Frankfurt Rundschau
12. Dezember 2006

Stöckelschuhe im Schnee

VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Der Knochen, der, wenn einmal aus der Pfanne gesprungen, niemals wieder in sie zurückspringt, hat doch wohl keine unbegrenzte metaphorische Reichweite. Die einstmals in deutschsprachigen Ländern äußerst populäre Oper Tiefland von Eugen d'Albert war seit mindestens 30 Jahren so gut wie vollständig von den Spielplänen gelöscht. Statt unweigerlich der Furie des Verschwindens anheim gefallen, feiert sie jedoch zur Zeit eine erstaunliche Repertoire-Auferstehung (zeitnah an den Opernhäusern Zürich, Frankfurt und Wiesbaden).

So erstaunlich nun auch wieder nicht. Für die Vernachlässigung verantwortlich war sicher der etwas halbseidene Ruf des Werkes, das als Verismo "aus zweiter Hand" gelten kann. Fast gravierender dürfte sich aber die Internationalisierungstendenz des Opernmarktes dabei ausgewirkt haben, der zufolge sich das deutsche Repertoire auf Wagner und Strauss eingeengt hat, wodurch reizvolle Phänomene wie die Operette oder die Spieloper (Lortzing) hinten runter fielen, aber auch hochbedeutende Trouvaillen wie Pfitzners Palestrina oder Cornelius' Barbier von Bagdad kaum noch Aufführungschancen bekamen.

Nur Karenzphasen ermöglichenerfreuliche Wiederentdeckungen

Der Fall Tiefland könnte illustrieren, dass man auf Dauer um das künstlerisch Lohnende vielleicht nicht allzu besorgt zu sein braucht; so zeitigte die Internationalisierung der Musikbühnen zunächst zwar Eindampfung und Nivellierung, aber nicht als etwas Endgültiges. Es scheint, als ginge gerade von den gemiedenen Werken ein Sog aus. Das nur mehr virtuell Anwesende schreit nach seiner Vergegenwärtigung. Zum funktionierenden Marktgeschehen gehört auch opernmäßig der neue Reiz, und der kann namentlich vom wieder erschlossenen Altbekannten ausgehen. Dem tun Karenzphasen ohnedies gut; man würde sich diese sogar für Beethoven oder Wagner wünschen.

Zweifellos bedeutet die Tiefland-Aufführung heute eine Statusänderung für dieses Werk. Man begegnet ihm nicht als einer Gewöhnlichkeit, einem Vertrauten, dessen Stärken und Schwächen einem nur allzu geläufig sind. Man nimmt diese Klangsphäre mit frisch gespitzten Ohren auf, und sie weckt das neugierige Interesse einer echten Novität. Der Musikdramatiker, der Musikerfinder Eugen d'Albert stellt sich uns vor, und wir sind womöglich überrascht von der Kraft und Originalität seiner Persönlichkeit und Tonsprache, die aus der Attraktivität des Unmittelbaren hervortritt.

Und was heißt da schon Verismo "second hand"?! Das Synkretistische, auch Synthetische, die sozusagen künstliche Aneignung von urigen Volks- und Leidenschaftstönen, das hochkulturell Empathische beim Hineintauchen in die "grausige Wahrheit" der Verismowelt, gehören zum Grundmodus der zivilisierten Künstlerschaft eines Autors, der zu den pianistischen Berühmtheiten seiner Epoche gehörte und einen kosmopolitischen und eher extravaganten Lebenswandel führte. Zu den polyglotten - man könnte auch sagen: polystilistischen - Rezepturen d'Alberts gehörte die gekonnte Amalgamierung von kantabler Italianità und leitmotiv-kontrapunktbewusster Neuwagnerei. So exzelliert Tiefland mit einem imponierenden Strauss von großartig inspirierten, durchaus würdevoll daherkommenden Melodien, die zugleich in einem farbenglühenden Orchesterkolorit immer wieder auch eine triftige symphonische Verarbeitung erfahren.

Dem aufmerksamen Hörer bleibt auch nicht lange verborgen, dass es sich nicht um eine Alpenoper handelt, sondern um ein in den spanischen Pyrenäen beheimatetes Stück (nach einem katalanischen Schauspiel). Die Hinwendung zu iberischer Folklore ist hier indes um einiges weniger obsessiv spürbar als in Hugo Wolfs spanientrunkenem Corregidor.

Die Härte des Plots kann es mit dem schneidendsten Verismo aufnehmen. Es geht um eine betrügerische Ehestiftung. Der allmächtige Landbesitzer Sebastiano angelt sich den naiven Hirten Pedro, um ihn mit seiner Geliebten Marta zu verheiraten. Damit bekommt der in finanzielle Bedrängnis geratene Potentat freie Hand für eine reiche Heirat. Gleichwohl gedenkt er nicht, auf Marta zu verzichten; bereits an ihrem Hochzeitsabend meldet er seine nächtlichen (Un-)Rechte an. Das böse Spiel geht nicht auf; Marta wird von Pedros Lauterkeit bezwungen, das neue Paar entflieht in die Berge. Mit dem Symbolpaar Tiefland/Gebirge setzt die Oper sinnfällig den Gegensatz von korrupt-wuseliger Geschäftswelt und intrigenferner Reinheit. Eine weitere bedeutende Metapher (auch mit einem einprägsamen musikalischen Leitmotiv markiert) ist die des Wolfes. Wie Pedro den Wolf, den Todfeind seiner Herde, umbrachte, so besiegt und tötet er im männlichen Zweikampf auch seinen Widersacher Sebastiano. Sogar die Tiefland-Gemeinschaft scheint diese Tat zu billigen als gerechte Strafe für einen skrupellosen Schädling.

