Skandalregisseur Calixto Bieito inszeniert Puccini Westernspektakel auf der Opernbühne
An der Hannover Staatsoper sorgte er mit seiner "Don Giovanni"-Version für 3500 Abonnement-Kündigungen. Trotzdem, oder gerade weil er eben auch ein neues Publikum erreicht, hält ihm sein damaliger Intendant die Treue. Albrecht Puhlmann, mittlerweile Chef der Stuttgarter Oper, hat den provokanten Regisseur bereits Anfang des Jahres für sein neues Haus verpflichtet, nachdem David Alden ausgestiegen war. Bieitos Auftakt war ein großer Erfolg: In Stuttgart wurde er für seine Inszenierung der Janáčeks-Oper "Jenufa" vom Publikum mit Bravo-Rufen und stürmischem Applaus gefeiert.
Calixto Bieito inszeniert den Stoff unter anderem mit einem Stuntman, echten Pferden und in der Kulisse eines echten Westernsaloons. Nachtkultur war bei den Proben dabei. Premiere ist am 23. Juni am Stuttgarter Opernhaus. |
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Spiel mir das Lied von der Liebe … Calixto Bieito, Giacomo Puccini und der Wilde Westen
Xavier Zuber: Es ist tatsächlich so, dass Puccini für die Metropolitan Opera in New York eine Westernoper schrieb – ein lukrativer Auf trag für den übrigens schon damals berühmten Komponistenstar aus Italien! Calixto Bieito: Die Oper beschreibt ein Implantat, das der italienischen Oper in Amerika; die Opernsängerin und der Wilde Westen: Man begegnet Minnie, als einzige Frau und umgeben von Männern gibt sie im ersten Akt bei einem Ständchen eine Bibelstunde. Puccini kreiert hier auf der Bühne einen Star samt seinem Publikum, und das vor dem Publikum, welches im Zuschauerraum des Theaters sitzt. Zuber: Interessant ist, dass in „La fanciulla" keinerlei soziale Konflikte auftauchen. Die Goldgräber, von der Gier nach Gold getrieben, werden von dem strahlenden Engel Minnie immer wieder besänftigt: dabei spricht sie die sentimentale Seite der Männer an. Bieito: Da zieht eine moralische Ebene in die Oper ein! Minnie versucht als (Wildwest-)Attraktion die Männer zu erziehen, um sie letztendlich von ihrer Gier zu heilen. Zuber: Die Bibelstunde eben! Bieito: Im zweiten Akt in ihrer einsamen Hütte, umringt von Indianern und jagenden Suchtrupps, empfängt sie den vermeintlichen Banditen Dick Johnson, um bei Kaffee und Kuchen (an einem mit Rosen gedecktem Tisch!) von Literatur und ihrem Lehrerdasein zu berichten, allerdings nur bis zum ersten musikalischen Gefühlsausbruch, der von der Sehnsucht nach dem stillen Hafen der Ehe kündet. Im dritten Akt tritt Minnie dann als rettender Engel auf, der mit vorgehaltener Pistole Dick Johnson durch seinen Aufruf zur Barmherzigkeit von dem wildgewordenen Mob erlöst. Zuber: Die Stuttgarter Inszenierung versucht das, was sich hinter der Fiktion des Wilden Westens und der Maskierung der Charaktere in der Musik Puccinis verbirgt, hervorzuheben. Es ist die Realität des Belcanto, und das Bekenntnis Puccinis zur klassischen Italianità des Verismo, das sich hier Gehör verschafft. Bieito: Das große Duett im zweiten Akt beispielsweise, das mit einem stilistisch ähnlichen Konversationspart wie bei „Madama Butterfly" oder „La Bohème" beginnt und in dem Ausbruch „Un bacio, un bacio" im großen Klangbogen des Orchesters in Erfüllung geht. Das ist große Emotion. Zuber: Wobei die Begegnung zwischen Dick Johnson und Minni eigentlich einem Zufall entspringt … Bieito: Sie begegnen sich hier während einer Western-Show, an der sie als Sängerin auftritt und er als Zuschauer teilnimmt. Johnson verliebt