Böhmen liegt doch am Meer VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH An der zur Bühne noch geschlossenen Kachelwand wird emsig geputzt und gewienert. Auch während des Stücks ist man mit Staubtuch und Wischwedel allenthalben zugange. Typisch bäuerlich? Typisch tschechisch? Die Folklore, das gehört jetzt zum guten Theaterton, soll sich nicht breit machen. Immerhin wird massenhaft getrunken, getorkelt und geknufft, und Bierleichen plumpsen von Tischen und Bänken. Idyllisch sieht es nicht unbedingt aus in dieser Dorfsphäre der berühmtesten Smetanaoper. Allerdings auch nicht so düster und grimmig wie in Christof Nels letzter Frankfurter Inszenierung vor gut zwanzig Jahren. Der norwegische Regisseur Stein Winge hatte offenbar im Sinn, die Rauheit des Dorflebens nicht wegzulügen durch Komödienschwung und dekorative Buntheiten. Er erzählt nüchtern die Geschichte vom verstoßenen Sohn, der in seine Heimat zurückkehrt und den von den Eltern bevorzugten Halbbruder in einer Heiratssache raffiniert auspunktet. Sein intriganter Alleingang bringt - und das schrammt haarscharf an Tragik vorbei - seine Beziehung zur Titelfigur zum Knirschen. Da alles zufriedenstellend ausgeht und mit Vatersegen, lässt Winge auch dem Putzigen und Drolligen Raum, vor allem bei der Zeichnung der Elternpaare und der Zirkustruppe, die, direktoral und knatterchargig angeführt von Carlos Krause, die geschlossene Dorfwelt tüchtig aufmischt. Mit dem VW-Bus durch die Wand Benoit Dugardyns Bühnenbild war auffällig, aber dem Spielablauf nicht selten auch ein wenig hinderlich. Es gab ein nahezu bühnenfüllendes geschnecktes Spitzgiebelgerüst mit Assoziationen an Fachwerk, aber auch postmoderne Ausstellungspavillons. Da die Akteure oft über eine Treppe gewissermaßen aus dem Unterdeck auftraten (und Hans bei der finalen Erkennungsszene über eine Leiter von einem imaginären Mastbaum herabzusteigen schien), ergaben sich aber auch Schiffswerft-Anklänge à la Zar und Zimmermann. Böhmen liegt mithin für den Shakespeare-Kenner Winge wohl doch am Meer. Im ersten Akt arbeiteten sich die Darsteller mehr an dieser aufdringlichen Architektur ab als aneinander. Vom zweiten Akt an war mehr Freiraum auf der Vorderbühne, und es bestätigte sich die Funktionslosigkeit des Gerüsts. Die Zirkusleute brachen mit einem uralten VW-Bus durch die Kachelrückwand, eine schöne Epiphanie von Freiheit in der bäuerlichen Enge. Sorgfältige Einzelzeichnungen prägten die Szenographie mehr als ein großer interpretatorischer Zug. Liebevoll modifizierte Winge den weniger als Trottel denn als unterdrückten Muttersohn agierenden Wenzel (stimmlich kräftig tenoral: Carsten Süß). Für ihn endet die Geschichte kaum blamabel, vielmehr mit einer glücklichen Emanzipation als Partner der puppenhaften Zirkusschönheit Esmeralda (Tamara Weimerich). Nett abgestuft zwischen Rüstigkeit und Verfall die Elternpaare (Franz Mayer, Sonja Mühleck, Dietrich Volle, Margit Neubauer), auf mehr figarohaft-schmierige Weise alert, etwas vom hinterwäldlerischen Tausendsassa abgerückt, der mit windiger Eleganz daherkommende Heiratsvermittler Kecal von Gregory Frank, der mühelos seinen Buffobass vorführte. Die beiden ganz großen Highlights der sonst leicht durchwachsenen Aufführung waren der junge Tenor Jonas Kaufmann als Hans und die Marie von Maria Fontosh, sängerisch und darstellerisch ein Traumpaar. Frappierend, zu welcher raumfüllenden Stimmmacht die zierliche Sopranistin fähig ist, die besonders beeindruckte mit der blühenden Innigkeit und Wärme ihrer Mittellage und den lyrischen Tönungen ihrer beiden Arien. Hans' heikle C-Dur-Arie