Die Inszenierung der Musik vor dem Vorhang

Die Oper hebt an mit einer ausgedehnten, vielgliedrigen, von einem charakteristischen Quartenmotiv geprägten pastoralen Melodie der Soloklarinette. Normalerweise erklingt diese aus dem Orchester. Bei der Frankfurter Aufführung wurde sie (tadellos intoniert und wunderbar nuanciert) vor dem Vorhang gespielt von Martina Beck. Und erst dann löste sich der Bann der theatralisierten Musik mit dem Eintritt der schwermütigen Orchestergestalt aus dem zunächst völlig verdunkelten Graben. Ein schöner, geradezu visionärer Einstieg in diese Oper. Und vielleicht die beste Inszenierungsidee des Regisseurs Anselm Weber, der im folgenden eine spannende Geschichte umstandslos und (fast) ohne Faxen erzählte.

An der Grenze einerWelt der Reinheit

Der Bühnenbildner Hermann Feuchter illuminierte deutlich den Kontrast von Bergsphäre und Niederung. Das gletschernahe Panorama des Vorspiels enthielt leise ironische Türöffnungen direkt in die gemalten Felsmassive; diese blieben als Sehnsuchts-Hintergrund sichtbar in den Hauptbildern, die neuzeitlich-nüchtern und lagerhallenartig mit Randrampen eine Mühle imaginierten. Moderne Kostüme (Bettina Walter); wenn Marta zunächst in Stöckelschuhen und Trippelschritt die Schneegrenze betritt, wird klar, dass sie (noch) nicht in diese Welt der Reinheit passt. Zum erzwungenen Tänzchen vor Sebastianos Ende fährt Weber eine Bauchtänzerinnenriege auf: ein überflüssiger Stilbruch.

Die hohen sängerdarstellerischen Anforderungen der Oper machte die Frankfurter Neuinszenierung (der 1905 in Magdeburg uraufgeführten zweiten Werkfassung) nicht ganz vergessen. Am brillantesten wirkten einige Nebenpartien: die traumhaft ausgeglichen und mit zarter Intensität vokalisierende Nuri von Juanita Lascarro; der sonore Bass des Tommaso von Magnus Baldvinssohn (gleichsam unter dem Segensdach eines väterlich-expressiven Leitmotivs einherschreitend); der mit prophetischen Warnungen sich artikulierende Nando von Peter Marsh. Gelungen aber auch der schlank-chevalereske Sebastiano von Lucio Gallo, stimmdiszipliniert bis in seine Ausbrüche hinein. Michaela Schusters Marta überzeugte mit einer kraftvollen Sopranstimme, die gewisse Sprödigkeiten zum Moment dramatischer Ausdrucksenergie auszuformen verstand. Ähnliches traf im wesentlichen auf John Treleavens Pedro-Tenorpartie zu, auch wenn hier stärker Unebenheiten merklich wurden und erhebliche Aussprachemängel zu beobachten waren. Ansprechende Chorleistung (Alessandro Zuppardo).

Für Sebastian Weigle, den designierten Frankfurter GMD ab 2008, war Tiefland offenbar eine Herzensangelegenheit. Mit dem hervorragend einstudierten und disponierten Museumsorchester bot er einen Opernklang ohne jeden Anschein von Routiniertheit, dramatisch bewegt abseits von Effekthascherei oder sentimentalen Drückern. Auch das die bestmögliche Ehrenrettung einer fürwahr unverlorenen Oper.

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Dokument erstellt am 11.12.2006 um 16:52:02 Uhr
Letzte Änderung am 11.12.2006 um 17:02:46 Uhr
Erscheinungsdatum 12.12.2006

 

Frankfurter Neue Presse
12.12.2006

Auf den Bergen ist alles besser
Eugene d’Alberts „Tiefland" hatte in der Inszenierung von Anselm Weber an der Oper Frankfurt Premiere.

Von Rudolf Jöckle

Droben auf den Bergen ist der Mensch gut, edel und gottesfürchtig – solche Mythen wirken bis heute in der Tourismuswerbung nach –, unten im schwülen Gedünst des Tales aber, im „Tiefland", frech, bösartig, ja mörderisch. So einfach ist die Welt geschieden, und so einfach lautet denn auch die Botschaft von d’Alberts Oper. Für unsere (Ur)-Großväter wurde das Werk in seiner zweiten Fassung von 1905, die auch in Frankfurt zu sehen und zu hören ist, zu einem der Repertoirelieblinge, um in unseren Tagen eigentlich zu verschwinden.

Pedro, der Hirte, ist der Gutmensch fast bis zum Exzess, freilich auch als selbstbewusster Katalane fähig, seinen Herren und Widersacher, den machtgierigen und hemmungslosen Sebastiano, im finalen Kampf um die schöne, ausgebeutete Marta (ehemals Findelkind) zu töten, so, wie er den Wolf, der in seiner Herde gewütet hatte (die Erzählung davon gehört zu den bekanntesten Nummern der Oper) erwürgte. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen heutzutage ohnehin mit den Bergen umgehen wie sie wollen, oder auch, dass wir uns an differenziertere Betrachtungsweisen gewöhnt haben (freilich dabei nicht besser geworden sind), wirkt solche schier unnachgiebige Scheidung des Oben und Unten als gut oder böse ziemlich obsolet. Und der Besucher wundert sich nicht mehr, dass „Tiefland", das ja dem Verismo zugeordnet ist, so selten noch gespielt wird.