sich in die Sängerin und versucht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dabei hebt er sich von den anderen Besuchern ab und wird – ehe er sich versieht – zum Banditen Ramerrez als neue Attraktion in die Show integriert. Zuber: Dick Johnson führt bei Puccini auch musikalisch ein Doppel leben. Johnson trägt zwar den Namen des Banditen Ramerrez, doch die Musik beschreibt ihn ganz anders: sie erzählt von einem adretten höflichen Tanzpartner, der am Ende des ersten Akts in einem Wiener Tanzhaus seine Partnerin zum Walzer entführt. Puccini führt aus diesem Grunde parallel die Figur des Banditen Castro ein. Mit dieser Figur kriminalisiert Puccini die Figur Johnsons nachträglich. Dick Johnson ist weniger ein Scarpia als ein Cavadarossi oder Pinkerton, ein Lover also, ein von Amor verwundeter Mann, der die ganze Fürsorge und Protek tion Minnies in Anspruch nimmt. Bieito: Ja, denn der wahre Scarpia ist in „La fanciulla" der Sheriff Jack Rance! Er verkörpert nicht nur das Gesetz, sondern ist ähnlich wie sein Baritonkollege in der Oper „Tosca" auf beängstigende Weise korrupt und besitzergreifend, insbesondere was Frauen angeht: Er will Minnie für sich. Auch er hat die Sehnsucht geliebt zu werden, wie das Arioso beweist: „Minnie, della mia casa son partito". Minnie ist seine Pri ma donna. Er ist existenziell abhängig von ihr. Nicht nur finanziell. Puccini macht aus ihr die Verhand lungsmasse zwischen Rance und Johnson. Es ist wie bei „Tosca", nur diesmal eine Dreiecksgeschichte im Westernlook. Zuber: Der Look kreiert mitunter seltsame Blüten. Nehmen wir die Figur der Squaw Wowkle. Sie ist bei Puccini, eine „pièce d’ameublement musicale", sozusagen reine Staffage. Wie bei der Figur des Banditen Castro illustriert sie als Dienerin Minnies, dass diese wirklich im Wilden Westen lebt. Sie erinnert an Ping, Pang und Pong in „Turandot" – sie verkörpert das Fremde. Doch was ist mit dem Ende? Bieito: Das ist wie in Hollywood: ein riesiges Happy End … Zuber: … Liebe und Sehnsucht siegen; die Menge lässt von Johnson ab. Interessant dabei ist aber, wo Sheriff Jack Rance am Ende geblieben ist? Bieito: Da muss man sich drum kümmern, oder?
IM PORTRAIT
Die Eindrücklichkeit ihrer Darstellung verdankt sie ihrer stimmlichen Perfektion, die eine ungeheuer souveräne und farbenreiche Durchdringung der Partie erlaubt, und dem Zuhörer die Illusion grenzenloser Möglichkeiten vermittelt. Sie beruht aber auch auf dem künstlerischen Ideal, das Natalia Ushakova für ihre Arbeit formuliert: Ehrlich zu sein, weder auf noch hinter der Bühne zu lügen, die Rollen nicht zu spielen, sondern sie im Moment ihrer Darbietung in ganzer Konsequenz zu leben. Um sich auf eine neue Partie vorzubereiten, liest sie daher zunächst alles, was sie über den Komponisten finden kann, versucht zu verstehen, warum er die Musik für eine Figur genau so komponiert hat, welche Gefühle und welchen Ausdruck er ihr mitgeben wollte. Und aus diesem umfassenden, emotionalen Verstehen heraus nähert sie sich dann der gesanglichen Dimension der Partie. Was sie außer dem Gesang liebt und interessiert? „Lesen und Tiere – besonders Katzen, die sind so ehrlich." Und die Katzen lieben sie, so wie Totti, das Kätzchen des Nachbarn, das bei ihr einzieht, sobald sie von ihren vielen Reisen einmal nach Hause nach Graz kommt, und das sich bitterlich beklagt, wenn sie das tut, was Sänger so häufig tun müssen: Koffer packen. Angela Beuerle |
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