Oper Frankfurt Bedrich Smetana (1824-1884) komponierte mit der Verkauften Braut die tschechische Nationaloper par excellence. In seiner Heimat als Wagnerianer verschrien, wollte er beweisen, dass er auch den volkstümlichen Stil beherrscht. Gleichwohl war die Uraufführung 1866 ein Mißerfolg. Erst nach einer Überarbeitung konnte die Oper 1892 in Wien ihren weltweiten Siegeszug antreten. Zum Inhalt: Marie liebt Hans, soll aber nach dem Willen ihrer Eltern den Tölpel Wenzel heiraten, den Sohn des reichen Micha. Durch eine List gelingt es Hans, trotz aller Widrigkeiten die Hand der Geliebten zu gewinnen: Niemand weiß, dass er in Wirklichkeit der verschollen geglaubte Halbbruder Wenzels ist. So verkauft er seine Braut an den Heiratsvermittler Kecal unter der Bedingung, daß diese nur Michas Sohn und keinen anderen heiraten dürfe. Marie sieht sich verraten, kann aber nach Aufdeckung der wahren Verhältnisse den Geliebten in die Arme schließen. Die musikalische Leitung dieser Neuproduktion liegt bei Kapellmeister Roland Böer, der erst kürzlich große Erfolge mit Mozarts Titus an der English National Opera in London und Puccinis Manon Lescaut in Stockholm feiern konnte. Der Norweger Stein Winge gehört seit den 90er Jahren zu den renommiertesten Regisseuren der internationalen Opernszene. Zu seinen Arbeiten in dieser Saison gehören u.a. Beethovens Fidelio in Leipzig und Wagners Fliegender Holländer in Mannheim. Von 2002 bis 2004 war Maria Fontosh Ensemblemitglied der Oper Frankfurt. Die Partie der Marie sang sie bereits in Stockholm, 2005 war sie an der Opéra Bastille in Paris als Musette in La Bohème zu erleben. Der Tenor Carsten Süß (Wenzel) wirkte bereits in zahlreichen Frankfurter Produktionen mit und kehrte 2005/06 als Belfiore in der Wiederaufnahme von Viaggio a Reims hierher zurück. Jonas Kaufmann (Hans), Mitglied des Opernhauses Zürich, stellte sich dem Publikum der Oper Frankfurt im Oktober 2005 anläßlich eines stark akklamierten Liederabends vor, zudem gastiert er an den Opernhäusern von Wien, Paris und New York. Aus dem Opernensemble ist u.a. Gregory Frank (Kecal) zu erleben. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Kammersänger Carlos Krause in der Partie des Zirkusdirektor; der Bassbariton feierte kürzlich seinen 70. Geburtstag und sein 50jähriges Bühnenjubiläum. Text: Oper Frankfurt | |
„Die Zwangsehe ist heute ein sehr ernstes Thema" Von Birgit Popp Wenn unter der musikalischen Leitung des Frankfurter Kapellmeisters Roland Böer „Die verkaufte Braut" auf die Bühne kommt, wird Jonas Kaufmann in der Partie des Hans nach Frankfurt zurückgekehrt sein. Der deutsche Tenor, der seit 2001 zum Ensemble der Oper Zürich gehört, hatte seinen Einstand im Oktober 2005 am Frankfurter Opernhaus mit einem hochgelobten Liederabend gegeben. Dem dunkelgelockten Mitdreißiger nimmt man den Typ des überschwenglich verliebten und zugleich listigen Knechts, der den Heiratsvermittler Kecal (Gregory Frank) austrickst und am Ende statt seines tölpelhaften Halbbruders Wenzel (Carsten Süß) seine Herzensdame Marie (Maria Fontosh) in den Ehestand führt, gerne ab. Persönlich sieht Jonas Kaufmann auch mehr die heitere als die ernste Note der 1866 uraufgeführten, gerne als Singspiel bezeichneten Oper: „Ich weiß, dass in letzter Zeit prinzipiell der slawisch-tragische Aspekt bei diesem Stück in den Vordergrund gerückt wird. Ich finde das aber schade. Smetanas ursprüngliche Idee war es, eine heitere Oper zu schreiben. Aber heute ist im westeuropäischen