Frankfurter Allgemeine Zeitung
24. Juli 2006 – Nr. 169 / Seite 40

OPER
Manche mögen's leis

Von Ursula Böhmer

Fiordiligi und Dorabella sind Zicke und Alarm in kurzen Reifrock- und Petticoat-Kleidchen, zerrupften Kopfputzen (Kostüme: Margarete Berghoff), sie tragen die Konterfeis ihrer Verlobten auf Einkaufstaschen mit sich herum. Guglielmo und Ferrando sind Treu und Doof im Pat- und Patachon-Anzug oder marschieren, mit übergroßen Raketen-Phallussymbolen bewaffnet, als knallig uniformierte Seargent und Pepper scheinbar in den Krieg, verkleiden sich zum Partnerinnentausch als hiphopende Sunny und Boy, mit Langhaarperücke und einem ewig langen Schal, über den sie ab und an lustig stolpern.

Dienerin Despina hilft den treulosen Treuetestern schnell wieder auf die Beine, sozusagen mit magnetischer Anziehungskraft - läßt sie an dem Riesenbusen nuckeln, den sie sich kurzerhand umgeschnallt hat. Und Don Alfonso, der diesen ganzen Zirkus mit seiner Wette angezettelt hat, lungert - wenn er nicht gerade im Publikum herumschlurft - mit allerlei Flaschen in der Hand am Bühnenrand herum, raucht Kette und kommentiert: „Ach, ne! Ach so was!"

„Liebeshauch"-Gesang

Sommernachtsposse im Palmengarten: Regisseur Rainer Pudenz macht mit seiner Kammeroper Frankfurt aus Mozarts „Cosi fan tutte" albernes Klimbim-Theater. Bei der Premiere störte dabei der anfangs hartnäckige Regen weniger als vor allem - Mozarts Musik. Die herrlichen Ensembles mit ihren tränenverhangenen Abschiedskantilenen im ersten Akt, Fiordiligis standpunktfeste „Felsenarie", Ferrandos verträumter „Liebeshauch"-Gesang lassen sich einfach nicht durch den Kakao ziehen.

Wo Mozart Possen reißen will, macht er es ohnehin deutlich in seinem „komischen Singspiel in zwey Aufzügen", das 1790 im Wiener „k.k.National-Hof-Theater nächst der Burg" uraufgeführt wurde: Im wachrüttelnden Orchester-Triller etwa, zu dem Despina als Arzt die Liebeskranken Ferrando und Guglielmo magnetisch aus ihrer „Ohnmacht" holt, in Despinas monotonem Juristen-Kauderwelsch, im temporeichen Zwischengeflüster seiner Protagonisten.

Schön unaufdringlich

Pudenz reißt zu allem Überfluß aber noch eigene Possen: Was der Clown im ersten Akt auf der Bühne zu suchen hat, erschließt sich dabei ebensowenig wie der riesige Olympionike, der mit Bierglas statt Fackel in der Hand durch Joao Malheiros Bühnenbild läuft, oder die beiden Tunten-Marilyn-Monroes, die sich im zweiten Akt plötzlich an Ferrando heranmachen. Weniger ist mehr - und manche mögen's leis.

Das Orchester machte es vor: Schön unaufdringlich und präzise kommentierte das um einige Musikstudenten ergänzte Ensemble der Kammeroper das Bühnentreiben. Dirigent Christian Ludwig hatte auch die Sänger gut im Griff, die - allen Possen zum Trotz - klangschön sangen: die intonationssichere Sibylle Fischer als Fiordiligi, Dzuna Kalninas Dorabella mit etwas flattrigem Vibrato, die wunderbar samtweichen Stimmen des Omar Gerardo Garrido Mendoza (Ferrando) und des Markus Matheis (Guglielmo), die manchmal etwas leise Soubrette Ingrid El Sigai (Despina), der charaktervolle Don Alfonso Bernd Kaisers. So machen es nicht alle.

