkription arbeiten, und in kniffligen Fällen, in denen Mangolds Handschrift keine zweifelsfreien Schlüsse erlaubte, konnte man sich ins Notenbild durch Vergrößerung gleichsam hineinzoomen. Dabei wurden auch offenkundige Schreibfehler beseitigt, und es wurden mehrere mögliche Kürzungen entdeckt – während der wenigen Aufführungen gab es durchaus Variationen im Ablauf. Das wird auch bei der von Seeliger geleiteten Wiederaufführung mit dem Konzertchor und der Darmstädter Hofkapelle genutzt werden. Ganz ohne Striche würde der Abend dreieinhalb Stunden dauern. „Aber wir wollen das Publikum der konzertanten Aufführung ja nicht überstrapazieren", sagt Anke Vetter vom Konzertchor. (job)

Die Aufführung von Carl Amand Mangolds Oper „Tanhäuser" beginnt am Sonntag (30.) um 20.30 Uhr im Darmstädter Schlosshof.

 

Frankfurter Neue Presse
29. Juli 2006

Der Darmstädter „Tanhäuser"

Carl Amand MangoldZum ersten Mal seit der Erstaufführung 1846 wird ein Werk des Darmstädter Hofkapellmeisters Carl Amand Mangold wiederaufgeführt, mit dem dieser – ohne von Wagners „Tannhäuser" zu wissen – den gleichen Stoff bearbeitete. Mangolds „Tanhäuser" schreibt sich nur mit einem „n" und weist musikalisch in Richtung Meyerbeer-Mendelssohn. Der Konzertchor Darmstadt hat das Werk für die Residenzfestspiele wiederentdeckt. Die Partitur blieb unveröffentlicht, liegt aber als Originalhandschrift in der Darmstädter Universitätsbibliothek vor. In der Vorbereitung galt es, Mangold quasi „aus der Hand" zu lesen und aufführungstaugliches Notenmaterial herzustellen.