Andererseits nimmt man die Archäologie der Frankfurter Aufführung dankbar entgegen, denn sie berührt ein doch wichtiges Stück Operngeschichte der Zeit nach Wagner, deren Lücken der Opernfan hier getrost schließen sollte. In der Tat nehmen Regisseur Anselm Weber und Bühnenbildner Hermann Feuchtner die Geschichte ziemlich beim Wort: Sie bleiben „nahe an den Vorgaben des Originals". Die Kulisse zeigt ein kühles Gebirgsbild, das sich für Pedros Höhle öffnen kann, zeigt ebenso die zentrale Mühle im Tal als wenig freundlichen Arbeitsplatz mit Tonnen und Behältern und entsprechend gepuderten Arbeitern.

Das Spiel passt sich den Orten an. Und so blickt man doch in eine fremd gewordene Welt – man verliert nie das Gefühl, dass einem beispielsweise der sizilianische „Bajazzo" doch näher steht –, wobei sich auch hier das Böse immer ein wenig besser verkauft als das Biedere, Hochanständige. Bisweilen wirkt das flehende Händeringen – stellvertretend für manches andere genannt – doch recht komisch, oder auch der illuminierte „katalanische" Tanz vor dem Finale. Dann fragt man sich schon, ob es in solchen Momenten nicht andere Lösungen gegeben hätte. Doch muss man zugeben, dass Weber diese „veristische" Ausrichtung konsequent durchgehalten hat. Auch wenn’s bisweilen fad ist.

Ausgezeichnet besetzt waren dagegen die zentralen Partien, voran mit John Treleaven als, nach zögerlichen Anlauf, doch heldischem, gleichwohl empfindsam phrasierenden Pedro. Michaela Schuster als Marta zwischen Stolz und Verzweiflung präzisiert ihre Partie mit schönen farblichen Abstufungen bei durchaus leidenschaftlichem Engagement.

Lucia Gallo ist ein auch vokal beweglicher Sebastiano, gleichwohl mit noch einigen Möglichkeiten in den Nuancen. Für den uralten Tommoaso hat Magnus Baldvinsson eine recht jungen Stimme (man erwartet immer die „Tiefe" des Alters), Juanita Lascarro singt eine ergreifende kindliche Nuri, Dietrich Volle einen angenehm gestandenen Geschäftsführer Moruccia, prächtig auch das Trio Claudia Mahnke, Sonja Mühleck, nicht zuletzt die sehr präsente Elzbieta Ardam – „Zauberflöten"-Damen, nun pervertiert als neugierig-hänselnde Dorfschöne.

Ein Klarinetten-Solo eröffnet die musikalische Szene, ein Schalmeien-Zitat und ferne Erinnerung an die „Szene auf dem Lande" Berlioz’, Martina Beck vom Opernorchester blies es vor dem schwarzen Vorhang empfindsam und klangsensibel – einen schöneren Einstieg konnte sich das Orchester unter seinem künftigen Chef Sebastian Weigle nicht wünschen. Es dankte denn auch mit einer Darstellung, die nicht nur die (innere) Dramatik verdeutlichte, sondern Stimmungen förderte und dabei auch Szenen bereicherte, die eher in schlichter Deklamatorik verharrten. Wenn es sich also bisweilen, wie im Vorspiel, dröge hinzog, dann lag das eher an d’Albert. Ingesamt aber ein höchst ausbalanciertes Orchesterspiel, von Weigle energisch vorangetrieben.

Viele Bravos dafür, auch für die Protagonisten, doch manche Buhs für die Regie.

 

WIESBADENER KURIER
12.12.2006

Ein Herz für Hitlers Lieblingsoper
"Tiefland" von Eugen d´Albert in Anselm Webers Inszenierung und mit Sebastian Weigle am Pult

Von Volker Milch


Alpenglühen mit starken Gefühlen: Pedro (John Treleaven) würgt Sebastiano (Lucio Gallo), während Marta (Michaela Schuster) im Hintergrund ebenfalls Probleme hat.
Foto: Aumüller

FRANKFURT "Auf der Alm", wissen Volksmund wie Heimatfilm, "da gibt´s koa Sünd´" - und Eugen d´Alberts einst populäre Oper "Tiefland" scheint aus solchen schlichten Wahrheiten ihre moralische Botschaft zu beziehen. Pedro nämlich, ein guter Hirte mit Bärenkräften, lebt in der sittlichen Klarheit der Bergwelt und wird von seinem Herrn Sebastiano in die moralischen Niederungen erotisch-ökonomischer Machenschaften herabgezogen. Der Bösewicht will seine wirtschaftlich prekäre Situation durch eine Ehe mit einer reichen Frau sanieren - und seine langjährige Geliebte Marta zur Steigerung gesellschaftlicher Glaubwürdigkeit an den Hirten verheiraten.