mit ihrer relativ hohen tessitura wurde von Kaufmann souverän aus der behutsamen Dynamik bis ins strahlende Forte hineingeführt. Die Figur war ungemein lebhaft und nahezu akrobatisch angelegt. Und es war klargestellt, dass Hans bei seinen nervenanspannenden Unternehmungen reichlicher alkoholischer Nachhilfe bedarf. Sorgfalt und Detailgenauigkeit waren auch die Tugenden der musikalischen Leitung von Roland Böer. Die Ouvertüre, eine der virtuosesten der Opernliteratur, wurde mit ihrem fugierten Streichergewusel zunächst ungehetzt genommen, so dass sich gestochene Einsätze und klare Artikulationen ergaben; es blieb noch eine Temporeserve für die Schlussstretta. Aufmerksame Sängerbegleitung, recht gute Chor-Koordination (Einstudierung: Alessandro Zuppardo). Es wurde deutsch gesungen Es wurde - bei dieser Buffa eine vernünftige dramaturgische Entscheidung - deutsch gesungen. Es gab also die Verkaufte Braut, nicht Prodana Nevesta. Die nun auch schon ein halbes Jahrhundert alte Übersetzung von Kurt Honolka ist gewiss texttreuer als die schwelgerisch poetisierende und an Knallpointen reiche frühere von Max Kalbeck, die das Werk (dessen Karriere zur tschechischen Nationaloper hin der Komponist, der dafür eher die repräsentativen Historiengemälde Libuse und Dalibor vorsah, nicht ahnte) in deutschsprachigen Ländern populär machte. Dass Honolkas schlichtes Deutsch sich der Smetanamusik besser anschmiegen würde, lässt sich jedoch nicht behaupten. Da die Textverständlichkeit nicht sehr groß war, hätten sich auch in diesem Fall Übertitel empfohlen. [ document info ] Dokument erstellt am 22.05.2006 um 16:12:27 Uhr Erscheinungsdatum 23.05.2006 |
Im Dorf glüht die Sehnsucht Von Andreas Bomba Zuallererst ist diese Aufführung ein Sängerfest. Maria Fontosh und ihre wunderbar farbenreiche, in der Mittellage glutvolle Stimme verkörpern alle Tugenden der Braut Marie: das heitere Glück jugendlicher Liebe, das Unglück, den angehimmelten Hans nicht zu bekommen, die plötzliche Lust, einen anderen, den schüchternen Wenzel zu verführen, das störrische Beleidigtsein über den Brauthandel. Und das naive Zupacken beim Happy End. Zwischen Anfang und Ende liegen allerlei Erfahrungen, und ob die Liebe dann wirklich trägt, lassen Musik und Libretto (man singt die deutsche Übersetzung von Kurt Honolka) überraschend offen. Jonas Kaufmann hat Hans, den Liebhaber, sehr deutlich positioniert: als einen Optimismus und Oberflächlichkeit paarenden Leichtfuß und mehr kraft- als treuestrotzenden Macho – die Hoffnung des deutschen Heldentenorwesens zeigt seine stimmlichen Möglichkeiten, lachend leicht und so stark, dass der Chor bierseliger Bauern schon einmal erschrocken zurückweicht. Welcher Kontrast zu Wenzel, dem stotternden Halbbruder! Ein von Carsten Süß empfindsam gesungener Typ, der sich nicht ins Dummerchenkorsett zwängen lässt, sondern – nach dem Abenteuer mit Marie, die ihn gleichwohl nicht heiraten will – recht bald über seine Bedürfnisse Bescheid weiß. Zum Schluss ist Kecal, der Heiratsvermittler (umtriebig und mit abgründig-stählernen Baß-Tönen: Gregory Frank) selbst der Dumme. Einen großen Auftritt bekommt das Frankfurter Opern-Urgestein, der Erzkomödiant Carlos Krause, als Zirkusdirektor. Gaukler, Jongleure, die einfältige Esmeralda (Tamara Weimerich) und ein Stelzenläufer entsteigen einem alten VW-Bus, der zu Beginn des dritten Aktes durch die gekachelte Bühnenwand bricht. Hier erreicht die mehr in Details inspirierte Inszenierung Stein Winges ihren Höhe- und Wendepunkt. Das Fremde dringt ein in eine zwar saubere, aber auch in sich enge Welt, dargestellt durch