Operette als Zeitspiegel Die Spannung war gross: Seit der nicht zu Ende geführten Regie zu Joseph Martin Kraus' "Aeneas" letzten Sommer in Stuttgart hat Peter Konwitschny keine Neuinszenierung mehr gemacht (wohl aber Remakes früherer Arbeiten), und seit der Dresdner "Csárdásfürstin" von 1999, die nach Eingriffen des Intendanten zu einem Gerichtsfall wurde, hat er keine Operette mehr auf die Bühne gebracht. Es ging die Rede von einer Krise. Jetzt ist Konwitschny an die Komische Oper Berlin zurückgekehrt, wo er zuletzt mit Mozarts "Così fan tutte" zu Gast war, und hat mit seiner Interpretation von Franz Lehárs "Land des Lächelns" bewiesen, dass seine kritische Weltsicht noch immer ein kreatives Potenzial birgt und seine Spiellust noch nicht erlahmt ist. Entlarvter Schein Es beginnt beinahe wie in einer gewöhnlichen Operettenaufführung: Prächtige Uniformen, elegante Roben (Michaela Mayer-Michnay) - fast vergessen wir, dass die im Palais des Grafen Lichtenfels versammelte Gesellschaft uns während der Ouverture mit einem zur Fratze erstarrten Lächeln angestarrt hat. Jörg Kossdorfs Bühne lässt keinen Zweifel daran, dass der erste Akt in Wien spielt: Stephansdom, Johann-Strauss-Denkmal, Schloss Schönbrunn, das Riesenrad - in Miniaturformat stehen die Wahrzeichen der Kaiserstadt da, halbkreisförmig umrahmt von zwei Prospekten, die links Theaterlogen und rechts einen Ballsaal zeigen. Ein Bild, das den schönen Schein wahrt und ihn zugleich entlarvt, Spiegel einer in Auflösung begriffenen, fragmentierten, schemenhaften Gesellschaft. Wie in jedem Werk sieht Konwitschny in Lehárs Operette ein Abbild der Wirklichkeit, und wie stets spürt er darin den Parallelen zwischen der Entstehungszeit und dem Heute nach, das heisst im Fall dieser Lehár-Operette zwischen der Krisenzeit in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts und unserer globalisierten Gegenwart. Fündig wird er deshalb, weil er das Stück nicht unter dem Aspekt Kulturkonflikt oder Ost- West-Gegensatz interpretiert. Dass die Wiener Gräfin Lisa sich in einen chinesischen Traumprinzen verliebt und ihm, nachdem er unverhofft zum Ministerpräsidenten seines Landes ernannt worden ist, in seine Heimat folgt, hat für Konwitschny weniger mit Exotismus denn mit Flucht zu tun. Das "Chinesische" wird denn auch betont als Verkleidung (mittels Perücken, Schminke und Kostüm) dargestellt und der Schauplatz Peking genauso versatzstückhaft bebildert wie das alte Wien. Eine Drehung der Bühne genügt, um von dort nach hier zu gelangen, der mit Lamellenrouleaus verschlossene Palast des Prinzen Sou-Chong ist nichts anderes als die Aussenwand des Palais Lichtenfels. Doch nun dringt Konwitschny zum Eigentlichen vor: In der sonst meist gestrichenen Ballettmusik zu Beginn des zweiten Akts inszeniert er einen grotesken Tanz der Potentaten (Choreografie: Enno Markwart). Ein keulenschwingender Neandertaler, ein schwarzer General, Cäsar, Friedrich Barbarossa, Napoleon, Stalin, Hitler, Mao und George W. Bush, alle erweisen sie dem frischgebackenen chinesischen Ministerpräsidenten die Reverenz und beschenken sich dabei gegenseitig mit immer gefährlicheren Waffen. Das ist die personifizierte patriarchalische Macht. Und wenn Konwitschny danach eine Schar Flüchtlingsfrauen zeigt und sie Heiner Müllers böses Dramolett vom "Herzstück", das ein Stein ist, rezitieren lässt, so will er damit demonstrieren, wohin es diese männlich dominierte Gesellschaft, der trotz seinem Lächeln auch der Prinz Sou-Chong angehört, gebracht hat. Aufklärung statt Sentimentalität Die pädagogische Tendenz mag da und dort überdeutlich und forciert wirken, genauso wie das immer wieder laut werdende Gekreisch. Aber sie gehört nun einmal unabdingbar zu Konwitschnys Theaterverständnis. Vor allem aber: Sie treibt dem Stück jegliche Sentimentalität aus. Dies allerdings im Verein mit dem Dirigenten Kirill Petrenko, der sich zu seinem Abschied von der Komischen Oper mit dem "Land des Lächelns" einen langgehegten Wunsch erfüllt und seinen Glauben an diese Musik Takt für Takt beweist. Einschmeichelnd, zart und einlullend melodiös kann sie klingen, aber im Handumdrehen auch martialisch, rau. Das Orchester setzt das mit seinem hoch differenzierten, präzisen Spiel akkurat um und lässt den scheidenden Generalmusikdirektor die Früchte seiner fünfjährigen Aufbauarbeit ernten. In formidabler Verfassung zeigt sich aber auch das Ensemble, von den Statisten und dem Chor bis zu den Solisten. Stephan Rügamer ist ein Prinz von erlesenem musikalischem Geschmack, Tatjana Gazdik eine stimmlich und darstellerisch gleichermassen intensive, überdies standesgemäss elegante Lisa. Das zweite Paar, Lisas Wiener Verehrer Gustl und Sou-Chongs Schwester Mi, erhält durch Tom Erik Lie und Karen Rettinghaus eigenständiges Profil, und Jens Larsen verkörpert als Tschang mit versteinerter Miene und markigem Bass den eigentlichen Machthaber Chinas. Dass Lisa und Gustl seinem Reich nicht entkommen und dass aus dem traurigen Ende der Operette ein tödliches wird, kann da nicht mehr überraschen. - Die Berliner Besetzung hat die Messlatte für das Basler Theater, welches die Produktion der Komischen Oper nächste Spielzeit übernehmen wird, hoch gelegt. Marianne Zelger-Vogt |
Komische Oper Peter Konwitschny hat „Das Land des Lächelns" inszeniert. Eine Tragödie ist daraus geworden. Warum der große Opernregisseur das der romantischen Operette angetan hat, bleibt ein Rätsel – und geht am Ende im Premierenjubel an der Komischen Oper unter. Von Volker Blech
Der musikalisch sorglose Dreiakter von Franz Lehár hat seine Regie letztlich gar nicht verdient – die an sich leichtfüßige Handlung bricht unter ihr zusammen wie der zum maoistischen Ministerpräsidenten beförderte Prinz Sou-Chong unter dem schweren gelben Amtsmantel, der sich wie weiland ein großes Kreuz in Bühnenmitte (Bühnenbild: Jörg Koßdorff) auf ihn niedersenkt. Der verliebte Mensch wird von seiner Funktion erdrückt. „Die gelbe Jacke" hieß die Operette ursprünglich. Sie blieb erfolglos, erst 1929 konnte Lehár mit der überarbeiteten Fassung „Das Land des Lächelns" einen Triumph feiern. Der Tenor Richard Tauber war seinerzeit der Star der Uraufführung im Metropol-Theater, in jenem denkmalgeschützten Saal also, in dem heute die Komische Oper spielt. Von Vergnügungslust unberührt Aber Konwitschny ist von Berlinischer Vergnügungslust der Goldenen Zwanziger unberührt. Bei ihm sind es eher die Wagnerschen Dimensionen, die er in dieser exotisch verbrämten und bezaubernd verlogenen Operettenfabel aufspürt – demnach kann in unserer zerstörerischen Männerwelt die Liebe keine Erfüllung finden. Der liebende China-Herrscher Sou-Chong lässt am Ende seine ebenso verzweifelt liebende Lisa nicht ins k.u.k-Wien zurück ziehen, sondern die junge Gräfin auf Handzeichen hin töten. Konwitschny erzählt seine Geschichte auf zwei Ebenen: Einerseits ist es die intime Gefühlswelt des sich findenden Paares, das sich im Liebesduett die Perücken wie Masken herunterreißt und andererseits die brutale Außenwelt, in der es seine Liebe zu bewahren sucht. Diese Multikulti-Welt ist ein globales Irrenhaus. Die Hüte wechseln, aber die Menschen darunter verändern sich nicht. Konwitschnys skurrile Bilder überraschen auch durch ihre grenzenlos eindimensionale Verachtung von Mächtigen. Die Ballettszene zu Beginn des 2. Akts wird zum G-8-Gipfel der Diktatoren bei ihrem neuen Bruder in China. Die Revue-Einlage hat chaplineske Größe: Es tanzen Hitler, Stalin, Napoleon, Idi Amin, Barbarossa, George W. Bush oder Caesar. Lächelnd verschenkt Hitler einen Judenstern, wie dumme Jungs zerhacken sich die Diktatoren mit Schwertern, laufen über Landminen, führen Panzerkriege. Schließlich explodiert die Atombombe. Ein Justizfall ist nicht in Sicht Dass diese bitterbös kindische Szene nicht zum Skandal oder wie im Falle von Konwitschnys umstrittener „Czardaszfürstin" in Dresden zum Justizfall wird, ist seiner eigenen Inkonsequenz geschuldet: Wenn er schon George Bush vorführen will, dann auch Osama bin Laden oder einen islamischen Staatschef. Das Gelungenste an dieser Operette ist das einverständige Zusammenspiel aller Akteure unter Konwitschnys Regiediktat. Selbst Kirill Petrenko, der damit seinen würdigen Abschied als Generalmusikdirektor nahm, präsentierte am Pult des Orchesters der Komischen Oper einerseits die zuckersüßesten, auch pentatonischen Klänge herbei, um andererseits die Blechbläser fast wie bei Schostakowitsch gegen alle Diktatoren ankämpfen zu lassen. Stephan Rügamer hat als Prinz Sou-Chong gegen große Vorbilder seiner Zunft anzutreten: „Dein ist mein ganzes Herz" findet sich im Zugabenpool aller Strahletenöre. Rügamer setzt auf die verinnerlichte Botschaft, weniger auf lyrischen Singschmelz. Seine mondän-emanzipierte Lisa wird von Tatjana Gazdik glaubwürdig gespielt und etwas zu schneidig gesungen. Baritonalen Charme hat Tom Erik Lie als ihr verschmähter Verehrer Graf Pottenstein. |
