WIESBADENER KURIER
14.10.2006

In "Idomeneo" werden keine Köpfe rollen
Heute hat Mozarts Oper am Staatstheater Premiere / Ein Skandal ist nicht zu erwarten

Von Volker Milch

WIESBADEN Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass heute Abend im Staatstheater bei der Premiere von Mozarts Oper "Idomeneo" wie in Berlin Köpfe rollen, nämlich jene von Buddha, Jesus, Mohammed und sogar von Poseidon, der allerdings hienieden keine Lobby mehr hat. Nicht unter allen Mitbürgern - egal "ob Jud´, ob Christ, ob Muselmann", um mit Lessings politisch ja einigermaßen korrektem "Nathan" zu sprechen - scheint sich herumgesprochen zu haben, dass jener als blasphemisch empfundene Epilog, der Berlins Deutsche Oper in die Schlagzeilen brachte, eine nur dort zu erlebende Zutat des Regisseurs Hans Neuenfels war. Sie hat mit dem Text der Mozart-Oper so viel zu tun wie mit den Mainzelmännchen.

Neuenfels ist ein Zutaten-Spezialist. Legendäres Beispiel: Verdis Aida stattete er 1981 in seiner Frankfurter Inszenierung als Putzfrau aus. Die Folge war unter anderem eine Bombendrohung im Opernhaus. Von seinem Kollegen Cesare Lievi, der für die Wiesbadener "Idomeneo"-Inszenierung verantwortlich zeichnet, sind Provokationen dieser Art nicht zu erwarten. Er ist eher als Mann mit Händchen fürs Poetische bekannt.

Nach Kurier-Informationen hatten sich islamische Vereine schon darauf eingestellt, in Wiesbaden gegen einen Skandal-"Idomeneo" zu protestieren. Auch ein Schreiben an Hessens Innenminister soll vorbereitet gewesen sein.

Mozarts Werk mutierte aber nicht nur in der islamischen Meinung, sondern überall, wo man nicht zwischen Werk und seiner Berliner Interpretation zu trennen wusste, reflexhaft zur "umstrittenen" Oper. Eine Groteske. Größere Sorge als um "Idomeneo" müsste man sich - wenn schon, denn schon - um Mozarts Türkenoper "Entführung aus dem Serail" machen. Wie wünscht sich doch gleich der alkoholisierte, auch noch lüsterne Haremswächter Osmin die lästige Christenbrut? Genau: "Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen". Nicht auszudenken, welche Reaktionen hier zu befürchten wären, wenn Mozart als moralisches Gegengewicht zu diesem Feindbild nicht das helle Licht der Aufklärung leuchten ließe, nämlich in der Gestalt des großherzigen, die Christen in die Freiheit entlassenden Bassa Selim!

 

Wiesbadener "Idomeneo" hat Premiere - Keine Proteste erwartet

Wiesbaden (dpa/lhe) ­ Die Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" im hessischen Staatstheater in Wiesbaden hat an diesem Samstag Premiere. Anders als in Berlin, wo das Werk aus Furcht vor islamistischen Anfeindungen Ende September vom Spielplan der Deutschen Oper genommen worden war, erwartet Intendant Manfred Beilharz in Wiesbaden keine Proteste. In der Inszenierung des Italieners Cesare Lievi werde es keine abgeschlagenen Köpfe der Religionsbegründer Jesus, Buddha und Mohammed zu sehen geben. Die Oper spiele in der Antike und damit weit vor dem Islam. In Berlin wird indes die Wiederaufnahme der umstrittenen Inszenierung erwogen.

Allgemeine Zeitung
14.10.2006

Aidas Erben

Von Jens Frederiksen

Keine Angst vor "Idomeneo". Wenn an diesem Wochenende in Wiesbaden Cesare Lievis Neuinszenierung von Mozarts Oper Premiere hat, muss niemand Szenen mit geschändeten Propheten oder gemeuchelten Religionsstiftern befürchten. Was aus Berlin aus der abgesetzten "Idomeneo"-Einrichtung an Schauerbildern bekannt wurde - der Epilog mit den abgeschlagenen Köpfen von Poseidon, Buddha, Jesus und Mohammed - , ist Regie-Zugabe, nicht Bestandteil des Librettos.

Der Mann, der diesen Einfall hatte, war Hans Neuenfels, einer der Protagonisten des Regietheaters der 70er Jahre. Unvergessen seine amoklaufende Medea, die sich von einem Heer phallusbehängter Kerle in die Enge getrieben sah (Frankfurt 1976), unvergessen auch die mit Zinkeimer und Wischlappen Museumsflure putzende Aida (Frankfurt 1984). Goethes "Iphigenie" ergänzte Neuenfels um sieben halbnackte Ruderer (Frankfurt 1980), durch Lorcas Tragödie "Bernarda Albas Haus" (Hamburg 1978) ließ er eine stumme Jesus-Figur schreiten - alles höchst provozierende Illustrationen unausgesprochener Gedanken.

Die Hingerichteten am Ende des Berliner "Idomeneo" setzen diese Reihe nur fort. In Mozarts Oper selber, die im Umfeld des Troja-Krieges spielt, kommen weder Buddha oder Jesus noch Mohammed vor. Nur Poseidon spielt hinter den Kulissen eine Rolle - am Ende sorgt er sogar für das versöhnliche Ende. Kein Grund eigentlich, als Regisseur gegen ihn zu wüten. So ist Neuenfels´ martialische Lesart wahrlich nicht dazu angetan, Schule zu machen - schon gar nicht in der Jesus- oder Mohammed-Variante.