Jene Marta aber ist ein Opfer sexuellen Mißbrauchs. Seit ihrem 13. Lebensjahr muss sie Sebastiano zur Verfügung stehen, und das soll sich nach dessen Willen auch nach der geplanten Zwangsverheiratung nicht ändern. Ein saftiger Stoff, der lange Zeit praktisch von der Bühne verschwunden war und nun wieder einmal eine kleine Renaissance erlebt. In Zürich kam "Tiefland" im Juli auf den Spielplan. 2007 wird die Oper auch in Wiesbaden über die Bühne gehen, zur Maifestspiel-Eröffnung in der Regie des Intendanten Manfred Beilharz.

Zunächst aber hat sich die Oper Frankfurt in Koproduktion mit der Wiener Volksoper des Werks angenommen, das ziemlich schwer an seiner Rezeptionsgeschichte zu tragen hat. Eine von Hitlers Lieblingsopern soll "Tiefland" gewesen sein, und Leni Riefenstahl zeichnete für eine filmische Adaption des Stoffes verantwortlich. Die Propaganda-Regisseurin hatte sich als günstige Komparsen für ihren Streifen Sinti und Roma aus Konzentrationslagern besorgt - und noch als 100-Jährige mit der Behauptung, dass "keinem einzigen Zigeuner etwas passiert" sei, für Entrüstung und staatsanwaltliche Ermittlungen gesorgt. 2002 wurden diese eingestellt.

Eine Affinität zu Blut und Boden wird man dem Werk des kosmopolitischen Liszt-Schülers Eugen d´Albert (1864 - 1932) nicht unterstellen dürfen, aber die Polarisierung zwischen dem heroischen Naturburschen Pedro und Sebastianos dekadenter Niedertracht bot vor 1945 offenbar einige ideologische Anknüpfungspunkte. Wobei das Lob des Landlebens im Kontext der Zivilisationskritik natürlich ein uralter Topos ist. Jener Pedro nun ist ein "reiner Tor", der aber auch an Wagners schlagkräftigen Naturburschen Siegfried erinnert - ebenfalls ein Vollwaise mit Lizenz zum Töten. Auch im heldentenoralen Format ähneln sich die Partien, und Frankfurts Oper ist in diesem schwierigen Fach mit John Treleaven wieder einmal eine überzeugende Besetzung gelungen: Kraftvoll im ariosen Aufschwung, klar in der Diktion und durchaus anrührend in der amourösen Emphase. Eine nicht minder starke Partnerin ist Michaela Schuster als großformatige Marta, und baritonalen Biß zeigt Lucio Gallo als Bösewicht Sebastiano. Das vokale Alpenglühen wird vom designierten Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle eindrucksvoll angefeuert und bekommt starken Applaus: Die Mischung aus Wagner-Nachklang und Verismo-Einfluss bietet nicht nur viele melodische Bonbons, sondern ist auch immer wieder von starker atmosphärischer Wirkung, etwa im einleitenden Klarinetten-Solo, das pastorale Einsamkeit suggeriert. Manchmal driftet die Partitur freilich auch in regelrecht operettenhafte Schmissigkeit ab.,

Die weniger dankbare Aufgabe hat in diesem Fall sicher der Regisseur. Die in ihrer zweiten Fassung 1905 am Stadttheater Magdeburg uraufgeführte Oper basiert auf dem Schauspiel "Terra baixa" des katalanischen Autors Angel Guimera, und das deutsche Libretto von Rudolf Lothar ist manchmal nur schwer zu verkraften. Der Regisseur Anselm Weber nähert sich der Oper in einer Bergwelt aus Pappe mit einigen Ironie-Signalen, aber ohne überzeugendes Konzept. Mit einem Playboy-Heftchen hat sich Pedro in seiner Höhle offensichtlich schon auf künftige Herausforderungen vorbereitet, und die Hirten-Kluft erinnert stark an Ötzi, die Gletscherleiche. Sebastianos Mühle dann wird in Hermann Feuchters Bühnenbild zu einer industriellen Produktionsstätte, in der ein Transparent "Arbeit für alle" fordert. Das macht die archaischen Aspekte der Geschichte nicht unbedingt plausibler, hat aber auch nicht die Buhrufe eines ansonsten erfreuten Publikums verdient. Nachdem der Bösewicht von Pedro erwürgt wurde, fährt der Hirte mit Marta auf einem Container dem Alpenglühen entgegen - und einem Happy End, das irgendwie verdächtig nach Entsorgung ausschaut.

 

OFFENBACH POST
12. Dezember 2006

Im düsteren Tiefland ruft der Berg
Zum Genießen plakativ: Eugen d’Alberts Oper in Frankfurt zeigt Niederungen des Menschseins


Gefühle im Mahlstrom: Für Marta (Michaela Schuster) und Pedro (John Treleaven) gibt es keinen Ausweg
Foto: Aumüller

Auf den Bergen ist die Freiheit grenzenlos. Im engen Tal herrschen Ausbeuter und ihr Mob über Unschuldslämmer und solche, die leidvollem Menschsein ausgeliefert sind. Wer da reinen Herzens den Abstieg wagt, kommt in einen Teufelskreis, der nur mit Gewalt durchbrochen werden kann. So die Quintessenz von Eugen d’Alberts Musikdrama "Tiefland", das Anselm Weber jetzt als zeitloses Kriminal-Hör-Stück an der Oper Frankfurt herausgebracht hat.

