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Konwitschny trifft Lehár: „Land des Lächelns" an der Komischen Oper Husarenoberleutnant Gustl von Pottenstein hat es erwischt: Er ist rettungslos in Prinzessin Mi verliebt. Und auch sie zeigt sich einem Flirt nicht abgeneigt. Wenn da nicht ein Problem wäre: „Ach, du süßes kleines China-Girl", seufzt Gustl, „warum bist du kein Wiener Girl?" Dann nämlich sähe die Sache einfacher aus, und die Verlobung wäre so gut wie abgemacht. Oder doch nicht? Als Franz Lehárs „Land des Lächelns" 1929 im Berliner Metropol-Theater seine Uraufführung erlebte, hatte die Exotismus-Welle in Mitteleuropa gerade ihren Höhepunkt erreicht. Vier Jahre später wurde die Vision vom fernen China für viele dann zum realen Hoffnungstraum: 18 000 europäische Juden flüchteten vor dem Terrorregime der Nazis nach Schanghai. Es war der einzige Hafen der Welt, der sie ohne Einreisevisum an Land ließ. Im schwülheißen Klima Südchinas lernten sie vielleicht nicht das sprichwörtliche Lächeln, aber sie überlebten. Wenn Regisseur Peter Konwitschny den größten Hit der „silbernen Operette" jetzt an der Komischen Oper inszeniert, interessieren ihn die Schauplätze der Handlung nur im übertragenen Sinn. Bei ihm geht es nicht um kulturelle Konflikte, um das Aufeinanderprallen von asiatischer und europäischer Lebensweise. Er führt die Story zurück auf das Urthema der Menschheit: den hoffnungslosen Kampf von Mann und Frau, miteinander glücklich zu sein. „Sou-Chong ist deshalb ein Europäer, der erst auf der Bühne durch den Maskenbildner zum Chinesen gemacht wird", erklärt Konwitschny. „Und im Bühnenbild ist Wien die Kehrseite von China." Warum in die Ferne schweifen? Siehe, das Ungute liegt so nah. Frederik Hanssen | |
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Eine Lanze für das "Land des Lächelns" Berlin. Es sind fast sieben Jahre vergangen, seitdem vor Gericht der Streit um eine Inszenierung der Operette "Die Csardasfürstin" von Starregisseur Peter Konwitschny beigelegt wurde. Die Dresdner Semperoper hatte damals eigenmächtig das Regiekonzept verändert, nachdem aus der vermeintlich "leichten Muse" ein Stück von tiefer Ernsthaftigkeit geworden war, das sich nicht scheute, den Schrecken des Krieges zu zeigen. Jetzt wagt sich Konwitschny wieder an eine Operette: Franz Lehars "Land des Lächelns" hat am 1. Juli an der Komischen Oper Berlin Premiere. "Operetten sind Dokumente der Zeit, aus der wir sehr viel erfahren über die Entstehungszeit", sagt der Regisseur. Die Operette hat heutzutage ein echtes Image-Problem, gesteht auch Konwitschny zu: "Es gibt das Vorurteil: Das ist Kitsch, alles ist harmlos. Da ist ein Konflikt und drei Sekunden später wird er mit einem dummen Witz aufgelöst." In Wirklichkeit seien sie aber genauso ernst wie Opern, nur die Operette spreche eine andere Sprache. "In der Operette ist es geradezu eine Tugend, immer wieder rauszuspringen aus der Logik. Das macht aber gerade ihren Witz aus", sagt der vielfach zum "Opernregisseur des Jahres" gewählte Konwitschny. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Opernhäusern in Deutschland gebe es an der Komischen Oper keine Vorurteile gegenüber der Operette. Für Konwitschny hat das "Land des Lächelns" ebenso wenig mit China zu tun, wie die Oper "Madame Butterfly" mit Japan. Diese späte Operette, die zwischen den beiden Weltkriegen entstand, wurde 1929 zu einem sensationellen Welterfolg. "Die Temperatur jener Zeit ist in dem tragischen Ende des Stücks eingefangen. Die Leute wollten kein Happyend mehr sehen." Auch darum passe diese Operette gut in die heutige Zeit. "Denn welches unserer heutigen Probleme ist denn wirklich lösbar?", sagt der Regisseur. All diese Fragen ließen sich durchaus in einer Operette thematisieren. Die Operette verdränge zwar, aber diese Verdrängung müsse man zeigen. "Auch die Musik ist ganz melancholisch - geradezu ein Ausdruck von Agonie." Als "Land des Lächelns" preisen Reiseveranstalter nicht nur China, sondern wahlweise auch Japan und Thailand. Das "Immer nur Lächeln" aus einer exotischen Welt kam und kommt gut an. "Dabei zeigt diese Operette, dass der Versuch eines liebenden Paares, die kulturellen Schranken zwischen einem Chinesen und einer Wienerin zu überwinden, scheitert und tragisch endet", betont Konwitschny. Lehars "Land des Lächelns", das mit "Dein ist mein ganzes Herz" einen der bekanntesten Operettenschlager überhaupt enthält, ist ein Remake eines nur mäßig erfolgreichen Werkes des Komponisten: 99 Mal wurde "Die Gelbe Jacke" gespielt. Doch erst nach der Überarbeitung zum "Land des Lächelns" - der glückliche Ausgang wurde durch einen tragischen ersetzt - wurde der Stoff ein Welterfolg. | |
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"Wer hat uns die Liebe ins Herz gesenkt?"