Kulturkreis die Situation, dass jemand verheiratet wird, nicht mehr normal. Mit dem historischen Hintergrund gesehen, war es sicherlich eine lustige Geschichte, zudem mit glücklichem Ausgang. Heute sieht man den Inhalt viel ernster, weil man sich über die Problematik viel mehr Gedanken macht. Das Thema Zwangsehen ist ja auch in Deutschland ein sehr aktuelles. Was das Musikalische betrifft, so ist in der Oper alles enthalten, sowohl heitere, lustige als auch melancholische Elemente. Im tschechischen Kulturkreis ist dieses Stück eine Nationaloper, ein Heiligtum." Gefallen gefunden hat Jonas Kaufmann an seiner Partie bereits in jungen Jahren durch die Aufnahme der Oper mit Fritz Wunderlich als Hans. „Für jeden deutschen Tenor dient Fritz Wunderlich sicherlich als Vorbild. Neben der Strahlkraft seiner Stimme beeindruckt die Sentimentalität, die er in seiner Stimme besitzt. Man hört in seinen Tondokumenten, mit welchem Mitteilungsbedürfnis und mit wie viel Lebensfreude er singt, welche Gefühlswelt er in seine Stimme hineinlegt. Es gibt zum Beispiel eine Aufnahme der Lensky-Arie, die einen zutiefst berührt. Man könnte meinen, er stände wirklich kurz vor dem Selbstmord. Das ist sehr prägend, das gibt es nicht so oft, und es zeigt: Singen besteht nicht nur aus schönen Tönen, sondern soll einen packen." Kaufmann hätte sich gefreut, wenn sein Rollendebüt auf Tschechisch stattgefunden hätte. „So ist es einfacher für die Zuschauer, aber in der Originalsprache hätten Musik und Sprache eine noch bessere Einheit gebildet." Das Verhalten von Hans, der Marie bis zuletzt über seine wahre Identität im Unklaren und sie an seiner Liebe und seinen lauteren Absichten zweifeln lässt, ist ihm allerdings auch in der genutzten, sehr genauen Übersetzung nicht klar geworden. „Sein Verhalten wirkt dadurch nicht weniger seltsam. Er spielt der Marie übel mit. Es hätte sicherlich die Möglichkeit bestanden, ihr zu einem früheren Zeitpunkt die Wahrheit zu sagen. Dass sie das anders interpretiert, dass ihn das alles nicht berührt, ist verständlich. Was als Motivation dahinter steht, lässt sich nur erahnen. " Bedrich Smetana (1824–84), dem zeitlebens eine zu große Begeisterung für Wagner in seiner Heimat vorgeworfen wurde, gilt als heimlicher Verehrer Mozarts. „Wenn man sich die Struktur des Stückes betrachtet, ist dies sicherlich richtig, zum Beispiel im Vergleich mit ,Die Entführung aus dem Serail’. Musikalisch betrachtet, ist es aber eine andere Welt. Da gibt es folkloristische, slawische Elemente, die sich in der Komposition widerspiegeln und ihr das Lokalkolorit verleihen", so Jonas Kaufmann. Das Repertoire des gebürtigen Münchners, der mit der Mezzosopranistin Margarete Joswig verheiratet ist, reicht heute vom Tamino in Mozarts „Zauberflöte" bis zum Parsifal, den er kürzlich am Opernhaus Zürich sang. „Je breiter das Repertoire ist, desto wohler fühle ich mich. Ich mag es, meine Stimme in den Ecken zu bewegen, nicht immer nur im Zentrum." An der New Yorker Met feierte der Sänger gerade erst sein Debüt als Alfredo in Verdis „La Traviata", im Herbst kommt der Don José in Bizets „Carmen" in der Londoner Covent Garden hinzu. „Der Don José ist sicherlich eine neue Herausforderung für mich." Zu den Partien, die er noch gerne singen möchte, zählen die Titelrollen in Jacques Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann" und in Jules Massenets „Werther". Aber das sind eben nur Nebenwünsche. „Generell muss ich sagen, ich bin eigentlich wunschlos glücklich." So, wie der Hans am Ende in „Die verkaufte Braut". | |