MUSIKTHEATER
Dass seit einer Spielzeit in dem historischen Gebäude wieder Vorstellungen stattfinden, ist ihnen ein schwacher Trost, denn der neue Admiralspalast hat mit ihrem Begriff von Abendunterhaltung wenig zu tun. Andere Bühnen, die sich die Marktlücke zunutze machten und auch mal eine Operette ins Programm nahmen, gingen zumeist kläglich baden, ob nun das Deutsche Theater mit Offenbachs „Großherzogin" und Strauß’ „Fledermaus" oder die Lindenoper mit einer lausigen „Witwe". Hoffnung kommt nun ausgerechnet von der Komischen Oper, dem derzeit republikweit mutigsten Musiktheater. Auf den Tag genau eine Dekade nach dem Aus an der Friedrichstraße erlebte hier am Sonntag Peter Konwitschnys Inszenierung von Franz Léhars „Land des Lächelns" seine umjubelte Premiere. Gleichzeitig kehrt der Klassiker der silbernen Operetten-Ära an den Ort seiner Uraufführung zurück. Am 10. Oktober 1929 stimmt Richard Tauber zum allerersten Mal „Dein ist mein ganzes Herz" an und schmetterte die sentimentale Chinoiserie des österreichisch-ungarischen Komponisten damit zum Welterfolg: Dieser historische Augenblick in der jüngeren Geschichte der Unterhaltungsmusik ereignete sich in eben jenen Räumlichkeiten, die heute von der Komischen Oper genutzt werden und damals unter dem Namen Metropol-Theater bei der amüsiersüchtigen Bourgeoisie der Weimarer Republik einen Ruf wie Donnerhall genossen. Peter Konwitschny freilich würde diesen Satz nicht unwidersprochen lassen, denn erstens hält der tiefsinnige deutsche Operndeuter das „Land des Lächelns" keineswegs für Kitsch, sondern für ein höchst ernst zu nehmendes Stück Zeitgeschichte. Und zweitens würde er Lehárs Partitur kaum dem Genre der sogenannten U-Musik zurechnen wollen. Dagegen sträubt sich auch Kirill Petrenko, der scheidende Generalmusikdirektor des Hauses, der sich das Werk zum Abschied gewünscht hatte. Und so lässt er denn auch die Ouvertüre prächtig erstrahlen, entfacht mit dem ihm ergebenen Orchester einen Klangfarbenrausch, der sagen will: Hört her, was da alles drinsteckt, was sich der ausgebildete Militärkapellmeister und dirigierende Komponist Lehár bei seinen Kollegen abgehorcht hat! Wird da nicht das ganze ästhetische Panorama der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts aufgerissen, von der üppigen Sinnlichkeit eines Korngold und den frech verfremdeten Schlagerrhythmen eines Krenek über Richard Strauss’ Raffinement und Puccini, der 1924 über seinem unvollendeten China-Thriller „Turandot" starb, bis hin zu Expressionistischem und sogar Spurenelementen von Alban Bergs „Wozzeck"? Mit dem gewinnenden Charme, den Petrenkos Interpretationen in den letzten fünf Jahren an der Komischen Oper immer entfalteten, mit festem Zugriff und drängenden Tempi verwandelt er den Schmachtfetzen handstreichartig in eine opera à grand spectacle, lässt zum chinesischen Hochzeitsmarsch AidaTrompeten, Piccoloflöten, kleine Trommel und Becken in den Proszeniumslogen aufmarschieren, schlägt mächtig Krach, bis Lehár klingt wie Schostakowitsch. Lisas Ankunft in der verbotenen Stadt, die Bühnenbildner Jörg Koßdorff mit meterweise Metalllamellen zur Jaloucity erklärt, inszeniert auch Konwitschny als den wüstesten Moment, wenn prototypische Potentaten vom Neandertaler über Napoleon und Hitler bis zum US-Präsidenten die Ballettmusik (Choreografie: Enno Markwart) für einen grotesken G-8-Gipfel nutzen, nach dem Motto: Tanz den Kriegstreiber-Pogo! Der dreistündige Abend hat einige genialisch doppelbödige Momente, Szenen, in denen die Stimmung immer wieder von gnadenlos überzeichneter Komödien-Heiterkeit ins Lehrstückhafte kippt: Bert Brecht trifft Jérôme Savary trifft Walter Felsenstein trifft den Karneval der Kulturen. Konwitschny beherrscht alle Stilebenen meisterlich und schickt am Ende sogar eine ostasiatische Mutter Courage samt einer Schar von Migrantinnen auf die Bühne, die einen Heiner-Müller-Text deklamieren: Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen? – Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen. – Mein Herz ist rein. Das alte Stück ächzt mächtig unter dem Deutungsballast, den Dirigent wie Regisseur ihm aufladen. Die Geschichte vom Wiener society girl Lisa, die aus Langeweile den Kick mit einem chinesischen Prinzen sucht, in Peking aber auf noch schlimmere gesellschaftliche Konventionen trifft als in der k.u.k-Monarchie und sich frustriert nach dem heimischen Spießerglück zurücksehnt, wird dadurch nicht besser (und auch nicht durch die wohlfeile Schlusspointe von Léhars Neufassung, in der Sou-Chong die Europäer ermorden lässt). Dennoch hält das Stück der Umarmung durch zwei so starke Interpreten stand. Und beweist damit seine Qualitäten. Ein pures Vergnügen ist die Spielfreude aller Beteiligten. Die Chorsolisten sind laut Libretto zwar nur Stichwortgeber. Aber wenn sie auftauchen, verwandeln sie das Eröffnungsbild in eine rauschende Ballnacht des dekadenten Wien, entindividualisieren sich im Mao-Blaumann zur nicht nur lippensynchron lobpreisenden Arbeiterbewegung, um schließlich als Vielvölkergemisch den Migrationshintergrund auch des Komponisten ohrenfällig zu machen. Tatjana Gazdik als Lisa und Karen Rettinghaus als ihre chinesische Busenfreundin Mi chargieren furchtlos als selbstbewusste Luxusgeschöpfe und bleiben auch beim finalen Absturz in die soziale Kälte glaubwürdig, können sich stimmlich allerdings nicht immer durchsetzen. Tom Erik Lees kerniger Bariton macht den Gustl zum ernst zu nehmenden Gegenspieler Sou-Chongs. Dem leiht Stephan Rügamer allerdings einen milchschokoladigen Tenor, wie man ihn sich zartschmelzender für diese Rolle nicht wünschen kann. Während er auf offener Bühne zum Monsieur Butterfly geschminkt wird, singt er so formvollendet, so lieblich, aber auch so erotisierend geheimnisvoll „Wie’s da drinnen aussieht, geht keinen was an", dass man natürlich sofort einen Blick in dieses Herz erhaschen möchte. Und wenn ihm Regisseur Peter Konwitschny dann die Brust aufreißt, auf dass alle geheimen Gedanken und Sehnsüchte des modernen Menschen zum Vorschein treten, dann dankt das Premierenpublikum ihm dies mit donnerndem Applaus. Einen einsamen Buhrufer allerdings gab es auch: Ihm war das ganze wohl irgendwie spanisch vorgekommen. |