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Karl Kraus schrieb 1908: "Die Menschheit verblödet zusehends... in allen Zentren der europäischen Kultur geht die Verendung mit rauschenden Erfolgen der 'Lustigen Witwe' und des 'Walzertraums' Hand in Hand". Puccini - elf Jahre später - lobte Lehár anlässlich der Premiere von "Wo die Lerche singt": "Bravo, Maestro! Erquickend frisch, genial, voll von jugendlichem Feuer!" Wer hat nun recht, Kraus oder Puccini? Peter Konwitschny: Es stimmt beides! Wir müssen die Operette aus ihrer gesellschaftlichen Entwicklung betrachten: Die Revolution von 1848 war gescheitert, das Bürgertum hatte sich mittendrin vom Proletariat abgewendet und verband sich wieder mit dem Adel. Nach 1848 gibt es keine Spieloper mehr, diese Musik hat den Zugang zu den Massen verloren. Auf der einen Seite steht nun Wagner, das große Orchester, die gigantische Musik. Und auf der anderen Seite: die Operette. Auf das Gigantische erweitern sich auch Industrie und die militärische Entwicklung: Dass man auf einen Knopf drückt, und woanders explodiert etwas, das gab es vorher nicht. Letztlich mündet das in die Atombombe. Und mit der Atombombe sind wir dann beim Absurden, künstlerisch gespiegelt in Becketts "Warten auf Godot". Die Operette ist der halbe Schritt zum absurden Drama. Auf Logik und Glaubhaftigkeit kommt es hier nicht mehr an, denn es passiert immer irgendetwas ganz Unwahrscheinliches: Die reiche Tante taucht auf, und alle Probleme sind plötzlich weg. So ein Happyend ist aber gar kein richtiges Happyend. Nur: Wir wollen lachen, verdrängen. Operette heißt ja "kleine Oper", man könnte sich durch die Genrebezeichnung irreführen lassen... Peter Konwitschny: Das Vorurteil des Billigen und Oberflächlichen ist gekommen durch die Verdrängung ihres wahren Inhalts durch die Inszenierungspraxis. Operette wurde und wird oft albern inszeniert. Die Leute denken, das muss lustig sein. Nehmen wir "Das Land des Lächelns": Lisa folgt Sou-Chong von Wien nach Peking. Dabei gehen beide ein großes Abenteuer ein. Ihre Schwierigkeit ist, dass sie unterschiedlichen Kulturen entstammen. Da gibt es riesige Missverständnisse. Wenn die Regisseure das einfach weglassen, wird's ekelhaft dumm und niedlich. Gehen solche Interpretationen vielleicht schon auf Lehár selbst zurück? Sie haben mal gesagt, das Werk sei klüger als sein Autor. Peter Konwitschny: Lehár war nicht dumm, aber sein Werk ist klüger. Das Werk überlebt den Autor ja auch. Es bleibt an sich unverändert. Doch der Kontext verändert sich. Hundert Jahre später haben wir andere Menschen, andere Gepflogenheiten. Der Mensch ist heute gezwungenermaßen flexibel geworden. Dadurch kann er aber keine tieferen Beziehungen entwickeln. Er ist nicht verwurzelt, ist sehr oft von seiner Familie getrennt. Durch die sich verändernden Verhältnisse zwischen Werk und Kontext, gibt das Werk immer wieder neue Dinge preis, die man zu seiner Entstehung noch nicht absehen konnte. Jahrzehntelang waren Operetten selten auf den Opernspielplänen zu finden. Das scheint sich zu ändern. Bedeutende Regisseure inszenieren sie an großen Häusern. Ein Trend? Peter Konwitschny: Es ist eine gute Entwicklung, dass man auch von Seiten der Theaterverantwortlichen die Vorurteile gegenüber der Operette überwindet. Ende 1999 habe ich in Dresden "Die Csárdásfürstin" inszeniert. Das Stück war im Krieg angesiedelt, also zu seiner Entstehungszeit 1915. Bei der Premiere dann gab es einen