Frankfurter Allgemeine Zeitung
29. Mai 2007

Verpuppte Empfindsamkeit
Wiederaufnahme von Händels "Ariodante" an der Oper Frankfurt

Anstatt die stilisierende Ästhetik des Barock durch expressiven Realismus zu aktualisieren, sind Achim Freyer und Friederike Rinne-Wolf bei ihrer Inszenierung der Oper Ariodante an der Oper Frankfurt den entgegengesetzten Weg gegangen. Die Sängerdarsteller agieren als Puppen eines fiktiven Marionettentheaters mit entsprechend stark eingeschränktem Bewegungsraum und flacher Perspektive. Indirekt zitiert diese Anordnung die längst verlorengegangene Tradition, die aktuellen Opern des Repertoires im heimischen Marionettentheater nachzustellen.

Durch die äußerliche Reduktion kommt die musikalische Innenseite des Werks zu sich selbst, zumal die durchweg auf den Dirigenten ausgerichtete Positionierung der Sänger und die Abwesenheit der üblichen Spielgeräusche eine Abstimmung zwischen den Beteiligten wesentlich erleichtert. Auch bei der nunmehr zweiten Wiederaufnahme des Stückes seit der Premiere im Jahr 2004 besticht das eigentümliche Konzept. Unter der Leitung des in Frankfurt immer wieder gerne mit Barockem betrauten Felice Venanzoni bevorzugt das Museumsorchester verhalten schimmernde Töne.

Das Spiel mit der artifiziellen Expressivität beherrschen viele der singenden Puppen perfekt. Britta Stallmeister agiert makellos in der Rolle der völlig schuldlos in die zentrale Intrige verwickelten Dalinda. Nino Surguladze hat sich vom Schurken Polinesso der Premiere zum empfindsamen Titelhelden gewandelt und agiert auch hier mit sensibel nuanciertem Timbre. Den Bösewicht mimt bei der Wiederaufnahme Daniela Pini mit heißkalter Perfidie. Vokale Glanzpunkte setzt auch Jussi Myllys als Odoardo. Die weiteren Rollen sind mit Soon-Won Kang (König), Svetlana Doneva (Ginevra) und Nicholas Phan (Lurcanio) besetzt. Nicht zuletzt als Gegengewicht zu spielerisch aktualisierenden Händel-Inszenierungen bleibt Achim Freyers zartes Spiel eine wichtige Säule des aktuellen Spielplans der Frankfurter Oper.

BENEDIKT STEGEMANN

 

OFFENBACH POST
2. Juni 2007

Ritterspiele im Puppentheater
Händels "Ariodante" wieder in Frankfurt

Die Figuren waren halb Menschen, halb Puppen, als vor drei Jahren Georg Friedrich Händels Musikdrama "Ariodante" an der Oper Frankfurt Premiere hatte. Denn Achim Freyer und Friederike Rinne-Wolf ließen die verwickelte Intrigengeschichte um den Titel gebenden Ritter und seine schottische Prinzessin Ginevra in einer Art Guckkasten-Puppentheater spielen. Zum zweiten Mal wurde jetzt die Inszenierung wieder aufgenommen, in der die Barockoper ganz ins Märchen-Gewand gekleidet wirkt und die sich bis zur schnörkeligen Schrift der deutschen Übertitelung verspielt gibt.

So ist Freyers und Rinne-Wolfs Regie zunächst apart anzuschauen, doch szenisch tragen kann sie über die lange Distanz von vier Stunden (samt zwei Pausen) nur mit erheblichen Durststrecken. Nach einiger Zeit hat sich der Zuschauer an dieser Puppenstube, in der die Figuren sich fast immer nur von links nach rechts, von rechts nach links bewegen, sattgesehen.

So kann er froh sein, dass nun mit Felice Venanzoni, Studienleiter an der Frankfurter Oper, ein versierter Barock-Dirigent die musikalische Verantwortung übernommen hat. Er führt das historisch informiert spielende Museumsorchester in jeder Hinsicht überzeugend durch den Abend, sinnlich und geschmeidig in der Moll-Stimmung des zweiten Akts, in dem Ariodante zwischenzeitlich für tot gehalten wird, aber auch kernig und vital in den Instrumentalsätzen vor den Aktschlüssen.

