Frankfurter Rundschau
20. September 2005

Schön, wahr, klebrig
Anouk Niklisch scheitert und beglückt mit Puccinis "Il trittico" am Staatstheater Mainz

VON TIM GORBAUCH

Zart blüht die Musik. In scheuen, fast fahlen Farben klingt neben Sehnsucht auch so etwas wie Vergeblichkeit an. Das Glück, das hier im Raum steht, ist sich seiner selbst nicht sicher, eher schon herrscht eine Klangmischung aus Idyll und Tristesse. Und schon gar nicht ist Platz für triumphale Gesten, fast heimlich geht es zu, so wie auch die Küsse, die Giorgetta dem Schiffsarbeiter Luigi schenkt, nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind. Das Vorspiel zu Il tabarro, dem ersten Einakter von Giacomo Puccinis Il trittico, hat die stille Macht, alle Vorurteile gegenüber seiner Musik zurecht zu rücken. Es ist schön und wahr zugleich.

Doch kaum eine Stunde später ist alles süß und klebrig, Musik wie aus Zucker. Suor Angelica, der zweite Teil des Triptychons, fließt zäh und aufdringlich unseren Ohren entgegen, penetriert sie mit Kitsch, religiösem Mystizismus und verlogen anmutenden Harmonien. Und noch einmal eine Stunde später, bei Gianni Schicchi, dem finalen Einakter, sind die Töne plötzlich voller Lust und Leben, leicht, überdreht, buffonesk. Il trittico, im Dezember 1918 an der Metropolitan Opera in New York uraufgeführt, ist ein Patchwork, ein Flickenteppich aus drei Einaktern. Auch deshalb sind geschlossene Aufführungen der drei Einakter selten geworden, vor allem Suor Angelica steht musikalisch, dramaturgisch und inhaltlich in der Kritik. Völlig zu Recht im übrigen.

Und doch hat sich die Regisseurin Anouk Niklisch, ohnehin mit einem Faible für Ur-Fassungen, für alle drei Opern entschieden. Sie hätte es besser nicht tun sollen, denn gerade an Suor Angelica scheitert sie. Für die Tragödie der von der Gesellschaft ins Kloster ausgestoßenen Schwester Angelika, deren uneheliches Kind vor Jahren ohne ihr Wissen starb und die sich nun den Tod wünscht, findet Niklisch weder Bild noch Idee. Müde kämpfen sich die Protagonisten über die von Kreuzen und Jesusmotiven belagerte Bühne (Roland Aeschlimann). Immerhin die Stimmen entschädigen, allen voran die Kerrie Sheppards in der Titelrolle.

Il tabarro zuvor ist dagegen viel versprechend, obschon letztlich zu buchstäblich angelegt. Niklisch und Aeschlimann verzichten auf üppige Ausstattungsrealistik, deuten das Lager- und Hafenszenario mit einer steilen, metallisch schimmernden Schräge an, die die Bühne zum Kammerspiel verdichtet. Aber auch hier richtet Niklisch vor allem ein, solide aufgelöst, aber doch allzu abgeleitet. Der theatrale Eigenwert der Bühne wird kaum sichtbar, man verliert sich in Alltagsgesten, die musikalische und dramatische Prozesse mehr illustrieren als verdeutlichen oder gar in eine eigene Bühnensprache übersetzen. So wird vor allem die Musik Träger der Handlung, was nicht schlecht ist, wenn Catherine Rückwardt das Mainzer Orchester so aufmerksam und überdurchschnittlich präsent leitet und Elisabeth Hagedorn ihrer Rolle der Giorgetta derart viele Facetten abringt. Zwischen stiller Sehnsucht nach ihrer Heimat und dem heillosen Versuch, in der Liebe zu Luigi (leidenschaftlich, obschon im Forte etwas monochrom: Alexander Spemann) der Monotonie von Ehe und Alltag zu entfliehen, bewegt sie sich glaubhaft, weil rückhaltlos. Nachdem ihr Mann (mit markantem Timbre: Karsten Mewes) ihren Liebhaber umgebracht hat, wird sie für Niklisch zum Scharnier zwischen den disparaten Einaktern und verwandelt sich zur Ordensschwester. Das bleibt ein dünner Faden.