Nach der Premiere prasselten Beifall und Bravos für die zielstrebige musikalische Dramaturgie des Sebastian Weigle und die geschundene Protagonistin Marta der Michaela Schuster. Verwundert registrierte man kräftige Buh-Rufe fürs Inszenierungsteam. Gab es doch kaum Anstößigkeiten, wie im heutigen Regietheater leider üblich. Dazu hätte Anselm Weber in der zumindest sprachlich an der Kitschgrenze lavierenden Oper viel Gelegenheit gehabt.

Allein die veristische Doktrin erinnert an den Zeitgeist bei der Entstehung des vormaligen Opern-Renners d’Alberts (1864-1932). Selbst das spanische Kolorit hat den Regisseur nur am Rande interessiert, vielmehr zeigt er ein Sozialdrama um einen Berghirten, der von seinem Herrn mit einer versprochenen Ehefrau ins Tal gelockt wird, die dessen heimliche Geliebte ist, was jeder weiß - nur der verträumte Pedro nicht.

Mehr braucht man nicht verraten, diese deutsche Oper teilt sich unmittelbar mit. Nicht nur wegen des Textbands im Off, sondern auch wegen der Sprachfähigkeiten ihrer Akteure. Nach der Farbenlehre des Regisseurs erscheint die Gebirgswelt im strengen Schwarzweiß (Ausstattung: Hermann Feuchter). Eine in den Fels eingelassene Tür führt ins Tiefland, als ginge es in die Unterwelt, in eine Mühle, die wie eine Werkshalle anmutet, gerahmt von einer grauen Rampe und mit einer Brücke im Blickpunkt, von der sich selbst Privates bespitzeln und spitzfindig kommentieren lässt.

"Arbeit für alle" fordert ein Transparent, das eilfertig eingerollt wird, wenn der Herrscher aufkreuzt. Ein Kapitalist, dem das Kapital ausgegangen ist, der deshalb seine Spielchen spielt. Lucio Gallo verkörpert diesen Sebastiano im Manager-Dress (Kostüme: Bettina Walter) mit befehlsgewohnter Bariton-Stimme, die sich auch zu glaubwürdiger Leidenschaft aufschwingt.

Grün scheint die Farbe der Unschuld, verkörpert von Martas kindlicher Freundin Nuri, idealer Part für Juanita Lascarros feinstimmigen Sopran. Ein Buchhalter-Typ ist der sich letztlich angewidert aus der Intrigen-Mühle verabschiedende Morucchio: Mit ausdrucksfähigem Bariton macht Dietrich Volle vergessen, dass er kurzfristig die Rolle übernahm. Gewieft beim Mobben und devot bis zum Kniefall: Stimmlich vif, sind Claudia Mahnke, Sonja Mühleck und Elzbieta Ardam stets bühnenpräsent.

Diesen wild gewordenen Kleinbürgern samt gut temperiertem und rhythmisch schlagkräftigem Chor (Einstudierung: Alessandro Zuppardo), der dem Unschuldsknaben Pedro einmal mit Hexenperücken erscheint, steht die archaische Welt der Hirten gegenüber, gewappnet mit dickem Fell(-Mantel). Neben Nando (Peter Marsh mit fein timbrierten Tenor) der das Drama mit gütig-sonorem Bass regulierende Magnus Baldvinsson als Dorfältester Tommaso und der gnadenlos liebende Pedro: John Treleaven ist ein auch stimmlich verzweifelt Aufbegehrender, dessen anfänglich etwas enger Tenor seine stärksten Momente hat, wenn er vom Kampf mit dem Wolf berichtet. Zwischen diesen Fronten bewegt sich die glaubwürdig leidende Marta. Michaela Schusters Sopran rührt an - noch in steiler Höhe mit Stabilitätsgarantie. Und sie ist ein weiterer Beleg für Anselm Webers Kunst, Bühnencharaktere auszustellen.

Allein mit seinen spanischen Go-Go-Girls zur holländischen Lichtermühle scheint er den folkloristischen Tonfall bewusst zu denunzieren, vertretbar, aber auch ein wenig abgeschmackt. Denn d’Alberts Musik muss man lieben - und nicht groß hinterfragen. Sie ist zum Genießen plakativ und hat trotz vieler Anleihen - etwa die wunderschön vor der Szene geblasenen Klarinettensoli - durchaus Eigencharakter. Weigle nimmt ihr die Süße, in dem er Konturen schärft und die dramatische Schlagzahl kontinuierlich erhöht. Das Museumsorchester folgt ihm auch in die dunklen Streicher-Sphären so klangrein und vibratoarm, als habe die historische Musizierpraxis d’Albert ereilt.

KLAUS ACKERMANN

 

Darmstaedter Echo
12.12.2006

Der Mensch ist der Wolf
Musiktheater: Balance zwischen Naturalismus und Sentimentalität: Anselm Weber inszeniert an der Oper Frankfurt „Tiefland" von Eugen d’Albert – Dirigent Weigle setzt auf Dramatik und Lyrik

Von Klaus Trapp

FRANKFURT. Eugen d’Alberts „Tiefland" war nach der Uraufführung 1903 eine der in Deutschland meistgespielten Opern, noch vor Bizets „Carmen" und Wagners Musikdramen. Nach einer Zeit des Vergessens wird das Werk wieder häufiger geboten, wie jetzt in der Oper Frankfurt, die es in einer Koproduktion mit der Wiener Volksoper herausbrachte.

