staatsoper berlin
märz 2005

"Energie erlebbar machen"
Bernd Eichinger im Gespräch mit Barbara Maria Zollner

Bernd Eichinger - Produzent, Regisseur, Drehbuchautor - ist der wohl erfolgreichste Filmemacher Deutschlands; die Liste seiner prämierten Filme liest sich wie ein Digest deutscher Kinogeschichte der letzten 25 Jahre. Sein letztes Großprojekt "Der Untergang" erhielt im Januar den Bayerischen Filmpreis und ist für den Oscar nominiert. Unter den Linden inszeniert Bernd Eichinger nun mit "Parsifal" erstmals eine Oper.

Was reizt Sie daran, Oper zu inszenieren?

Alles reizt mich daran. Und dann auch noch "Parsifal", das ist ja wohl das ultimative Abenteuer. Wenn man so ein Angebot bekommt, dann muss man es annehmen! Mich in diese andere Welt hinein zu begeben, mit "nur" einer Bühne, und mit hervorragenden Sängern, Musikern und mit einem Dirigenten wie Barenboim zusammenarbeiten zu dürfen, das interessiert mich sehr. Natürlich ist der Entstehungsprozess völlig anders als beim Film. Ich verspreche mir also viele neue Erfahrungen. Obwohl ich natürlich auch Bammel davor habe, das ist ja klar.

Was war Ihre erste Begegnung mit "Parsifal"?

Meine Vertrautheit mit Wagner geht zurück in die Kindheit: Mein Vater war Wagnerianer; er war Landarzt und hatte sich sein Studium mit Orgelspielen verdient und spielte auch noch, als wir Kinder waren, sehr viel Wagner auf dem Harmonium. Außerdem Bruckner, Beethoven und Strauss – das ist die Musik, mit der ich aufgewachsen bin ... Manchmal sind wir mitten in der Nacht von Wagner aus dem Schlaf gerissen worden, wenn mein Vater spät von Geburten nach Hause kam und zu seiner Entspannung Platten anhörte.

Am Anfang stand also die Musik, nicht das Opernerlebnis?

Erst kam die Musik. Obwohl ich mit sieben oder acht Jahren dann auch in der Oper war, im "Freischütz", und mit zehn dann sogar in Bayreuth. Aber die Musik blieb bei mir bisher bestimmend. Sicherlich würde ich niemals eine Oper inszenieren, mit deren Musik ich nichts anfangen kann.

Wesentlich für das Gelingen ist beim Film?

Die Stoffwahl. Und dann ist - bei uns - die absolut wichtigste Arbeit die am Drehbuch und die konzeptionelle Arbeit; dazu gehören die Besetzung und später auch der Schnitt.

In der Oper können Sie all das nicht beeinflussen. Sie haben ein Stück: Das Drehbuch liegt schon vor, und das Timing ...?

... gibt die Musik vor. Das ist auch eine völlig neue Erfahrung für mich, aber meine Arbeit am Parsifal bisher hat mir gezeigt, dass es eigentlich zwei Arten von Rhythmen gibt: den Rhythmus der Musik und einen Rhythmus der Erzählung. Und das muss man synchronisieren. Der innere Rhythmus der Geschichte wird nicht zwangsläufig von der Musik vorgegeben, sondern vom Gesamterlebnis: Zuerst muss man sich fragen - und zwar wirklich genau! - was für eine Geschichte erzähle ich? Das ist gar nicht so einfach, denn "Parsifal" ist ja keine fortlaufende Geschichte von A nach B nach C, sondern kreist um einen Zustand: einen Zustand des Nicht-Vermögens. Und der Schuld. Da ist’s für mich auch fremd und wirr.

Wie gehen Sie damit um?

