DER TAGESSPIEGEL
21. März 2005

Die Welt als Wille und Flachbildschirm

Christine Lemke-Matwey

Die Szene ist – erwartungsgemäß? – hollywoodreif. Im Hintergrund: die Ruinen eines antiken Tempels, die Akropolis vielleicht oder Paestum. Davor, mit breit gepanzerten Brüsten: der Chor, das wackre Heer der Hellebardenträger. In deren Mitte wiederum: eine Art Nero oder Cäsar, irren, schmerzverzerrten Blicks, stöhnend, wimmernd, barmend auf seinem Löwenthron und sich alsbald den Lorbeerkranz vom kahlen Kopfe reißend. Amfortas, der Gralskönig, aha. Dessen Vater aber, Titurel, seinerseits ein rechter Bilderbuch-Römer, kennt keine Gnade: „Enthüllet den Gral!" Also greift sich der Sohn, dieses Inbild des Jammers, krampfend, röchelnd, hyperventilierend, in die linke Brusttasche und zieht ein glibbrig-rotes triefendes Etwas hervor: sein Herz. 750 Gramm frische Rinderleber, schätzungsweise. „Nehmet hin mein Blut,/ nehmet hin meinen Leib", singen unterdessen die Knaben aus der Höhe. Richard Wagner, den Mythenverdreher – aber das haben wir mit Nietzsche und Bernd Eichinger ja schon immer gewusst –, graust es vor gar nix.

Als die Innerei schließlich auf einem Opferstock landet und in mundgerechte Portionen zerteilt wird, richtet sich sogar Christoph Schlingensiefs sorgsam gegelter Wuschelkopf im ersten Rang links der Berliner Staatsoper etwas auf: Sushi mal anders und für alle? Kannibalismus, igittigitt, im Bühnenweihfestspiel? Das christliche Abendmahl beim Wort genommen und all seiner heidnischen Ekligkeit überführt? Doch Schlingensief konnte sich getrost wieder zurücklehnen: Sein „Parsifal" bei den letztjährigen Bayreuther Festspielen, diese momentweise genialisch gestapelte Weltgerümpelsallegorie zwischen namibischen Robben und verwesenden Hasen, sie hatte unser aller Erlösungsnotdurft doch weit mehr ins Mark getroffen. Eichinger und sein Bühnenbildner Jens Kilian hingegen spielen im „Parsifal" bloß Memory, haken ab, was die Menschheitsgeschichte an Zeitreise, an tapetentauglichen Fotofolgen zwischen Höhlenmalerei und modernen Naturkatastrophen so hergibt. Kaum jedenfalls haben sich die Hellebardenträger die Mäuler am Fleisch ihres Herrn blutig gerieben, da verschwinden sie auch schon hinter dem nächsten Prospekt. Kundry, die „Urteufelin", die „Höllenrose", die einst Christus am Kreuz verlachte, in schwarzen Affenfellzotteln vor der Skyline von Frankfurt, New York, Shanghai. Und Blackout. So geht das mehr oder weniger den ganzen Abend. Hm.

Was Eichinger uns damit sagen will? Vielleicht, ganz philosophisch, dass er weiß, dass er nichts weiß und nichts versteht, weder von Wagnermusik noch von Theaterregie. Entsprechend „bescheiden", also ölgötzengleich, stehen sich die Sänger auf einem ein Meter zwanzig breiten Rampenstreifen viereinhalb Stunden lang die Beine in den Bauch. Und Opas Oper feiert genüssliche Urständ‘ (vgl. dazu auch die Kritik zu Doris Dörries Münchner „Rigoletto" im Tagesspiegel vom 23. Februar). Im Gegensatz zu seiner Kollegin Dörrie aber verzichtet Eichinger auf alle Mogelpackungskünste, alles zu aktualisieren. Und vielleicht, hoch gegriffen, will er uns auf diese Weise ja zu verstehen geben, dass die Zeit der Interpretationen vorbei ist. Wo Leute vom Fach wie Wieland Wagner, Ruth Berghaus oder Peter Konwitschny im Angesicht des „Parsifal" noch Weltpakete schnürten und mit roten Backen nach verborgenen Botschaften buddelten, da gibt sich der Kinomensch Eichinger schlicht naiv.

Man kann das ehrlich nennen oder feige oder dumm. In jedem Fall führt dieser andere, vermeintlich unbescholtene und freie, ja gleichsam „erlösende" Blick, der Blick des Dilettanten nämlich – und das ist eine sich wiederholende Beobachtung zum Thema „Filmemacher in der Oper" –, schnurstracks dorthin zurück, wo die Opernregie vor gut einem halben Jahrhundert begonnen hat, ihr sprichwörtliches Bärenfell abzuschütteln. Das wiederum interessiert alle selbsternannten Opern-Piraten herzlich wenig. Die Welt, sagt Eichinger, und das scheint für das Musiktheater ebenso zu gelten wie fürs Kino, für den „Untergang" wie für Richard Wagner, sie bedeutet nichts, sondern sie ist. Weg also mit dem rezeptionsgeschichtlichen Müll und Schmus! Back to the facts! Es lebe das Authentische, das Wortwörtliche! Zum Flachbildschirm, jawoll, wird hier die Zeit.

Dies wäre ja nun nichts anderes als ein Konzept – ein Konzept aus Konzeptverweigerung. Immerhin. Allein die Umsetzung fällt derart erbärmlich und unfreiwillig lächerlich aus, die handwerkliche Hilflosigkeit schreit dermaßen zum Himmel respektive zum Schnürboden, dass man sich fragt, wie die Dramaturgie des Hauses (für die Peter Mussbach und seine Chefdramaturgin Regula Rapp gemeinsam verantwortlich zeichnen!) diese Aufführung als Festtage-Eröffnungspremiere überhaupt haben durchgehen lassen können. Da wird gleich zu Beginn ein toter Schwan hereingeschleppt, der der ältesten Requisitenmottenkiste des Grünen Hügel entwendet worden sein muss, da starrt Klingsor vor Kundrys großer Verführungsszene im zweiten Akt ungläubig auf ein leeres Hundehalsband („He! Kundry! ... Wie? Schon am Werk?"), und da knubbelt sich die finale Gralsgesellschaft in schönster irokesenfrisierter Rockermanier, als hätten Götz Friedrich und Harry Kupfer selig sie ersonnen. Dazwischen, dahinter, dadrüber, dadrunter: Projektionen, Projektionen (Fettfilm). Das Universum als solches. Blubberndes Magma (rot), Wasserspiele (blau). Eine Zeche im Schattenriss, oho, als Parsifal mit Kundrys Kuss erkennt. Kamerafahrten durch die menschliche Speiseröhre. Eine Blumenwiese im Negativ. Und so.