 

Frankfurter Rundschau
24. Juli 2006

Helden wie Spielbälle
Feuchte, aber fröhliche Premiere: Die Kammeroper Frankfurt bespielt mit "Così fan tutte" den Palmengarten

VON STEFAN SCHICKHAUS

Vom nächstem Sommer an, sagte Rainer Pudenz, werde er Fußball-WMs machen. Denn da sei das Wetter verlässlich. Irgendetwas scheint der Chef der Kammeroper Frankfurt in der Tat falsch gemacht zu haben: Vom 9. Juni an war praktisch jeder Abend in Frankfurt eine schön, warm und trocken, bis pünktlich am Premierenabend der neuen Kammeroper-Produktion im Palmengarten der große Regen aufzog. Sichtlich irritiert ob dieser meteorologischen Ungerechtigkeit standen Rainer Pudenz und sein Team eine Dreiviertelstunde vor Beginn der Mozart-Oper Così fan tutte auf der Bühne der Orchestermuschel und beratschlagten, ob man spielen könne. Und ob es überhaupt genug Zuschauer geben werde…

Dann kamen doch sicherlich mehr als 200 Besucher. Denn die Kammeroper hat ein treues Publikum, das sich von Wasser nicht die Zusammensetzung des Picknickkorbes diktieren lässt. Nur vereinzelt war zu hören, es sei eine Frechheit, ans Anfangen zu denken, das Zuhören werde so ja wohl kein Vergnügen sein. War es aber doch, den ersten Akt lang unterm Schirm, im zweiten Akt dann schon wieder im Trockenen. Gegeben wurde Così fan tutte nun halbszenisch, die Akteure suchten ihre Wege an dem auf die Bühne verlegten Orchester vorbei - viel schien dadurch nicht verloren zu gehen: Das böse Spiel um die geprüfte Verlässlichkeit der Frauen, die mit der Zeit so sicher platzt wie der weiße Luftballon mit der Krakelaufschrift "Treue" in der Hand von Ferrando, hatte jedenfalls Tempo genug.

Weltbild vergiftet, Haare verfettet

Geplatzt ist der Ballon durch die Zigarettenglut des Don Alfonso, hier gesungen und gespielt von Bernd Kaiser, seit vielen Jahren eine so tragfähige wie stimmlich immer wieder eindrucksvolle Säule der Kammeroper-Mannschaft. Dieser Don Alfonso ist ein abgerissener Stenz, verknittert und vom Alkohol verfärbt, dessen Weltbild so vergiftet ist wie seine Haare verfettet sind. Wenn er nicht gerade auf der Bühne Träume platzen lässt, zieht er stänkernd durch die Publikumsreihen, schnorrt hier einen Platz unter einem Schirm, pöbelt dort herum. Jeder Stadtteil kennt einen wie ihn. Die jungen Verliebten Ferrando und Guglielmo scheint man dagegen aus anderen Zusammenhängen zu kennen. Halb sind sie Stan und Olli, halb aus der Zeit geworfene Beckett-Gestalten wie Wladimir und Estragon. Wenn sie dann aber ihre Bräute verlassen und als verkleidete Muselmanen zurückkehren, stehen sie als Inkarnationen von Erkan und Stefan in dieser Mozart-Oper. Um seine Helden zu Spielbällen zu machen, scheint Regisseur Pudenz das Casting nicht nur nach Gesichtspunkten des adäquaten Mozart-Gesangs vorgenommen zu haben. Der lange Markus Matheis und der runde Omar Gerardo Garrido Mendoza jedenfalls sind Typen, Sängerdarsteller, die sich nicht scheuen zu überzeichnen, zu überreizen. Das Auge hört bei der Kammeroper immer mit.

Ihre Herzensdamen, die hier mit Konterfei-verzierten Prada-Täschchen zu gewinnen waren, zeigten sich sängerisch jedenfalls überlegen. Dzuna Kalnina als Dorabella verfügt über einen vollen, weichen Sopran, Sibylle Fischer als Fiordiligi war schärfer timbriert; genug Kraft, um unter den hintersten Schirm zu dringen, hatte beide. Ebenso wie Adriane Kienzler als Despina, die beweglichste der drei Damen, die diese dankbarste aller Mozart-Partien entsprechend auskostete. Gesungen wurde auf Deutsch ("Seht ihre Wangen bleichen, bald sind sie tote Leichen"), mit der Präzision aber war es nicht so weit her, weil durch das Halbszenische die Sänger den Dirigenten Christian Ludwig im Rücken hatten. Und, auch dies eine kleine Einschränkung: Ein so schematisch angelegtes Continuo der Rezitative müsste heute eigentlich nicht mehr sein.

