Frankfurter Allgemeine Zeitung
19. Januar 2007 

Oper
Mythenwortwitz

Von Guido Holze


Ihn bringt Cavalli sogar beim Dirigieren zum Lachen: Andrea Marcon

Es war nicht einfach, zu der dem Stück angemessenen Komik zu finden, weder für die Darsteller noch für das Produktionsteam. Der plötzliche Tod der Regisseurin Anouk Nicklisch, die am 9. Dezember in Köln an den Folgen einer Blutvergiftung starb, habe die Frankfurter Arbeiten an Francesco Cavallis Barockoper „Giasone" sehr überschattet, sagt Andrea Marcon. Der italienische Dirigent und Spezialist für Alte Musik, der morgen um 20 Uhr die Premiere der neuen Produktion der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot leiten wird, hat mit Nicklisch nicht mehr über ihr Konzept sprechen können, da die Proben in Frankfurt beim Tod der Regisseurin noch nicht begonnen hatten.

Zunächst, so Marcon, sei erwogen worden, die Produktion ganz abzusagen. Nach der Überwindung des ersten Schocks seien sich aber alle Beteiligten schnell darüber einig gewesen, dass die Arbeiten im Sinne der Verstorbenen und zu ihrem Gedenken fortgesetzt werden sollten. Das war möglich, weil es sich bei der Frankfurter Produktion um die Neubearbeitung einer Inszenierung handelt, die Anouk Nicklisch im Jahr 2004 für das Stadttheater Klagenfurt erstellt hat. Der Bühnenbildner Roland Aeschlimann, der schon in Klagenfurt mit dabei war, und Andrea K. Schlehwein, der Nicklischs neue Ideen bekannt waren, konnten den Frankfurter „Giasone" daher im Bockenheimer Depot zusammen mit ihrem Team und mit Hilfe der Klagenfurter Videoaufzeichnungen neu studieren.

Parodie des Mythos

Die Komik des „Giasone", der vermutlich im Karneval des Jahres 1649 in Venedig uraufgeführt wurde, liege dabei allerdings weniger in der Handlung selbst, erläutert Marcon. Die folge in groben Zügen dem Mythos von Jason und Medea: Giasone, der Anführer der Argonauten, gelangt mit Hilfe der Zauberin Medea in den Besitz des Goldenen Vlieses, eines Widderfells mit magischen Eigenschaften, nach dem er lange gesucht hat. Über der Liaison mit seiner Gehilfin vergisst er, dass er schon mit seiner Gattin Isifile verheiratet ist. Sein von Medea angestifteter Mordversuch an der Ehefrau misslingt, Isifile trennt sich von ihm. Dass die Götter in dieser Dreiecksgeschichte ihre eigenen Interessen verfolgen, versteht sich.

Die Oper des Monteverdi-Schülers, so Marcon, parodiere den Mythos und beziehe ihre Komik dabei nach dem Vorbild der venezianischen Commedia dell’arte aus dem Spiel der Darsteller und deren Wortwitz. Für ihn als Italiener sei der schlüpfrige Text jedenfalls sehr komisch – er lache oft in sich hinein, während er als Dirigent das Geschehen nach historischer Praxis vom Cembalo aus leite. Auch wenn es deutsche Übertitel geben werde, empfiehlt Marcon zur Vorbereitung die Lektüre des Librettos, das im Internet unter www.librettidopera.it zu finden ist. Im Barock sei Cavallis mittlerweile so unbekanntes Stück so beliebt gewesen wie heutzutage Puccinis „Tosca".