Skandal, und der Intendant hat mich aufgefordert, eine Szene zu verändern. Als ich ihm entgegnete, dass ich das nicht mache, strich er sie selber. Ich verklagte ihn und bekam in zwei Instanzen recht. Die Richter befanden, meine Inszenierung habe Werkcharakter und sei darum geschützt. Es war ein Muster-Prozess. In der Operette liegt also noch einiges brach, das man heraufholen kann. Peter Konwitschny: Ja, und interessanterweise gibt es gerade von Liebhabern der Operette dagegen eine starke Abwehrreaktion. Das ist ja auch in der Oper so: Wenn man gegen die Verharmlosung und Verniedlichung angeht, ist der Teufel los. Das legt den Gedanken nahe, dass es hier um Heiligtümer geht. Sonst wären solche Reaktionen völlig unangemessen. Tödlich traurig im Land des Lächelns "Das Land des Lächelns" spielt in Wien und Peking. Lehárs Musik dreht sich dazu meist im Dreivierteltakt oder tut pentatonisch-chinesisch. Ist das nicht ein bisschen zu einfach? Peter Konwitschny: Die Musik ist ziemlich verständlich, ja, und die äußeren Verhältnisse, Harmonik, Rhythmik sind einfach. Aber darin erschöpft sie sich nicht. Lehár kann sogar besonders gut begründen, worum es hier geht. Um die Melancholie, um das tödlich Traurige... Das liegt alles in der Musik. Dazu muss man nicht zwölftönig schreiben. Statt einer gut ausgetüftelten Zwölftonreihe, bekommt das Publikum schöne Walzer. Was noch? Peter Konwitschny: Die Musik ist zwar tonal, aber sie hat sich auch weiterentwickelt. Sie hat die Krankheit der Epoche aufgenommen und spricht davon. Nehmen sie das Duett "Freunderl, mach dir nix draus": Lisa teilt Gustl mit, dass sie ihn nicht heiraten will. Auf den ersten Blick ist das nur eine naive Abschiedsmusik, und wenn der existenzielle Hintergrund weggeblendet ist, ist das wirklich nicht auszuhalten. Gustl aber ist, wie so viele nach dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie, ein "Mann ohne Eigenschaften". Nun will er Lisa heiraten - ein sinnloses Projekt. Was er singt, ist zynisch und bitter. Ein anderes Beispiel ist das Auftrittslied von Sou-Chong. Da gibt es unverhältnismäßig viele Fermaten. Sou-Chong fragt "Wen kümmert mein Schmerz?", dann kommt eine Fermate und dann antwortet er "Nur mich allein". Wenn man diese Fermate richtig lang aushält, wird der Zuschauer auf sich selbst zurückgeworfen. Dann ist es nicht sentimental... Peter Konwitschny: Das ist ja genau mein Hauptinteresse, dass ich die alten Gegenstände neu befrage. Durch die Vorurteile der Interpretationsgeschichte hindurch komme ich wieder zu den Stücken selber und finde Dinge, die nicht tradiert sind. Leuten, die die Stücke nicht kennen, gefällt das. Und andere, die mit falschen Traditionen gross geworden sind, regen sich tierisch auf. Die erste Fassung der Operette entstand 1923 unter dem Titel "Die gelbe Jacke" und hatte ein Happyend. 1929 wurde sie zum "Land des Lächelns" umgeschrieben. Warum eigentlich? Peter Konwitschny: Die erste Fassung war völlig erfolglos, weil die Leute in der Wirtschaftskrise dieses überdrehte Lachen nicht hören wollten. Die Librettisten der zweiten Fassung, Ludwig Herzer und Fritz Löhner haben Lehár dazu überredet, den Schluss der "Gelben Jacke" ins Tragische wenden zu dürfen. Die Musik blieb die gleiche, und die Operette wurde zu einem Welterfolg. Warum Operette, warum Oper? In Barbara Beyers Buch "Warum Oper" (2005) sagen Sie: "Wenn das gesellschaftlich ernst genommen würde, was die Oper zu sagen hat, dann