SWR2
März 2007

Bernhard Lang Der Alte vom Berge

In zahlreichzum Synonym für „Mörder" geworden: die Assassinen, Mitglieder einer mittelalterlichen orientalischen Sekte, die aus ideologischer Überzeugung politische Morde begingen, um den islamischen Gottesstaat wieder herzustellen. Der Anführer dieser ersten straff organisierten Terrorgruppe war Hassan-i-Sabbah (ca. 1034 bis 1124), auch unter dem Namen „Der Alte vom Berge" bekannt: für die einen ein ‚Freiheitskämpfer mit Visionen’, für die anderen ein ‚eiskalter Terrorist’. Hauptquartier der Assassinen war die 100 Kilometer vom heutigen Teheran gelegene Festung Alamut, ein mythisch verklärter Ort, von dem ganze Romane erzählen.

Von diesem traditionsreichen und zugleich hochaktuellen Thema handelt das Musiktheater von Bernhard Lang. Der 1957 geborene, vielfach ausgezeichnete österreichische Komponist zählt zu den führenden Komponisten seiner Generation: Seine Werke werden von Paris bis Moskau gespielt, er ist auf allen namhaften zeitgenössischen Musikfestivals vertreten, lehrt als Professor in Graz, war u.a. Stipendiat des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg und wird 2008 Dresdner Artist in Residence sein. Bezeichnend für Bernhard Lang ist seine künstlerische Offenheit und Vielseitigkeit: so hat er sich mit der Tradition des Jazz ebenso intensiv beschäftigt wie mit den aktuellen Möglichkeiten medialer Grenzüberschreitung. Nach der Auseinandersetzung mit Elektronischer Musik und Computertechnologie hat er z.B. ein spezielles Verfahren der kompositorischen Gestaltung entwickelt, das auf dem Wechselspiel von Differenz und Wiederholung beruht und musikalisch auch dem „Alten vom Berge" zugrunde liegt. Und auch das Libretto ist höchst zeitgemäß konzipiert: Es basiert auf einer Internetsuche, deren Ergebnisse zu einem komplexen Textnetzwerk zusammengestellt wurden. Die Handlung aber zehrt von jenem Stoff, aus dem schon immer Opern waren: Träume von Weltherrschaft und Paradies, Konflikte mit Müttern, Frauen und Helden wie Richard Löwenherz – und etliche „Assassins".

 

Schwetzingen Festspiele
Mai 2007

Bernhard Lang im Interview
Schwetzingen als „faszinierender Ort mit herausfordernder Tradition"

Im Auftrag der Schwetzinger Festspiele und des Theater Basel als Koproduzent komponierte Bernhard Lang die Schwetzinger Uraufführung 2007. Der Österreicher zählt zu den führenden Komponisten seiner Generation, seine Werke werden derzeit von New York bis Moskau gespielt und sind auf allen namhaften zeitgenössischen Musikfestivals vertreten.

Herr Lang, Sie thematisieren in Ihrem Musiktheater „Der Alte vom Berge" den Assassinenorden. Der Anführer dieser ersten straff organisierten Terrorgruppe war Hassan i Sabah (um 1034 - 1124), auch unter dem Namen „Der Alte vom Berge" bekannt, für die einen ein „Freiheitskämpfer", für die anderen ein „Terrorist". Was inspirierte Sie dazu, die orientalische Sekte zum Thema Ihres Kompositionsauftrages für die Schwetzinger Festspiele zu machen?

Ich stieß auf die Person Hasans durch die Texte von William S. Burroughs ("The Last Words of Hasan i Sabah"). Zum ersten Mal nahm ich musikalisch in meinem 2. Streichquartett (1991) bezug auf Hasan. Mich inspirierte vor allem die schillernde Mischung aus Lügenmärchen, Denunziationen und Geschichtsfälschungen, die zur Konstruktion seiner Geschichte geführt hatte und die trotz ihrer historischen Unwahrhaftigkeit selbst wieder zum Ausgangspunkt für Mythen und politische Bezüge wurde. Die Person Hasan fasziniert zudem durch die Idee eines politischen Mords, der sich ausschließlich auf politische Spitzenkräfte konzentrierte und versuchte das Volk vor kriegerischer Geiselhaft zu bewahren.

„Der Alte vom Berge" entstand zwischen 2004 und 2007. War die Komposition einem ständigen Entwicklungsprozess unterlegen und unterscheidet sich das Endergebnis grundlegend von Ihren ersten Ideen?