Zum Schluss gab es Applaus auch für das Publikum, die Sänger und das Produktionsteam (mit einer diesmal besonders pfiffigen Margarete Berghoff als Kostümbildnerin) bedankten sich bei denen, die im Feuchten fröhlich blieben. Bei gutem Wetter in die Freilichtoper gehen, das können ja alle.

[ document info ]
Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 23.07.2006 um 18:08:19 Uhr
Erscheinungsdatum 24.07.2006

 

Frankfurter Neue Presse
24.07.2006

Humorvoll trotz Gewitter
Die Frankfurter Kammeroper war mit Mozarts „Cosí fan tutte" zu Gast im Palmengarten.

Von Claudia Arthen

Das Ensemble der Frankfurter Kammeroper lässt sich weder von Donner und Blitz noch von Regen abschrecken, und etwa 150 Musikliebhaber ebenfalls nicht. So nahm die Aufführung von Mozarts Oper „Cosí fan tutte" einen zwar feuchten, aber fröhlichen Verlauf, bei der sich Strippenzieher Don Alfonso alias Bernd Kaiser gelegentlich zum Publikum begab, um die Zuhörer zu fragen, wie die Geschichte von Ferrando und Guglielmo, die ihre beiden Verlobten auf die Probe stellen, denn ausgehe und wie es um die Treue in dieser Welt bestellt ist.

Kaiser ist ein tadellos artikulierender, die Ironie und den Zynismus exakt dosierender Basso cantante. Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Kollegen nach seiner Pfeife tanzen: Sybille Fischer und Dzuna Kalnina treten mit barocken weißen Haartürmen auf und lassen sich am Ende auf ein Techtelmechtel mit den in unschuldiges Weiß verkleideten Omar Gerardo Garrido Mendoza und Markus Matheis ein, die zuvor als Spielzeug-Soldaten mit Spritzpistolen vermeintlich in den Krieg gezogen waren. Das stimmlich wie darstellerisch begabte Solistenensemble setzt die Rainer Pudenz’ Regieeinfälle auch in den Übertreibungen glaubhaft um und lässt sich auf so manche Szene mit einem Augenzwinkern ein: etwa, wenn Adriane Kienzler als Despina den Toten mit Saft aus ihrem Riesenbusen neues Leben einflößt.

Die Musiker unter der Leitung von Christian Ludwig sorgen dafür, dass Mozarts Orchesterpart virtuos und spritzig daherkommt.

 

Der Neue Merker
25.7.2006

Frankfurt, Kammeroper im Palmengarten
COSI FAN TUTTE

Regisseur Rainer Pudenz ist im Rhein-Main-Gebiet mit seiner Kammeroper Frankfurt seit nun 20 Jahren eine Instanz. Seine Inszenierungen sind meist hyperaktiv, bestensfalls „flippig" und locken immerhin eine zahlenmäßig reiche Freundesgemeinde in den Frankfurter Palmengarten zu jährlich einer Open-Air Produktion. Ob allerdings diesem Publikum mehr das lockere Ambiente bei Wein und Picknick, oder das zur Aufführung gebrachte Stück den Ausflug wert ist, bleibt dahingestellt.