wäre das möglicherweise die Rettung unserer Zivilisation." Vor sechs Jahren hat Sie Claus Spahn in der "Zeit" gefragt, ob das Theater denn noch eine Zukunft habe. Sie wollten sich nicht festlegen. Stirbt das Theater? Oder rettet es unsere Zivilisation? Peter Konwitschny: Unsere Zivilisation ist nicht mehr zu retten. Die Anzeichen für die Katastrophe werden immer deutlicher, aber die Wirtschaft lässt nicht zu, dass das wahrgenommen wird. Das Meer steigt an, die Arten sterben aus, die Ozonschicht wird kein Loch mehr haben, sondern ganz weg sein. Dann können wir nicht mehr an die Sonne gehen. Vielleicht verlagert sich das Leben unter die Erde. Eine andere Katastrophe ist der Terrorismus. Der nächste private terroristische Angriff wird schlimmer sein als derjenige auf das World-Trade-Center. Der nächste Gegenangriff, ich nenne das staatlichen Terrorismus, wiederum wird schlimmer als der Irakkrieg... Sehen Sie vielleicht eine Möglichkeit, dass das alles nochmal besser wird? Nun ja, ich hoffe eigentlich schon. Wir haben ja auch nur einen beschränkten Blick auf das Ganze. Peter Konwitschny:...und deshalb können Sie auch jederzeit sagen: Ich weiß sowieso nicht alles, es wird schon gut werden. Für die Psychohygiene ist das sicher besser? Warum leben wir überhaupt weiter? Nun kommt genau der Punkt, wo das, was ich sage, widersprüchlich wird: Ich bin zwar überzeugt, dass wir am Ende der abendländischen Zivilisation leben, aber je mehr ich diese Einsicht bekommen habe, desto freier sind meine Impulse. Komisch nicht wahr? Ich entwickle einen Widerstand, der alle positiven Kräfte verstärkt, die das Leben bewahren und befördern. Es lähmt Sie nicht? Peter Konwitschny: Luther pflanzte Bäume, auch wenn er wusste, dass morgen die Welt untergeht. Und genau das ist es. Solange das Leben noch da ist, halten wir daran fest und kümmern uns nicht um das, was wir nicht mehr ändern können. Ob wir jetzt hoffen, dass alles weiter geht, ist gar nicht erheblich. Mit meinem Kreis von Leuten, mit denen ich hier sechs Wochen an einem Opernprojekt arbeite, kann ich eine Atmosphäre schaffen, die mit Freude und Glück verbunden ist, mit Erfüllung. Wenn man nicht verdrängt, sondern von der Wahrheit spricht, wird dabei eine große Kraft freigesetzt. Die Wahrheit ist zwar niederschmetternd im Kleinen wie im Grossen, im Privaten wie im Ganzen. Wenn wir es aber schaffen diese Wahrheit in das Stück einzubringen, wenn der Sänger von seiner Wahrheit etwas durchblicken lässt, der Beleuchter, jeder, dann ist das ein therapeutischer Vorgang! Wunderbar! Daran sollte ja auch der Zuschauer teilhaben... Peter Konwitschny: Ja, natürlich. Traurig ist bloß, dass er von dem ganzen Prozess nichts erfährt. Denn der Prozess ist ja der eigentliche Vorgang. Der Zuschauer aber bekommt nur das Ergebnis. Mir ist dabei ganz wichtig, dass ich durch die Schwelle seiner Unempfindlichkeit durchkomme, durch seine Abwehr dessen, was ihn vielleicht lebensunfähig macht, weil es einfach zu happig ist. Ich muss den Zuschauer im Herzen und im Kopf erreichen, so dass er in Resonanz kommt. Das Wichtigste ist nicht die Geschichte; sie ist nur ein Vehikel für das immer Gleiche. Es geht darum, dass das Theater vom Menschsein spricht. Die Menschen auf der Bühne sagen denen, die unten sitzen, was wesentlich ist und uns alle betrifft. Mit Ende der Vorstellung ist das für den Zuschauer nicht abgeschlossen. Er sollte an sein Leben denken und sagen: Mein Gott, müsste ich