Das Wesentliche jeder Inszenierung ist, die Struktur der Geschichte herauszuarbeiten. Und trotzdem mit dem Geheimnis zu spielen. Nur so entstehen Bilder. Ein Problem dieser Oper besteht darin, dass niemand die Erlösung, um die sich alles dreht, aktiv betreiben kann! Man wartet darauf, aber man weiß nicht, wann oder ob sie überhaupt eintritt. Auch der Protagonist nicht; Parsifal ist ja kein Held im klassischen Sinne, der am Anfang seine Aufgabe begreift und für sich annimmt, dann das Abenteuer bewusst besteht und am Schluss mit der Trophäe nach Hause kommt. Diese Elemente einer klassischen Erzählstruktur haben wir hier nicht. Er ist sich seiner Aufgabe nicht bewusst; letztlich handelt er nicht aus eigener Veranlassung, sondern wird von einer höheren Instanz dazu ausersehen, der Erlöser zu sein. Also fragt man: Was ist die treibende Energie? Da kommt man auf die Person, die immer schon da war und immer noch da ist, Kundry. Zum Beispiel. Und darauf, dass die Geschichte des Grals viel früher begonnen hat – was wir sehen, ist ja ein Endzustand. All das überlegt man sich, wenn man wie ich stark von der Erzählung her kommt: Filme machen heißt ja, Geschichten so genau wie möglich zu erzählen. Erst wenn Sie die Motive der Protagonisten und die Tiefe ihres Dramas kennen und in der Lage sind, diese zu erzählen, können Sie ein Publikum auch emotional packen. Das gilt auch für den "Parsifal". Was scheinbar im Vordergrund abläuft, muss nicht das sein, was tatsächlich passiert! Genau wie im wirklichen Dasein geschieht viel mehr in den tieferen, geheimnisvollen Energieströmen, die uns treiben, nicht durch scheinbar konkrete, nach außen sichtbare Abläufe. Ich erfinde nichts, ich gehe in die Oper hinein, immer weiter, und komme so in die Erzählung einer Geschichte. Nur wenn Sie die Geschichte in ihrem Rhythmus verstehen, kommen Sie zu Wirkungen: Wenn die falsch platziert sind, erreichen Sie gar nichts, dann langweilen Sie das Publikum. Wirkung kommt aus Emotion; emotionale Wucht entsteht nur, indem die Zuschauer mitfühlen können. Das haben wir im Kino gelernt: Sie können beim Zuschauer keine Emotion erzeugen, die Ihre eigenen Figuren auf der Leinwand nicht haben. Die Reaktion des Publikums ist eine Reflexion der Emotionen der Menschen auf der Bühne. Die gilt es herauszuarbeiten.

Wie vollzieht sich das in Ihrer Vorstellungskraft?

Natürlich ist die Musik – gerade bei Wagner – ein unglaubliches Reservoir, aus dem Fantasie entsteht. Diese unwahrscheinlich wuchtige, dramatische, teilweise fast überdramatische Musik erweckt Bilder in einem – durchaus andere, als die Leute zu Wagners Zeit bewegt haben. Was damals Wirkung erzielt hat, erscheint uns heute möglicherweise unverständlich oder sogar lächerlich. Damit meine ich nicht, sie irgendwie zu "modernisieren" – überhaupt nicht! Man muss also Bilder finden, die ähnliche emotionale Kraft haben wie die Bilder, die früher mal verwendet worden sind. Das bedeutet auch, dass man die Bilder in seinem Kopf entstehen lassen muss; ich kann sie mir nicht "ausdenken". Ich lebe mit der Musik, seit über einem Jahr, und die Bilder kommen beim Hören. Im Spannungsfeld dessen, was sich konkret aus dem Text ergibt und was sich aus der Musik ergibt – das ist ja nicht trennbar! – entstehen Situationen und Szenen. Und gerade bei Wagner ist die Musik szenisch unterstützend. Wagner hat ja selbst in Bayreuth die Illusion geschaffen, dass die Musik einfach "da" ist, während man nur das Bild auf der Bühne sieht. Insofern kann man schon sagen, dass das – auch! - überdimensionale Filmmusik ist. Wenn man den Vorgang umdreht, entstehen aus der Musik Bilder; diese wiederum sind am Text festzumachen. Dabei ist verblüffend, wie viele der Regieanweisungen Wagners auch heute noch absolut sinnvoll sind, selbst wenn man sie nicht 1:1 umsetzen sollte.

Ihr letzter Film "Der Untergang" handelt von den letzten Tagen des Nationalsozialismus. Geben Sie in Ihrer Inszenierung der nationalsozialistischen Rezeption des Parsifal Raum?

Nein, das mache ich nicht. Ich glaube nicht, dass das richtig wäre. Regietheater interessiert mich nicht! Das hieße, dem Stück etwas von außen aufzuzwingen. Dass das "Dritte Reich" Wagners Musik benutzt hat, kann mich in meiner Arbeit nicht inspirieren. Andererseits kommt aus dem Studium der Geschichte meine Skepsis gegenüber Heilsbringern oder Erlöserfiguren wie Parsifal. Sie werden sehen, dass ich dem Parsifal in dieser Inszenierung durchaus mit Skepsis begegne – wobei wir das auch nicht überbetonen wollen.

Sie arbeiten an Projektionen für die Bühne – bringen Sie den Film in die Oper mit?