Im Mozartjahr spielt man Cosi fan tutte in der sehr antiquierten deutschen Schünemann-Fassung. Und würde man „Cosi" nicht kennen, so kann man sie, dass sei vorausschickend gesagt, hier nicht kennenlernen können. Alles was dieses herrlich filigrane Stück ausmacht, die leidenschaftliche Sehnsucht junger Liebender, die unterschiedlichen Reaktionen auf das Experiment Alfonsos, der Spaß, der bitterer Ernst wird, findet schlicht nicht statt. Mag Pudenz bei einem Rossini mit seiner Übertreibung noch nicht großen Schaden anstellen, rächt sich seine Oberflächlichkeit und sein Schielen nach billigen Gags bei Mozart bitter. Nie werden echte Gefühle empfunden, nie Fallhöhen erreicht. Die Personen durchleben nichts, sie tänzeln modisch und gleichförmig durch das trockene Bühnenbild (Joao Malheiro) in allerdings sehr gelungenen, einfallsreichen und stilsicheren Kostümen ( Margarete Berghoff). Auch fehlt der ordnende Blick, die Wahrnehmung für Spannungsbögen und Zeit für Ruhepole: regiehandwerklich elementare Dinge, die aus dem Chaos erst eine Dramaturgie machen könnten. Grobe, sich repetierende Gestik und unsinniges Gelaufe sind die Folgen. Man quält sich dabei in braver Nacherzählung durch den Text. Despina mit Megabusen als Dottoressa oder Zidane- Kopfstöße erheitern allenfalls Hartgesottene, tragen aber rein gar nichts zur Aufschlüsselung der Handlung bei.

Aber da wäre ja immerhin Mozarts Musik! Doch auch da wird man gnadenlos enttäuscht.

Unter Christian Ludwigs Stab hetzt ein synchron spielendes junges Orchester durch die Partitur, einzig dann allargierend, wenn die Sopranistin ihre Koloraturskalen nicht rechtzeitig schafft. Im Gegensatz dazu stehen im Einheitslargo ausgewalzte Rezitative, die viel zu tönend und gleichförmig durchgekaut werden. In den Ensembles schreit alles um die Wette,- „sotto voce" ,ein unbekannter Begriff ?- , manchmal so jäh, dass die Architektur der herrlichen Kompositionen nicht mehr nachzuvollziehen ist. So ist Mozart nicht zu ertragen.

Den Sängern mag man es am wenigsten anlasten. Unter ihnen behaupten die jungen Männer sich mit gut geführten Stimmen. Omar Gerardo Garrido Mendoza als Ferrando verdient sich den Lorbeer, obwohl ihm italienische lyrische Tenorpartien sicher noch besser liegen müssten. Schmalstimmiger, aber sehr angenehm im Timbre der Guglielmo von Markus Matheis, der mal ganz anders, eher den Schüchternen als den Draufgänger in der Rolle spielt. Unter den Frauen bringt Ingrid El Sigai als Despina professionelle, einnehmende Bühnenpräsenz und einen gutklingenden, leicht abgedunkelten Sopran mit. Die seriösen Frauen quälen sich mehr. Sibylle Fischer möchte man eher mit einer Elsa denn mit der Fiordiligi betrauen, aber tapfer und raumgreifend, wenn auch stilistisch nicht sicher, meistert sie die Anforderungen. Auch Dzuna Kalnina stößt bei der Dorabella stimmlich an ihr Limit, weiß aber durch keckes Spiel und attraktives Auftreten wieder Punkte gutzumachen. Unerträglich ist allerdings Bernd Kaisers Don Alfonso. Sein Deklamieren als Bellen zu bezeichnen, wäre noch Euphemismus. Verkrampft stemmt er mit penetrantem Forte die Silben einzeln in den Nachthimmel und outriert dabei recht abgeschmackt, teils die anderen musikalischen Nummern regelrecht störend. (Sicher ein unbegreiflicher Wille der Regie).

Unter den Förderern der Kammeroper finden sich illustre Gönner wie die Frankfurter Rundschau oder das Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Man wünscht ihnen Ohren und Augen, um beurteilen zu können, wie Fördermittel richtig eingesetzt werden sollten. Sicher hat es in diesem Jahr sorgfältigere, der Unterstützung würdigere Mozart- Projekte gegeben.

Die Kammeroper Frankfurt findet auch nach Jahren nicht aus dem Dunst des Laienhaften heraus. Konzeptionelle, auch personelle Erneuerung ist sicher dringend nötig, um einen Aufwärtstrend einzuleiten.

Damian Kern