Kraft, Tempo, aber auch theatrale Eigenständigkeit gewinnt der lange Abend erst nach der Pause mit Gianni Schicchi. Niklisch gibt das Finale als wunderbare Farce und führt ihre Sängerdarsteller mit hohem Ensemblegeist und Hang zur Groteske. Die wiederum bedanken sich mit einer auch musikalisch tadellosen Leistung, allen voran Karsten Mewes in der Titelrolle. Auch das Orchester gibt erneut vorbildlichen, bildhaften, aber nie überstrapazierten Puccini. Von Catherine Rückwardt, der Mainzer Generalmusikdirektorin, hat man allerdings auch nichts anderes erwartet.

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Dokument erstellt am 19.09.2005 um 15:32:13 Uhr
Erscheinungsdatum 20.09.2005

 

WIESBADENER KURIER
20.09.2005

Im Mantel der Eifersucht
Start in die Mainzer Opernsaison mit Puccinis späten Miniaturen "ll trittico"

Von Siegfried Kienzle


Ein bühnenhohes Bullauge als Fenster zur Welt: Szene aus dem Puccini-Einakter "Il tabarro" ("Der Mantel").
Photo: Pipprich

MAINZ In Mainz wird Puccinis Titel "Il trittico" (Das Triptychon) ernst genommen. Die drei Opern-Miniaturen werden in ihrer Gegensätzlichkeit nicht nebeneinander gestellt, sondern der Bühnenbildner Roland Aeschlimann fügt mit einem suggestiven Einheitsraum die Einakter zum schlüssigen Ganzen. Eine Wellblechwand mit riesigem Bullauge ist Schauplatz für die Eifersuchtsballade "Il tabarro" (Der Mantel). Danach öffnet sich das Rundfenster, wenn die Kloster-Elegie "Suor Angelica" beginnt und zeigt ein spätbarockes Monumentalbild: Christus ächzt unterm Kreuz.

Auch im Spiel versteht es die Regie von Anouk Nicklisch, die Stücke zu verzahnen. Die Kapitänsfrau Giorgetta, die ihren Mann betrügt, ist mit ihren Gefühlen fixiert auf das Album mit den Bildern ihres toten Kindes. An dasselbe Album klammert sich die Nonne Angelica, die nach der Geburt ihres unehelichen Kindes ins Kloster verbannt wurde, mit ihren unerfüllten Sehnsüchten. Gleitend gelingt der Übergang zwischen "Mantel" und "Schwester Angelica", weil sich Giorgetta (Elizabeth Hagedorn packend in ihrem Versuch, auszubrechen aus dem bisherigen Leben) nach dem Tod ihres Liebhabers einreiht in die Schar der Novizen.

Im "Mantel" führt eine Eisenleiter steil hinab in diese Szenen der Tiefe. Atmosphärisch beklemmend, als wär´s ein Sozialdrama von Zola, lässt Nicklisch die Schlepper zwi-schen Warenballen hantieren. Nur Giorgettas Geliebter Luigi (Alexander Spemann) bringt mit rotem Overall Farbe in diese Düsternis, die er mit tenoraler Strahlkraft aufhellt.

Patricia Roach (Frugola) belebt mit dem Loblied auf ihre Katze das Genrebild. Karsten Meves vermittelt sonor den Leidensdruck des alternden Ehemanns Michele, der verzweifelt um die Liebe seiner Frau wirbt und den Nebenbuhler erwürgt.

Später ist Meves ein pfiffiger Gianni Schicchi, der sich für den verstorbenen Buoso ins Bett legt und dem Notar ein falsches Testament diktiert. Hier kleidet Nicklisch die erbschleicherische Clique der Verwandten in giftiges Gelb. In der Farbe des Neids und Geizes umflattert die Gesellschaft aufgeregt das Sterbebett und muss es ertragen, dass Schicchi sich selbst zum Haupterben einsetzt.

Janine Creswell lässt innig ihr Arioso auf das Väterchen, das teure, aufblühen, und wird von Rinuccio (John Carlo Pierce) schwärmerisch umworben. Großartig Kerrie Sheppard als Schwester Angelica, wenn sie vom Tod ihres Kindes erfährt und Abschied vom Leben nimmt. Als sie sich mit einer Giftpflanze tötet, verbrennt das Kreuz, das ihr als erdrückende Last der Buße auferlegt war. So umgeht die Regie das heute unspielbare Schlussbild, wo Puccini in der Todesszene eine Madonnen-Erscheinung mit Kind vorschreibt.