Das Publikum quittierte diese Ohrfeige ins Gesicht einer jeden halbwegs aufgeklärten Wagner-Pflege mit wütenden Saalschlachten. Bravi von der verdutzten Film-Gemeinde (von Tom Tykwer bis zur fest schlummernden Alexandra Maria Lara, von Oskar Röhler bis Sunnyi Melles), Buhs vom Rest. Fast hätte einem Bernd Eichinger schon wieder Leid tun können, zeigte er sich doch erstmals öffentlich ohne Turnschuhe und konnte er doch eigentlich nichts dafür. Denn was hatte man sich erwartet?

Die Sänger jedenfalls genossen ihr uneingeschränktes Rampendasein und sangen auf hohem Niveau: René Pape einen mühelos textverständlichen, sehr sonoren, leicht künstelnden Gurnemanz, Hanno Müller-Brachmann einen arg lyrischen, jeden Vokal mit Bitternis aufpumpenden Amfortas, Jochen Schmeckenbecher einen markigen Klingsor, Burkhard Fritz einen beherzten, erstaunlich konditionsstarken, leider sehr unvorteilhaft kostümierten Parsifal, Michaela Schuster eine ziemlich erotische, auch letzte dramatische Höhenkräfte sicherlich noch gewinnende Kundry und Christof Fischesser einen rollengerecht ungerührten Titurel.

Daniel Barenboim indes fand mit der Staatskapelle erst im dritten Akt zu sich, schwelgte erst hier karfreitagszaubrisch zwischen Bach und Mahler, niemals zu laut, auch nie – trotz getragener Tempi – zu langsam, die ganze Fülle des chromatischen Wohllauts verströmend. Seine eklatante Ideenlosigkeit in den ersten beiden Akten aber wirft böse Fragen auf. Als hätte der Generalmusikdirektor hier nicht nur mit der Akustik zu kämpfen gehabt, die dem programmatischen Mischklang der „Parsifal"-Partitur notgedrungen zuwider läuft, sondern als wäre er im Blick nach oben regelrecht erschrocken: vor diesem Etikettenschwindel, vor seiner eigenen Verantwortungslosigkeit. Das wiederum lässt hoffen.

Die Welt als Wille und Flachbildschirm Die Welt als Wille und Flachbildschirm

 

Berliner Morgenpost
21. März 2005

Kein Gral weit und breit
Buhkonzert in der Staatsoper: Bernd Eichingers Bühnendebüt "Parsifal" ist müdes Stehtheater

Von Klaus Geitel


Fett Film: Unterm kreiselnden Erdball sammelt sich die Gralsritterschaft. Auf solch kräftige, aber statische Tableaux setzt Eichinger immer wieder
Foto: AP

Noch nie gab es im Entrée zur Staatsoper ein derartiges Photographengedrängel. Die Kameraleute boxten sich beinahe um die besseren Positionen. Und das alles bei der Premiere des "Parsifal". Es war, als habe unversehens Hollywood die Produktion übernommen. Dabei war doch bloß die Erstlingsregie von Bernd Eichinger in den heiligen Hallen der Oper angesagt.

Eichinger hat sich in das Werk kräftig hineingegrübelt. Er hat sich den Kopf darüber zerbrochen. Das ehrt ihn. Ihm ging es fraglos nicht um Sensationen. Er hat eine ehrliche Arbeit gezeigt, einigen Mut, viel Stehvermögen (leider auch Herumsteh-Vermögen) und eine schier unbremsbare Lust am Einsatz von Video-Mitteln, die ihm die Firma "fettFilm" anlieferte. Noch während des Vorspiels schiebt sich der Erdball, rosa angestrahlt von der Sonne, imponierend ins Bild und drängt Gurnemanz, den Hüter des braunborkigen, hochstämmigen Waldes, an die Seite ins Eck. Im Geheimen, hinter den Bäumen, sieht man gelegentlich das rote Teufelsgewand von Klingsor blitzen.

Die Gralsritter tagen im Freien. Sie versammeln sich vor antiken Ruinen. Kein Gral weit und breit. Ihn trägt offensichtlich Amfortas in der vielbesungenen Wunde. Ein Holzblock wird herangerollt. Mit blutigen Händen reißt sich der König das Heiltum aus dem eigenen Leib. Es wird zu blutigem Fingerfood in Stücke gehackt. Das ist schon ekelhaft anzusehen: die zum Ritual erhobene Abscheulichkeit.

Immer wieder setzt Eichinger auf große, geradezu revuehafte Tableaux, selbst am Schluß. Über die Jahrhunderte hin hat offensichtlich die Suche Parsifals nach Amfortas gedauert. Vor dem Wolkenkratzerprospekt von New York ist er endlich auf Gurnemanz gestoßen, der dort auf der Parkbank nächtigt. Aus eisigem Gebüsch jammert bleichgesichtig Kundry hervor.

Aus der Gralsritterschaft in klobigen Panzern ist längst eine Keulenriege von Schlägern geworden, die über den sterbensmüden Amfortas herfällt. Um ihn, den endlich erlösten, sammeln sie sich vor dem wieder hervorkreiselnden Erdball zur großen Photopose. Tableau! Der Vorhang kann nach über sechs Stunden fallen. Zeitweilig glaubte man, er sei selbst zu müde dafür.

Barenboim zelebriert die Partitur. Nur im Orchester wird unverdrossen der Gral enthüllt. Es spielt wundersam unter Barenboims Anleitung, aber viel zu ausdauernd im Schleppschritt. Das Mysterium artikuliert sich musikalisch gewissermaßen immerfort auf der Schleichspur. Die Statik des Werkes wird aufs köstlichste zementiert. Feinster, Klang gewordener Beton wird hingegossen und breitet sich gleichbleibend über die Akte hin aus. Höhepunkte? Keine. Alles scheint gleich wichtig in dieser durch und durch ausgehörten Aufführung. Barenboim überführt die anvisierte Heilserwartung kunstvoll und anpassungsselig bis ins Extrem.

Das gelingt natürlich nur durch den Einsatz hochkarätiger Sänger. An ihrer Spitze die Kundry von Michaela Schuster. Sie spielt als Trumpfas immer erneut das Ebenmaß ihrer Stimme aus, das von Mezzotiefen bis in die hohen Sopranlagen in gleichbleibender Schönheit zu schimmern weiß. Sie sieht, ob im schwarzen, dämonischen Flatterhaar oder im Weiß wiedergewonnener Unschuld, bezaubernd aus. Ihr nicht zu verfallen, geht schlankweg über Menschenkräfte hinaus. Amfortas ist frei zu sprechen.