OPERETTE An der Komischen Oper Berlin inszeniert Peter Konwitschny Franz Lehárs Operette "Land des Lächelns". Das klingt, als würde Weill mit Geigen spielen. VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Wenn Peter Konwitschny eine Operette inszeniert, ist es keine Überraschung, dass sich dann Herz und Schmalz ganz und gar nicht mehr reimen. Vor sieben Jahren trieb er es in Dresden mit Kálmáns "Csardasfürstin" so arg, dass der Intendant eingriff. Ein Tanz mit enthaupteten Weltkriegssoldaten schien auch ihm nicht zumutbar, danach mussten sich zwei Gerichte mit dem Fall befassen. Beide entschieden: Konwitschny darf so etwas tun. Recht hatten die Richter, er muss sogar, und an der Komischen Oper in Berlin hat er nun wieder gezeigt, warum ihm ausgerechnet die Operette am Herzen liegt. Er liest die besten Werke dieses Genres als Lehrstücke von geradezu Brechtschem Ausmaß. Auch das ist im Grunde keine Überraschung, wenn man an Konwitschnys Wurzeln in der Schule von Ruth Berghaus denkt, überraschend ist vielmehr, wie gut diese Radikalkur einem Komponisten wie Franz Lehár bekommt. Ein Meister des Schlagers ganz zweifellos. "Dein ist mein ganzes Herz" und "Immer nur Lächeln" wären auch heute noch heiße Favoriten im "European Song Contest". Aber auch Kurt Weill war ja alles in allem nicht viel mehr als ein genialer Erfinder von Schlagermelodien, und bei Konwitschny klingt nun Lehár ganz so, als habe Weill bloß mal den Jazz vergessen und sich lieber mit Geigen, Walzern und pseudochinesischem Geklimper auf den schwarzen Tasten seines Klaviers vergnügt. Die Funktion dieser wohlkalkulierten Banalität ist dieselbe. Sie ist das letzte, verzweifelt gegen die Forderungen der Realität festgehaltene Rückzugsgebiet des Gefühls. Damit ist sie wahr und falsch zugleich, denn für diese Welt ist der Mensch nun mal nicht schlecht genug. Kirill Petrenko, der langjährige, nun aber aus seinem Amt scheidende Chefdirigent der Komischen Oper, dirigiert diesen verwandelten Lehár mit der dafür nötigen, vollkommen unsentimentalen Härte. Manchmal etwas zu laut für die Sänger, aber immerhin hört man plötzlich, wie teuflisch gut dieser offenbar unterschätzte Musiker instrumentieren konnte. Alles klingt mal schrecklich schön, mal flott, mal lustig - zugleich aber wie eine bösartige Satire gegen die militärisch verrohte und verblödete Herrengesellschaft gesetzt, die damit einst unterhalten werden wollte - das Stück ist 1929 in Berlin uraufgeführt worden. Als bloße Unterhaltung dieser Art ist diese Operette natürlich längst mausetot, aber sie überlebt als Seismogramm ihres Publikums. Lisa, eine fesche Wiener Adelstochter (Tatjana Gazdik), verliebt sich in den Prinzen Sou-Chong, den Gesandten Chinas in Österreich (Stefan Rügamer), der umgehend in seine Heimat abberufen wird, um dort die Staatsregierung zu übernehmen. Sie geht mit ihm in das als "exotisch" umschwärmte Land und schlägt dort ungebremst auf dem Boden der Machtausübung auf. Nicht nur der chinesischen, sagt Konwitschny, sondern jeder Macht und zu jeder Zeit. Sein Bühnenbildner Jörg Koßdorff hat ihm ein drehbares, kreisrundes Gefängnis gebaut, das im Innern den Wiener Prunkpalast des ersten Aktes enthält, nach außen jedoch die mit Sichtblenden verschließbaren Zellen zeigt, in die alle eingesperrt sind, auch die Liebenden, die es selbstverständlich ja so gut meinten miteinander. Aber die Gröfaze dieser Welt haben Wichtigeres zu tun. Zur Amtseinführung des Prinzen treten sie alle auf, vom Höhlenbewohner über Cäsar, Hitler und Stalin bis zu Roosevelt, der zur Feier des Tages die Atombombe zündet. Davor haben sie sich alle mit ihren jeweils epochenspezifischen Waffen totgeschlagen, um begeistert zur nächsten Huldigungsrunde anzutreten, wohlgefällig betrachtet vom ewigen Mao Tse-tung, der bei Lehár "Tschang" hieß und der Onkel des Prinzen war. Um bloße Familienhändel geht es jedoch nicht. Dass der Prinz vier Chinesinnen heiraten muss, ist universale Staatsräson, auch wenn sich das Lisa aus Wien anders gedacht hatte. Sie will nach Hause, aber "Frauen sind nur eine Sache", singt der Prinz, den der Widerspruch seines Gefühls und seiner Macht schon ein wenig schmerzt im Herzen. Tragisch ist der darum noch lange nicht, Lehár bewahre, zerschlagen jedoch ist Lisas Traumwelt, auch in Wien. Der Kreiskerker bricht auseinander, in seinem zerbombten Innenhof, der einst Wien war, sind die Frauen gepeitschte Pferdchen, die den Fiaker im Kreis herum ziehen müssen. Konwitschny selbst verlässt an dieser Stelle die Schranken des Librettos. Frauen auf der Flucht setzen sich in den Kulissentrümmern auf ihre Koffer. Heulend und hohnlachend zugleich sprechen sie einen Text von Heiner Müller. "Herzstück" heißt er. Lehár hat keine Musik dafür geschrieben, aber sein Finale, in dem der Prinz noch einmal singen muss, wie es "da drinnen" aussehe, gehe "niemanden was an", klingt danach so, als sei doch genau das gemeint: "Ihr Herz ist ein Ziegelstein", sagt die eine Stimme, die andere antwortet: "Aber es schlägt nur für Sie". Tusch von Franz Lehár und man weiß wieder, dass Dialektik noch immer die beste Unterhaltung ist. |
Operette VON JÜRGEN OTTEN Immer nur lächeln, singt der Prinz Sou-Chong, am Anfang dieser Operette und auch an ihrem schlimmen Ende: immer nur lächeln. Das sagt sich so einfach. Allein, zum Geschäft gehört es nun einmal. Auch zur Oper. Besonders in Berlin, wo man seit einer halben Ewigkeit über die Frage sinniert, ob eine Stadt wie diese zwei oder drei Opern braucht oder nicht oder vielleicht doch. Unmengen von Papier wurden beschriftet und geschichtet, türmten sich zu babylonischer Pracht, doch irgend ein Fensterchen hatte man immer vergessen, und das Papier wurde vom Wind in die weite Welt gepustet. Eine Weile war Ruhe im Karton, dann kam der nächste Turmbauer - meist ein Kultursenator, in jüngerer Zeit auch gerne ein Generaldirektor der Opernstiftung - und schichtete eine neue Burg. Immer nur lächeln. Schaut man sich das Lächeln der drei hauptstädtischen Opern an, dann gibt es zur Spielzeit 2006/07, die am Sonntag mit der Premiere von Lehárs Operette "Land des Lächelns" an der Komischen Oper Berlin furios endete, folgendes zu bemerken: An der Staatsoper Unter den Linden ist das Lächeln gefroren. Allerdings nicht, weil Intendant Peter Mussbach kein unbedingter Fan dieser Gemütsäußerung wäre; auch nicht, weil man nicht zumindest musikalisch auf internationalem Spitzenniveau agierte. Der Grund der sinkenden Gesichtstemperatur ist die genuin berlinische Kunst des Man-könnte-ja-womöglich-wenn-es-möglich-gemacht-wird-Agierens. Mit Engelszungen weisen Mussbach und sein Künstlerischer Chef Daniel Barenboim seit Jahren auf den maroden Zustand des Hauses hin. Geschehen ist wenig, Lippenbekenntnisse gibt es, avisierte Versprechen des Bundes, sogar der Kanzlerin. Pläne. Ideen. Mehr (noch) nicht. Zum Glück ist da noch der Regierende Bürgermeister Wowereit. Und wenn der was verinnerlicht hat, dann dieses Prinzip: Immer nur lächeln. Kirsten Harms übt das Lächeln wahrscheinlich jeden Tag aufs Neue. Mit hinreichendem Grund. Das von ihr geleitete Haus, die Deutsche Oper Berlin, ist in der Gunst nicht nur der Fachkritik schwer gesunken. Keine einzige Neu-Inszenierung gelang in dieser Saison, vorsichtig ausgedrückt. Das Orchester ist unter Renato Palumbo nicht mal zu einem Probeflug in die Luft gegangen; nominell nicht gar so opulent besetzte Klangkörper - wie etwa die Staatskapelle Weimar - musizieren auf höherem Niveau. Und was der Chor der Deutschen Oper sich zuweilen leistet, darüber würde man gerne schweigen, wenn es nicht so desaströs und schlicht beschämend für ein Haus dieser Größe wäre. Bleibt die Komische Oper Berlin. Sie lag, das ist noch gar nicht so lange her, am Boden. Zuschauer blieben aus, im Haus krachte es an vielen Ecken, die künstlerische Perspektive fehlte: wg. Monokultur. Andreas Homoki, der Intendant, griff, um den Musentempel zu neuem Glanz zu führen, zur richtigen Taktik. Er gab den Marder. Und so lange knabberte er am alten Ostmief-Kabel herum, dem so genannten Harry-Kupfer-Kabel, bis das gekappt war und man neue Leitungen legen konnte, will sagen: Regisseure ans Haus verpflichten, die den Anspruch, modernes Regietheater zu präsentieren, in heutige Realität umzusetzen vermochten. Ohne Schmerzen ging das nicht, aber es musste sein. Und zeitigte Erfolge. Große Erfolge. Gleich drei Premieren dieser Spielzeit waren diskursive Volltreffer: Homokis "Rosenkavalier", Koskys tauridische "Iphigenie" und nun, zum krönenden Abschluss, Peter Konwitschnys "Land des Lächelns". Eine Operette. Das Schwierigste also. Operette