kreisrundes, hermetisches Fachwerkgestänge im Zentrum der Bühne (Benoît Dugardyn). Mit dem Fremden kommen Farben und ein Hauch von Freiheit ins Spiel, die Leichtigkeit künstlerischen Seins. Ihr verfällt sogleich Hata (Margit Neubauer), deren Ehemann und Hans und Wenzels Vater Micha (Dietrich Volle) vorab heimlich Ludmila (Sonja Mühleck) begrapscht. Das hatte Maries Mutter bei ihrem gebrechlichen Mann Kruschina (Franz Mayer) wohl lange nicht mehr erlebt ... Kurzum: Stein Winge erzählt aus dem Leben eines Dorfes, wo trotz festem Rahmen unter der Oberfläche allerlei Sehnsüchte glimmen. Fremde Männer lassen sie kurz auflodern. Dazu braucht es keine Folklore: Arbeitskleidung und bäuerlicher Sonntagsornat (Kostüme: Jorge Jara) genügen in schmuckloser, steriler Umgebung. Der Reinlichkeitsfimmel generiert einen finalen Gag: Hatte schon zur Ouvertüre eine Putzfrau die Kacheln gewienert, probiert zum Schluss auch der (erfolglose) Kecal diese Arbeit – eine Läuterung der besonderen Art. Da ist die Musik schon vorbei, die unter Roland Böers umsichtiger Leitung sehr differenziert aus dem Graben gedrungen war: präzise, klanglich ausbalanciert, sängerfreundlich, ohne Sentimentalität und überladene Polka-Seligkeit. Dass Smetana mehr als diese im Sinn hatte, wird schon in der feinen, fugenartigen Ouvertüre klar. Bis das Stück so recht in Gang kommt, die Personen Konturen entwickeln, sind allerdings einige Längen zu überstehen. Vielleicht auch deshalb „nur" freundlicher, kein enthusiastischer Beifall – aber auch keine Buhs. |
Doppelbödige Posse um "Verkaufte Braut" Am Vorhang aus Delfter Fantasie-Kacheln wird schon eifrig gewischt, bevor die Ouvertüre loslegt. Während sich in lichter Höhe Bühnenarbeiter mit Bier zuprosten. Der Sauberkeitswahn macht in Bedrich Smetanas "Verkaufter Braut" Sinn. Denn im Komischen Singspiel um eine verhinderte Zwangsehe haben alle Dreck am Stecken - bis auf einen. Und diesen armen Tölpel hat Regisseur Stein Winge in seiner Inszenierung an der Oper Frankfurt besonders ins Herz geschlossen. Doch obwohl der Norweger - mit Ibsen-Dramen offenbar eng vertraut - die dunklen Stellen des heiteren Bühnenstücks genüsslich aufspießt, verliert die Liebesgeschichte nicht an Drive, geschweige denn an Sentiment. Da stehen Kapellmeister Roland Boer, das hohe Tempi vorlegende Frankfurter Museumsorchester und eine Solisten-Riege vor, die szenisch wie musikalisch erstaunliche Fitness bezeugen. Und dafür gab es am Ende der Premiere am Willy-Brandt-Platz viel verdienten Beifall. Von wegen Operette - schon die Ouvertüre hat es in sich, vom Dirigenten Boer leicht aufgeraut, der sich mächtig ins Zeug legt. Auch bei jenen klanglichen Ingredienzen, die später in den Klarinetten-trunkenen Liebesarien, den derben Bauerntänzen oder den kontrapunktisch-schwierigen Verhandlungen um einen Ehevertrag gebraucht werden. Das Opernorchester scheint hier in allen Sektionen böhmisch geprägt. So lustvoll werden Polka oder Furiant aufgezäumt, so innig die Klanggarnitur bei den Szenen einer beinahe verhinderten Liebe, die, in deutscher Sprache gesungen, unmittelbar rüberkommen. Winges böhmisches Dorf ist ein rundlicher Turm aus durchsichtigem Fachwerk, der sich in einer Art inneren Bezirk wiederholt (Ausstattung: Benoit Dygardyn), in dem die solchermaßen abgeschottete Gesellschaft ihre Spielchen treibt. Das atmet Kittelschürzenmief, und Blaumänner gibt es im Wortsinn (Kostüme: Jorge Jara): Kaum eine Komische Oper, in der das Bier nicht nur in Strömen fließt, sondern auch noch besungen wird. Die Folgen stellt der Regisseur in einem Tableau aus, das für Breughels