Ja, nun – da müssen wir uns überraschen lassen... (lacht) Ich bringe über das Bühnenlicht hinaus andere visuelle Möglichkeiten mit hinein, aber ich werde kein "Parsifal"-Bilderbuch machen. Mit Projektionen zu arbeiten ist ja nichts Neues; die Frage ist, wie man damit umgeht! Es kommt darauf an, dass man Emotionen erzeugt mit jeder Kraft, die man auch selbst zu mobilisieren in der Lage ist. Ein Bild zu projizieren heißt noch nicht, dass es Kraft hat ... Die Bilder leben nur durch ihre Intensität. Natürlich versuche ich, die Register zu ziehen, deren Wirkung ich zum Teil schon kenne und beherrsche. Letzten Endes geht es immer um Energie. Wie bekomme ich die Energie, die in der Musik liegt, auf die Bühne? Wie mache ich sie für den Zuschauer erlebbar, wie bringe ich ihn dahin, dass er mit mir diese Emotion teilt?

 

DIE WELT
10. Dezember 2005

Große Stimme, schöne Seele
Und jetzt "Boris Godunov": Der Berliner Baß René Pape ist auf dem Weg zum Weltstar

Von Manuel Brug

Weltstar. Das klingt groß. Ist es auch. René Pape ist ein Weltstar. Doch man muß es relativieren. René Pape ist ein Weltstar der Oper. Und er singt Baß. Butterweich, voluminös, gerundet, mit einem herrlichen, in den letzten Jahren sanft nachgedunkelten Timbre. Aber er ist kein Sopran und kein Tenor, nicht einmal einer der im Augenblick so beliebten Mezzos. Und Oper ist eben nicht Fußball und nicht Hollywood.

Was dem 41jährigen Dresdner mit der stilsicher leeren Dachwohnung in Berlin-Mitte ganz recht ist. Denn René Pape, das sind eigentlich zwei Menschen. In der Kunst muß das fast so sein. Der eine ist süchtig nach Applaus, läßt auf der Bühne - natürlich im Dienst der Rolle - gern die Sau raus, ist ein Meister der darstellerischen wie stimmlichen Verwandlung, liebt es, wenn das Publikum einem besonders tiefen oder hohen Ton, einem balsamisch strömenden Legato-Bogen magisch folgt, auch wenn er im Nacktheit ziemlich gut vortäuschenden Ganzkörperanzug als ziemlich lüsternen Méphistophélès die Metropolitan Opera zum Rasen bringt. Dieser eine mag es, wenn sich nach der Vorstellung die Mädels um seine sehr, sehr lange Kerlsgestalt scharen. Dann glitzern seine Augen verräterisch, dann streichelt er sich den sorgsam ausrasierten Bart.

Dieser eine raucht gern, trinkt gern, macht öfter mal die Nacht zum Tag. Irgendwo müssen ja auch Energien abgelassen werden, braucht jeder ein Druckventil. Dieser einer ist ein Fashionista, dem man freilich, wenn man ihn besser kennt, in seinen lila oder grünen Jeans, dem blauen Pucci-Hemd, dem Gucci-Smoking, den superspitzen Schuhen und der coolen Sonnenbrille immer auch den selbstironischen Spaß an der Verkleidung ansieht: Mega-Baß in Black.

Der andere René Pape aber, das ist ein zurückgezogener, sehr selbstkritischer, introvertierter, sensibler, sich regelmäßig in Zweifel ziehender Mensch. Dem ein Rollendebüt wie jetzt der Boris Godunov an der Berliner Lindenoper sehr viel bedeutet. Schließlich gilt es hier eine illustre Vorgängerreihe fortzusetzen. "Boris ist nicht der Gipfel für mich, aber schon ein sehr hoher Berg", sagt dieser Pape. Den gilt es gut vorzubereiten, skrupulös zu bewältigen. Dieser Pape ist seinen bei der Ex-Frau in Dresden lebenden 16- und 12jährigen Söhnen ein liebevoller Vater. Dieser Pape ist treu, deshalb hört man ihn regelmäßig an seinen beiden nur durch einen Ozean getrennten Stammhäusern, der Lindenoper und der Met in New York.

Dieser Pape ist froh, wenn er nicht auf Schritt und Tritt von Paparazzi begleitet wird, wenn er unerkannt im Gedränge mit sich und seinen Rollengedanken untertauchen kann. An diesem Pape nagt es dennoch, daß er trotz seiner einzigartigen Edelstimme nie in die Popularitätsregionen einer Netrebko oder eines Villazón vorstoßen kann. Doch warum eigentlich nicht? René Pape ist der beste, der jüngste, der modischste Baß von Weltklasse. Mit einer blühenden Karriere an der Metropolitan Opera, wie sie nur wenigen deutschen Sängern vergönnt war. Ein Bühnentier, ein schlagfertiger, witziger, warmherziger, zartfühlender Kerl von einem Mann. Einer, der mit 27 bereits in Salzburg den Sarastro gesungen hat und ein Jahr später erstmals den König Philipp in Verdis "Don Carlo".