ist wie Mozart: Immer nur von lächelnder Leichtigkeit muss sie sein, dabei aber nie trivial. Für Konwitschny ist das kein Problem. Sein stupendes handwerkliches Können erlaubt es ihm, in die Komödie das Drama einzubauen, immer. Und: Operette sei das Gleiche wie Oper, sagt er: Sie bildet Wirklichkeit ab. Wenn es so ist, muss man nach diesem Abend sagen: Schopenhauer hatte Recht. Die Welt ist in einem betrüblichen Zustand. Es hat immerhin schön angefangen. Ein Fest in der Wiener Gesellschaft, mit Monokeln und Mätressen, mit Champagner und Anzüglichkeiten. Auf der Bühne von Jörg Kossdorf stehen, wie in einem Architekturbüro oder im Museum, die Insignien des schönen Wien, Stephansdom, Staatsoper, das Riesenrad vom Prater, einige Büsten und Putti, so was eben. Die Röcke rauschen, die Plauderei plätschert, die Dekolletees sind delikat, wie es sich gehört. Doch es dauert nicht lange, da saust der Kronleuchter zu Boden und scheppert dissonant das Blech im Orchestergraben (Kirill Petrenko dirigiert seine letzte Premiere als Generalmusikdirektor der Komischen Oper vor dem Weg in die Freiheit mit beeindruckender Verve, mit Schmackes und präzise formuliertem Charme: Chapeau!) Die Gesellschaft zeigt ihr wahres Gesicht. Und schon hier ist klar: Es geht nicht um Wien und um China. Wien und China sind nur Chiffren für etwas Anderes: für die Frage, was das ist: Fremde. Ein Fremder. Eine Fremde. Und: Wie geht eine Gesellschaft damit um? Konwitschny zeigt seine tiefsitzende Skepsis, indem er - auch vermittels Heiner Müllers Dramolett "Herzstück" zu Beginn des dritten Aktes, das von heimatlosen Frauen vorgetragen wird - die politische Frage als eine persönliche stellt: Wie geht einer wie der Prinz Sou-Chong (famos: Stephan Rügamer) damit um, dass die Frau, die er liebt (ebenso famos: Tatjana Gazdik als Lisa), doch anders ist, anders sozialisiert, will sagen: liberalisiert? Gelingt ihm der Sprung von der politischen Barbarei in die Kultur, ohne dass diese Kultur wieder in Barbarei umschlägt? Konwitschnys Antwort ist niederschmetternd negativ: In einem totalitären Staat gelingt ein solcher Sprung nicht. Zum Beweis lässt der Regisseur in der fast nie aufgeführten Ballettmusik die Diktatoren und Imperialisten der Weltgeschichte aufmarschieren und sie, von Nero bis Hitler, von Napoleon bis Stalin, einen Veitstanz tanzen mit den Waffen, die sie jeweils verwendeten, um das Fremde zu beseitigen: Speere, Panzer, Atombombe. Zynisch mutet an, dass dies lächelnd geschieht. Aber zynisch ist solche Macht immer, bedeutet uns Konwitschny: weil sie lächelt, während sie mordet. So wie Prinz Sou-Chong, als er die zur Flucht bereiten Lisa und Gustl von Pottenstein (stark: Tom Erik Lie) hinmorden lässt von seinen Schergen. Jetzt hat er sein wahres Gesicht gezeigt. Es ist hässlich, zur Grimasse verzerrt. Wie heißt es in Müllers "Herzstück" so unumstößlich: "Darf ich Ihnen mein Herz zu Füßen legen?" - "Wenn Sie mir meinen Fußboden nicht schmutzig machen." [ document info ] Dokument erstellt am 02.07.2007 um 16:44:02 Uhr Letzte Änderung am 02.07.2007 um 17:24:32 Uhr Erscheinungsdatum 03.07.2007 |
Der Fremde, das bin ich selbst Von Götz Thieme "Immer nur lächeln und immer vergnügt. Immer zufrieden, wie"s immer sich fügt. Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen. Doch wie"s da drin aussieht, geht keinen was an." - Ein Abgrund in einem Satz. Wie inszeniert man das? Man öffnet den Vorhang, zeigt ein zum Publikum gewendetes Ensemble mit kunstharzgehärtetem Lächeln, das ein Grinsen, das ein Kotzen ist. Vorhang zu, und los geht es mit Franz Lehárs "Land des Lächelns" an der Komischen Oper Berlin, vormals Metropoltheater, wo Lehárs Operette im Oktober 1929 uraufgeführt wurde - zwei Wochen vor dem New Yorker Börsenkrach. Wer Ohren hat zu hören, der bemerkt in Lehárs Partitur einen gefährlichen Ton. Es ist der Missklang einer bedrohten Welt, trotz schmelzender Richard-Tauber-Nummer "Dein ist mein ganzes Herz" - das markenhafte Lied des Sängers mit dem Monokel, dessen rattenfängerische Wirkung Karl Kraus mit einem Satz erledigte: "Kotzenwürdigeres hat sich nie in einem Theaterraum begeben." Jenseits der bittersüßen Melancholie vieler Operetten, die am Ende energisch weggetanzt wird, kommt hier das Werk zum "abschließenden Befund restloser Enttäuschung für alle Beteiligten", so der Operettenkenner Volker Klotz. Kein Silberstreif am Horizont. Es ist bezeichnend für den damaligen Zustand, dass die Fernostliebesgeschichte "Das Land des Lächelns" erst in der Überarbeitung der sechs Jahre zuvor entstandenen "Gelben Jacke", mit einem zum unglücklichen Schluss gewendeten Finale, ein Erfolg wurde. Andererseits: das Publikum war konditioniert durch Puccinis "Butterfly". Bei ihm wie bei Lehár galt die im Halbdämmer des Saals verdrückte Träne dem Schmerz des Nichtverstehens, der Sehnsucht nach der Fremden, nach dem Fremden an sich. In einer heraufdämmernden Welt, die den völkischen Tellerrand vergöttern sollte, fast ein Politikum. Ein Werk, wie geschaffen für Peter Konwitschny, der auf der Opernbühne in der großen Politik das Private herauspräpariert und im Privaten die Sprengsätze für das Gemeinwesen aufspürt. Vor einem Jahr hat er zuletzt an einer Inszenierung gearbeitet. Martin Joseph Kraus" "Aeneas in Karthago" sollte in Stuttgart die Spiel- und Klaus Zeheleins Amtszeit beschließen - Konwitschny legte die Arbeit vor der Premiere erschöpft nieder, nannte inzwischen offen als Grund eine künstlerische Krise. Eine bittere Situation für einen der einflussreichsten Opernregisseure der letzten zwanzig Jahre. Jetzt wagte er an der Komischen Oper die Rückkehr, nicht ohne vorher angekündigt zu haben, eine längere Pause einzulegen und frühestens 2009 (in Stuttgart und Amsterdam) wieder Regie zu führen. Ein auf wunderbare Weise trauriger Urlaub von der Krise mit einem Stück, das passgenau seinem Arbeitscredo entspricht: verfestigte Traditionen einer Werkschau aufzubrechen - zumal wenn es um ein ganzes Genre geht, die geschmähte, zugerichtete, missbrauchte Operette. 1999 wurde in Dresden bei seiner Inszenierung von Emmerich Kálmáns Operette "Die Csárdásfürstin" zum Skandal, was für ihn nur folgerichtig war: der im Bild eines tanzenden kopflosen Soldaten verdichtete Befund, dass aller Spaß einer selbstvergessenen Gesellschaft im Schützengraben-Inferno endet. Ähnlich blank Konwitschnys Folgerung aus dem "Land des Lächelns": Der Fremde bin ich selbst, und Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander. Zu schweigen von Wienern und Chinesen. Damit das alle wirklich kapieren, ist der Gesandte Sou-Chong kein richtiger Chinese, sondern wird auf offener Bühne als solcher aufgeschminkt, bekommt die Perücke aufgesetzt, bevor es zum Rendezvous geht vorm Miniatur-Praterrad und hüfthohen Stephansdom (Bühnenbild: Jörg Koßdorff). Dort wartet die verliebte Lisa als fesche Sissi im schwarzen Reitkostüm, und irgendwo winkt aus dem Chor heraus ihr Vater, der Graf Ferdinand mit Franz-Joseph-Backenbart. Da zwinkert nicht nur Sou-Chong ins Publikum, sondern ziemlich heftig der Regisseur, der ansonsten seltsam indolent die Dialoge konventionell, fast bieder aufsagen lässt und Gustl, den so heftig in Lisa verliebten Leutnant, mit den Schultern zu zucken anweist, wenn er verzweifeln soll. Weil Lisa, die lieber mit dem zum Ministerpräsidenten ernannten Sou-Chong nach China geht, seinen Antrag abweist. Eine kurzweilige Reise, solange Konwitschny zur hinreißenden Musik, die Kirill Petrenko bei seiner Abschiedspremiere als Generalmusikdirektor noch viel hinreißender dirigiert, ein herrlich überdrehtes Diktatorenballett zeigt, in dem Cäsar, Napoleon, Stalin, Hitler, Idi Amin, George W. Bush und ein Neandertaler Atombomben zünden oder sich erdolchen. Doch sobald in China die Massendiktatur und Sou-Chongs Onkel (Jens Larsen als Mao-Widergänger) Ernst ins Teetassen klirrende Spiel bringen, bekommt die Regie etwas Unelegantes, soll