deftige Kneipenbilder Ehre einlegt. Und wenn die so genannten kleinen Leute mit täppischer Eleganz Polka oder den wilden Furiant tanzen, dreht sich die Bühne dauerhaft. Da hat der Chor wieder einmal allerhand zu tun, zeigt sich in Schmetterlaune und noch im dicken Klanggewoge fein abgestimmt, wie er tanzt oder den Liebeshandel neugierig begafft (Einstudierung: Alessandro Zuppardo). Keine Spur von Zwangsheirat im heutigen Sinn: Eher fühlt sich Marie, die einen anderen heiraten soll als den geliebten Hans, von allen verschaukelt - und sie versteht auch selbst kräftig auszuteilen. So macht sie sich unbekannterweise an den Tollpatsch Wenzel heran, den sie doch gar nicht will, erzählt ihm Märchen und gibt ihm einen langen, allzu langen Kuss. Eine Paraderolle für Maria Fontosh, deren feiner lyrischer Sopran auch so manche dramatische Klippe nimmt, mühelos Druck aufbauend. Warum ihr Hans, der mit Brechtscher List den Heiratsvermittler foppt und schröpft, indes erst so spät verrät, dass er Wenzels Bruder ist, bleibt Smetanas und seiner Librettisten Geheimnis. Jonas Kaufmann gibt ihm das Profil eines Liebenden der durchaus auch Zuhälter-Qualitäten an den Tag legt. Und er besitzt einen Tenor, der höchste Töne schwerelos erklimmt - dazu mit einem wunderschön warmen Timbre gesegnet. Die tiefen Töne hatte dagegen Gregory Frank gepachtet, ein ungemein geschmeidiger Bass, der zwar zur Premiere gelegentlich an etwas langer Leine mit dem Orchester verbunden scheint, aber ideal den Drahtzieher-Part ausspielt. Am Ende steht er außen vor und muss - offenbar mittellos - den Kachel-Vorhang putzen. Passen Franz Mayer als an Krücken gehender Bauer samt seiner ihn andauernd spießbürgerlich befummelnden Gattin (Sonja Mühleck) sowie Dietrich Volle als Grundbesitzer und Margit Neubauer als seine neureiche Frau auch stimmlich wie nach Maß, so liefert Carsten Süß als Wenzel zwischen Stottern und tenoraler Kantilene eine prächtige Charakterstudie ab. Dem Komplex geladenen Sympathieträger kann geholfen werden: Von der wunderschönen Esmeralda (Tamara Weimerich), die samt dem souveränen Zirkusdirektor (köstlich: Altmeister Carlos Krause) und dem "Indianer" Gérard Lavalle per VW-Bus bürgerliches Mauerwerk durchbricht und Wenzel zum Bärendienst verpflichtet. Fortan herrscht zwischenzeitlich Kleinkunst auf der Opernbühne. Bis auf Jonas Kaufmann gehören alle Akteure zum Frankfurter Ensemble, dessen Qualitäten wieder einmal erstaunen. Die zweite Erkenntnis nach dieser musikalischen Komödie mit Tiefgang: An der Oper Frankfurt hat das Sommertheater schon früh begonnen. Und das ist gut so! KLAUS ACKERMANN |
Nur der Bär entkommt Von Axel Zibulski
FRANKFURT Da hat Wenzel ja noch einmal Glück gehabt, am Ende heil aus seinem Braunbären-Kostüm geklettert zu sein. Immerhin hat sich hierzulande der Blick auf diese unlängst zum Abschuss freigegebene Spezies streng verschärft. Doch in Frankfurt endet Bedrich Smetanas Oper "Die verkaufte Braut" natürlich vordergründig heiter. Zwar wird selbst die zuvor ganz dominante Rollenverteilung der Geschlechter in Biertrinker und Putzfrauen angegriffen, auf dass zum Schlussakkord sogar Mann den Staubwedel schwingen darf. Doch härtere Konsequenzen haben die Machos vom Schlag eines Bräutigams Hans oder eines Heiratsvermittlers Kecal in Stein Winges Neuinszenierung wohl nicht zu befürchten in diesem böhmischen Dorf, wo sich selbst heikle Angelegenheiten wie eine drohende Zwangsehe noch mit Bauernschläue aus der Welt schaffen lassen. Dass es sich die verkaufte Braut Marie heute wohl längst nicht mehr bieten lassen würde, zur ahnungslosen Ware