Pape ist ein ungemein ernsthafter Künstler, mit Rollen im deutschen, italienischen, französischen, nun auch russischen Fach, aber Scheuklappen kennt er keine. Er hat einen (geschmacklich ein wenig zweifelhaften) Zyklus mit Klassikpopsongs auf Rammstein-Texte eingespielt, hat eben auch für ein Fernsehporträt mit der Dresdner Rockband "Freunde der italienischen Oper" im Studio gestanden, singt in Liederabenden - die er jetzt endlich regelmäßig geben will - Schubert genauso überzeugend wie "Oh, what a beautiful Mornin'" von Rodgers/Hammerstein und ein ungemein theatralisches "Ella giammai m'amò! ..." aus "Don Carlo". Er hat eben beim ersten Konzert in der wiedereröffneten Dresdner Frauenkirche Beethovens Missa Solemnis gesungen, und er beginnt im Januar mit den Dreharbeiten für Kenneth Branaghs "Zauberflöte", wo er Sarastro im Ersten Weltkrieg spielt.

Letztes Jahr, bei seinem Rollendebüt als Gurnemanz im neuen Berliner "Parsifal", auch so einer der Fixpunkte in einer Baßkarriere, wohl der langlebigste, den man bis ins hohe Alter singen kann, da hat ihn kaum einer beachtet, da galt der ganze Media-Hype dem peinlichen Regiedebüt von Bernd Eichinger. Das hat René Pape schon gewurmt. Jetzt aber steht er - zumal in der fast frauenlosen Urfassung - ganz allein im Rampenlicht. Und keine Pelzkappe, kein Rauschebart wird ihn in dieser zeitgemäßen Inszenierung über einen russischen Potentaten schützen können. "Vor dem Boris habe ich schon Bammel. Deshalb habe ich ihn lange reifen lassen", sagt Pape. Aber verrückt macht er sich nicht. Obwohl er ganz konzentriert ist. Ein junger, alerter Machtmacho, kein dröhnend orgelnder Kleiderschrank. Obwohl Pape ordentlich aufdrehen kann, wenn er will.

René Pape war 25 Jahre alt, als die Mauer fiel, seit 1988 war er an der Lindenoper engagiert, als Reisekader war er beschlossene Sache. Er hätte seine Karriere auch so gemacht, doch der Weg war leichter, es ging schneller. Bässe sind naturgemäß ausgeglichen. Ihre Stimmlage ist die natürlichste, aber sie sind auch schöne, leicht verletzliche Seelen. René Pape muß sich jetzt wohl bald eine Rolle vornehmen, die all diese Eigenschaften vereint und auf die alle warten: Wagners Hans Sachs.

 

The Guardian
Tuesday March 22, 2005

Punk Parsifal provokes outrage in Berlin

Krysia Diver in Stuttgart

It is one of the world's great opera houses, used to being filled by some of music's finest voices. But the sound ringing around the Staatsoper in Berlin last weekend was of a different sort. A new production of Wagner's Parsifal was almost booed off the stage, with some members of the audience walking out while others shouted "provincial theatre". They had expected a traditional version of the opera, but instead this tale of compassion, guilt and sin featured the knights of the holy grail dressed as punk rockers. The conductor, Daniel Barenboim, was so immersed in the music that he did not notice the audience reaction.

The man behind the production was the film-maker Bernd Eichinger, director and writer of the Hitler film Downfall, which is due to hit UK cinema screens on April 1. His first attempt at opera makes heavy use of video, with collapsing buildings, fires, explosions and flashes lighting up the stage. It certainly woke up the audience and by the end of act two the theatre erupted. Not everyone was horrified - there were some roars of approval too.

Eichinger's girlfriend, the actor Corinna Harfouch, told the Berliner Zeitung she felt like a nervous wreck after the performance. A member of the audience, Ines Eben von Racknitz, told the Guardian: "Eichinger is a movie man and it showed through and through. He doesn't know the first thing about theatre. Parsifal is a wonderful opera, but Eichinger's version was superficial and over the top. There were a lot of Wagner connoisseurs in the audience who were very disappointed." The 30-year-old student added: "The music, on the other hand, was magical." The row comes eight months after Christopher Schlingensief's production of Parsifal at the Bayreuth festival was booed.

Guardian Unlimited
© Guardian News and Media Limited 2007