Den singt, für Roman Trekel einspringend, der ausgezeichnete Hanno Müller-Brachmann, dessen Baßbariton nur der Schluß des Werkes etwas zu hoch liegt. Da klingt die Stimme leicht mühsam, doch sonst breitet sie sich ausdrucksstark hin. Die Blumenmädchen in ihren goldgegürtelten Trikots sind exquisit. Selten hat man sie stimmlich harmonischer miteinander agieren gehört. Sie sind ein schöner, kleiner Trumpf der Aufführung. Die Gralsritterchöre besitzen die notwendige Wucht und Ausdrucksfülle. In der Titelpartie zeigt Burkhard Fritz einen frischen, stabilen Tenor ohne Wanken, wenn er im Schlußakt auch ein wenig in sich zurücksinkt. Jochen Schmeckenbecher ist ein satter, selbstgenüßlicher Klingsor. Christoph Fischesser überrascht als Titurel mit durchaus markanter Stimme. So klar und deutlich hörte man Titurel nie.

Am Schluß gab es, wie zu erwarten, das alte Operngetöse um Eichinger und seine Mitarbeiter, den Bühnenbildner Jens Kilian mit seinen bezwingenden Projektionen, Andrea Schmidt-Futterer mit Kostümen, die immer erneut einige Augenpein hervorriefen. Man schrie und buhte sich die Kehlen wund. Von einem Bühnenweihfestspiel ringsum keine Spur. Statt dessen Saalschlacht-Charakter.

Parsifal Musikalische Meisterschaft, inszenatorisches Stehtheater
Bewertung 3

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung
21. März 2005

OPER
Brust, Bauch, Helm, Speer

Von Eleonore Bünning

Als "Winterbayreuth" hat sich die Lindenoper in Berlin schon oft verkleidet, nicht erst seit den großen Kupfer-Barenboim-Wagnerfestivals der neunziger Jahre. An diesem Abend trägt sie den Titel zu Recht. Die neue "Parsifal"-Produktion, die fortan im Spielplan die zwar langweilige, aber regiehandwerklich superkorrekte Inszenierung von Harry Kupfer aus dem Jahr 1992 ersetzen soll, tritt auf wie ein Gegenentwurf zur schrillen Bayreuther "Parsifal"Premiere des vorigen Sommers.

Auch das Mediengetöse vorab war beinahe so aufdringlich. Man zählte die Haare auf dem Kopf, die Schnürsenkel und konsumierten Filetspitzen des Regie-Neulings Bernd Eichinger ebenso scharfsinnig, wie man weiland die Zwischenmahlzeiten des Bayreuther Regie-Neulings Christof Schlingensief rapportiert hatte, der nun beim Premierenabendauftrieb in Berlin quasi opfermäßig kollegial in die Kamera grüßte.

Pressehype und Quote

Halb München ist vorhanden, das versammelte Starpersonal der Bavaria Film Studios posiert für die Fotografen. In der Mittelloge sitzt Flierl statt Stoiber, flankiert von Wolfgang, Katharina, Gudrun, mithin vom Triptychon der amtierenden Heiligen Familie, die durch nichts Geringeres als Blutsbande berufen ist, den einzig wahren Wagnergral zu hüten.

Sie haben es mit ihrem "Hasifal" vorgemacht: Glanz des Diesseits, Pressehype und Quote sind das A und O beim Polieren des Kelchs geworden, jeder schlagzeilensichere Debütant darf mal nippen. Als dann das erste transzendierende Abendmahlsmotiv scharf, satt und ausdrucksgeladen - nicht langsamer, aber doch entschieden lauter, als es Pierre Boulez nahm, nämlich mindestens mezzoforte - aus dem Graben aufkeimt, ist klar: musikalisch wird es diesem Winter-"Parsifal" wärmer werden als dem im Sommer.

Unerhört farbenintensiv

Die tiefen, langen "Parsifal"-Pausen und die unzähligen, willkürlichen Fermaten, mit denen Richard Wagner in diesem spätesten Werk einen Zustand der Zeit- und Bewegungslosigkeit überhaupt erst bewerkstelligte, werden von Daniel Barenboim fließend im Spannungsbogen überbrückt, ausgefüllt mit einem durchlaufenden Puls: Erst so erweist sich die Länge einer Generalpause als wahre Zerreißprobe.

Für Boulez waren just dies die Stellen gewesen, an denen er sein analytisches Skalpell ansetzte. Man hört außerdem in Barenboims souverän ausgesungenem, durchgeatmeten "Parsifal"-Dirigat überdeutlich, wie unerhört farbenintensiv und vor allem holzbläserlastig diese Partitur ist.

Es bleibt kein Wunsch offen

Die Staatskapelle Berlin zieht alle Register. Sie erweist sich, nach zwei Unschärfen und Nervositäts-Hörnerwacklern zu Beginn, wiederum als jenes kompakt-bewegliche und bestens ausbalancierte, ideale Sängerbegleitorchester, als welches sie bereits zum zweiten Mal zum "Opernorchester des Jahres" gewählt worden ist. Aber auch, was die sogenannte "kammermusikalische" Transparenz anbelangt, bleibt kein Wunsch offen.

Barenboim und Boulez liegen offenbar stilistisch nicht so weit auseinander, wie oft behauptet. Wer die beiden vergleichen will, hat dazu nun bei den Lindenoper-Festtagen - die sowohl Boulez als auch Barenboim am Pult sowohl der Staatskapelle wie des Chicago-Symphony-Orchesters präsentieren - Gelegenheit.

Metallische Durchschlagskraft

Im Gegensatz allerdings zu Sommerbayreuth arbeitet das Besetzungsbüro in Winterbayreuth auf höchstem professionellen Niveau. Fast alle Partien sind aus dem Hausensemble besetzt. Es wird, bis in die Nebenrollen hinein, hinreißend klangschön und sauber gesungen, dazu genau artikuliert. Man begreift jedes Wort. So ist das bei Wagner wohl auch gemeint. Jede Falte des Zweifels im Herzen des jungen Knappen, auch der Schatten von Aufrichtigkeit in den süßen Lügen der Blumenmädchen wird einsichtig und klar verständlich.

Einen Triumph feiert Rene Pape als tatkräftiger Gurnemanz, begabt mit überwältigender Bühnenpräsenz und einer nie ermüdenden Modulationsfähigkeit seiner ausdrucksstarken Stimme. Selbst die Gralserzählung wird bei ihm nicht Schlaftrunk, sie bleibt Krimi. Burkhard Fritz bringt für die Partie des Parsifal reife, metallische Durchschlagskraft mit und weiß seine Stimme auch in der Mittellage und in den Dialogen bestens zu formen und zu führen.

Klischee des Jammerlappens

Michaela Schuster singt die Kundry mit kehlig-höllenrosenreifer Tiefe und ausuferndem Espressivo, Jochen Schmeckenberger stattet den Klingsor mit der nötigen dämonischen Farbe aus, und Hanno Müller-Brachmann, eingesprungen für Roman Trekel, trägt mit heldisch aufgehelltem Bariton bei, den Leidensmann Amfortas endlich vom Klischee des Jammerlappens zu erlösen.