Bei der Vokalbesetzung ist aus dem Bösewicht ein Ritter geworden: Die Mezzosopranistin Nino Surguladze, die in der Premiere noch den Strippen ziehenden Intriganten Polinesso gegeben hatte, war bei der Wiederaufnahme ein eher herber Ariodante; als Polinesso debütierte ihre italienische Stimmfach-Kollegin Daniela Pini mit passend dunkler Dämonie.

Neu besetzt sind auch die Partien der Prinzessin Ginevra (Svetlana Doneva) und von Ariodantes Bruder Lurcanio (Nicholas Phan). Doch eine der besten vokalen Figuren gibt nach wie vor Ensemble-Mitglied Britta Stallmeister als Dalinda, Vertraute der Prinzessin, ab: Ihre enorme Wendigkeit und Verzierungs-Sicherheit blieb bei der Wiederaufnahme nahezu unerreicht.

AXEL ZIBULSKI

 

Frankfurter Neue Presse
30.05.2007

Mit einer frischen Brise
Händels „Ariodante" wurde am Frankfurter Opernhaus wieder aufgenommen.

Achim Freyer und Friederike Rinne-Wolf lassen in Händels Oper die Puppen tanzen. Knapp vier Stunden schieben sich die unterschiedlichen Akteure in „Ariodante" auf verschiedenen Ebenen hin und her, um ihre köstlichen Stimmen zur Entfaltung zu bringen. Es geht um ein Sammelsurium von Intrigen rund um die Thronfolge am schottischen Königshof. Am Ende siegt die Kraft der Liebe, und der edle Ritter Ariodante wird der Ehemann der Königstochter.

Man erlebt einen prallen Strauß an barocken Arien und Rezitativen, die immer wieder von einer frischen Brise in Form eines Orchesterzwischenspiels durchweht werden. Dabei war besonders das auf Barockformat geschrumpfte Museumsorchester unter der Leitung des italienischen Barockspezialisten Felice Venanzoni gefragt, der jedoch die Zügel fest in der Hand hielt und für einen temperamentvollen Musizierstil sorgte.

Fünf der sieben Sänger in der Wiederaufnahme feierten ihr Rollendebüt; einzig die erhabene Britta Stallmeister als Königstochter Ginevra und Soon-Won Kang als König waren schon in diesen Rollen zu erleben. Gleichwohl vermittelte das Solistenensemble einen sehr homogenen Eindruck – Nino Surguladze in der Titelrolle sowie Daniela Pini als Intrigant Polinesso verdienen dabei besondere Erwähnung. (Ge)

 

Frankfurter Rundschau
Mai 2007

Das gekitzelte Auge
Frisch wie am ersten Tag: Ariodante an der Oper Frankfurt
VON BERNHARD USKE

Ein Trumpf der Frankfurter Oper ist die Inszenierung von Georg Friedrich Händels Ariodante, die im Jahr 2004 herauskam. Achim Freyer und Friederike Rinne-Wolf hatten eine Art Singpuppenspiel aufgezogen mit durch raffinierte Kostüme und Bühnenbau miniaturisiert wirkenden Sängern. Die stellen das intrigenreiche amouröse Thema der Oper als hochstilisierte Strategie vor. Echter Opern-Konzeptionalismus, wie man ihn selten zu sehen bekommt. Zu den marionetten- und schachzugartigen Bewegungsfolgen kommt die Lichtdramaturgie, die einen farbsatten Augenkitzel darstellt: Oper als Op-Art.

Das alles ist jetzt, frisch wie am ersten Tag, wieder zu sehen, und der Zauber, den die Frankfurter Barockfiguren-Emblematik bietet, bleibt ungebrochen. Die musikalische Leitung liegt bei Opern-Studienleiter Felice Venanzoni, der dem Museumsorchester einen straffen (...) Händel-Klang entlockt. (...)

Premierenbewährt ist Britta Stallmeister (Dalinda) mit ihrem glockenhellen Sopran. Als weibliche Zentralfigur Ginevra ist Svetlana Doneva zu hören (...). Der alle Unbill des Geschehens auslösende Bösewicht Polinesso wird von Daniela Pini gegeben: prägnant und ausdrucksstark. Die Titelfigur Ariodante ist Nino Surguladze kernig und zugleich beweglich genug gelungen. Der König wird von Soon-Won Kang solide präsentiert. Den markantesten und plastischsten Eindruck hinterlässt Nicholas Phan als Lurcanio.