Eigene Fassung des Werks

In allen großen Städten Italiens sei es jahrzehntelang gespielt worden – zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich. Aber Cavalli, dessen 37 Opern ihn zu einem der erfolgreichsten Komponisten Venedigs machten, „war ein genialer Komponist, der für das Theater wie ein Bühnendirektor geschrieben hat", sagt Marcon. Der Dirigent, der in Frankfurt zuletzt Händels „Ariodante" leitete, hat schon zwei andere Cavalli-Opern dirigiert. Für seinen „Giasone" habe Cavalli eine besonders unterhaltsame Musik komponiert, wenngleich er an einigen Stellen auch das kontrapunktische Können zeige, das seine Sakralwerke kennzeichne. Darüber hinaus finden sich im „Giasone" auch einige der frühesten Accompagnati, also Rezitative mit auskomponierter Begleitung. Insbesondere Cavallis frühbarocke Arien aber seien mit denen Händels oder Vivaldis noch nicht zu vergleichen.

Für die Frankfurter Aufführungen hat Marcon auf Basis der Klagenfurter Version eine eigene Fassung des bislang ungedruckten, in zehn handschriftlichen Quellen überlieferten Werks erstellt. Für die nicht festgelegte Besetzung wählte er ein kleines Orchester mit zwei Zinken, Streichern, Schlagzeug und reichem Continuo. Für die von Cavalli zwar geforderten, aber nicht selbst gelieferten instrumentalen Zwischenspiele und Tanzmusiken fand er passende Stücke vor allem bei Johann Rosenmüller, der zeitweilig mit Cavalli in Venedig arbeitete.

Francesco Cavallis „Giasone" hat morgen um 20 Uhr im Bockenheimer Depot Premiere. Weitere Aufführungen am 24., 26., 28. und 31. Januar sowie am 2. und 4. Februar um jeweils 20 Uhr.

 

Frankfurter Neue Presse
22.01.2007

Nach Tod der Regisseurin: Oper Frankfurt bringt "Giasone" auf Bühne

Frankfurt (dpa) Das Vermächtnis von Anouk Nicklisch - die Inszenierung der frühbarocken Oper "Giasone" - ist bei der Premiere am Sonntagabend wohlwollend aufgenommen worden. Als Regisseurin Nicklisch im Herbst des vergangenen Jahres völlig unerwartet an den Folgen einer Blutvergiftung starb, waren an der Oper Frankfurt gerade die Proben für ihr neuestes Projekt angesetzt. Trotz der großen Bestürzung über den Tod der 47-Jährigen entschloss sich das Team, die letzte Arbeit der Dresdner Regisseurin in der Opern-Spielstätte im Bockenheimer Depot zu Ende zu bringen.

Die Frankfurter Inszenierung des mythologischen Stoffes von Francesco Cavalli (1602-1676) geht dabei auf die Realisation der Barock-Oper am Stadttheater Klagenfurt zurück. Hier hatte Nicklisch das Werk schon einmal im Jahr 2004 inszeniert. "Giasone" ist eine der frühesten Opern in der Musikgeschichte. Eine allgemein gültige Werkausgabe gibt es davon nicht, es sind nur Abschriften vorhanden. Cavalli schildert in ihr eine Dreiecksgeschichte um die beiden Königstöchter Medea und Isifile und den griechischen Helden Giasone.

Nicklisch hatte schon in Klagenfurt die Geschichte als Sinnbild der Analyse menschlicher Liebe gelesen und das Werk mit bunten Bildern ausgestattet. Kernstück bildet in Frankfurt dabei ein bühnengroßer, angestrahlter Kubus, Symbol der Ordnung und Unordnung der unterschiedlichen Wertesysteme. Darin spielen die Götter Mikado, treffen Helden und Flokati-Putten aufeinander, werden Liebesgeschichten gesponnen.

Die wichtigste Änderung liegt in der aktuellen Inszenierung jedoch im Musikalischen: Barock-Spezialist und Dirigent Andrea Marcon hat die Partitur erweitert. Wie bei der italienischen Oper des 17. Jahrhunderts durchaus üblich, hat er Bühnenmusiken anderer Komponisten hinzugefügt. Dadurch schleppt sich die Oper zwar über mehr als drei Stunden durch Rezitative und Arien. Dem Premierenpublikum schien dies jedoch einerlei - es bedankte sich mit viel Applaus.