aus der Liebesspieloperette eine ins Parkett gerichtete Erkenntniskanone werden. Nach der Sitte muss Sou-Chong vier Frauen heiraten - vier zu viel für Lisa, die zurück nach Wien will. Wenn des Prinzen Peitsche - er trägt nun wieder einen westlichen Anzug, ist der Perücke ledig - über den China-Bräuten zuckt, die eine (Hochzeits-)Kutsche ziehen, ist das eindrückliche Metapher genug, braucht es nicht die eingeschobene Szene, in der alle verratenen Frauen dieser Erde, auf der Flucht mit ihren armseligen Koffern Rast machend, Heiner Müllers Gedicht "Herzstück" rezitieren. Zum Ziegelstein wird hier das liebend Herz und Lehárs Operette auch. Betroffenheitsschmankerl zum Schluss: statt Lisa und Gustl freizugeben, damit sie zurück nach Europa dampfen können, gibt Sou-Chong mit einem Fingerschnippen Anweisung, sie zu meucheln. Da weiß der Regisseur mehr als das Libretto, aber er weiß es weniger feinsinnig zu sagen als die Musik, die vom Verlust der Liebe mit tränenloser Traurigkeit singt: In den letzten Takten steuern die Posaunen zweimal vom Grundton aus abfallend die übermäßige Quinte an, bevor so eingedunkelt der anschwellende Dur-Dreiklang alle Helligkeit verliert. Kirill Petrenko, der kleine Mann aus Sibirien mit dem großen Schlag, ist mit dem fulminant spielenden Orchester der Komischen Oper der Star dieser Aufführung. Er präsentiert einen reifen Lehár, einen Komponisten, der die Musik seiner Zeit gekannt hat, eine Partitur, in die atmosphärisch eingegangen ist, was damals in der Luft lag, von Strauss bis Korngold bis Weill. Petrenko nimmt der Musik den Zucker, nicht die Süße, konturiert, was Lehár intelligent orchestriert hat, schneidend sind bei ihm die Dissonanzen, abgrundschwarz die Posaunen- und Tubaklänge, die Tamtamschläge verlieren das Exotische, Fassadenhafte, werden zu Schicksalsschlägen. Das Berliner Publikum jubelt ihm zu in der Erkenntnis, eines seiner größten Dirigententalente zu verlieren. Eine Klasse, die die Sänger nicht ganz halten: Tatjana Gazdik als Lisa singt anfangs frei und mit schönen Linien, wird später etwas müde, wenn der Part dramatisch wird; Tom Erik Lie als Gustl, rollendeckend etwas verklemmt, aber befreit aufsingend; Karen Rettinghaus als adäquat besetzte Schwester des Prinzen. Stephan Rügamer spielt den Prinzen Sou-Chong drängend und zärtlich, kalt und verzweifelt. Als Sänger mit wenig tenoralem Glanz und Kraft enttäuscht er proportional im gleichen Maß, wie er als berührender Darsteller von Konwitschny bemüht wird. Und der? Den hat das scharfe Denken nicht verlassen, die Routine nicht, und nicht der Theaterinstinkt. Nur der Glaube an sein Publikum und etwas Timinggefühl. Daran ließe sich arbeiten. |
Wenn der Operette das Lachen vergeht Von Volker Blech Peter Konwitschny hat "Das Land des Lächelns" inszeniert. Eine sinnschwere Tragödie ist daraus geworden. Warum der große Opernregisseur das der armen kleinen romantischen Operette angetan hat, bleibt ein Rätsel - und geht am Ende im Premierenjubel an der Komischen Oper unter. Aber der musikalisch sorglose Dreiakter von Franz Lehár hat seine Regie letztlich gar nicht verdient - die an sich leichtfüßige Handlung bricht unter ihr zusammen wie der zum maoistischen Ministerpräsidenten beförderte Prinz Sou-Chong unter dem schweren gelben Amtsmantel, der sich wie weiland ein großes Kreuz in Bühnenmitte (Bühnenbild: Jörg Koßdorff) auf ihn niedersenkt. Der verliebte Mensch wird von seiner Funktion erdrückt. "Die gelbe Jacke" hieß die Operette ursprünglich. Sie blieb erfolglos, erst 1929 konnte Lehár mit der überarbeiteten Fassung "Das Land des Lächelns" einen Triumph feiern. Der Tenor Richard Tauber war seinerzeit der Star der Uraufführung im Metropol-Theater, in jenem denkmalgeschützten Saal also, in dem heute die Komische Oper spielt. Von Vergnügungslust unberührt Aber Konwitschny ist von Berlinischer Vergnügungslust der Goldenen Zwanziger unberührt. Bei ihm sind es eher die Wagnerschen Dimensionen, die er in dieser exotisch verbrämten und bezaubernd verlogenen Operettenfabel aufspürt - demnach kann in unserer zerstörerischen Männerwelt die Liebe keine Erfüllung finden. Der liebende China-Herrscher Sou-Chong lässt am Ende seine ebenso verzweifelt liebende Lisa nicht ins k.u.k-Wien zurück ziehen, sondern die junge Gräfin auf Handzeichen hin töten. Konwitschny erzählt seine Geschichte auf zwei Ebenen: Einerseits ist es die intime Gefühlswelt des sich findenden Paares, das sich im Liebesduett die Perücken wie Masken herunterreißt und andererseits die brutale Außenwelt, in der es seine Liebe zu bewahren sucht. Diese Multikulti-Welt ist ein globales Irrenhaus. Die Hüte wechseln, aber die Menschen darunter verändern sich nicht. Konwitschnys skurrile Bilder überraschen auch durch ihre grenzenlos eindimensionale Verachtung von Mächtigen. Die Ballettszene zu Beginn des 2. Akts wird zum G-8-Gipfel der Diktatoren bei ihrem neuen Bruder in China. Die Revue-Einlage hat chaplineske Größe: Es tanzen Hitler, Stalin, Napoleon, Idi Amin, Barbarossa, George W. Bush oder Caesar. Lächelnd verschenkt Hitler einen Judenstern, wie dumme Jungs zerhacken sich die Diktatoren mit Schwertern, laufen über Landminen, führen Panzerkriege. Schließlich explodiert die Atombombe. Ein Justizfall ist nicht in Sicht Dass diese bitterbös kindische Szene nicht zum Skandal oder wie im Falle von Konwitschnys umstrittener "Czardaszfürstin" in Dresden zum Justizfall wird, ist seiner eigenen Inkonsequenz geschuldet: Wenn er schon George Bush vorführen will, dann auch Osama bin Laden oder einen islamischen Staatschef. Das Gelungenste an dieser Operette ist das einverständige Zusammenspiel aller Akteure unter Konwitschnys Regiediktat. Selbst Kirill Petrenko, der damit seinen würdigen Abschied als Generalmusikdirektor nahm, präsentierte am Pult des Orchesters der Komischen Oper einerseits die zuckersüßesten, auch pentatonischen Klänge herbei, um andererseits die Blechbläser fast wie bei Schostakowitsch gegen alle Diktatoren ankämpfen zu lassen. Stephan Rügamer hat als Prinz Sou-Chong gegen große Vorbilder seiner Zunft anzutreten: "Dein ist mein ganzes Herz" findet sich im Zugabenpool aller Strahletenöre. Rügamer setzt auf die verinnerlichte Botschaft, weniger auf lyrischen Singschmelz. Seine mondän-emanzipierte Lisa wird von Tatjana Gazdik glaubwürdig gespielt und etwas zu schneidig gesungen. Baritonalen Charme hat Tom Erik Lie als ihr verschmähter Verehrer Graf Pottenstein. |
Das ist kritisch-dialektisches Regietheater! Wolfgang Fuhrmann Als plüschig gilt die Operette, voll Sentimentalität sei sie, schmalziges Opapa-Musiktheater. Gewiss wirkt ein Stück wie Franz Lehars "Das Land des Lächelns" (1929) heute gealtert. Das aber gerade weil es sehr viel genauer als eine große Oper die großstädtische Lebenswelt ihres Publikums und ihren ungehemmten Waren- und Geschlechterverkehr ins Auge gefasst hat. Die Idee sei dem Librettisten, so heißt es, bei einer Tageszeitungsmeldung über eine chinesisch-deutsche Ehe gekommen. Lehar habe den Stoff zunächst abgelehnt; erst als nach dem Weltkrieg der Adel in Österreich abgeschafft wurde und damit das populäre Thema des Standesunterschieds fiel, begann er mit der Arbeit. Man suche nach einem heutigen Musiktheater, das so seismographisch präzise auf die Gesellschaft reagiert! Auch mit der sentimentalen Verlogenheit der Operette verhält es sich nicht ganz so einfach, wie man es gerne glaubt. Die Urfassung des Stücks trug den Titel "Die gelbe Jacke" (1923). Hier fanden sich zwei österreichisch-chinesische Paare, die Komtess Lisa heiratet den Ministerpräsidenten Sou Chong, ihr abgewiesener Verehrer Gustl tröstet sich mit dessen Schwester Mi. In der Neufassung scheitert alles an unüberwindbaren kulturellen Differenzen; Sou Chong muss nach altem Brauch vier chinesische Ehefrauen heiraten, das will Lisa nicht tolerieren und so kehrt sie mit Gustl nach Wien zurück. So steckt nicht nur "Dein ist mein