Mannheimer Morgen - Morgenmagazin
05. Juli 2007

MUSIKTHEATER: Ein Treffen mit Günter Krämer, dem Regisseur der Schwetzinger Inszenierung von Mozarts "Lucio Silla"
Erotik, vor allem aber viel Politik

Guenter KraemerMannheim/Schwetzingen. Kommenden Sonntag beginnt in Schwetzingen und Mannheim der erste Mannheimer Mozartsommer, die Fortführung des einst Mannheimer Mozartwoche genannten Festivals zum Thema Mozart. Höhepunkt des Mozartsommer ist die Opernpremiere "Lucio Silla", die Günter Krämer für das Schwetzinger Rokokotheater eingerichtet hat. Unsere Musikkritikerin Waltraud Brunst sprach mit Krämer über seine Regie.

Wenn überregional oder gar international renommierte Opernregisseure am Mannheimer Nationaltheater inszenieren, werden sie unweigerlich danach gefragt, ob sie eine wie auch immer geartete Beziehung zu unserem Musentempel hatten oder haben. Günter Krämer, der mit der Inszenierung der frühen Mozart-Oper "Lucio Silla" beim "Mannheimer Mozartsommer" erstmals am hiesigen Nationaltheater (wenn auch ins Schwetzinger Rokokotheater ausgelagert) Regie führt, kann in dieser Hinsicht mit ein paar handfesten Überraschungen dienen.

Seine Vita gibt zwar preis, dass er in Neustadt an der Weinstraße geboren ist und in Heidelberg und Freiburg Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert hat, nicht aber, dass er einige Zeit am Mannheimer Lessing-Gymnasium als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde gewirkt hat. Aber schon lange davor, noch als Schüler, verdingte er sich regelmäßig als Schauspielstatist am Nationaltheater, noch in der Schauburg und später als einer der Räuber in der legendären Piscator-Inszenierung. Zu diesem Zeitpunkt stieß seine Liebe zur Musik noch auf wenig Gegenliebe, weshalb auch der (etwas besser honorierte) Job als Opernstatist leider an der mangelnden Fähigkeit, rhythmisch zu schreiten, scheiterte.

Im Verlauf der durchaus lustvollen Erinnerungen an die frühen Mannheimer Theaterjahre fällt auch der überaus provokante Satz, dass er von den vielen grandiosen Bühnenbildern des hochgeschätzten Paul Walter die "Meistersinger" mit ihrer 'Schindelromantik' eher weniger gelungen fand. Wie ja überhaupt die Alt-68er damals alles ablehnten, was auch nur entfernt 'bourgeois' war.

Gab's für den längst erfolgreichen Schauspielregisseur und Oberspielleiter (in Stuttgart und Bremen) hinsichtlich der Hinwendung zum Musiktheater eine Initialzündung? O ja, Altmeister Kurt Horres hielt ihn für einen "ungewöhnlich musikalischen" Schauspielregisseur, worauf er, Krämer, tatsächlich musiktheoretischen Unterricht nahm und sich auch der Oper zuwandte - wie man inzwischen weiß, höchst erfolgreich. Ist der Eindruck richtig, dass sich Günter Krämer weniger mit Verdi & Co. und auffallend oft mit Werken wie "Die Gezeichneten" von Schreker oder "Die tote Stadt" von Korngold befasst? Stimmt. Das hat zwei Gründe: Zum einen werden Regie-Neulingen gern eher Werke aus den Repertoire-Nischen angeboten, an denen man sich besser profilieren kann als an den mit Konventionen befrachteten Standard-Opern. Zum andern wollte sich Krämer auch unbedingt mit dem Oeuvre der im Dritten Reich verfemten Komponisten auseinandersetzen. "Aber mittlerweile mache ich auch den 'Ring' und die 'Traviata'".

Wie kam nun das erste Mannheimer Engagement zustande? Günter Krämer erzählt, wie ihn Operndirektor Kehr, vom Krämerschen "Mitridate" in Salzburg beeindruckt, hierher "gelockt" habe, offenbar mit dem Argument, dass der "Lucio Silla" des 16-jährigen Mozart zwangsläufig auf den "Mitridate" des 14-jährigen zu folgen habe. Tatsächlich, befindet Krämer, sei ja "Lucio Silla" Mozarts erste 'erotische' Oper, und es gelänge ihm darin dank der Musik, eine Art 'psychologischen Realismus' aus der strengen Opera-seria-Form herauszubrechen. Das den damaligen Konventionen geschuldete Happy-end habe Mozart übrigens 'vollkommen lieblos' komponiert.

Mit Adam Fischer arbeitet Günter Krämer zum ersten Mal zusammen, und er lobt dessen Sensibilität, die vorgefundenen szenischen Konstellationen noch musikalisch zu steigern. Fischer wollte zunächst die Oper nur mit Frauenstimmen besetzen; man habe aber einen Kompromiss gefunden. Der stilsichere Tenor Lothar Odinius singt den (musikalisch etwas vernachlässigten) Titelhelden, der polnische Sopranist Jacek Laszczkowski dessen Gegenspieler Cinna und Angelo Truisi Sillas Vorgänger Marius. Dazu die blutjunge Ana Maria Labin als Sillas Schwester Celia und zwei Sängerinnen, die am Mannheimer Nationaltheater auch im Mozartfach - und nicht nur da - Furore machen: Marie-Belle Sandis in der Hosenrolle des Cecilio und Cornelia Ptassek, als Giunia Sillas Objekt der Begierde.

Übrigens ein interessanter Kunstgriff, dass Krämer die Rede des Diktators "Ich werde Einer von euch" (auch sie, wie er meint, von Mozart ausgesprochen lieblos vertont) gleich drei Mal halten lässt. Damit rückt er die austauschbaren Politiker-Sprechblasen nachhaltig ins Bewusstsein des Publikums. Wie ja überhaupt der "Lucio Silla" nicht nur eine erotische, sondern vor allem eine eminent politische Oper ist.

WALTRAUD BRUNST