ihres listigen Liebhabers Hans zu werden, kommt Regisseur Winge erst gar nicht in den Sinn. Zwischen Blumenkästen, einem bald enger zusammengerückten Fachwerkgerüst (Bühne: BenoEt Dugardyn) bleibt dieses Dorf eine heile Welt, in der beim Putzen der adrett blau-weißen Kachelwände höchstens einmal versehentlich ein dekoratives Herzchen ausgewischt wird: Dies ein seltener, hübscher Regie-Gag zur Ouvertüre, die vom Frankfurter Museumsorchester unter der Leitung von Roland Böer zwar solide, aber ebenso wenig zündend geboten wird wie die gesamte orchestrale Seite dieser "Verkauften Braut". Und ebenso gedrosselt wie zumeist das Orchester klingt geht auch das Geschehen auf der Bühne voran. Im pittoresken Umfeld bleiben Passagen des bloßen Rampensingens nicht aus; so ist man umso dankbarer für den Budenzauber des Wanderzirkus, der im dritten Akt samt Stelzenläufer und Jongleuren in einem VW-Bulli durch die Kulissen bricht und dabei auch das langjährige Ensemblemitglied Carlos Krause vorfährt: Als tingelndem Zirkusdirektor bietet sich Krause einmal mehr Gelegenheit zu einer komödiantischen Glanznummer. Nicht ganz so überzeugend die Hauptdarsteller. Die gewiss hoch liegende Partie des Hans bewältigt Jonas Kaufmann oft nur mit engem tenoralem Überdruck, Maria Fontosh bleibt als recht herb timbrierte Marie vokal manches an leichtem Charme schuldig, als ihr hier blasser Vater Kruschina wird Franz Mayer vom Orchester meistens überlagert. Gregory Frank verfügt über den angemessen groben Bass für die Heiratsvermittler-Partie; ansprechend vor allem Tenor Carsten Süß als Wenzel, hier freilich einseitig als stotternder Trottel im selbst gestrickten Übergrößen-Pullover (Kostüme: Jorge Jara) gezeigt. Dass er immerhin der einzige ist, der nach der Bären-Einlage mit dem Wanderzirkus der dörflichen Enge entkommt, wird von der Regie trefflich übersehen. Wie, leider, so vieles zwischen den (hier deutsch gesungenen) Zeilen dieser "Verkauften Braut". |
„Die verkaufte Braut" von Bedrich Smetana Von Albrecht Schmidt Von böhmischer Folklore, sonst oft Markenzeichen von Smetanas Erfolgsoper „Die verkaufte Braut", ist in Stein Winges Frankfurter Inszenierung nichts zu sehen. Für den norwegischen Regisseur könnte das Stück überall auf der Welt angesiedelt sein. So zeigt er Menschen von hier und heute in ihrer kleinen, engen Welt, hermetisch abgeriegelt in einem stilisierten Dorf mit spiralartiger Häuserfront als weißes Fachwerkgerüst, rundum zugemauert von weiß-blauen Kachelwänden (Bühne: Benoit Dugardyn). Putzfrauen halten alles blitzsauber. Mit einem brillanten Bühnen-Gag stellt Winge dieser peinlich reinlich gehaltenen Innenwelt eine unkonventionelle, die Freiheit des Künstlers symbolisierende Außenwelt gegenüber. Mit Getöse durchbricht das Gefährt des Wanderzirkus die hintere Kachelwand; die Hippie-Insassen mischen die Dorfgemeinschaft gründlich auf und geben dem Happy-End mit den beiden glücklich vereinten Paaren einen übergeordneten Akzent: Der aus der Fremde heimgekehrte Hans kriegt seine Marie und wird im Dorf akzeptiert, sein Stiefbruder Wenzel, zu Hause als Stotterer diskriminiert, beginnt mit dem Wanderzirkus und der Tänzerin Esmeralda ein neues Leben. Heiratsvermittler Kecal ist der Gefoppte und darf am Ende statt Klinken die Kacheln putzen, damit an der Oberfläche alles schön sauber bleibt. Neben einigem Stillstand hat der Regisseur, unterstützt von Hege Tvedt, allen Akteuren viel Turbulenz verordnet. Die schlüssige Werksicht findet in der hervorragenden musikalischen Umsetzung ihre Entsprechung. Roland Böer zeigt schon in der akkurat und durchsichtig