Die Geschichte um den Hirten Pedro, der vom reichen Grundbesitzer Sebastiano an der Nase herumgeführt wird, wenn der ihm seine Geliebte zur Frau gibt, bietet reichlich Stoff für dramatische Szenen mit Mord und Totschlag. Die Musik folgt jener veristischen Richtung, wie sie durch Mascagni und Leoncavallo vorgeprägt war. Für den Regisseur Anselm Weber bedeutete dies eine Gratwanderung zwischen brutalem Naturalismus und Sentimentalität, eine Balance, die ihm weithin gelang. Für das Vorspiel hat Herrmann Feuchter einen alpinen Prospekt entworfen, der jenes kalte Pyrenäen-Hochtal spiegelt, wo Pedro aufwächst. Die beiden Akte spielen im nüchternen Verladeraum einer modernen Großmühle.

Der designierte Frankfurter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der zur Zeit noch in Barcelona wirkt, bringt d’Alberts farbige Partitur zum Leuchten, er setzt auf den Kontrast zwischen schlagkräftiger Dramatik und zarter Lyrik, vermittelt durch den sauber strukturierten Klangfluss der durchkomponierten Musik mit ihren ins Ohr gehenden Leitmotiven. Dabei gelingt es ihm, das dynamische Verhältnis zwischen Bühne und Graben geschickt auszupendeln.

Der Tenor John Treleaven stellt mit Pedro einen Naturburschen auf die Bühne, der in seinem Mantel aus geflicktem Fell zugleich als Wolfsbezwinger wie als naiver Bräutigam glaubhaft ist. Er singt flexibel, im hohen Register manchmal gepresst, vermag sich an den Höhepunkten aber mächtig zu steigern. Die Sopranistin Michaela Schuster als Magd Marta überzeugt durch die Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme und intensive Darstellung; sie gibt ihrer ausweglosen Situation bewegend Ausdruck. Der Bariton Lucio Gallo versagt es sich, als Sebastiano einen Schurken, einen Wolf in Menschengestalt, offen zur Schau zu stellen, umso eindrucksvoller ist die zynische, rücksichtslose Gesinnung, die er vermittelt. Beachtlich die ausgeglichene Leistung des Ensembles, auch des von Alessandro Zuppardo trefflich vorbereiteten Chores. Obwohl die Aufführung in deutscher Sprache stattfindet, werden Übertitel eingeblendet – eine nachahmenswerte Hilfe.

Gegen Ende des Werkes, wenn Sebastiano die Magd Marta vor versammeltem Volk zwingt, für ihn zu tanzen, verlässt der Regisseur die veristische Linie. Acht Revue-Girls präsentieren sich zum Kastagnettengeklapper mit einem Bauchtanz, während im Hintergrund eine Windmühle rot aufleuchtet. Ein bewusster Stilbruch, der aber in seiner aufdringlichen Art nicht überzeugt und sogleich Buhrufe provoziert. Für die vorzüglichen Sänger, das Orchester und den Dirigenten gab es den stärksten Applaus.

 

Mannheimer Morgen
13. Dezember 2006

MUSIKTHEATER: Eugen d'Alberts spätromantische Oper "Tiefland" in Frankfurt
Dosenbier und Filterzigaretten

Die Werkgeschichte von "Tiefland" ist so wechselvoll, wie es das Lebens des Kosmopoliten Eugen d´Albert (1864 - 1932) war. Die mit Abstand populärste Oper des in Glasgow geborenen Komponisten, der in der deutschen Sprache aufwuchs und schrieb, erlitt gleich zu Beginn Schiffbruch. Vom Komponisten um einen Akt verkürzt gelang allerdings umgehend die Rehabilitation und nicht zuletzt dank der Förderung durch Adolf Hitler war die vielleicht einzige deutsche Verismo-Oper in den dreißiger Jahren ungemein populär.

Hier die aufrechten Hirten in den Bergen der Pyrenäen, dort die einander belauernden Dörfler im Tiefland, das der Hirte Nando seinem Kollegen Pedro im Vorspiel düster ausmalt: "Dort sind die Häuser dumpf, die Berge weit, die Menschen wohnen eng beisammen." Der wackere Pedro erlebt Neid und Hass bald am eigenen Leibe, hat er doch ahnungslos in eine von dem Gutsherrn Sebastiao arrangierte Scheinehe mit der Müllerin Marta eingewilligt, die dem Chef weiterhin den Niesbrauch der Schönen garantieren soll. Eine üble Intrige, die erst endet, als Sebastiano Geld und Macht verliert und solcherart isoliert vom rasenden Pedro erwürgt wird. Hand in Hand flieht das nun doch vereinte Paar in die Berge. Das ist hart am Kitsch und zudem üppig unterlegt mit einer spätromantischen Musik, die weder Anklänge zu Wagner noch zu Verdi scheut, die aber auch Platz lässt für so manche poetische Feinheit und zu überzeugen weiß mit dezenten Anleihen bei der spanischen Folklore. Frankfurts designierter GMD Sebastian Weigle arbeitet diese Seiten der Musik d'Alberts überzeugend heraus.