Unbedingt einzuschließen in das Sängerlob ist der Staatsopernchor, einstudiert von Eberhard Friedrich. Nur mußte just dies so dynamisch agierende Ensemble bei der Enthüllung des Grals antreten in so lächerlich statuarischer Pappkameradenweise, wie sie im Opernmuseum, Abteilung Karikatur, schon vor Jahren ausgemustert worden ist.

Winterliche Manhattan-Kulisse

Regisseur Eichinger kann das unmöglich ernst gemeint haben. Nehmen wir zu seinen Gunsten an, er wollte nur ironisch demonstrieren, was Oper nicht ist, nämlich opernhaft, also: Auftritt aus der ersten Gasse links, präsentiert wahlweise Fell, Brust, Bauch, Helm, Speer, geordnetes Abdröhnen, Abgang erste Gasse rechts.

Dergestalt flach-eindimensional, jedoch stoff- und klischeereich kostümiert, geriet die Personenführung im ersten und zweiten Teil. Amfortas bot sein Herz zum Verzehr an, Kundry ließ sich von Klingsor am Hundehalsband führen. Auch der dritte Aufzug, vor eine winterliche Manhattan-Kulisse transponiert, spielte sich vorn an der Rampe ab.

Schlimmster Sündenfall

Dahinter gab es, so informativ wie die eingespielte MAZ im Fernsehen, Videos folgenden Inhalts zu sehen: a) Weltraum, darin rotierend der blaue Planet, b) vulkanisches Magma, darin auftauchend eine gemeine Teufelsfratze, c) heidnische Tempelbauten von Maya bis Buddha, d) einstürzende Neubauten und e) Tiefsee. Der Karfreitagszauber wurde dann f) dargestellt durch ein farbenfrohes Wurmloch a la Stargate.

Mit der Verräumlichung von Zeit - etwa dem Umstand, daß Musik weiterläuft, auch wenn Bild und Gedanke längst verflogen oder vernutzt sind - hatten all diese geschwätzigen Hilflosigkeiten nichts zu tun. Weder die historische noch die politische Dimension des "Parsifal"-Werks wurden ansatzweise gestreift. Und, schlimmster Sündenfall: Es wurde so schnell langweilig! Daß eine Theaterbühne, rein handwerklich betrachtet, auch über eine Raumdimension und mehr als eine Gasse verfügt, hätten die Dramaturgen Unter den Linden ihrem Opern-Neuling ruhig verraten dürfen.

Text: F.A.Z., 21.03.2005, Nr. 67 / Seite 35
Bildmaterial: AP, dpa

 

DIE ZEIT
23.03.2005 Nr.13

Die Wüsten des Himmels

Von Jan Brachmann

In Bernd Eichingers Version von Richard Wagners "Parsifal" gibt es keinen höheren Sinn. Uns bleibt nur ein kalter Kosmos leerer Bilder

Die Lustlosigkeit, mit der Peter Mussbach sein Amt als Intendant der Berliner Staatsoper führt, ist so sehr zur Attitüde geworden, dass man nie weiß, was er sagen will, wenn er redet. Michael Thalheimers Debüt als Opernregisseur kündigte Mussbach vor einem knappen Jahr mit den ungewaschenen Worten an, man habe lange nach einem Projekt gesucht, "das dem Michael den Einstieg ins Operngeschäft nicht erschweren wird". Herausgekommen ist mit Janá‡eks Katja Kabanowa eine der stärksten Inszenierungen, die derzeit in Berlin zu sehen sind. Dass nun Bernd Eichinger, ein Mann des Films und des Geldes, als Opernregisseur Unter den Linden debütieren darf, rechtfertigte Mussbach im Mai 2004 so: Eichinger sei seit etwa anderthalb Jahren mit ihm im Gespräch, er möchte Wagners Parsifal inszenieren und Kundry darin zum Zentrum machen. Kundry nun sei eine Figur, zu der ihm, Mussbach, nichts mehr einfalle, weshalb er schon einmal eine Inszenierung in München abgesagt habe.

Äußerste Klangschönheit, aber nichts Geheimnisvolles mehr

Bernd Eichinger hat nicht abgesagt. Am Sonnabend war Premiere. Der Jubel der Bussi-Tussis und Boy-Groupies aus Eichingers Fanklub hielt sich die Waage mit der Empörung des übrigen, laut buhenden Publikums. Zum Schluss allerdings trat Daniel Barenboim, musikalischer Leiter dieser Produktion, vor den Vorhang, fasste Eichingers Hand und solidarisierte sich mit ihm. Hier ist von Musik und Regie gemeinsam etwas gewollt und getragen worden.

Wagner selbst wollte mit dem Parsifal 1882 ein Beispiel geben, wie dort, wo die Religion kraftlos wird, die Kunst "den Kern der Religion" rettet. Das ist bis heute das Erstaunliche, Ergreifende an dieser Musik: wie sie Zeit still zu stellen scheint, wie sie Geschichte in einen Kosmos zurückführt, worin die Zeit kreist, statt zu vergehen. Mit Filmbildern aus dem Kosmos beginnt auch Eichingers Inszenierung. Zu den Klängen des Vorspiels sieht man auf einer bühnengroßen Leinwand die blaubunte Erde sich drehen und dahinter langsam die Sonne hervortreten. Aber das ist kein Bild, mit dem in ein Jenseits vorausgedeutet würde, denn bei Eichinger gibt es keine Welt hinter der Welt. Es ist das physikalisch erschlossene, kopernikanisch gewendete All, über das der tote Christus in Jean Pauls Siebenkäs 1797 sagte: "Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels, aber es ist kein Gott."

Eichinger hat in einem Interview zugegeben, dass er mit Parsifal als "sakraler Erlösungsphilosophie" nichts anfangen könne. Aufschlussreich an seiner Inszenierung ist nun, wie mit Wagners spirituellem Begriff von Kosmos auch die Kraft der Imagination den Bach runtergeht. Eichinger stellt die Bühne zu mit Bildern aus zweiter Hand. Der erste Aufzug ist vom Fantasy-Film geborgt, Herr der Ringe eins zu eins. Klingsors Zaubergarten im zweiten Aufzug gleicht einem Serail aus Orient-Filmen der vierziger Jahre. Der letzte Aufzug beginnt unter Pennern, auf einer Parkbank einer amerikanischen Großstadt. In den Verwandlungsmusiken werden auf Projektionsflächen Bilder von Tempeln, Pyramiden, Naturwundern verquirlt mit Kriegsszenen wie aus dem Guido-Knopp-TV. So leer kann Anschauung sein.