Bühnen & Museen Von Michael Hierholzer Das Thema Zwangsheirat ist so aktuell wie nie. Eltern versprechen ihre Töchter Männern, die diese nicht oder nur flüchtig kennen. Liebesbeziehungen werden unterbunden, wenn dem Vater die kulturelle Orientierung des Jünglings nicht paßt. Der Fall der Berliner Türkin, deren jüngster Bruder sie ermordet hat, weil der Familie ihr Lebenswandel nicht gefiel, hat nach der Verkündung des Gerichtsurteils in den vergangenen Wochen noch einmal für viel Wirbel gesorgt - die junge Frau hatte ihren Gatten verlassen, den zu ehelichen sie von den Eltern gezwungen worden war, und ihr Kind als alleinerziehende Mutter betreut. Verbindungen wider Willen sind freilich nicht auf den muslimischen Kulturkreis beschränkt. Von einer geplanten unfreiwilligen Allianz unter Christenmenschen handelt „Die verkaufte Braut". Der norwegische Regisseur Stein Winge, der das „komische Singspiel in drei Akten" von Bedrich Smetana für das Frankfurter Opernhaus inszeniert, findet das Stück keineswegs so lustig, wie es seine äußere Form erst einmal suggeriert: „Es ist eine Komödie mit einer dunklen Seite", sagt er. Es gebe Kanten und Ecken in dieser Geschichte. Und sehr deutliche Bezüge zur Gegenwart. Auch in Norwegen gebe es unter Migranten Konflikte, die mit einer traditionalistischen Auffassung der Ehe als eines von den Eltern arrangierten Zweckbündnisses zu tun hätten. Vor allem auf dem platten Land komme es zudem auch heute noch vor, daß man Menschen zu verkuppeln suche, die davon nichts wissen wollten. Hübsche Dörfer - böser Menschenschlag Überhaupt das Land: In Südnorwegen mit seinen hübschen Dörfern voller weißer Häuser siedle ein böser Menschenschlag, sagt der Regisseur mit einem Augenzwinkern. Die gefährlichsten norwegischen Orte lägen in der Provinz. Aber weder diese noch eine muselmanische Umwelt bringt Stein Winge auf die Bühne. Sondern eine deutsche Ortschaft: „Ich inszeniere die Oper ja für das hiesige Publikum." Das Bühnenbild läßt ein Idyll assoziieren, wie es Fachwerkhäuser verbreiten. „Die verkaufte Braut" ist für den Norweger ein Stück, das überall auf der Welt angesiedelt sein könnte, irgendwo in ländlichen Gefilden, wo jeder jeden kennt, Fremde mißtrauisch beäugt werden und Traditionen auch dann noch Geltung haben, wenn sich in den Städten längst niemand mehr für sie interessiert. Schon Smetana hatte in der Schwebe gelassen, wo genau er sein Werk angesiedelt hat. In Böhmen, gewiß, unter Bauern, aber in welchem Dorf genau? Es bleibt offen. Daß die Oper viel tschechisches Lokalkolorit mit sich herumträgt, steht außer Frage. In ihr die tschechische Nationaloper schlechthin zu sehen, wie es immer wieder geschieht, leuchtet allerdings nicht so recht ein: Eine Apotheose des Böhmischen jedenfalls läßt sich kaum erkennen, und die Menschen, die hier vorgeführt werden, sind spätestens beim zweiten Blick alles andere als Idealgestalten. „Sie sind alle manipuliert", sagt Stein Winge. „Die einzige freie Person in dem ganzen Stück ist der Künstler." Das heißt: Der Mann vom Wanderzirkus, der im dritten Akt im Dorf eintrifft. Auch Hans ist nach Ansicht des Regisseurs kein durch und durch lauterer Charakter: Er spielt ein Spiel mit Marie, die ihn aufrichtig liebt, schenkt ihr, was er doch könnte, keinen reinen Wein ein. Und es handele sich beim Schluß der Oper auch nicht um ein pures Happy-End, findet der Regisseur. Es bleibe ein bitterer Beigeschmack. Auch in den Chorpartien am Ende, als