Frankfurter Rundschau
12.07.2006

"Così fan tutte"
Kammeroper Frankfurt probt " für Open-Air-Saison im Palmengarten

VON HANS-JÜRGEN LINKE

Rainer Pudenz"Darf ich hier sitzen bleiben oder stört das?" - "Mal sehen. Vielleicht nehmen wir Sie einfach in die Szene hinein."

So eine erste Durchlaufprobe ist noch längst nicht die Generalprobe, geschweige denn die Premiere. Es gibt noch allerlei auszuprobieren: Hier und da muss beim Text eingeholfen werden, und die Darsteller können sich immer noch gegenseitig überraschen und zum Lachen bringen. Sie können verschiedene Ideen ausprobieren und verwerfen oder ausarbeiten und an Details deuteln und experimentieren. Gesang und Bühnenaktionen müssen an einigen Stellen noch besser koordiniert werden, manchmal zieht sich die Szene weit auseinander, wo sie näher zusammen bleiben sollte, manchmal weiß nicht jeder so recht, wohin jetzt. Niemand trägt schon Kostüm, auch das erspart Festlegungen: In Alltagskleidung kann man sich mental freier bewegen und wagt mehr spielerische Distanz zur Rolle. Vielleicht.

Vielleicht ist aber der turbulente Übermut bei der Probe auch Teil des Inszenierungskonzepts. Schließlich handelt es sich bei dem, was hier geprobt wird, um Mozarts Buffo-Oper Così fan tutte, und die, die da proben, gehören zur Kammeroper Frankfurt, die ab Mitte Juli die Freilichtbühne im Palmengarten bespielen wird. Wer die Kammeroper Frankfurt kennt, ahnt, dass da eher Turbulenz und Übermut als gemessene Arrangements in historischen Kostümen zu erwarten sind.

"Bin ich jetzt an der Reihe?" - "Wieso denkst du, dass du jetzt an der Reihe wärst?" - "Weil die Bühne so leer ist und alle darauf zu warten scheinen, dass etwas passiert. Da dachte ich, ich wäre dran und wüsste es mal wieder nicht."

Wenn der Sommer kein verregneter Sommer ist, ist der Palmengarten ein wunderbarer Ort für eine Buffo-Oper. Und wenn es nicht zu heiß ist, ist der Pavillon neben der Musikmuschel ein äußerst angenehmer Ort zum Proben: keine stickige Probebühne, sondern ein lichter Raum mit viel Grün drumherum und drinnen mit genügend Platz, um sich einigermaßen frei zu bewegen.

plakatRainer Pudenz, Regisseur und im Grunde Personifikation der Kammeroper, macht bei der ersten Durchlaufprobe einen durchaus gelösten Eindruck. Manchmal greift er ein, um das Ausdrucks- und Bewegungsrepertoire zu beeinflussen. Abwehrgesten zum Beispiel: Dourabella braucht unbedingt ein paar intensive Abwehrgesten, während sie ihre Arie singt, in der sie über den Mann grübelt, der sich in eindeutiger Absicht nähert und ihr Weltbild und ihr moralisches Selbstverständnis in Frage stellt. So etwas muss man nicht von vornherein wollen, und das soll man auch sehen können. Wie produziert man bühnenwirksame Abwehrgesten? Hier wird der Regisseur gebraucht: Er legt ihr von hinten die Hände auf die Schultern, sie entwindet sich. Er ergreift ein Handgelenk, sie entzieht es ihm. Er fasst beide Oberarme an, sie schüttelt ihn ab. Abwehr erzeugt man durch Zugreifen. Schon kommt mehr Bewegung ins Spiel.

"Und was kommt jetzt?" - "Na, du!"

Don Alfonso ist der lasterhafte Beherrscher des intriganten, frivolen Spiels dieser komischen Oper, in der die Frauen nicht einfach auf die Probe gestellt, sondern brutal betrogen und manipuliert werden. Ihr Wertesystem, ihre lebenspraktischen und erotischen Orientierungen, das Regelwerk, nach dem sie bisher gelebt haben, alles wird durcheinander gewürfelt, alles nur wegen einer Wette, die Don Alfonso zu gewinnen gedenkt. Nein, komisch ist das eigentlich nicht. Aber auf der Bühne der Kammeroper ist Don Alfonso komisch, auf eine vielschichtige Art: Eine intensive Karikatur des unmoralischen Lebemannes und Regelverbiegers, durchaus nicht nur durch die Wette, sondern auch durch das eigene Triebleben in die Verwechslungsgeschichte involviert. Zynisch, aber auf merkwürdige Weise sympathisch, als sei das, was er in der Geschichte verkörpert, so etwas wie eine geheime Wahrheit der Condition Humana. Don Alfonso nimmt einen imaginären Schluck aus einem silbernen Gentleman-Flachmann. Jetzt können sie wieder kommen.

"Halt mal! Du solltest hier zur Mitte gehen. So!" - "Das wusste ich gar nicht. Hatten wir das schon mal?" - "Ich weiß nicht. Ich hab's hier aber so notiert." - "Na gut. Dann also so."

Eine kleine Pause, dann soll das Finale geprobt werden. "Finale - oh oh!" singt es von hinten im Sopran. Einen Fußballgesang einarbeiten: gute Idee oder nicht? Mal überlegen. Die Sänger verlassen den Probenraum und verteilt sich auf Zuschauerstühlen. Es ist mild im Palmengarten. Einige rauchen, andere stecken die Köpfe zusammen, kichern, einer entspannt sich mit einem langen Blick in die Baumwipfel. Sie sind gerade wieder dabei, sich etwas einfallen zu lassen.

"Ich hoffe, ich trete dir nicht zu nahe?" - "Ach, bitte, bedien dich doch."

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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 11.07.2006 um 16:28:23 Uhr
Letzte Änderung am 11.07.2006 um 16:38:13 Uhr
Erscheinungsdatum 12.07.2006

Kammeroper Frankfurt
Im Palmengarten beginnt am Samstag, 22. Juli, mit der Premiere von "Così fan tutte" die Freilicht-Opern-Saison.
Die Kammeroper Frankfurt arbeitet fieberhaft daran, Mozarts dritte Da- Ponte-Oper mit angemessener Turbulenz auszustatten und zu erkunden, was in ihr steckt.
Es wird, so viel kann man schon vermuten, nicht das gleiche sein, was vielen anderen eingefallen wäre.
www.kammeroper-frankfurt.de