Auch musikalisch ist diese Produktion eine Verherrlichung purer Anschaulichkeit, die auf nichts außer ihr Liegendes verweist. Die Staatskapelle spielt sich ans Äußerste der Klangschönheit, doch diese Schönheit kennt keine Geheimnisse mehr. Wagner hatte die Instrumente gemischt, um die Herkunft des Klangs zu verschleiern: Fagotte und Celli werden oft zusammengeführt, Bratschen und Klarinetten auch. Diese Mischung gelingt Barenboim nicht. Immer wieder kommt es zu Ungenauigkeiten in der Abstimmung zwischen Bläsern und Streichern. Die trockene Akustik der Lindenoper trägt das Ihrige zur Klangspaltung bei. Aber neben dem Unvermögen des Orchesters ist es auch der Wille zur Wucht, der hier zur Entzauberung beiträgt. Es ist Barenboim selbst, der die Klarinetten immer wieder zur charmelosen Entblößung nötigt. Und so recken sie sich prall empor, auch dort, wo sie laut Partitur lieblich und leise sein sollten.

Gesungen wird allerdings bravourös. Dass man den Text vom Hören allein versteht, ist eine große Leistung. René Pape beweist als Gurnemanz, dass er zu den besten Sängern Europas gehört. Seiner etwas überbetonten Härte stellt Hanno Müller-Brachmann einen lyrischen, anrührenden Amfortas zur Seite, dessen Stimme momentweise zauberisch mit den Holzbläsern der Staatskapelle verschmilzt. Der Tenor Burkhard Fritz hat als Parsifal deutlich baritonale Potenz, wodurch die eigentlich kindliche Figur an Kraft gewinnt, und Jochen Schmeckenbecher als Klingsor ist ein echter Knatterbösewicht mit rollendem Zungen-R. Michaela Schuster gibt die Kundry in einer Balance aus Biestigkeit und Verletzbarkeit. Doch, anders als Peter Mussbach es erhofft hat, trägt sie die Inszenierung nicht, weil Eichinger sie als Figur nicht zu führen vermag. Wenn sie im ersten Bild singt: "Nur Ruhe will ich, nur Ruhe", dann spricht aus ihrer stimmlichen Tiefe nicht die Geschichtsmüdigkeit einer Frau, die zu viel weiß. Es ist weniger Welthaltigkeit in dieser Tiefe als Halbwelthaltigkeit. Sie zieht das Diseusen-Register der Dietrich, der Leander, der Milva. Was darin klingt, ist Wissen um das kurze Glück des Moments, aber nicht um die Last der Jahrtausende, die Kundry zu tragen hat.

"Die Erde dreht sich im Kreis, so ist das Leben, ich weiß"

Durch die Jahrtausende schraubt sich Eichingers Inszenierung: aus Legolas’ starkstämmigem Wald in die Welt einer New Yorker Straßengang. Im letzten Aufzug stellt der Regisseur Religion als Angelegenheit von Modernitätsverlierern dar, von Pennern am Rande der Stadt. Sie sind nicht unsympathisch, aber weltfremd und an ihrem Unglück selbst schuld. Eichinger hat sich die Urbanisierung der Wagnerschen Provinz zum Ziel gesetzt. Wagners Schlusssatz "Erlösung dem Erlöser!" heißt hier, die Apokalyptiker zu Integrierten zu machen, Frieden zu finden in der Normalität. Zum Schluss kommt Kundry im taubengrauen Bürokostüm auf eine Stadiontribüne und setzt sich zum molligen Parsifal. Kittelschürze und Lockenwickler hat Eichinger ihr gerade noch erspart. Im Hintergrund dreht sich der Blaue Planet. Was damit gesagt ist, hat vor zwanzig Jahren schon Wencke Myhre gesungen: "Die Erde dreht sich im Kreis, so ist das Leben, ich weiß."

In einer Zeit, da Religionssoziologen wie Peter L. Berger wieder von einer Desäkularisierung der Welt reden, ist diese Selbstgenügsamkeit alles andere als harmlos. In ihr demonstriert sich der Wille zur Machterhaltung einer Clique von Globalisierungsgewinnlern, die mit einer Flut von Bildern und Tönen ihr Publikum imprägnieren will gegen die Wirklichkeit und das, was in ihr wirkt.

 

DIE WELT
21. März 2005

Blechbusen und Gralsgeschnetzeltes
Filmproduzent Bernd Eichinger inszeniert einen spießigen "Parsifal" an der Berliner Lindenoper

Von Manuel Brug

Was ist der Gral? Nicht nur Dan-Brown-Leser bekommen eine neue Lösungsvariante geboten. Die Besucher der Berliner Lindenoper aber wissen: Der Gral, das ist ihr mit wundersam klingender "Parsifal"-Musik gefülltes Opernhaus. Schon das Vorspiel scheint reine Magie: ein sphärisches Schweben aus einer anderen Wagner Welt, narkotisch sich verlangsamend, wie aus dem Nichts modulierend. Reine, süchtig machende Schönheit. Daniel Barenboim wächst mit der mühelos folgenden, bestens präparierten Staatskapelle über sich hinaus.

Die anfängliche Entdeckung der Langsamkeit wird dabei immer mehr angezogen, flüssig, fast beschwingt spult sich diese Gralserzählung der besonderen Art ab. Leise und intensiv, bohrend, auch aufgerauht, dabei sängerfreundlich. Wagners aufgefächerter Spektralklang tönte selten so natürlich, so makellos. Man tauchte ab in eine bessere Opernwelt.

Zumal auch auf der Bühne ein festspielwürdiges Ensemble noch nicht in ihren Partien verbrauchten Stimmen vereint war. Burkhard Fritz in der Titelrolle tönt zwar eindimensional (was dem Parsifal entgegenkommt) dabei mühelos und mit satten Reserven. Michaela Schusters Lieblingsplatz als Kundry ist ihre weich gepolsterte Mittellage, in der Höhe wird sie etwas klirrig. Hanno Müller Brachmann als eingesprungener Amfortas stößt an Stimmgrenzen, singt seine Partie aber intelligent um Mitleid wissend. Christof Fischer ist ein verläßlicher brummender Titurel, Jochen Schmeckenbechers Klingsor verströmt lauernd bewegliche Gefährlichkeit. Eberhard Friedrichs Blumenmädchen und Grasritterchöre - traumsicher bewährt.

Die Gralskrone gehört freilich auf das perückenverzauselte Haupt von René Pape. Dessen in jedem Register ausgewogener Baß fließt wie Arabias Balsam, bewahrt er sich auch eine knurrige Heftigkeit. Kein gütiger Pappi und passiver Kommentator, ein mitdenkender, tatkräftiger Strippenzieher. Das in der Kaiserloge thronende Wagner-Trio Wolfgang, Gudrun, Katharina - mit bester Sichtachse auf Christoph Schlingensief, konnte sich überzeugen: besser besetzt als in Bayreuth war das allemal.