Marie dann doch noch ihren Hans bekommt. Von Folklore will Stein Winge im Zusammenhang mit dieser Oper, die doch vom Volkstümlichen zu leben scheint, nichts wissen. Es gehe in seiner Inszenierung um Leute von hier und heute. Um die Dialektik von Innen und Außen. Um Emotionen. Und einen ironischen Blick auf eine Gesellschaft, in der das Prinzip des Kuhhandels auch auf die zwischenmenschlichen Beziehungen ausgeweitet wird. Maries Vater Kruschina hat mit dem reichen Gutsbesitzer Micha vereinbart, seine Tochter dessen Sohn Wenzel zur Frau zu geben. Aber Marie liebt nun einmal den jüngst zugezogenen Hans, der ihr erzählt, aus gutem Haus zu stammen, aber von einer bösen Schwiegermutter vertrieben worden zu sein. Daß er und Wenzel Halbbrüder sind, verschweigt er allerdings. Vieles von einer sinfonischen Dichtung Der Heiratsvermittler Kezal mischt sich ein, der eine ordentliche Provision für sich herausschlagen will. Er und Kruschina gehen mit einem Ehevertrag zu Marie, die sich hartnäckig weigert, ihn zu unterschreiben. Doch Kezal versucht, Hans von der Ehe mit Marie abzubringen, während Marie dem stotternden Wenzel, der sie nicht von Angesicht kennt, in düstersten Farben das Wesen seiner künftigen Braut schildert. Da hat Wenzel schon gar keine Lust mehr, in den Stand der Ehe zu treten. Und Hans ist gegen Zahlung einer höheren Summe bereit, auf Marie zu verzichten - vorausgesetzt, sie heiratet einen Sohn des Micha. Das Volk ist entsetzt, aber im letzten Akt löst sich ja alles aufs wunderbarste auf. Noch aber ist Marie so enttäuscht über ihren „Verkauf", daß sie schon erwägt, Wenzel zu ehelichen, während dieser sich doch schon in die Tänzerin Esmeralda verguckt hat - der Zirkus ist im Ort. Dann aber erkennt Micha in dem Fremden seinen Sohn aus erster Ehe: Der Heirat zwischen ihm und Marie steht nichts mehr im Weg. Eine „Operette" hat Smetana „Die verkaufte Braut" genannt. Dabei hat das Werk auch vieles von einer sinfonischen Dichtung. Und atmet den Geist einer an Wagner orientierten Neuromantik - trotz aller beabsichtigten Volksnähe. Bei ihrer Uraufführung 1866 fiel die Oper durch. Der spätere Erfolg war um so überwältigender. Der erste Opernfilm der Kinogeschichte beruht auf ihr, im Jahr 1932 gedreht. Furcht vor dem Folkloristischen kannte Regisseur Max Ophüls damals nicht. | |
Roland Böer Von Guido Holze Christine Schäfer habe er damals sehr bewundert, sagt Roland Böer. Lange bevor sie als Sopranistin berühmt und er Kapellmeister der Oper Frankfurt wurde: schon als Fünftkläßler am Goethe-Gymnasium, als er in der Cellogruppe des Schulorchesters an den hinteren Pulten saß und die ältere Mitschülerin vor ihm die Soli spielen durfte. An der Frankfurter Schule sammelte der in Bad Homburg geborene, in Maintal aufgewachsene Dirigent also schon früh und teils zeitgleich mit dem späteren Weltstar Erfahrungen als Orchestermusiker. Seine derzeitige Wirkungsstätte war ihm als Besucher ebenso früh vertraut. So sah er an der Oper Frankfurt schon als Jugendlicher 1985 „Die verkaufte Braut" von Smetana in der Inszenierung von Christof Nel unter der Leitung von Michael Luig. Daß er 22 Jahre später hier bei einer Neuproduktion des Werks selbst am Pult stehen würde, ahnte er da noch nicht. Vielmehr ist er im Rückblick immer noch erstaunt, wie es ihn überhaupt zweimal zurück nach Frankfurt verschlug. So engagierte ihn hier 1996 Sylvain Cambreling als Solorepetitor, als die Bindung an seine Heimatstadt durch sein Dirigenten-Studium in Würzburg schon schwach