Als die im Standesdünkel verhärtete Principessa, die von Angelica den Verzicht auf das Erbe einfordert, hat Edith Fuhr nicht die schneidende gutturale Schärfe in der Alt-Stimme, die dieser bedrohliche Auftritt eines weiblichen Großinquisitors erfordert. Catherine Rückwardt vertieft sich überzeugend in die Feinheiten dieser Musik, die subtil impressionistischen Klangreize des Paris-Bildes und die flinke Parlando-Aufgeregtheit der florentinischen Schicchi-Farce. Viel Beifall für diese musikalische und inszenatorische Großtat, mit der "Il trittico", Puccinis letztes Opernwerk, das er vollenden konnte, für den Spielplan erobert wird.

 

Allgemeine Zeitung
20.09.2005

Ein Bullauge als Fenster zur Welt
Start in die neue Mainzer Opernsaison mit Puccinis drei späten Miniaturen "ll trittico"

Von Siegfried Kienzle


Mit Symbolkraft inszeniert Anouk Nicklisch das dreiteilige Spätwerk Puccinis,
hier eine Szene aus "Il tabarro" ("Der Mantel") mit Elisabeth Hagedorn und Karsten Mewes.
Foto: Martina Pipprich

MAINZ In Mainz wird Puccinis Titel "Il trittico" ("Das Triptychon") ernst genommen. Die drei Opern-Miniaturen werden in ihrer Gegensätzlichkeit nicht nebeneinander gestellt, sondern der Bühnenbildner Roland Aeschlimann fügt mit einem suggestiven Einheitsraum die Einakter zum schlüssigen Ganzen. Eine Wellblechwand mit riesigem Bullauge ist Schauplatz für die Eifersuchtsballade "Il tabarro" ("Der Mantel"). Danach öffnet sich das Rundfenster, wenn die Kloster-Elegie "Suor Angelica" beginnt und zeigt ein spätbarockes Monumentalbild: Christus ächzt unterm Kreuz.

Auch im Spiel versteht es die Regie von Anouk Nicklisch, die Stücke zu verzahnen. Die Kapitänsfrau Giorgetta, die ihren Mann betrügt, ist mit ihren Gefühlen fixiert auf das Album mit den Bildern ihres toten Kindes. An dasselbe Album klammert sich die Nonne Angelica, die nach der Geburt ihres unehelichen Kinds ins Kloster verbannt wurde, mit ihren unerfüllten Sehnsüchten. Gleitend gelingt der Übergang zwischen "Mantel" und "Schwester Angelica", weil sich Giorgetta (Elizabeth Hagedorn packend in ihrem Versuch, auszubrechen aus dem bisherigen Leben) nach dem Tod ihres Liebhabers ununterscheidbar einreiht in die Schar der Novizen.

Im "Mantel" führt eine Eisenleiter steil herab in diese Szenen der Tiefe. Atmosphärisch beklemmend, als wär´s ein Sozialdrama von Zola lässt Nicklisch die Schlepper zwi-schen Warenballen hantieren. Nur Giorgettas Geliebter Luigi (Alexander Spemann) bringt mit rotem Overall Farbe in diese Düsternis, die er mit tenoraler Strahlkraft aufhellt.

Patricia Roach (Frugola) belebt mit dem Loblied auf ihre Katze das Genrebild. Karsten Meves vermittelt sonor den Leidensdruck des alternden Ehemanns Michele, der verzweifelt um die Liebe seiner Frau wirbt und den Nebenbuhler erwürgt. Später ist Meves ein pfiffiger Gianni Schicchi, der sich für den verstorbenen Buoso ins Bett legt und dem Notar ein falsches Testament diktiert. Hier kleidet Nicklisch die erbschleicherische Clique der Verwandten in giftiges Gelb. In der Farbe des Neids und Geizes umflattert die Gesellschaft das Sterbebett und erlebt, dass Schicchi sich selbst zum Haupterben einsetzt.

Janice Creswell lässt innig ihr Arioso auf das Väterchen, das teure, aufblühen, und wird von Rinuccio (John Carlo Pierce) umworben. Großartig Kerrie Sheppard als Schwester Angelica, wenn sie vom Tod ihres Kindes erfährt und Abschied vom Leben nimmt. Als sie sich mit einer Giftpflanze tötet, verbrennt das Kreuz, das ihr als Last der Buße auferlegt war. So umgeht die Regie das heute unspielbare Schlussbild, wo Puccini in der Todesszene eine Madonnenerscheinung mit Kind vorschreibt.