Ich habe in diesem Zeitraum nicht permanent an diesem Stück gearbeitet, doch flossen die Ergebnisse der umliegenden Arbeiten jetzt in das Endergebnis ein. Das betrifft vor allem die Behandlung der Elektronik (Zuspielungen).

Was muss man sich unter einem „Musiktheater in zwei Aufzügen für sechs Stimmen, elektrisches Orchester und Mehrkanalzuspielung" vorstellen? Was erwartet das Publikum?

Das Publikum erwartet eine konzeptuelle Fortführung des "Theater der Wiederholungen" (Musiktheater von Bernhard Lang, UA Graz 2003, Anm. d. Red.). Das Ensemble wird als prozessierter Klangkörper in der Durchmischung mit den Playback-Materialien auftreten, wobei hier Techniken aus der neueren elektronischen Rockmusik verwendet werden: Verdopplung, Verstärkung, maschinelle Kopplung. Die Sänger agieren als multiple Persönlichkeit, aus der sich einzelne Theatercharaktere spielerisch herauslösen. Das Stück erzählt in sich stets verzweigender Weise, die Sänger changieren dabei zwischen Erzählern, erzählten Figuren und Personen innerhalb einer Erzählung.

Sie greifen die von Ihnen entwickelte Idee der Differenz/Wiederholung auf. Wie wenden Sie die in „Der Alte vom Berge" an?

„Der Alte vom Berge" ist ein loop-basiertes Stück, wobei das Konzept von d/w (Differenz/Wiederholung, Anm. d. Red.) hier als abstrakte Maschine verwendet wird, die sich nicht ausstellt, sondern im Untergrund als "game engine" wirkt. In den Paradies-Passagen kommt diese Maschine zum Stillstand. Es tritt ein konkurrierendes narratives Element im Kontext starker Zeitdehnung ein.

Sie komponierten nicht nur die Musik, sondern haben auch das Libretto geschrieben. Auf welche Quellen greifen Sie dabei zurück? Warum ist es auf Englisch verfasst?

Das Libretto folgt den gleichen Strukturprinzipien wie die Klänge. Es ist mittels einer Maschine namens "Abulafia" erstellt worden, welche die Ergebnisse einer Internet-Recherche nach Hasan i Sabah in Mikroloops zerschnitt und neu kombinierte, ein Zitat der Burroughs-Methode Cut-up/Fold in, die er zusammen mit Brion Gysin entwickelt hatte. Gysin war in den sechziger Jahren in El Alamut und forschte nach Hasan. Hinzu kommen Zitate von Coleridge, Burroughs, Ludlow ("The Hashish Eater"), Aleister Crowley und anderen. Die Verwendung des Englischen ist einerseits faktisches Ergebnis der zitierten Recherche und der erwähnten Autoren, andererseits Zeichen der gegenwärtigen Appropriation von Märkten und Kulturen und politischen Systemen.

Mittlerweile haben die Proben für „Der Alte vom Berge" im Theater Basel, dem Koproduzenten dieser Opernproduktion, begonnen? Arbeiten Sie eng mit dem Regisseur Georges Delnon zusammen und verfolgen Sie die Entwicklung der Inszenierung?

Die Zusammenarbeit mit Georges Delnon gestaltet sich sehr intensiv und spannend: Georges teilte mit mir gleich von Beginn an die Faszination an diesem Thema. Er hat sich viel Zeit genommen, meinen Ansatz und die damit verbundenen vielfältigen Perspektiven des Textgeflechts zu durchleuchten.

Gibt es für Sie während der derzeitigen Umsetzung Überraschungen mit Ihrer Musik und Ihrem Text?

Überraschungen wird es hoffentlich viele geben, wenn ich dann das Ganze szenisch vor mir sehen kann: mich interessiert es, interpretiert zu werden, mich von neuen Lesarten meines Stücks überraschen zu lassen.

Es ist Ihre erste Arbeit für die Schwetzinger Festspiele. Was verbinden Sie mit dem Festival?

Ich habe Schwetzingen schon mehrmals besucht, es ist ein faszinierender Ort mit herausfordernder Tradition, etwa die Scarrino-Premieren betreffend. Zudem gibt es hier die Spur einer Vernetzung mit unserem Thema: Der Erbauer des Schlosses hatte, soviel ich weiß, einen Sultan als Freund, der die Opernaufführungen von einer vergitterten Loge aus besuchte. Im Park steht das Simulakrum einer Moschee und man kann dort bis ans "Ende der Welt" gehen: Was könnte besser zu unserem Stück passen?