geworden war. Nach drei Jahren an der Deutschen Oper am Rhein kam er 2002 als Kapellmeister zurück. In der Ouvertüre beginnt es zu „brodeln" Nun in einer Premieren-Serie eine so bedeutende Oper wie „Die verkaufte Braut" dirigieren zu dürfen sieht Roland Böer als einen Höhepunkt seiner Laufbahn an. Die Interpretation als die „tschechische Nationaloper" schlechthin habe das Werk jedoch erst im nachhinein erfahren. Tschechische Volkslieder ließen sich etwa darin nicht nachweisen. Landestypisches Kolorit brächten am ehesten die Tänze wie Furiant und Polka oder die Volksszenen. Das in der Ouvertüre zu hörende große Hauptthema in C-Dur werde von vielen zwar als typisch tschechisch empfunden. Doch sei das als primäre Wirkung von Smetana sicher nicht intendiert gewesen. Schon in der Ouvertüre beginne es bald zu „brodeln". Ein nach Art einer Fuge in den Instrumenten einsetzender polyphoner Teil versinnbildlicht demnach weniger eine „Flucht" als einen „verzweifelten Fluchtversuch", wie Böer glaubt. In Zusammenarbeit mit dem Regisseur Stein Winge, der das „Komische Singspiel" nicht einfach als Schwank deuten möchte, hat sich der junge Dirigent so mit Erfolg auf die Suche nach den ernsten Tönen und dunklen Farben begeben. Liebesmelodien ohne viel Tiefgang Bezeichnend sei etwa, daß Hans und Marie als Liebespaar musikalisch „aneinander vorbeireden". Hans singe zwar schöne Liebesmelodien, doch ohne viel Tiefgang: Er spiele nur mit Marie. Erstaunlicherweise stehe der zu Unrecht als Tölpel abgestempelte Stotterer Wenzel, den Marie nach dem Willen ihrer Eltern heiraten soll, ihr von der Musik her gesehen sogar näher. Ebenso eigenartig sei, daß Marie am Ende für die Einwilligung in die Heirat mit Hans nur vier Takte blieben und es mit keinem weiteren Wort mehr um die Hochzeit gehe. Alles stimme vielmehr ein in die Schadenfreude über den ausgetricksten Heiratsvermittler Kecal. Die Stimmen von Hans und Marie gingen im Chorklang unter: Sie verschwänden in der Gesellschaft, im sprichwörtlichen böhmischen Dorf, im engen Sozialsystem. | |
Stein Winge im Interview
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Frankfurter Rundschau : Herr Winge, Bedrich Smetanas "Die verkaufte Braut" gilt einerseits als die tschechische Nationaloper schlechthin, andererseits läuft sie unter "komisches Singspiel". Sind die Tschechen so lustige Leute, dass sie das Komische zum Nationalen erklärt haben?Stein Winge: Ich habe die Verkaufte Braut ehrlich gesagt noch nie live gesehen, nur auf Video, eine extrem folkloristisch geratene Produktion aus Prag. Dass etwas Folkloristisches für das Nationale stehen kann, kenne ich aus meiner Heimat Norwegen, mit Ibsens Peer Gynt. Aber es stimmt, Smetanas Oper ist eine Komödie, was allerdings keineswegs gegen die Tschechen spricht. Für Sie als Regisseur ist es die erste Komödie auf der Opernbühne. Warum haben Sie bis jetzt ausschließlich ernste Stücke zum Inszenieren bekommen? Hm, die Leute denken wohl, ich sei ernsthaft. Scheinbar liegt es näher, mir Opern von Mussorgski oder Puccini anzuvertrauen. Immerhin, in Oslo habe ich einen Falstaff gemacht, und wie bei Falstaff ist ja auch bei der Verkauften Braut die Komödie nicht ganz ungetrübt. Als ich die Oper zum ersten Mal hörte, hätte ich mir gewünscht, Smetana hätte mir mehr Zeit für den Schluss gegeben. Der Schluss der Oper ist absurd kurz, ich hatte da eine Ibsen-ähnliche Lösung erwartet. Aber ich denke, ich konnte da etwas davon hineinzwingen. Auch in einem anderen Punkt habe ich mich