Das Vorspiel beschert uns eine sperrhölzerne Postkartenidylle, aus der Pedro herabsteigt, um sich in der doch arg nüchternen Maschinenhalle der Müllerei auf seine Hochzeit vorzubereiten. John Treleaven gibt diesem naiven Naturburschen Statur mit stämmigem Tenor. Gemeinsam mit der überzeugend angelegten und makellos gesungenen Marta Michaela Schusters gehört der Auftritt Treleavens zu den klaren Pluspunkten der Frankfurter "Tiefland"-Inszenierung, die bis in die Nebenrollen hochkarätig besetzt ist. Weit weniger überzeugend ist die Inszenierung Anselm Webers, der mit simpler Ausstattung versucht, das "Tiefland" ins Heute zu holen. Aber so altbacken ist die Oper gar nicht. Nur bedarf es dazu mehr als des Einsatzes von Dosenbier und Filterzigaretten. Eine präzisere Personenführung und die Konzentration auf die Konflikte hätten da schon genügt, den Rest erledigt die Musik d'Alberts, wenn sie so ausgefuchst gespielt wird wie vom Museumsorchester. [GD]

 

klassik.com
10.12.2006

Eugen d'Albert, Tiefland (Premiere)
Halbgarer Verismo-Schinken
Anselm Weber inszeniert „Tiefland" in Frankfurt

Kritik von Andreas Schubert

Nach Detlev Glanerts ‘Caligula’ und Rimski-Korsakows ‘Die Zarenbraut’ bringt die Oper Frankfurt mit ‘Tiefland’ nun schon die dritte Neuproduktion eines selten gespielten Bühnenwerkes in Folge, und bekräftigt damit ihren bereits in den letzten Spielzeiten konstatierten Anspruch, ungewöhnliches und interessantes Repertoire zu bieten; ein Kurs, der das steigende Ansehen und charakteristische Profil des Hauses ganz entscheidend mitbestimmt hat. Während so durch manch herausragende Produktion zumindest lokal eine Lanze für oft geschmähte Werke gebrochen werden konnte, bleibt die aktuelle Umsetzung von Eugen d’Alberts Musikdrama insgesamt zu konturlos, um einer verdient nachhaltigen Rezeption dienlich zu sein.

Ohne roten Faden

Dabei führte ‘Tiefland’ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Aufführungsstatistiken noch vor Wagner und Verdi an und hätte durchaus großes Potenzial, sich seinen einst besetzten, festen Platz im Repertoire zurückzuerobern. Als singulär dastehende, von spanischen Volksweisen durchsetzte Synthese deutsch-wagnerscher und italienisch-veristischer Stilelemente entfaltet d’Alberts Musik einen eigenartigen, unwiderstehlichen Reiz, während sich das zu Grunde gelegte katalanische Schauspiel ‘Terra baixa’ von Angel Guimerà – trotz schematischer dramaturgischer Konstruktion – als ungemein bühnenwirksam erweist. Schöne Melodien, ein weites expressives Spektrum, starke Charaktere und ein effektvolles Kolorit: kurz, eine in jeder Hinsicht dankbare Aufgabe für Regisseur, Dirigent und Sänger.

Und doch kam es am Frankfurter Premierenabend nicht zum erhofften Sensationserfolg, was wohl in erster Linie der indifferenten szenischen Realisation durch Anselm Weber anzulasten ist. Nah am Libretto modernisiert er die Geschichte behutsam und zeichnet ein kalt-industrielles Bild vom Tiefland, das, von Arbeitslosigkeit und Missgunst geprägt, den elementaren Kontrast zum idyllischen Hochland akzentuiert. Die dörfliche Mühle wird Großbäckerei (Bühne: Hermann Feuchter), in der die Belegschaft gafft und tuschelt und wo das Mädchen Nuri umher springt, auf Lorenschienen balanciert, mit bunter Kreide Blumen und Schmetterlinge auf den Betonboden malt, die – man ahnt es – draußen im Tal gar nicht mehr zu finden sind.

Keine Frage, dass Weber dem Stück grundsätzlich vertraut. So versucht er nicht, die zentrale Allegorie der über allem thronenden Berge symbolisch aufzulösen oder zu abstrahieren, sondern huldigt ihr mit großflächigen Prospekten, die im Vorspiel hell erleuchtete Gletscher zeigen und auch durch das Tor der tristen Fabrikhalle in Akt I und II als fernes Versprechen des Glücks sichtbar bleiben. Unverzeihlich aber und letztlich verantwortlich für den halbgaren Eindruck, den das Ganze hinterlässt, ist, dass es Weber nicht gelingen will, diesen an sich viel versprechenden Rahmen mit dramaturgischer Substanz auszufüllen. Der Inszenierung fehlt es an Perspektive, an zielgerichteter Herausarbeitung einzelner Aspekte, am roten Faden. Auch die Personenregie hat nur zuweilen lichte Momente, woraus besonders im ersten Akt Längen resultieren.

Als hätte Weber dies selbst gemerkt, platziert er gegen Ende mit einigen leicht bekleideten Tänzerinnen sowie einem gut deutbaren Leuchtbild noch eine kalkuliert plumpe Anspielung auf ‘Moulin Rouge’, wo ja schließlich auch eine Mühle als örtliche Folie für die gewaltsamen Ausnutzung einer Frau herhalten muss. Dafür gab es zumindest eine Publikumsreaktion – die Einzige an diesem Abend.