musizierten Ouvertüre einen frischen Zugriff, der den ganzen Abend über anhält. Drei großartige Gesangssolisten sorgen für Glanzpunkte: Maria Fontoshs Marie trifft mit jugendlich-strahlendem, in der Mittellage herrlich abgedunkeltem Sopran die Bandbreite der wechselnden Gefühle. Jonas Kaufmann gibt dem Hans die Züge eines Sunnyboys und wartete mit auf Hochglanz polierten Spitzentönen auf. Ausstaffiert als pomadiger, smarter Manager ist Gregory Frank der Heiratsvermittler Kecal, der in der dunklen Bass-Tiefe nicht passen muss, sondern sogar an Volumen noch zulegen kann. In der Höhe prunkt er mit funkelndem Bariton-Glanz. |
Heitere Volksoper? Kritik von Midou Grossmann Wer kennt es nicht, das liebenswerte Singspiel in drei Akten, das im böhmischen Hügelland spielt? Neben der ‚Zauberflöte’ und ‚Hänsel und Gretel’, dürfte dieses Werk unzählige Kinder und Jugendliche mit der Welt der Oper bekannt gemacht haben. Ich selbst erinnere mich noch gut an eine hinreißende Fernsehproduktion dieser Oper, die einen aufmüpfigen, alles niedertanzenden Hans zum Mittelpunkt hatte. Dieser Rebell hat mich damals tief beeindruckt. Der norwegische Regisseur Stein Winge versetzt die Handlung in das Heute und verweist auf das Thema Zwangsehe, das momentan wieder überall für Schlagzeilen sorgt. So löblich diese Vorgehensweise auch sein mag, so trägt nicht zuletzt auch Smetanas heitere Musik dazu bei, dass man doch eigentlich nur eine charmante Bauernposse in dem Stück sieht, was allerdings nicht als Abwertung zu verstehen ist. Der Komponist selbst nennt sein Werk eine ‚Spielerei’. Stein Winge inszeniert, trotz aller Aktualisierungen, mit einem großen Augenzwinkern. Dass der Funke erst im dritten Akt auf das Publikum überspringt, liegt vielleicht auch daran, dass seine Arbeit zu Detail verliebt angelegt ist. Aber auch das Frankfurter Museumsorchester mit Roland Boer am Pult beginnt etwas spannungslos. Dynamik und intensive Phrasierungen werden vermisst, was sich dann auch im Gesang der beiden Hauptdarsteller, Maria Fontosh (Marie) und Jonas Kauffmann (Hans) bemerkbar macht. Maria Fontosh scheint sich noch einzusingen und Jonas Kauffmanns Stimme klingt etwas belegt. Wenn man an seine grandiosen Auftritte als Mozartsänger zurückdenkt, ist der frühe Rollenwechsel sehr bedauerlich. Es wird Deutsch gesungen, doch leider teilweise recht unverständlich. Das große Duett zwischen Marie und Hans im ersten Akt geht vollkommen effektlos über die Bühne, die nachfolgende Handlung entwickelte sich dann zu einer Schunkeloper mit Männer-Biergelage und Strip-Parodie des Hans. Überhaupt sind viel zu viele Bierflaschen in die Handlung eingebunden, ob da ein Sponsorenvertrag mitgewirkt hat? Stimmlich steigern können sich Maria Fontosh und Jonas Kauffmann erst im dritten Akt. Dagegen zeigt der Bass Gregory Frank, in der Rolle des Heiratsvermittlers Kecal, schon mit den ersten Tönen seine Meisterschaft im Gestalten und wird so zum Liebling des Publikums. Auch Carsten Süss, in der Rolle des stotternden Wenzel, ist eine adäquate Besetzung, ebenso Dietrich Volle (Micha), Margit Neubauer (Háta), Sonja Mühlbeck (Ludmila), Franz Mayer (Kruschina), Carlos Krause (Zirkusdirektor), Tamara Weimerich (Esmeralda) und Gerd Lavalle (ein Indianer). Alle diese Rollenporträts sind von Stein Winge sehr psychologisch gezeichnet und werden von den Protagonisten auf der Bühne entsprechend gut umgesetzt. Es zeigt sich eine recht engstirnige Dorfgemeinschaft, weit ab von einer Folklore-Idylle. Die Ankunft des Zirkus, ebenfalls gut gelungen, ein Kleinbus durchfährt einfach die Kulissen und heraus purzeln bunte Gestalten, bringt erst einmal Leben in die bigotte und oberflächliche Ordnung des Dorfs. Man versteht Wenzels Flucht aus der Dorfgemeinschaft. Der Chor spielt und singt seine vielen Auftritte wie immer sehr gut. Die Aufführung wird vom Publikum mit viel Applaus belohnt, daran ist sicherlich der gelungene dritte Akt nicht ganz unschuldig. |