von der üblichen Lesart getrennt: Mein Held ist Wenzel. Der gerne als der Dumme eingestufte Wenzel, an den die Braut verkauft werden soll? Er ist nicht dumm, er stottert nur, was ihn seinen Mitmenschen als dumm erscheinen lässt. Aber man weiß ja: Stottern hat etwas mit bestimmten Konstellationen zu tun. Nehmen Sie zum Beispiel den angesehenen Intendanten des norwegischen Nationaltheaters: Er stottert stark, ist aber extrem intelligent. Sein Vater war ein Kinderpsychologe, es muss eine schreckliche Kindheit gewesen sein. Ähnliches sehe ich in Wenzel: Er ist die Künstlernatur in dieser Oper, er geht seine Wege, unbehelligt, ignoriert, dabei selbstmordgefährdet, sein Vater möchte ihn möglichst schnell unter die Haube bringen. Und er wird sozusagen befreit durch die Künstler des Zirkus', mit denen er am Ende mitzieht. Wenn man die Gesellschaft, in der die Verkaufte Braut spielt, genauer anschaut, sieht man, dass jeder jeden zu manipulieren versucht. Darum ist es für mich auch eine sehr dunkle Komödie, mit einer leichten Oberfläche. Mich erinnert sie an Roquefort-Käse: Dunkle, schimmelige Stellen in einer hellen, leichten Masse. Der Zirkus steht bei Ihnen also für die Kunst und die Freiheit. Ist das Gegenstück dazu die Enge des Dorfes? Funktioniert diese Oper nur im böhmischen Hinterland, nicht in der Stadt? Es muss nicht das böhmische, es könnte auch das norwegische Hinterland sein. Überall gibt es diese kleinen, abgeschlossenen Einheiten, wo man nichts voreinander verbergen kann, wo getratscht wird und beobachtet. Im Süden Norwegens zum Beispiel gibt es die weißen Dörfer an der Küste: Die Häuser dort haben Spiegel am Erdgeschoss angebracht, damit man immer verfolgen kann, was auf der Straße gerade passiert. Kontrollieren, lästern, kleingeistig sein, nichts sich verändern lassen, darum geht es. Wenn Wenzel am Ende sein Dorf verlässt, ist dies ein Skandal, das darf nicht sein. Darum steht für mich der weiter ziehende Zirkus für Befreiung, für Öffnung. Aber alles in allem bleibt Die verkaufte Braut eine "charming story", man kann daraus keine Tragödie machen. Man kann aber das Gefühl vermitteln, dass es diese Schattenseiten gibt. Das Thema an sich aber ist durchaus eine Tragödie. Denn eine "Braut verkaufen" ist ein ganz aktuelles, als "Zwangsehe" bezeichnetes Problem. Genau das muss man hier ausbalancieren. Das Stück selbst ist ein charmantes, das Verhalten der Protagonisten aber ist schlimm. Es geht ihnen um Geld und Ehre, natürlich fühlt man sich an Fälle von heute erinnert, wo ein Bruder seine Schwester erschießt, weil sie die arrangierte Heirat nicht respektieren will. Diese Komödie hat eben einen ganz ernsten Kern. Als Sie in Leipzig den "Fidelio" inszenierten, sah das Gefängnis dort aus wie Guantánamo. Warum haben Sie für den Brautverkauf dann nicht zum Beispiel Berlin-Kreuzberg als hot spot genommen? Das wäre schon möglich gewesen, doch ich denke: Die Musik unterstützt dieses Bild nicht. Wenn man es so machen würde, müsste man gegen diese so leichte, heitere Musik arbeiten. Und wenn man es macht, muss man sehr sorgfältig mit den Milieus umgehen, und da kenne ich mich ehrlich gesagt mit den Milieus hier zu Lande nicht gut genug aus. Außerdem wollte die Oper Frankfurt eine Frühlingsproduktion haben, nach der Schwere des Parsifal. Für viele Operngänger ist die "Verkaufte Braut" eine gute alte Tante, die man gerne so hat, wie man sie kennt. Werden diese Operngänger irritiert sein durch Ihre Umsetzung? Ich glaube nicht. Als Bühnenbild