Aber halt, wegen eines musikalisch erstklassigen "Parsifal" war ja keiner da. Weder die Wagners, noch die mit Iris Berben, Barbara Rudnik, Katja Flint, Corinna Harfouch, Sunnyi Melles, Alexandra Maria Lara, Benno Führmann versammelte deutsche Filmprominenz oder die Fotografen-Pulks am Ende. Berlins darbende Opernhäuser haben einen neuen "Parsifal" so nötig wie der Teufel das Weihwasser. Der alte "Parsifal" lief nur 24 Vorstellungen, der an der Deutschen Oper datiert von 1998. Aber die Verpflichtung des Filmproduzenten Bernd Eichinger, der noch nie eine Oper inszeniert hat, taugt natürlich für viel Wind. Das hat Methode: Von Berlin ging schließlich auch der Doris-Dörrie-Dilettanten-Diskurs aus. Nur Harry Kupfer, Regisseur beider (!) vorangegangener "Parsifal"-Inszenierungen war verhindert. Er hatte an diesem Abend "Parsifal"-Premiere. In Helsinki. Szenisch verpaßte er nichts.

Bernd Eichinger hat bisher meist monumentale, aber auch spießige Verfilmungen großer Stoffe produziert. Als Kinoregisseur ("Der große Bagarozy") ist er zweite Wahl. Und in der Oper einfach nur ein plumper Anfänger. Also hat der überbeschäftigte Lindenopern-Indendant Peter Mussbach ihm als Dramaturg ein einfältiges Konzept mit vielen Filmzitaten geschnitzt. Das findet hinten auf der flachen, banalen Bühne von Jens Kilian statt. Vorn ereignet sich Rampenrumsteherei in kaum vorhandener Eichinger Personenregie. Angeblich soll so die neue Einfachheit des Erzählens aussehen.

Nach Spektralnebeln und Planetenbildern als Hommage an Kubricks "2001" (auch die Videojungs von "fettFilm" dürfen in dieser Opernsuppe nicht fehlen) befinden wir uns in Fritz Langs betonstämmigem "Nibelungen" Wald. Die Gralshüter hat Andrea Schmidt-Futterer in braune Tücher wie aus Pradas Mongolei-Kollektion gewickelt. Kundry flattert als schwarzer Schwan herbei, ihr weißes, von Parsifals getötetes Pendant wird gleich darauf lebensecht zur letzten Ruhe gebettet. Mit Amfortas kommt ein wenig "Herr der Ringe"-Ambiente hinzu. Nach einem kurzen Umschalten auf den Discovery Channel (ein Clip mit sämtlichen Weltreligionen) geht es mit der Kamera durch einen Dickdarm zum Gralstempel. Der erhebt sich über den Ruinen des Römischen Reiches. Zur Gralsenthüllung reißt sich Amfortas sein Herz heraus, welches die Blechbüchsenarmee als geschnetzelte Sättigungsbeilage samt Hostie verzehrt. Wozu ein wenig katholische Erziehung alles taugt!

Im zweiten Akt entlarvt sich Klingsor vor Projektionen von Förderturm und Fabrikschlot als neuer Krupp, seine dicken Berthas sind Blumenmädchen mit eisernem Busen; mit Kundry an der Hundeleine stellt er die Unterwerfungsspiele aus den "120 Tagen von Sodom" nach. Ihre Verführungsszene mit Parsifal: nicht existent.

Der dritte Akt spielt auf dem etwa aus "Der Marathon Mann" bekannten Jogging Pfad von Brooklyn Heights vor winterlicher New-York-Kulisse. Gurnemanz schläft als Penner auf der Parkbank, Parsifal stampft als Ritter von der Gralsnuß herbei. Die zweite Verwandlungsmusik wird optisch mit Weltkatastrophen von der Atombombe bis zum Tsunami überbrückt, danach tobt im Gralstempel vor der Silhouette des brennenden New York verhalten der Bandenkrieg aus Carpenters "Klapperschlange". Wobei Choristen mit Irokesenkamm einfach albern aussehen. Als Parsifal endlich erscheint, setzen sich alle erlöst hin und warten friedlich - während sich hinten der Blaue Planet dreht - bis auch Wagner sein Ende findet. Das Rohmaterial ist abgedreht, jetzt müßte im Schneideraum die Postproduktion beginnen.

So viel Gewese und so wenig neue Erkenntnis waren selten. Der Wagner-Wahn wabert weiter. Staatsoper und Deutsche Oper kabeln sich bereits um einen frischen "Lohengrin". Nächste Spielzeit gibt es erst mal "Tristan und Isolde" neu - nach sechs Jahren und bisher 20 Vorstellungen. Im "Parsifal"-Publikum saßen übrigens die Filmregisseure Oskar Roehler und Tom Tykwer. Es kann darüber spekuliert werden, ob wir "Tristan und seine Brüder" oder "Isolde rennt" zu sehen bekommen werden.

 

Hamburger Abendblatt
21. März 2005

Eichingers überraschender "Parsifal"

Von Joachim Mischke

Zu den Stärken Bernd Eichingers dürfte das Talent zählen, ein lohnendes Script erkennen zu können, es, wo nötig, konsequent zu entschwurbeln und auf verständlich zu trimmen. Daß der Filmproduzent sich für sein Opernregie-Debüt dann ausgerechnet Wagners "Parsifal" zugetraut hat, grenzte für nicht wenige, vielleicht sogar für ihn selbst, an Größenwahn.

Doch die von Daniel Barenboim und der Berliner Staatskapelle aufs Feinste ausgedehnte Lindenoper-Premiere endete als dichte, selbst im zähesten Stillstand ihre Spannung haltende Analyse des langatmigsten Musik-Zeit-Kontinuums überhaupt.

Klassen klüger jedenfalls als die von bunten Blättern schöngeschriebene Lilalaune-Inszenierung einer Doris Dörrie im selben Haus. Bernd Eichinger, Bühnenbildner Jens Kilian und Andrea Schmidt-Futterer (Kostüme) fanden immer wieder überraschend effektive, zeitlos gehaltene Bilder und Antworten für große Fragen, sakrales Pathos und Erlösungsmystik reduzierten sich so auf ein durchaus erträgliches Maß. Statt männerbündelndem Mythengeklingel wurde ein Melodrama inszeniert, das sich fast nie weit vom Wort des Meisters entfernte und dennoch oft neue Perspektiven entdeckte.

Die symbolumnebelte Gralsenthüllung beispielsweise verstand Eichinger radikal richtig: Amfortas (bewegend: Hanno Müller-Brachmann) packt keinen Zimmermanns-Kelch zur turnusmäßigen Besichtigung durch die Waffenbrüder aus, sondern reißt sich, von vergeblicher Todessehnsucht gezeichnet, das eigene Herz aus dem Leib, von dem sich die Gralsritter kleine lebensspendende Scheiben abschneiden.