ganzes Herz" in dem Stück, sondern auch eine Kulturkonfliktdebatte. Da braucht man einen Regisseur, der beherzt zufasst, und beherzt zufassen kann Peter Konwitschny, der das Stück jetzt an der Komischen Oper herausgebracht hat, gewiss. Während der ersten zwanzig Minuten der Premiere am Sonntag durfte man sich auch angenehm gruseln angesichts der vorgeführten Opapa-Operetten-Klischees: Vom (echten!!) Franz-Joseph-Backenbart des rundlichen Grafen Lichtenfels (Hans-Martin Nau) über die kreischblauen Uniformen der feschen Herrn Offiziere bis zu fragwürdigen Wien-Devotionalien wird hier gleich signalisiert: Achtung, idyllischer Schein trügt! Es ist nur das erste von allzu vielen Signalen, die das Publikum im Lauf des Abends erreichen. Natürlich "bricht" Konwitschny die angetäuschte Operettenseligkeit bald "auf"; natürlich werden die Klischees des Exotischen hier "dekonstruiert", dass es nur so staubt. Der Prinz Sou Chong beispielsweise betritt als normaler Europäer mit dem Äußeren des Tenor Stephan Rügamer die Bühne und wird dann während der sehr schön und empfindungsreich gesungenen Arie "Immer nur lächeln" auf Chinese geschminkt. Exotisch sind wir immer nur im Blick der Anderen. Holla! Es zeigt sich aber auch, dass hinter jedem fremden Antlitz ein menschliches Wesen steckt. Als sich die junge Gräfin Lisa (Tatjana Gazdik) und Sou Chong ihre Liebe gestehen, nimmt sie ihm seine schwarze Haarknoten-Chinaperücke ab - worauf auch er ihr die Perücke abnimmt. Und so, im utopischen Vorschein der natürlichen Haartracht, begegnen sich zwei Menschenwesen. Zwischen Entlarvung und Menscheln schlingert Konwitschnys Arbeit auch im Folgenden hin und her. Und je weniger sie dabei auf einen festen Grund kommt, desto kräftigere Zeichen stellt sie aus. Sou Chongs Onkel Tschang, der Vertreter der buddhistischen Orthodoxie, wird als Mao-Tse Tung dargestellt, der Chor muss in blauer Werktätigenkluft antreten. Während man sich noch fragt, ob Konwitschnys Chinabild vielleicht in den 70ern steckengeblieben ist, lädt Mao ein ganzes Rudel einschlägig bekannter Staatsmänner zu Gast: Cäsar, Barbarossa, Napoleon, Stalin, Hitler, einen afrikanischen Diktator, einen US-Präsidenten sowie aller geistigen Urahn, den Urmenschen mit der Totschlagkeule. Gemeinsam tanzen sie ein fröhliches Vernichtungsballett, bei dem sich die Waffen zum allgemeinen Gaudium von Schwert über Tretmine bis zur Atombombe perfektionieren. Ist das nicht ebenso schlimmes Klischee wie der Franz-Joseph-Bart? Natürlich, sagt die Regie, aber aufgepasst: Wir wissen, dass es Klischees sind! Das ist kritisch-dialektisches Regietheater! Dieser Gestus, mit dem noch der platteste Einfall des Abends sich selbst immunisiert, erzeugt ein Gefühl tiefen Unbehagens. Muss es denn wirklich sein, dass eine Gruppe Kopftuchträgerinnen Heiner Müllers "Herzstück" deklamiert? Nichts geht mehr, nicht zwischen den Kulturen, nicht zwischen den Geschlechtern, sagt der Abend: mal wieder tote Hose, und natürlich dürfen Lisa und Gustl zum Schluss nicht in die Heimat zurück, sondern werden von Sou Chongs Schergen gemeuchelt. Der Zuseher seufzt, ganz erschöpft von soviel erwartbarer Erwartungsdurchkreuzung, da stimmt Sou, die weinende Mi in den Armen, zum letzten Mal seine Arie an: "Immer nur lächeln und immer vergnügt . lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen. Doch wie's da drin aussieht, geht niemand was an!" Das passt auf das Unhappy End erschreckend genau. Es ist ein Moment von Zartheit und Genauigkeit, wie es viel zu wenige gibt an diesem Abend. Es ist unangenehm, das so aussprechen zu müssen, aber dem angeblichen Opapa-Genre Operette kommt man mit dieser Form von Opapa-Regietheater nicht bei. Das fällt besonders empfindlich auf, weil musikalisch genau jene Art von moderner und doch unverkrampfter Lesart gelingt, um die sich die Inszenierung vergeblich bemüht. Junge und schlanke Stimmen sind am Werk, neben Rügamer vor allem Tom Erik Lie (Gustl) und Karen Rettinghaus (Mi), aber auch, leider wenig textverständlich, Tatjana Gazdik. Da ist aber vor allem Kirill Petrenko, der mit dem Orchester der Komischen Oper die instrumentalen Schichten so behutsam auffächert, dass sich manchmal sogar so etwas wie der Reibungs- und Spreizklang asiatischer Orchester zu ergeben scheint; immer klingt es delikat, reizvoll, zeitgemäß. Viel Beifall und ein paar begeisterte Buhs für Konwitschny. |
Porzellanherz Von Claus Spahn Napoleon, Stalin und Idi Amin in Berlin: Peter Konwitschny inszeniert Léhars "Land des Lächelns" als G8-Gipfel der Geschichtsungeheuer.
Immer nur lächeln und immer vergnügt, immer zufrieden, wie’s immer sich fügt", singt der Prinz Sou Chong und zeigt auf sein Herz: "Doch wie es da drin aussieht, geht niemand was an." So geht es zu in den Operetten von Franz Lehár: Der schöne Schein muss gewahrt bleiben – über alle Unglücke hinweg. Altwiener Herrschaften träumen sich in die Pappkulisse eines chinesischen Anderswo, und Richard Tauber singt: Dein ist mein ganzes Herz. Da kann man es gut verstehen, wenn die modernen Opernregisseure bei Lehár am liebsten den Hammer zur Hand nehmen, um nachzusehen, was sich im Porzellanherzen des Prinzen Sou Chong denn nun verbirgt. Sie entdecken nackte Verzweiflung hinter der Hochstimmung, den Geist der Intoleranz in der Leichtlebigkeit und dass es garantiert doppelt so schlimm ist, wenn der Buffo zu trällern beginnt: "’s ist alles halb so schlimm." Peter Konwitschny hat das in seiner Land des Lächelns-Inszenierung an der Komischen Oper in Berlin nicht anders gemacht. An der schmerzlich schönen Partitur mit ihren bittersüßen Melodien interessieren ihn nur der Schmerz und das Bittere. Schon bei der ersten Verlogenheit ("Da kann man nix machen") kracht bei ihm der schwere Kristalllüster von der Bühnendecke. Das einzige Herz, das verschenkt wird, ist ein Ziegelstein, und einmal schlägt der berühmteste aller Lehár-Fans, Adolf Hitler, höchstselbst die Hacken zusammen und spricht: "Immmerrrr nurr lächeln." Das ist in der Balletteinlage im zweiten Akt, in der die Fürsten am chinesischen Hof erscheinen, ein Höhepunkt der Aufführung. Konwitschny hat daraus einen G8-Gipfel aller Ungeheuer der Weltgeschichte gemacht. Es tanzen Hitler und Stalin, Nero und Napoleon, Karl der Große und der grausame Neandertaler. Idi Amin will jedem in die Hand beißen, und Ronald Reagan gewinnt den Phalluswettbewerb: Er hat die Atombombe, also den Größten. Überall werden an diesem Abend die Illusionen abgeräumt: Sou Chongs Palast ist eine schmucklose Baugerüst-Pagode aus Einzelzellen, in der die Jalousien wie Guillotinemesser herabsausen. Die unglücklich Liebenden ziehen sich irgendwann frustriert die Perücken vom Kopf und wischen sich die Schminke aus dem Gesicht. Vom Bühnenbild bleibt am Ende nur ein Gerippe, wie Mottenfraß in einer alten Gardine macht sich hässliches Schweigen zwischen den Gesangsnummern breit, und zuletzt tritt die ganze Gesellschaft an die Rampe – und lächelt nicht mehr. Natürlich ist es sehr gekonnt, wie Konwitschny (nach seinem Csardasfürstin-Skandal vor sieben Jahren in Dresden) einmal mehr die Operettenglückspille als Wahrheitsserum verabreicht. Aber ist der Antischwung, den er in allem Tänzelnden erkennt, sind die Depressionsgesten, die sich hinter der Hochstimmung verbergen, nicht auch nur Gegenklischees eines gestanzten Genres? Hat der Trümmerhaufen der menschlichen Beziehungen, auf den das Publikum blickt, nicht auch etwas Kulissenhaftes? Wenn da wenigstens die Musik weiterhelfen würde. Kyrill Petrenko weiß zwar ganz genau, wie man den Lehár-Esprit aus dem Orchester hervorkitzelt, aber der Rausch will einfach nicht aufs Publikum übergreifen. Nachdem der mäßig gute Tenor Stefan Rügamer das unsterbliche Dein ist mein ganzes Herz geschmachtet hat, regen sich im Parkett nur wenige Hände zum Szenenapplaus. Zu Richard Taubers Zeiten war das anders. © DIE ZEIT, 05.07.2007 Nr. 28 |