haben wir die Struktur eines Fachwerkhauses, sehr leicht und hübsch anzusehen. Ich inszeniere so oft die gewichtigen, dunklen Stücke, da habe ich gar kein Bedürfnis, alles auf eine politische Ebene zu bringen. Fidelio übrigens ist ein echtes Hassstück von mir. Ich liebe Beethoven, aber seine Oper ist einfach schlecht. Hätte er King Lear als Oper gemacht, wäre es sicher interessanter geworden. Da ist sogar eine Zauberflöte noch leichter zu inszenieren als dieser Fidelio, der tolle Musik hat, der aber ohne wirklich herausragende Sängerschauspieler immer unbefriedigend bleibt. Mit den Frankfurter Sängern lässt es sich sehr gut arbeiten, sie singen gut und sind ebenso gute Darsteller. Und sie wollen verstehen, um was es mir geht. Haben Sie Geschmack gefunden an der "Komischen Oper"? Oder geht es demnächst wieder ernster zu? In Frankfurt jedenfalls wird es wieder düsterer, da inszeniere ich als nächstes Die Zarenbraut von Nikolaj Rimski-Korsakow. Erst Smetana, dann Rimski-Korsakow - es ist offenbar meine Braut-Saison. Und neben der Oper arbeite ich nach wie vor auch viel für das Sprechtheater, das ist schließlich meine Basis. Aber selbst auf der Bühne möchten Sie nicht mehr stehen? Nein, meine Zeit als Schauspieler ist lange vorbei. Regie führen oder spielen, beides gleichzeitig geht nicht. Aber ich profitiere noch davon, denn ich kann mich in die Darsteller auf der Bühne gut hineinversetzen. Ich komme eben nicht aus der Situation eines Dramaturgen, sondern aus der eines Praktikers. Und außerdem ist mir klar: Ein Regisseur weiß nicht alles, er kann gar nicht alles wissen. Du triffst immer irgendwo Menschen, die mehr Erfahrung haben mit einem bestimmten Stück, die mehr darüber wissen. Dass solch eine Erfahrung dann mit eingebracht wird, finde ich sehr wichtig. Manche Regisseure entwickeln ihr Konzept zuhause am Schreibtisch und ziehen es dann genau so durch. So würde ich nicht arbeiten wollen. Interview: Stefan Schickhaus [ document info ] |
Interview Stein Winge, Schauspiel- und Opern-Regisseur, stellt sich mit Bedrich Smetanas Singspiel-Klassiker "Die verkaufte Braut" an der Oper Frankfurt vor. Für den Norweger ist nicht nur der Spielort neu, auch das Genre der "komischen Oper" stand noch nie auf seinem Spielplan. Bislang inszenierte er Opern vom Format einer "Lady Macbeth von Mzensk", eines "Boris Godunow" oder des "Tristan". Zu seinen jüngsten Produktionen zählen Schnittkes "Leben mit einem Idioten" und Verdis "Macbeth" in Kopenhagen sowie Beethovens "Fidelio" an der Oper Leipzig. "Die verkaufte Braut" an der Oper Frankfurt hat am Sonntag, 21. Mai, Premiere, gesungen wird in deutscher Sprache, die musikalische Leitung liegt bei Kapellmeister Roland Böer. ick |
Zwangsehe zwischen Fachwerkfassaden Objekt der Begierde: Sopranistin Maria Fontosh kehrt als gefeierte Solistin nach Frankfurt zurück Foto: M. Rittershaus Der lange blonde Zopf, den sie noch auf Stockholms Opernbühne trug, wird sie wohl in Frankfurt nicht zieren: Maria Fontosh singt und verkörpert in Smetanas "Verkaufter Braut" jene Marie, die auf dem flachen böhmischen Lande zwangsverheiratet werden soll, was ihr Geliebter freilich mit List und Tücke zu verhindern weiß. An der Frankfurter Oper wird der norwegische Regisseur Stein Winge sicher noch andere Zöpfe in diesem "Komischen Singspiel in drei Akten" abschneiden, das als tschechisches National-Opus schlechthin gilt. Und darauf darf man zur Premiere am Sonntag um 18 Uhr ebenso gespannt sein wie auf die Sangeskunst der jungen