Ganz neue Züge allerdings nahm die Beziehung Parsifal (kräftig und energisch: Burkhard Fritz) und Kundry (hochdramatisch: Michaela Schuster) an: Geläutert und verliebt darf sie überleben, an der Seite des Grübelnden, der in einer Terminator-Kulisse darüber nachdenkt, was der neue Posten als oberster Gralshüter an Problemen so mit sich bringt. Die szenisch heiklen Übergänge und Verwandlungsszenen ließ sich Eichinger mit Videosequenzen der Berliner fettFilm-Truppe großflächig wegflimmern. Das Vorspiel unterlegte er à la Kubrick mit einem entrückten Blick aus dem All auf die Erde, zum Raum wurde die Zeit mit Hilfe eines "Star Trek"-tauglichen Wurmlochs; um dem Karfreitagszauber etwas entsprechend Destruktives entgegenzusetzen, wurde gar nuklearer Bombenzauber losgelassen.

So viel routiniert zusammengeschnittene Optik-Beilage hilft zwar nicht immer viel, sah dabei aber immer sehr flott aus. Schlingensiefs überladenes "Parsifal"-Bilderrätsel war eine clevere, subversive Zumutung, die Bayreuth als frischen Wind wohl dringend mal gebraucht hätte.

Eichingers respektvoll durchdachte Entschlackungskur ist eine, die der Grüne Hügel verdient hätte, um seinem Regie-Werkstattcharakter wieder gerechter zu werden.

Am Ende wurde das überragende Ensemble, allen voran René Pape als hinreißender Gurnemanz, frenetisch gefeiert. Eichinger mußte auch einige wütende Buhs von Besserwagnerianern ertragen.

Das allerdings ist kein Untergang für den Erfolgsverwöhnten. Eher ein vielversprechender Beginn, denn jeder nächste Auftrag, außer dem "Ring", kann nur einfacher sein. Zu dumm, daß der nächste in Bayreuth schon vergeben ist.

 

Nürnberger Nachrichten
21.3.2005

Bernd Eichinger scheitert mit Wagner in Berlin
Parsifals Gewalttour endet im Central Park


Aufwändige Reise durch Zeit und Raum: Szene aus der Berliner Staatsopern-Aufführung.
Foto: Drama

Der erfolgreiche „Untergangs"-Produzent, Regisseur und Drehbuchautor Bernd Eichinger, der stolz auf 80 Millionen Zuschauer für seine Filme verweist, scheitert in Berlin so aufwändig wie kläglich mit Wagners „Bühnenweihfestspiel", das der Komponist 1882, ein Jahr vor seinem Tod, selbst einstudierte und Bayreuth lange vorbehielt. Eichinger reiht sich ein in die Phalanx der Filmemacher, die gerade das Traumschiff Oper zu entern versuchen und dabei ziemlich baden gehen.

Doris Dörrie schickte Mozarts „Cosí"-Liebenden in die Hippie-Zeit, Puccinis neurotische „Turandot" zu den Kuscheltieren und Verdis „Rigoletto" in München auf den Affenfelsen. Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff enttäuschte und langweilte gerade an der Deutschen Oper mit seinem Regie-Remake von Janaceks „Aus einem Totenhaus". Der erprobte Peter Mussbach hatte Eichinger seine Unterstützung zugesagt, war aber neben seinen Intendanzpflichten durch Gastinszenierungen in München und Dresden selbst eingespannt.

Die Profi-PR-Maschinerie mit Interviews, Vorberichten und Event-Getrommel lief auf Hochtouren, der Promi-Auftrieb - neben Wagner-Enkel Wolfgang und Provokateur Christoph Schlingensief gab’s den Star-Aufgalopp aus eigenem Film-Stall - war enorm, die Enttäuschung groß. Die Rettung liefert der Debütant im Interview gleich mit: „Mein Vater war Wagnerianer. Er hat immer gesagt, diese Musik ist so großartig, wenn mir eine Inszenierung nicht gefällt, mache ich einfach die Augen zu".

Das ist auch hier angebracht, bei Eintrittspreisen bis 260 Euro indes etwas luxuriös. Gedanklich kaum kontrollierte Reizüberflutung führt - einmal Weltall und zurück! - zu einer Reise durch Raum und Zeit (Bühne: Jens Kilian, Video: Torge Möller, Momme Hinrichs, Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Licht: Franz Peter David). Zwischen Aida und Teutoburger Wald, zwischen Azteken und Inkas, chinesischen Tonsoldaten, Indien, Japan, einem Nobelbordell in der Alhambra für Klingsors (Jochen Schmeckenbecher) Blumenmädchen mit güldnen Busenmasken endet die Gewalttour unter Wolkenkratzern im Central Park.

Ein matter Penner

Im grünen Herzen New Yorks findet sich Parsifal (Burkhard Fritz) mit dem erlösenden Speer ein. Gurnemanz (René Pape) ist nun ein milder, matter Penner, Kundry (Michaela Schuster) eine geläuterte Sünderin, die ihm auf der Parkbank zwischen Schnee und Rauhreif-Gebüsch demütig die Füße wäscht, während er ihr mit Wasser aus dem Hydranten die Taufe spendet.

Die lammfromm lahmen Gralsritter indes haben die erstaunlichste Wandlung durchgemacht. Waren sie anfangs in ihren Playmobil-Rüstungen bei Goldglimmerregen dabei, sich von dem Herzen, das Amfortas (Hanno Müller-Brachmann) sich herausreißt, auf dem Hackklotz ein Stückchen abzuschneiden und als Fleisch und Blut Christi zur Kommunion zu nehmen, verwandelt sich die Schar am Karfreitagsmorgen im Park wie auf der Fußballtribüne in eine Horde Skins. Die will Amfortas mit Schlagstöcken noch mal zwingen, den Gral zu zeigen. Dazu, das leuchtet ein, möchte sich der sündige Sohn des verblichenen Titurel (Christof Fischesser) nicht mehr hergeben. Parsifal, „aus Mitleid wissend reiner Tor", kann nun mit erlösendem Speer dessen Wunde schließen und mit sanfter Entschiedenheit selbst König werden.

Hilft nicht viel und hilft nicht lang: der Weltenbrand reißt alles mit. Da hilft nur Wagners Musik, und die ist bei Daniel Barenboim am Pult der Staatskapelle, dem vorzüglichen Chor (Eberhard Friedrich) und einem qualitätvollen Ensemble in den besten Händen. Was er vom ersten bis zum letzten Ton an Wärme, Streicherglanz, Bläserkraft mit Hingabe, großer Linie und sensibler Sänger-Führung bietet, verhindert denn doch, dass Wagner hier, so visuell zugemüllt, zum Soundtrack-Komponisten eines Eichinger-Films degradiert wird.

Ein Ereignis gibt es doch: René Pape ist mit Wohllaut und Würde ein Gurnemanz von fesselndem Format, hebt den oft langwierigen ersten Akt ins Außergewöhnliche und wird besonders gefeiert. Für Eichinger gab es entschiedenen Buh-Widerspruch beim Publikum.