Als die im Standesdünkel verhärtete Principessa, die von Angelica den Verzicht auf das Erbe einfordert, hat Edith Fuhr nicht die schneidende gutturale Schärfe in der Alt-Stimme, die dieser bedrohliche Auftritt eines weiblichen Großinquisitors erfordert. Catherine Rückwardt vertieft sich überzeugend in die Feinheiten dieser Musik, die subtil impressionistischen Klangreize des Paris-Bildes und die flinke Parlando-Aufgeregtheit der florentinischen Schicchi-Farce. Viel Beifall für diese musikalische und inszenatorische Großtat, mit der "Il trittico", Puccinis letztes Opernwerk, das er vollenden konnte, für den Spielplan erobert wird.

 

Darmstädter Echo
20.09.2005

Wie man drei Einakter unter einen Hut bringt

Von Albrecht Schmidt

MAINZ. Der Wahlabend mündete im Staatstheater Mainz in einen perfekten Opernabend. Das Premierenpublikum feierte im Staatstheater ein seltenes Ereignis: Hochklassige Sänger, ein motiviertes Ensemble, interessante Szene und Optik und eine ausgezeichnete Orchesterleistung. Geboten wurden jene drei Einakter, die Giacomo Puccini 1918 an der Met hatte uraufführen lassen und die er unter dem Titel „Il trittico" (Triptychon) als Einheit sah, obwohl die drei Stücke sehr unterschiedlich sind.

„Der Mantel", ein veristisches Dramolett, schildert eine Eifersuchtstragödie unter Seine-Schiffern um 1900. „Schwester Angelika", eine rührselige Legende, spielt in einem Nonnenkloster zur Zeit der ausgehenden Renaissance. Und „Gianni Schicchi", eine von Dante entlehnte Schelmengeschichte, ist mit 1299 zu datieren. Anouk Nicklischs einfühlsame Regie und Roland Aeschlimanns Bühnenbild schaffen einen einheitlichen Rahmen für die drei Kurzopern: In eine steil aufragende Wellblechwand ist wie ein magisches Auge eine große Rundung eingeschnitten, die gleichermaßen Schiffs-Bullauge, Kirchenfenster oder den Durchblick in eine spiralförmig verengende, aber auch an Dantes konzentrische Paradies- und Höllensphären erinnernde Fantasielandschaft darstellt.

„Il tabarro" (Der Mantel) lässt sich auf die unerträglich gewordene Trauer einer Mutter zurückführen, die den Tod ihres Kindes nicht verwinden kann. In Nicklischs Sicht dieses düsteren Dramas hält Elizabeth Hagedorn folgerichtig die Partie der von Sehnsüchten, Angst und Liebe gezeichneten Giorgetta von den Attributen eines Flittchens fern. Giorgetta, die Frau des Schleppkahnbesitzers Michele (baritonal glänzend: Karsten Mewes), die Luigi (Alexander Spemann) liebt, wird von der Regisseurin eher als Opfer denn als schuldige Ehebrecherin gesehen.

Damit ist der Bogen geschlagen zu „Suor Angelica" (anrührend und stimmlich ausgewogen: Kerrie Sheppard), die ebenfalls am Tod ihres Kindes zugrunde geht und deren sündiger Selbstmord von der Madonna sanktioniert wird: Das Kreuz, unter dem alle Nonnen in strenger Klosterzucht zu leiden haben, geht in Flammen auf.

Brillant der abschließende „Gianni Schicchi" als überdrehte, drastische Erbschleicherposse mit einem blendenden, stimmgewaltigen Karsten Mewes als drastisch agierendem Testamentsfälscher. In schönsten, silberhellen Tönen preist das jugendliche Liebespaar Lauretta und Rinuccio (Janice Creswell und John Carlo Pierce) das heimatliche Florenz. Mit dieser Produktion (gesungen wurde in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln) ist dem Staatstheater Mainz mehr als eine Ehrenrettung des Puccinischen Alterswerkes gelungen. Einen entscheidenden Beitrag leistete das Philharmonische Orchester des Mainzer Staatstheaters unter der Leitung von Catherine Rückwardt: Impressionistisch getönte Farben im „Mantel", ein tönend-filigranes Psychogramm der „Schwester Angelika" und turbulente Orchestervirtuosität im „Gianni-Schicchi"-Finale.