vielseitigen Sopranistin. In schlichten Jeans und Pulli sitzt die russische Sängerin einem gegenüber und nippt an ihrem doppelten Espresso - eher das nette Mädel von nebenan als den Opernstar hervorkehrend, der mittendrin ist, die großen europäischen Bühnen zu erobern. Nur ihre lebhaften Augen und ebensolches Mienenspiel signalisieren slawisches Temperament, das Maria Fontosh auch auf der Bühne abstrahlt. "Ja, das ist eine Komödie, aber mit einem sehr ernsten Schluss", bringt sie die Smetana-Oper auf den Punkt. Und jenen dunklen Seiten des nahezu Operetten-artigen Stücks gelte das besondere Augenmerk des jungen Regisseurs, der - analog zur deutschen Bühnensprache - das böhmische Dorf in hiesigem Fachwerk zeige. Auch die deutsche Provinz hat schließlich ihre Tücken. Für Marie bedeute dies, dass große Liebe urplötzlich in Verzweiflung umschlage. Sie fühlt sich von dem geliebten Hans (Jonas Kaufmann, Mitglied des Opernhauses Zürich) verkauft, der sie in seine Pläne nicht eingeweiht hat. Natürlich gibt’s ein Happyend. Doch dieser erneute Wechsel der Gefühle sei einfach zu viel für Marie, sagt Fontosh, die binnen knapper Opernzeit ihr Innerstes nach außen kehren muss. Dabei lobt sie die (erstmalige) Zusammenarbeit mit Regisseur und dem musikalischen Leiter Roland Boer. Wie improvisatorisch hätten sie die Bühnencharaktere zwischen Komödie und Tragödie entwickelt ein "working process", der zur Premiere noch nicht beendet sei. Von Vorstellung zu Vorstellung dringe man tiefer und tiefer in die jeweilige Figur ein. Ob es Favoriten gebe im großen Opernrepertoire? Ihre Lieblingsrolle sei immer jene, die sie gerade verkörpere, bekennt Fontosh. In ihrer stimmlichen Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlossen sei, hätten jetzt die "-ina-Rollen" - Rosina, Zerlina, und, und ... - Vorrang. Und da lobt denn auch die Kritik ihre "funkelnden Koloraturen". An der Marie reize sie der dramatische Ansatz. Außerdem müsse man nicht ganz so heftig gegen das Orchester ansingen, sagt sie mit einem entwaffnenden Lächeln. Zielstrebig schon ihre musikalische Ausbildung: Als Dreijährige erhält sie vom russischen Vater Klavierunterricht, leitet bereits als junges Mädchen einen Chor. Als die 17-Jährige ihrer Gesangslehrerin ein Rimskij-Korsakow-Lied vorsingt, ("very slawisch") ist die Gesangskarriere beschlossene Sache. In Schweden intensiviert sie ihre musikalischen Studien, beim Placido-Domingo-Wettbewerb in Paris erreicht sie einen dritten Platz, erste Engagements folgen. An ihre Zeit im Frankfurter Ensemble (2002-2004) denkt sie gern zurück. Aufgrund der freundlichen Aufnahme und weil man ihr hier gute Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt habe. Noch heute spaziert sie gern am Mainufer oder im Palmengarten, ihren Lieblingsort, "um den Akku aufzuladen". Gleich zwei Refugien nennt die Globetrotterin in Sachen Oper, demnächst als Mimi in Puccinis "La Bohème" im spanischen Valencia zu erleben: Daheim bei Muttern lässt sie sich regelmäßig mit typisch kräftiger russischer Kost verwöhnen, in Stockholm genießt sie ihre knappe Freizeit mit Freunden am Meer. Ein Opernstar also, der noch mit beiden Beinen auf der Erde steht, der beim Hausputz gern MTV einschaltet und Robbie Williams schätzt. Spitzbübisch grinsend gibt Maria Fontosh sogar eine Schwäche zu. Schmuck liebt sie über alle Maßen. Eine Shopping-Tour durch Frankfurt dürfte Smetanas Marie daher leicht über den Verlust des dicken blonden Zopfs von Stockholm hinweghelfen … KLAUS ACKERMANN | |