LORENZ TOMERIUS

 

FINANCIAL TIMES
March 22, 2005

Parsifal, Staatsoper, Berlin

By Shirley Apthorp

"Can we have your liver?" the Knights of the Holy Grail ask Amfortas. "But I'm using it!" the king protests. To no avail. Resigned, he reaches into his torso and produces a palpitating organ. Just in time for Mass! The knights form an orderly line and take turns chopping bite-sized bits. The blood has made rather a mess. Amfortas looks pale. All right, the text is different, but otherwise this is Bernd Eichinger's contribution to 123 years of Parsifal reception. Wagner meets Monty Python. Or was it Hannibal Lecter?

Eichinger is best known as the high-profile producer of The Name of the Rose and controversial new Hitler film The Downfall. He had never touched opera until Berlin's Staatsoper invited him to stage Parsifal - one of the most problematic works in in the canon, in the national capital. Others spend a lifetime working for such a moment. That Eichinger failed should come as no surprise. Only twice has he attempted to direct films, neither time successfully. The Staatsoper hired him in a shameless bid to win press attention and glamour, as if either had anything to do with music. Modestly, Eichinger tells Parsifal as the history of the world, beginning with Adam and Eve and ending on the lawless streets of New York. Parsifal shoots a Mesopotamian swan, attends an ancient Greek Mass, meets Kundry in a cloister, finds Gurnemanz on a Central Park bench. Amfortas has an endless supply of entrails. Hectic video projections (fettFilm) fail to compensate for the clammy stasis of the figures. Eichinger has nothing to say, and no idea how to say it.

Thank God for the music. Daniel Barenboim conducts with rare tenderness and insight, drawing exceptional playing from the Staatskapelle. Burkhard Fritz is a pleasing discovery as Parsifal, full-voiced and confident, flexible and unflagging. Michaela Schuster's Kundry is young, languorous and sensual; Jochen Schmeckenbecher makes a punchy, commanding Klingsor; Hanno MüllerBrachmann, replacing the indisposed Roman Trekel, delivers a convincing Amfortas. And RenéPape's Gurnemanz, resonant, charismatic, with his trademark habit of caressing final consonants, is a revelation.

A lesson for Eichinger: there's no substitute for expertise - and neither star is for the production.

 

Terra Actualidad - EFE
20-03-2005

ALEMANIA-OPERA
Eichinger se bautiza en la opera con una lluvia de abucheos
El realizador y productor de cine Bernd Eichinger se bautizó con una lluvia de abucheos en el mundo de la opera, con un Parsifal que sólo la dirección musical de Daniel Barenboim hizo que transcurriera allí donde el tiempo es espacio.

El público que anoche abarrotaba la 'Staatsoper unter den Linden' para asistir lo que se aventuraba como 'el estreno' de la temporada operística en Berlín, una velada con presencia asegurada de famosos y actores amigos de Eichinger, no tuvo piedad con el realizador. ‘Nunca comento una producción de (Richard) Wagner porque necesito al menos diez días para meditarla', declaró a EFE el nieto del compositor y patriarca de Bayreuth, Wolfgang Wagner, que anoche asistió junto a su esposa e hija al estreno de Parsifal, que inició el Festival de Pascua. También lo hizo Christoph Schlingensief, el 'enfant terrible' de la dirección teatral y autor del 'Parsifal' tribal que se estrenó la temporada pasada en Bayreuth, donde ha dejado tan mal sabor de boca que ahora sólo se comunica con los Wagner a través de abogados.

Eichinger, icono de éxito y películas como 'El nombre de la Rosa' o 'El hundimiento', cinta sobre los últimos días de Hitler que este año competió con la española 'Mar adentro' por la estatuilla dorada a la mejor película extranjera, había generado mucha expectación. Tercer cineasta invitado por la 'Staatsoper unter den Linden' a escenificar una ópera -Peter Greenaway llevó a escena Christoph Columbus y Doris Doerri 'Cosi fan tute' y 'Turandot'- Eichinger aventuró un Parsifal en cuarta dimensión, un cuento en el que entremezclan destinos y plantea interrogantes nuevos a los personajes de Amfortas y Kundry. A diferencia de Schlingensief, quien antes de caer en las redes del universo wagneriano trabajando su Parsifal confesó detestar la música de Wagner, Eichinger es un iniciado. Su Parsifal arrancó de forma prometedora en la obertura, con una proyección en vídeo, un viaje a través del cosmos que tras sortear estrellas y planetas acaba en un oscuro bosque de columnas gigante. Allí estaban Gurnemaz, papel que interpretó el bajo alemán René Pape, y la enigmática Kundry, encarnada por la soprano Michaela Schuster. Ambos fueron ovacionados y junto con Barenboim, al frente de la orquesta, se convirtieron en los triunfadores de la noche. Un catarro impidió que el barítono Roman Trekel se metiera en la piel de Amfortas, pero Hanno Müller-Brachmann no desmereció y fue un doliente muy digno en lo vocal y fuerza dramática. Müller-Brachmann cantará Tempranillo, junto al mexicano Rolando Villazón como Don José en 'Carmen', la ópera de George Bizet con la que esta noche prosigue el Festival de Pascua abierto con Parsifal.

Eichinger aprovechó en el primer acto la carga de misterio y suspense de Parsifal e introdujo con maestría los recursos del cine para llegar hasta Amfortas, vestido de césar romano y los Caballeros del Santo Grial, a los que Andrea Schmidt-Futerrer, responsable del vestuario, presentó como un ejército entre lo galáctico e inca. A los pies de un templo, tras una sucesión de imágenes que hacen un recorrido por las creencias y culturas de la humanidad, Amfortas y los Caballeros celebran el rito de la 'transubstación'. Y lo hacen de forma explícita: Amfortas mete su mano en la herida que no cierra y saca un trozo de su carne, que deposita en un banco de madera donde hay un cuchillo. Uno a uno desfilan por el Grial, cortan un pedazo y celebran, con sangre y carne, la Ultima Cena. El segundo acto, la Kundry salvaje reaparece, ya víctima del mago Klingsor, (Jochen Schmeckenbecher) con toda la seducción en un harén que recuerda por sus columnas a la Mezquita de Córdoba, intentando seducir al joven y tonto Parsifal, vestido de cruzado. El tenor alemán Burkhard Fritz fue ovacionado por su actuación como redentor, que bordó en lo vocal y al que dio credibilidad. Eichingel se fue 'tranquilo' a la segunda pausa. La escena en la que la lanza de Klingsor ha de ir a parar a las manos de Parsifal, máxima preocupación del realizador según declaraciones previas al estreno, ha salido bien. Logró el efecto buscado, una sincronización visual y musical perfecta, en diez segundos. Pero ya tenía el público en contra. En el tercer acto, desvelado el secreto de la lanza y con un Parsifal desprovisto de fuerza, plano, Eichinger transporta la trama a un parque nevado de una gran ciudad. Gurnemaz parece un mendigo y Kundry, domesticada y servicial aparece vestida de blanco nieve.

Parsifal, aunque sigue sin entender nada, reaparece convencido de que puede salvar a Amfortas, ahora líder de una pandilla urbana.