Das Land des falschen Lächelns ist überall Männer mit Keule oder Atombombe Foto: Monika Rittershaus Das Missverständnis, dem wir heute noch beim Stichwort Operette unterliegen, erklärt sich eigentlich schon aus der Entstehungsgeschichte eines der berühmtesten Vertreter des Genres. Die Erstfassung von Franz Lehárs "Land des Lächelns, 1923 unter dem Titel "Die gelbe Jacke" in Wien uraufgeführt, war nur mäßig erfolgreich. Der Ohrwurm "Dein ist mein ganzes Herz" klingelte zwar schon damals durch die Partitur, aber das Ende der Geschichte war - zu fröhlich. Im "Land des Lächelns" (1929) schaffen sie es nun nicht mehr: Lisa und der Chinese Sou-Chong können ihre Liebe nicht leben, es gibt kein Happy End. Operette ist eben nicht nur zum Amüsement da. Regisseur Peter Konwitschny ist nicht der Mann, der etwas nur zum Amüsement akzeptieren würde. So nimmt er auch die Operette ernst. Ohne es mit Klamauk zu überdecken, lässt er das Grundproblem der Protagonisten unangetastet: Die verschiedene kulturelle Herkunft von Lisa (expressiv dramatisch: Tatjana Gazdik) und Sou-Chong (mit süßem Schmelz: Stephan Rügamer). Das ist der Stolperstein für die Liebe. Denn Sou-Chong, von seinem Ausflug nach Wien zurückgepfiffen auf einen Ministerposten in China, muss gemäß der Tradition ausser der ihm gefolgten Wienerin Lisa noch vier weitere Frauen ehelichen. Konwitschny macht klar, dass solche Widrigkeiten allgemeingültig sind. Die Bühne (Jörg Koßdorff), eben noch ein Operetten-Wien, dreht sich und wir sind in China. Globalisierte Welt! Sou-Chong, dem das schwarze Chinesenhaar auf der Bühne von einem Maskenbildner erst noch übergestülpt wird, ein paar Striche an den Augenbrauen, und fertig ist der "Chinese". Sou-Chong ist also genauso wenig ein Exot, dessen Probleme uns eigentlich nichts angehen, wie Lisa, die Konwitschny in ihrer kulturellen Heimat verwurzelt lässt. Lisa sieht plötzlich sehr chinesisch aus. Ihr alter Freund Gustl (spielerisch, charmant: Tom Erik Lie) hingegen mutiert zum Indianer (Kostüme: Michaela Mayer- Michnay), ebenso wie Sou-Chongs Schwester (etwas brav: Karen Rettinghaus) - die beiden sind das "Buffo-Paar" in dieser Geschichte. Auch ihnen ist die Liebe nicht vergönnt. Ja, niemand wird hier so richtig glücklich, auch die Frauen mit Kopftuch nicht, die Schwarzafrikanerinnen, die Russinnen und was sich noch alles an Nationalitäten einfindet in der Global-Operette. Im dritten Akt tauchen diese vom Libretto als Sklavinnen beschriebenen Frauen auf. Sklavinnen der Liebe sind sie nicht, im Gegenteil: Sie sind entwurzelt, weil das "Märchen vom Glück" vorbei ist, weil die Welt ohne Liebe auseinander bricht. Kann man das so auf die Bühne bringen? Taugen der Glaube an die Kraft der Liebe und die damit verbundene moralische Botschaft für einen Abend im Opernhaus? Denn, dass ohne Liebe der Haussegen unseres Planeten schief hängt, macht uns Konwitschny überdeutlich. So treten im zweiten Akt die Schurken der Weltgeschichte zum Baller-Ballett (Choreographie: Enno Markwart) an: Stalin, Hitler, Napoleon, Barbarossa. Männer mit Keule oder Atombombe. Das böse starke Geschlecht. Böse auch Sou-Chong, der Lisa am Ende kaltblütig den Hals umdrehen lässt. Und böse ist Sou-Chongs Onkel, ein Mao-Tse-Tung-Verschnitt, der seinem zwischen Liebe und politischem Amt hin- und her gerissenen Neffen klar macht, wo er hingehört: auf den Ministersessel, in die "gelbe Jacke", die sich überdimensional auf den frisch in China Angekommenen senkt, ihn schlichtweg erdrückt. Das "Land des Lächelns" ist überall. Gewalt wird von "Freundlichkeit" im Gesichtsausdruck nur überdeckt. Die lächelnde Maske, hinter die niemand blicken darf. Oder, wie Sou-Chong es formuliert: "Wie's da drin aussieht, geht niemand was an." Unter dieser falschen Maske gibt es, um Adorno zu paraphrasieren, kein richtiges Leben. Unter dem Label "Operette" jedoch steckt eine ganze Menge mehr, als nur zuckersüßer Kitsch. Konwitschnys Vorschlag der Ver-Ernstung ist so gekonnt wie gelungen, und gelacht werden darf trotzdem ein bißchen. Kirill Petrenkos Dirigat passt dazu ideal. Die Musik wiegt sich in einem Moment in der Seligkeit von "Dein ist mein ganzes Herz", um sofort danach umzukippen. Wüst zischeln dann die Trompeten, schal klingen die Geigen und so gar nicht erwartungsgemäß "schön" die Dissonanzen, die Lehár über den Umweg einer Pseudo-Pentatonik in die Partitur eingebaut hat. Diese Musik lächelt keineswegs, sondern gibt uns immer wieder Blicke frei hinter die aufgesetzte Maske. Wie Lehár hier zugleich der Vergnügungsindustrie zugearbeitet hat - seinerzeit übrigens äußerst erfolgreich - und dabei einen expressionistischen Weltschmerz mitkomponiert hat, das kommt genial zum Tragen. Benjamin Herzog |
Gute Laune zum Heulen Von Georg-Friedrich Kühn 1999 hatte der Regisseur Peter Konwitschny in Dresden eine Interpretation von Emmerich Kálmáns "Csardasfürstin" vorgelegt, die sich als ernster Streifzug durch das kriegs- und gewaltgeprägte 20. Jahrhundert offenbarte. Nun hat der Regisseur an der Berliner Komischen Oper Franz Lehárs "Land des Lächelns" inszeniert, und auch dieses Werk wollte er auf seine düsteren Seiten hin abklopfen. Und die Chancen der Liebe im Zeitalter der Migration ging es ihm in der Operette. Am Ende sieht man dann doch noch ein bisschen von dem, was der Regisseur wohl eigentlich zeigen wollte: eine Liebe, die nicht glückt, nicht glücken kann. Der chinesische Prinz Sou-Chong lässt seine fluchtwillige europäische Frau Lisa und ihren Fluchthelfer Gustl von seinen Blaugardisten per Genickbruch abmurksen. Und das liebe Schwesterlein Mi, verkleidet als indianische Pfadfinder-Squaw, ist untröstlich. Sie hat nicht nur die österreichische Lotosblüte Lisa sondern auch ihren tennisspielenden früheren Liebhaber Gustl lieb gewonnen, auch wenn sie dessen Annäherungsversuche zuerst mit Rippenstößen beantwortet. "Immer nur lächeln" - das aufgezwungene Motto des Prinzen in der europäischen Fremde: zum Ouvertüren-Beginn lässt Peter Konwitschny kurz das ganze Ensemble mit gefrorenem Lächeln bei halb geöffnetem Vorhang posieren. Dann gibt es neben einigen triftigen Szenen viel Klamauk und aufgesetzten Witz. Kaum einer im Publikum lacht. Per Feuerwehrstange rutscht die junge Witwe Lisa zu der zwischen Miniatur-Riesenrad und -Stephansdom walzernden Wiener K&K-Gesellschaft, wehrt die Ehewünsche ihres stotternden Liebhabers Gustl mit Degengefechten ab. Prinz Sou-Chong lässt sich vor seinem Auftritt bei ihr erst vom Visagisten vor dem Spiegel auf Chinesisch umfrisieren - eine schöne Idee, die das Maskenhafte der Figuren zeigt. Wenn sich die beiden neuen Liebenden erst- und letztmals an die Wäsche gehen, fliegen auch die Perücken vom Kopf. Für die Huldigung der Mandarine zuhause in China nimmt Konwitschny die von Lehár später hinzu komponierte erweiterte Fassung, veranstaltet dazu ein Politkabarett mit sich gegenseitig meuchelnden Diktatoren, von Cäsar über Napoleon bis zum Zaren, Hitler, Stalin, Mobutu und auch Texas-Bush. Sou-Chongs auf Ahnensitte achtender Onkel Tschang tritt in Mao-Look auf die dreistöckige, mit Jalousien verkleidete Empore. Das Zurücktauchen Sou-Chongs in seine atavistische Kultur zeigt Konwitschny mit einer wilden Kutschfahrt im Kreis mit dem Prinzen auf dem Bock und den vier Bräuten im Geschirr. Am Ende will der Prinz die eigene Frau vergewaltigen, die sich mit Peitschenhieben wehrt. Die Einkerkerung im Harem wird mit einem Heiner-Müller-Text garniert. Hysterische Frauen aller Weltkulturen meditieren über Herzen aus Stein in dem nun aller Tapeten entkleideten Bühnengerippe. Konwitschnys Schuldzuweisung für verlorene Liebe an die äußeren Umstände - sogar die Atombombe wird bemüht - scheint aber doch reichlich kurz gegriffen. Nicht Systeme lieben sich, sondern Menschen. Die sucht man auf der Bühne freilich lange vergebens. Musikalisch ist das aber ein Abend von hohen Graden. Kirill Petrenko, der scheidende GMD der Komischen Oper, hat sich das Stück lange gewünscht und er musiziert es mit einer Raffinesse, die man bei Lehár sonst kaum zu hören bekommt. Von sämigen Straußschen Walzern bis hin zu den an Kurt Weill gemahnenden Aufmüpfigkeiten der Chinesen-Prinzessin Mi. Am Ende gab es viel Beifall, zumal für Petrenko und die Solisten - Tatjana Gadzik etwa als resolute Lisa und Stephan Rügamer als innerlich zerrissener, mit schlanker Stimme singender Sou-Chong -, aber auch für das Orchester und den fabelhaften Chor. Konwitschny und sein Team mussten auch einige Buhs einstecken. Es bleibt auch vieles äußerlich in dieser Aufführung. Die Leichtigkeit, die selbst eine so genannt "tragische" Operette schon vom musikalischen Zuschnitt her braucht, wird ihr hier fast ganz genommen. Die verkniffene Gespanntheit der Probenatmosphäre wird noch spürbar bei der Premiere. Und eine neue Lesart zeigt Konwitschny kaum, nur eine verengte Perspektive. Da können 2 3/4 Stunden doch sehr lang werden. |