mich nicht ein bisschen anders verhalten? Mache ich vielleicht mein Glück selbst kaputt, weil ich einfach nicht bindungsfähig bin? Gerade Männer haben ja eine enorme Bindungsangst. Nur Männer? Peter Konwitschny: Frauen sind nicht so verstrickt in diese Hierarchie von Macht. Die Hauptaussage in Wagners "Ring" ist: Entweder wir gründen unsere Existenz auf Macht und Besitz. Oder auf Leben, und das heißt in erster Linie Liebe. Das ist auch meine zentrale Aussage. In jeder Oper gibt es Gewalt, Eifersucht, Intrigen. Ich führe diese Grausamkeit vor und schaffe so die Sehnsucht nach dem Anderen. Im zweiten Akt fragen sich Lisa und Sou-Chong "Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt?" Damit kommt auch eine theologische Komponente ins Spiel. Peter Konwitschny: Wagner sagte, die Kunst müsse die Rolle der Religion übernehmen. Alle Religionssysteme der Welt haben versagt. Sie haben Menschlichkeit gepredigt und in Wahrheit die schlimmsten Taten begangen oder wenigstens gutgeheissen. Gott ist gestorben, aber ohne Gott können wir gar nicht leben. Natürlich schuf nicht Gott den Menschen. Aber wir schaffen ihn, weil wir einen Gott als Gesprächspartner brauchen, in den Fragen, auf die wir aufgrund unserer Intelligenz stoßen. Zum Beispiel, warum wir überhaupt da sind. Unser Geist reicht aber nicht aus, das zu beantworten. Um nicht verrückt zu werden, brauchen wir also jemanden, der uns die Möglichkeit gibt, zu glauben. Das heißt aufzuhören mit diesem Amoklauf des Immer-Mehr-Wissens-Wollens in der Hoffnung, so an die eigentliche Wahrheit zu kommen. Wenn wir sagen, es gibt überhaupt keinen Gott, werden wir krank. Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt? Ja wer denn? Der liebe Gott, das Schicksal? Wer das immer hinterfragen will, der kann nicht lieben. Und da hilft uns die Musik: Nicht nur zu begreifen, dass wir mit unserem Wissen an eine bestimmte Grenze kommen, sondern, uns dabei sogar wohlzufühlen, das zu genießen, mit dieser Beschränkung einverstanden zu sein! Denn auch Musik ist rational nicht völlig fassbar. Wenn Lisa und Sou-Chong ihr Duett singen, ist das für mich der Ausdruck eines kurzen vollkommenen Glücks. Ich bin als Mensch tief berührt. Es hat eine religiöse Dimension. Benjamin Herzog |
Peter Konwitschny , geboren 1945 in Frankfurt am Main, ist bekannt für seine unkonventionelle Sichtweise auf das Opernrepertoire. Buhrufe beim Schlussapplaus gibt es fast obligatorisch, wenn er Regie führt. Fünfmal hintereinander wurde Konwitschny von der internationalen Fachpresse zum Regisseur des Jahres gekürt, zuletzt für seine Grazer Inszenierung des "Falstaff". Vor allem in der Zusammenarbeit mit Ingo Metzmacher an der Hamburgischen Staatsoper sind exemplarische Arbeiten eines zeitgemäßen Musiktheaters entstanden. Wichtige Wagner-Inszenierungen waren "Tristan und Isolde", "Parsifal" und "Der fliegende Holländer" an der Bayerischen Staatsoper in München. An der Komischen Oper Berlin hat Peter Konwitschny bereits "Don Giovanni" und "Così fan tutte" inszeniert. Seine Inszenierung der Operette "Die Csárdásfürstin" 1999 in Dresden geriet zu einem handfesten Theaterskandal.Jetzt inszeniert er an der Komischen Oper in Berlin Franz Lehárs Operette "Das Land des Lächelns". Premiere ist am 1. Juli 2007. |
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Dirigent Kirill Petrenko
