Frankfurter Neue Presse
13.11.2006

Der Mensch im Kaiser
Mozarts „La Clemenza di Tito" in der Inszenierung von Christof Loy wurde an der Oper Frankfurt wiederaufgenommen.

Den Lobgesängen über die Inszenierung von Christof Loy, die die Premiere ausgelöst hatte, darf man sich von Herzen anschließen. Tatsächlich hat Loy in diesem für uns heutzutage formal nicht ganz einfachen Werk die letzten Reste der strengen „opera seria" überwunden, die selbst Mozart nicht ganz austilgen konnte. Loy schafft das durch genaue psychologische Zeichnung, die gerade den Titus, der im Libretto ja keinerlei Entwicklung hat, von jeder Milde-Automatik befreit. Yves Saelens, neu in der Titelpartie, zeigt diese Charakterisierung eindringlich-sympathisch, beweglich und auch vokal überzeugend: ein Mensch, kein Machthaber.

Er ist im Übrigen nicht die einzige Neubesetzung: Elin Rombo singt die Servilia kontrolliert leidenschaftlich, Stella Grigorian weckt als Sextus allen Schmerz der Welt, schließlich Annette Stricker, die dem Annius ein sympathisch-„mozartisches" Profil gibt. Wieder mit von der Partie sind Sonja Mühleck als dramatisch bewegte „Anstifterin" Vitellia und Simon Bailey als auch sängerisch durchaus gestandener Publius.

Am Pult steht der junge Solorepetitor Erik Nielsen, der schon in der vergangenen Saison Paolo Carignani abgelöst hatte. Die Ouvertüre wirkt fast ein wenig kurzatmig, doch das Orchester findet allmählich den sicheren Stand, nicht im „historisierenden" Gewand, so doch mit lebendigem Profil und angemessener Innenspannung. Eine Meisterleistung für sich vollbringt das hellwache Continuo. (jö)

 

OFFENBACH POST
13. November 2007

Milde zum Regierungsprinzip gemacht

Wiederaufnahme von Mozarts "La Clemenza di Tito" an Oper Frankfurt mit vielen Umbesetzungen

Die Neuinszenierung von Mozarts Opera seria "La clemenza di Tito" war ein Geburtstagsgeschenk. Diese international beachtete Koproduktion mit Wien kehrt zum Ende des Mozartjahrs nach Frankfurt zurück - mit fast durchweg neuer Besetzung.

Im Auftragswerk zur Krönung Leopolds II. zum böhmischen König gelang es Mozart, den barocken, auf Allegorien zugeschnittenen Figuren von Metastasios und Mazzolàs Dramma serio Leben einzuhauchen. Und in Christoph Loys psychologisch fundierter Inszenierung werden diese vollends zu zornigen oder zärtlichen, zerrissenen oder gefestigten, bemitleidenswerten Menschen aus Fleisch und Blut. Der Regisseur verlangt vom Ensemble erhebliche schauspielerische Qualitäten; mit Erfolg. Selbst in den gattungsbedingt eher meditativen Arien wird die Handlung vorangetrieben, aber innere und äußere Dramen spielen sich vor allem in den Rezitativen ab.

Für die ungeheuer spannende Gestaltung dieser von Mozarts Schüler Süßmayr stammenden Partien sorgt am Hammerklavier Erik Nielson, der am Dirigentenpult Paolo Carignani ablöst. Auch sein Dirigat lässt keine Wünsche offen, zumal der Solorepetitor bereits Aufführungen der Premierenserie geleitet hat und die Kontinuität so gewahrt bleibt. Er weiß den Atem der Musik überzeugend zu vermitteln, die Dynamik und die stets bedeutungsvollen Orchesterfarben transparent herauszuarbeiten. Die Soloholzbläser, besonders der Bassklarinettist, zeigen sich zu lebendigen Dialogen mit den Sängern inspiriert. Dirigent und Orchester fühlen sich vollkommen ein in den Stil der Regie mit emotionsgeladenem Rhythmus, Beschleunigung oder quälenden Pausen des Nachdenkens.

Ein Gewinn ist Tenor Yves Saelens in der Titelrolle. Technisch makellos, mit geschmeidigem, kraftvollem Timbre, differenziertem Spiel und packender Steigerung widerlegt er das Urteil, Titus sei ein Tugendbold, der nur reagiere. Der Kaiser macht die Milde zum Regierungsprinzip, indem er auf die Gattin seiner Wahl dank ihrer Wahrheitsliebe zugunsten ihres Geliebten verzichtet und dem Freund verzeiht, der ihm nach dem Leben trachtet. Doch die Konsequenz - das verdeutlicht Saelens im zweiten Akt - muss der im Vertrauen Getäuschte sich schmerzhaft erkämpfen und mit Einsamkeit bezahlen.

Den wohl schwierigsten Charakter verkörpert Sextus: Als liebeshungriger Schwächling der übermächtigen Vitellia hörig, zum Attentat auf den Kaiser unentschlossen, nach dem versuchten Mord am Freund von Reue geplagt, dank Schweigeversprechen bereit, die Todesstrafe auf sich zu nehmen. Stella Grigorian meistert bei ihrem Rollendebüt diese Nuancen stimmlich und darstellerisch bewundernswert. Facettenreich gestaltet Sonja Mühl eck die Vitellia. Getrieben von Hassliebe zu Titus, ist sie rachsüchtiges, Ränke schmiedendes Biest, spielt erotische Macht aus, findet zu wahrer Liebe und bereut ihre Mordpläne. Ihr strahlender dramatischer Sopran harmoniert mit dem Mezzo ihrer Partnerin; schade, dass sie physisch nicht zusammenpassen.

Musikalisch und darstellerisch überzeugend, fügen sich Elin Rombo als Servilia und Annette Stricker als Annio harmonisch ein. Ein Genuss ist das warm timbrierte Duettino Sesto/Annio im ersten Akt; aber alle Ensemblenummern gefielen. Als Kontrastfigur zu den sensiblen Protagonisten ergänzt der Sicherheitsbeamten-Typ Publio die hohen Register durch die tiefe Lage. Ihn verkörpert mit voluminöser Stimme Simon Bailey, lässt an Osmin gemahnende Komik durchblicken. Mit großer Präzision agiert der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor. Anhaltender Beifall und Bravos für alle Beteiligten!

EVA SCHUMANN