Komische Oper BerlinFranz Lehár Das Land des Lächelns
Peter Konwitschny interessiert an Franz Lehárs Operette v. a. die Suche nach individuellem Glück, die an gesellschaftlichen Zwängen scheitert. Das "Land des Lächelns" ist immer dort, wo man eine Fassade aufsetzen muss und seine echten Gefühle nicht zeigen oder gar leben darf – also eigentlich überall. Der Regisseur kontrastiert nicht eigentlich Wien und China, sondern zwei Gesellschaftssysteme. Der 1. Akt spielt bei ihm in einer Art Ballsaal mit Wiener Sehenswürdigkeiten en miniature. Eine heruntergekommene Operettengesellschaft in historischen Kostümen feiert sich selbst. Das hat bisweilen auch den Charme der Fernsehunterhaltung von vor zwei bis drei Jahrzehnten – Peter Alexander lässt grüßen. Diese aufgesetzte Heiterkeit bedeutet hier Unterhaltung als Flucht vor der Realität. Der zweite Akt – die Kehrseite – spielt vor und auf einem hässlichen roten Gestänge mit grauen Jalousien. In diesem Überwachungsstaat, in dem einheitliche blaue Uniformen getragen werden, wird auf brutalere Weise jede individuelle Entfaltung unterdrückt. Dazwischen bewegen sich die Hauptfiguren, die nur mit Mühe Haltung bewahren und vor aufgestauten Emotionen fast platzen. Zusammen finden sie indes nicht. Konwitschny betont ganz die pessimistischen, tragischen, düsteren Momente und legt menschliche Abgründe bloß. In seiner drastischen Überdrehtheit geht das Regiekonzept diesmal durchaus auf. Das ist keine Operette zum Zurücklehnen, sondern zum Mitdenken und auch Mitleiden – denn am Schluss steht hier nicht wie bei Lehár Entsagung, sondern Mord. Wie scher Operette sängerisch ist, wurde im Ensemble deutlich. Tatjana Gazdik in der weiblichen Hauptrolle präsentierte eine klare und ausdrucksstarke, bisweilen aber zu kleine Stimme; sie musste um ihre Präsenz kämpfen. Die undankbarste Rolle hatte Stephan Rügamer als chinesischer Prinz mit den ganzen bekannten Hits wie "Dein ist mein ganzes Herz" oder "Immer nur lächeln". Ihm fehlte zum Operettentenor die Leuchtkraft; er rettete sich in ein riesiges Vibrato; ohne dieses wirkte seine Stimme nicht nur kraftlos, sondern auch erschreckend abgesungen. Erfreulich hingegen Karen Rettinghaus in der Rolle der Mi. Sie besitzt die notwendige Schwerelosigkeit, Direktheit und mühelose Klarheit – eine echte Entdeckung. Kirill Petrenko erfüllte sich mit Lehárs "Land des Lächelns" für seine letzte Premiere als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin einen echten Herzenswunsch, und man spürte die ganze Liebe, mit der er das einstudiert hatte. Das Orchester zeigte den großen Atem, Schmelz, aber auch das Sphärenhafte und Unwirkliche der Musik Lehárs. Petrenko stürzte sich mit einer Detailverliebtheit und Freude an kleinen Übergängen, Verzögerungen und vielsagenden, spannungsgeladenen Pausen in die Partitur, und das ohne allzu viel Kitsch. Leider zeigte sich auch hier sein Problem, das er in den zurückliegenden fünf Jahren seiner Amtszeit nie richtig in den Griff bekommen hat: die krachende Lautstärke. Teilweise drehte er die Dynamik auf, als sei dies ein Abend für Schwerhörige, als habe er daran gedacht, dass Lehár eine Zeitlang auch Militärkapellmeister war. Trotzdem war diese Abschiedspremiere rein klanglich Petrenkos beste Produktion – und insgesamt ein Beweis dafür, dass Operette mehr sein kann als die Ansammlung populärer Schlager. Andreas Göbel |
FINANCIAL TIMES Burlesque gives way to brutality Hitler, Stalin and Idi Amin spar with George W. Bush, Napoleon and Ivan the Terrible. Nero and a caveman join in. First clubs, then swords, then a jousting tournament, next cannons, tanks, land mines and the atom bomb. All are thrilled with the effects. This is Franz Lehár’s 1929 operetta The Land of Smiles. Not as specified by the libretto, of course. Despots of history were not the main focus of Viennese entertainment between the wars. But the shadow of conflicts past and future could certainly be felt between the lines, and it’s hardly surprising that Peter Konwitschny puts it centre-stage for part of his new production at Berlin’s Komische Oper. It was Konwitschny who hit headlines for his Csárdásfürstin in Dresden seven years ago, where dismembered soldiers danced with their missing limbs. It has become increasingly obligatory for German stage directors to bring out the tragedy in tragicomic works by spotlighting the horrors that viewers of the time came to the theatre to forget. Konwitschny is the father of them all, Ur-iconoclast and elder statesman of intellectual shock value. This Berlin Land of Smiles finds him back on high form after a string of lesser efforts. The tyrants’ ballet is just a light interlude in an evening that peels back all the layers of Lehár’s lightweight sally into an imaginary China to reveal the agony of human incompatibility beneath. "Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen" ("Men and women simply don’t fit together"), the Germans are fond of saying when a relationship goes awry, and the expression masks a fundamental pessimism just as surely as Prince Sou-Chong’s eponymous smile masks a complex emotional life. Along with this comes a widespread view that Viennese operetta has no artistic validity in the serious opera world unless something modern is made of it. That is Konwitschny’s speciality, and he succeeds most entertainingly with this meticulously silly staging. Since the China of Lehár’s operetta was nothing but a mish-mash of clichés and an exotic excuse for a failed love story, Konwitschny dispenses from the start with all pretence at seeking a real China. Instead, we see the unmistakably Teutonic Stephan Rügamer come on to the stage with his make-up artist, who paints on slanted eyes and adds a top-knot wig as he sings his first aria. All this takes place in an overtly phony Vienna State Opera, complete with canvas dress circles and little models of famous Viennese landmarks (sets: Jörg Kossdorff). Konwitschny snips and interpolates to make sure we miss neither the absurdity of Lehár’s cultural prejudices nor the vulnerability of his characters’ feelings. Viennese society is just as adept at repressing real emotions as feudal or Maoist China, and women tend to draw the short straw everywhere. The burlesque mood of Konwitschny’s Act I irreverence falls away after the interval, as the flaws in the young people’s relationships emerge and Sou-Chong reveals a dormant tendency to brutality. It would all seem a lot more tedious without Kirill Petrenko’s brisk yet imaginative conducting, and singing that is consistently excellent. Tatjana Gazdik’s impish, glittering Lisa is mirrored well by Karen Rettinghaus’s charmingly sincere Mi. Tom Erik Lie makes a boyish, likeable Gustl, but the evening’s most heartbreaking artistry comes from Stephan Rügamer’s charismatic and multifaceted Sou-Chong. Despite the inevitable moments of heavy-handed didacticism, there is plenty to enjoy in this detailed, well-made production. |