Herr Petrenko, Sie verlassen die Komische Oper in einer Phase, in der sich das Haus gerade im Aufwind befindet. Dabei wäre doch jetzt eigentlich der Augenblick, in dem Sie die Früchte Ihrer fünfjährigen Arbeit als Chefdirigent ernten könnten. Ich glaube, es gibt keinen besseren Moment um aufzuhören. Ich kann mit gutem Gewissen gehen, weil die Komische Oper ihr Profil in der Berliner Opernszene gestärkt hat. Und dieses Profil besteht ja gerade darin, dass wir hier kein Startheater machen, sondern jeder Abend von allen Schultern getragen wird – vom Dirigenten bis zum Bühnenarbeiter. Ich glaube, es ist uns in den letzten Jahren gelungen, diesen Kerngedanken des Stadttheaters mit einem neuen Sinn zu erfüllen. Und das Publikum, das zu uns kommt, weiß, dass es nicht nur unterhalten wird, sondern mitdenken soll. Heftige Reaktionen bis hin zur Ablehnung sind da mit einkalkuliert. Diese Aufforderung zum Mitdenken macht sich in erster Linie an der Regie fest. Inwiefern hat sie auch musikalisch zu anderen Ergebnissen geführt? Mein oberstes Ziel war es immer, den Staub wegzublasen, der durch Tradition und Routine auf den Partituren lastet. Das „Land des Lächelns", meine letzte Premiere, ist da ein gutes Beispiel: Oft wird das Stück auf einen Schlagereffekt reduziert, es werden Nummern gestrichen, bei dichteren Texturen auch Orchesterstimmen weggelassen. Dabei ist Lehárs Partitur sehr reich an Farben und ungewöhnlichen Harmonien. Das erinnert oft an Mahler oder den frühen Schönberg, und ein Leitmotiv des Prinzen Sou-Chong klingt fast wie „Wozzeck". Mir geht es darum, diese tiefere Substanz hörbar zu machen. Haben Sie sich bei Ihren Interpretationen von der Regie beeinflussen lassen? Zu Calixto Bieitos radikaler „Entführung" haben Sie beispielsweise einen ungewöhnlich aggressiven Mozart-Ton angeschlagen. Das war eher ein Glücksfall, dass das so funktioniert hat. Aber mein Mozartbild hat sich schon während meines Studiums in Wien zu formen begonnen, als ich mich theoretisch mit Nikolaus Harnoncourt auseinandersetzte. An der Komischen Oper habe ich versucht, Mozart so intensiv wie möglich zu spielen, die Musik immer als eine Sprache zu behandeln, deren Motive oft etwas verraten, was auf der Bühne gar nicht gesagt wird. Ich bin mit diesem kantigeren, transparenten Mozart-Bild ganz glücklich, werde aber jetzt fünf Jahre Mozart-Pause machen. Vielleicht wird mein Mozart anschließend weniger extrem klingen. War diese Auseinandersetzung mit historischer Aufführungspraxis nur für Ihren Mozart wichtig oder ist diese stilistische Akribie kennzeichnend für den Dirigenten Kirill Petrenko überhaupt? Das ist wirklich etwas Grundsätzliches bei mir. Für Weills „Mahagonny" habe ich auch die Schlagermusik der zwanziger Jahre gehört, viel frühen Jazz. Alte Aufnahmen sind für mich wichtige Denkanstöße, aber keine Dogmen. Ein Stück wie der „Rosenkavalier" wurde zu seiner Entstehungszeit sicher schneller dirigiert als ich es getan habe. Bei mir war das oft langsam, damit Details klar hervortreten. Aber vermutlich dirigiere ich diese Stellen jetzt schon wieder schneller. Ich hinterfrage mich oft, ich liebe das. Deshalb habe ich an der Komischen Oper auch die Möglichkeit genutzt, Stücke wie „Jenufa", „Rosenkavalier" und „Eugen Onegin" über Jahre hinweg zu dirigieren und so meine Sichtweise immer weiterzuentwickeln. Würden Sie sich als einen altmodischen Musiker bezeichnen? In gewisser Weise ist mir diese alte Musizierweise wohl näher als der Klangfetischismus der achtziger Jahre. Bei der opulenten Tonentfaltung, die jeder Musiker