Oper Frankfurt Mit der Verkauften Braut gelang Oper Frankfurt wieder mal ein grosser Wurf. Allerdings bewahrheitete es sich, dass das "komosche Singspiel" an sich ein Selbstläufer ist. Ein Fragezeichen wäre nur anzubringen, wenn sonst in grossen Häusern in Originalsprache gesungen wird, hier zugunsten der deutschen (Honolka-)Fassung darauf verzichtet wurde. Natürlich ist tschechisch schwierig, aber das trifft auf alle slawischen Sprachen zu. Auf russisch wird immer gesungen (Tschaikowsky), etwa nur weil es weiter vom deutschen Sprachraum entfernt ist? Dass da mal nicht unangenehme Erinnerungen aufkommen. Trotzdem: es funktioniert auch auf deutsch, und es wird auf gute Aussprache Wert gelegt, so dass eine Übertitelung grossteils nicht vermisst wird. Auf der durchgängig hell beleuchteten Bühne ist das Dorf durch die Holzgerippe der Fachwerke dargestellt, die die sich im Kreis wie zu einer Kuppel türmen (Bb.: Benoit Dugardyn) und für phantasievolles Spiel stehen. Zuweilen wird davor eine Kachelwand mit volkstümlichen Blaumuster heruntergelassen, die zum Schluss vom "Heiratsvermittler" Kecal geputzt wird. Auch wird sie durchstossen, wenn ein alter VW-Bus mit Zirkustruppe hereinfährt. Die Inszenierung stammt von dem Norweger Stein Winge, und seine Personenführung erscheint meisterlich durchgearbeitet, versteht Spannung aufzubauen und durchzuhalten. Dabei stehen ihm glänzende Daarsteller zur Verfügung, die inclusive dem Chor nicht scheuen, in unmöglichen Posen (z.B.Betrunkenheit ausdrückend beim Kirchweihfest) zu agieren. Auch mit den Kostümen Jorge Jaras wird gespielt, so die trashige Bekeidungzusammenstellung für die Bäuerin Ludmilla oder der Wenzel in Hochwasserhosen, riesigem Graustrickpullover und Hornbrille. Die musikalische Ausführung unter Roland Böers Leitung bringt auch die symphonischen Teile (die schmissige Ouvertüre und der berühmte Auftrittsmusik der Zirkustruppe) zu fulminanter Geltung, wobei sich das Museumsorchester hörbar ins Zeug legt. Die deftigen Chöre sind von Alessandro Zuppardo gewohnt zuverlässig studiert. Carlos Krause ist als Zirkusdirektor ein unverwüstlicher Typ und gibt mit Tamara Weimerich/Esmeralda und Gerard Lavalle/"Indianer" eine zündende Abwechslung vom Dorfalltag. Das Grundbesitzerpaar ist mit Dietrich Volle (geschmeidiger Bass) und Margit Neubauer mit prangendem Mezzosopran sehr rollendeckend besetzt. Die Brautmutter Ludmila ist Sonja Mühleck, die mit ihrem feinen Sopran schlaksig agiert und mit ihrem Mann (wieder ein echter Grand Seigneur auch in der Stimme: Franz Mayer) dem Kecal auf die Schliche kommt. Der Heiratsvermittler ist Gregory Frank und gibt in diese Rolle süffisant mit seinem orgelnden und teils trompetenhaften Schwarzbass. Der Wenzel wird von Carsten Süß mit sehr ansprechendem lyrischen Tenor gegeben, wobei er auch das Stottern ganz musikalisch integriert und steht in nichts seinem Stiefbruder nach, den Jonas Kaufmann edeltenoral timbriert und fliessend musikalisch singt und als phlegmatisch verschlagenen Liebhaber auch optimal darstellt. Seine Marie ist in Gestalt von Maria Fontosh[ ein unbedarftes Prachtweib und singt all das fabelhaft, was ihr an anmutigen Kantilenen und Koloraturen in die Kehle komponiert zu sein scheint. Friedeon Rosen |