erstmal von sich aus anstrebt, geht manchmal der wesentliche Ausdruck verloren. Aber jetzt geht die Tendenz doch schon längst wieder andersherum und man besinnt sich wieder auf den Kern der Stücke. Das geht sogar so weit, dass es Dirigenten gibt, die Tschaikowskys „Pathetique" ohne Vibrato spielen lassen. Totaler Quatsch! Selbst wenn das damals wirklich so war: Komponisten haben sich von ihren Zeitgenossen doch immer missverstanden gefühlt und für die kommenden Generationen geschrieben. Das ist nie Musik für die Orchester ihrer Zeit, sondern für ein imaginäres Orchester. Das ist Seelenmusik, die alle Farben will! Der Spielplan der Komischen Oper reicht von Barock bis Moderne. Kann ein Opernorchester angesichts der zunehmenden Spezialisierung in der Klassikszene da überhaupt noch mithalten? Ohne Weiteres. Für mich liegt der Sinn eines Orchesters gerade darin, dass es die Musik dieser verschiedenen Epochen spielen kann. Wenn man die Kompetenz an Spezialensembles abträte, würde man sich selbst überflüssig machen. Natürlich ist das eine Herausforderung, aber man darf da nicht kapitulieren, sondern muss versuchen, die Klangmöglichkeiten moderner Instrumente konstruktiv einzusetzen, indem man beispielsweise einer Stelle in einer Gluck-Oper größere dramatische Wucht verleiht, als das historische Instrumente könnten. So erfolgreich Ihre Zeit an der Komischen Oper auch war, eine Uraufführung haben Sie in den fünf Jahren nicht dirigiert. Ich muss zugeben, dass es mir wichtiger war, etwas über Mozart auszusagen. Natürlich ist mir klar, dass auch ich mich dem Spektrum der Neuen Musik nicht verschließen darf. Aber als ich herkam, war es meine primäre Aufgabe, die Qualität im Repertoirebetrieb zu erhöhen. Und da hatte ich schlichtweg keine Zeit, mich auch noch auf zeitgenössische Musik einzulassen. Sie sind in Berlin zwar auch als Konzertdirigent mit Ihrem Orchester sowie als Gast der Berliner Philharmoniker aufgetreten. Dennoch gelten Sie hauptsächlich als Operndirigent. Ist das ein zufälliger Karriereverlauf oder ist Oper für Sie das Rückgrat des Dirigierens? Tatsächlich hat mich mein Agent sozusagen in die Oper geschmissen. Im Studium sah ich mich eher als Konzertdirigent, weniger als künstlerischer Leiter eines Opernhauses. Die Oper ist in meinen acht Jahren als Generalmusikdirektor, zunächst in Meiningen, dann Berlin sozusagen zum Rückgrat geworden, und das wird auch so bleiben. Wenn ich jetzt eine Mozart-Sinfonie dirigiere, höre ich darin so viel Oper, und bei Tschaikowsky und Strauss ist es nicht anders. Für diese Komponisten war die Oper ja auch das Rückgrat ihres Schaffens. Gibt es schon Pläne, wann Sie als Gast nach Berlin zurückkehren werden? Jetzt brauche ich erst mal zwei Jahre Abstand, um meinen Horizont zu erweitern. Ich werde erst mal auch keine feste Stellung mehr annehmen. Die letzten acht Jahre waren sehr anstrengend für mich: Wenn man morgens um zehn ins Theater geht, ist man abends kaum vor zehn wieder zu Hause. Theater frisst einen auf. Für Konzerte werde ich wieder nach Berlin kommen. Aber es wird dauern, bis ich hier eine Oper mache. Jetzt werde ich erst einmal nachholen, was mir in dieser Zeit gefehlt hat: die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms zum Beispiel. Das heißt, wir haben in Berlin nur den halben Petrenko erlebt. Ja. Die andere Hälfte wird aber nachgeliefert. Das Gespräch führte Jörg Königsdorf. |
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