Orchestraler Hochgenuss

Musikalisch war da schon mehr Positives anzumerken. Zunächst einmal ist gelungen, was schon im Uraufführungsjahr 1903 erhebliche Probleme bereitete: einen Sänger zu finden, der die anspruchsvolle Partie des Pedro überhaupt durchstehen kann. John Treleaven erwies sich als richtige Wahl für diesen ‚Job’ und teilte sich den Abend trotz einer rückhaltlos ausgesungenen Wolfserzählung kräftemäßig gut ein. Mehr als die Ablieferung lauter Töne vermochte er jedoch nicht zu bieten – über weite Strecken klang sein Tenor angestrengt und in der Höhe glanzlos. Dies wurde vor allem im Anfangsduett deutlich, wo Treleaven sich dem direkten Vergleich mit dem strahlenden, gut registrierten Tenor von Peter Marsh (Nando) aussetzten musste.

Mit ähnlichen Schwierigkeiten (doch in weitaus geringerem Maße) kämpfte auch Michaela Schuster als Marta, deren schlecht fokussierte Spitzentöne Zweifel daran aufkommen ließen, ob ihr Mezzosopran den Belastungen dramatischer Sopranrollen auf Dauer standhalten kann. Starke Momente hatte sie im großen Monolog des zweiten Aktes, wo sie den lange präsenten Rezitationston vokal vielseitig schattierte, wie auch ihre restliche Gestaltung der Partie in Sachen Farbenreichtum kaum Wünsche offen ließ. Authentisch und suggestiv Schusters stummes Spiel, wenn sich während Pedros Szenen Martas anfänglicher Hass in Mitleid, Zuneigung und Liebe verwandelt.

In der dritten großen Partie des Don Sebastiano überzeugte Lucio Gallo mit potentem, kernigem Bariton und – trotz vernehmbarem Akzent – verständlicher Diktion. Die kleinen Rollen waren (mit Ausnahme von Juanita Lascarro als stimmlich solide und im Spiel glaubwürdige Nuri) ausreichend besetzt, wobei Magnus Baldvinssons abgesungener Tommaso und Elzbieta Ardams gepresst intonierende Rosalia merklich abfielen.

Star des Abends war jedoch keine Einzelperson, sondern das Frankfurter Museumsorchester unter der inspirierten Leitung des designierten GMD des Hauses, Sebastian Weigle. Mit schwelgerischer Klangpracht und äußerster Präzision gelang es Weigle, die sich vorwiegend im Horizontalen der Melodie ergehende (und oft dem Vorwurf der Trivialität ausgesetzte) Partitur in schönsten Farben aufblühen zu lassen. Passagen von berückender Lyrik wechselten mit Momenten dramatischer Durchschlagskraft, doch stets unter Wahrung klanglicher Balance und Transparenz der Leitmotivik. Ein orchestraler Hochgenuss, der große Erwartungen weckt für den Amtsantritt Weigles in 2008.

Während Sängern und Musikern engagiert Beifall gespendet wurde, quittierte das Publikum die Leistung von Weber und seinem Team mit spürbarer Irritation und Unentschiedenheit, ja Desinteresse. So korrespondierten die wenigen, halbherzigen Bravi- und Buhrufe vollkommen mit einer halbherzigen Regie, die niemandem weh tut, aber auch nichts zu sagen hat.

 

Der Neue Merker
12.12.2006

Oper Frankfurt d´Albert TIEFLAND
Halber, weil nur musikalischer Erfolg.

Die Oper Tiefland erfährt in den letzten Jahren eine Wiederbelebung allerorts. Zürich, Düsseldorf und jetzt Frankfurt wagen sich an die im dritten Reich so beliebte deutsche Verismo- Oper, um sie im neuen und unverstellten Licht der heutigen Generation vorzustellen. In Frankfurt gelang diese Wiederbelebung musikalisch sehr, szenisch gar nicht. Der Bühnenraum von Hermann Feuchter stellte eine moderne Verladestelle dar, die bei offenem Tor mit Hintergrundprospekten eine heile Bergidylle mit Glitzermond durchscheinen ließ. Das Eurotrash nennen so etwas die Amerikaner, und Trash ist es diesmal wirklich, denn das Raum entwickelt sich nicht, steht schlecht beleuchtet wie ein Koloss da, lebt nicht, denn hat nicht die Patina und Geschichte eines Viebrock- Abraums. Die Kostüme (Bettina Walter), uniform und belanglos, fast am Rande der Lächerlichkeit; verstärken diesen Eindruck leider. Regisseur Anselm Weber tappt in die Realismusfalle. spielt das Stück ansonsten brav eins zu eins ab – dann lieber gleich Zeit und Ort werkimmanent -, entwickelt keine Spannungsgeflechte und muss sich so auf starke Einzelleistung seiner Protagonisten verlassen. Die Chorregie sieht aus, als sei sie in einer halben Stunde entwickelt und geprobt worden. Seit Mouchtar-Samorais Peter Grimes und Loys Faust, die genialisch die Einzelpersönlichkeiten der Chorsolisten herausarbeiteten, ist der Frankfurter Chor leider sehr oft szenisch stiefmütterlich behandelt worden. Regisseure mit Geschick in dieser Hinsicht scheinen seltener zu werden. Durch szenische Undeutlichkeiten und Unverbindlichkeiten wird das ziemlich schwache Libretto leider nicht aufgewertet.

Aber es ist teilweise ein großer Abend, dank der musikalischen Seite: Sebastian Weigle am Pult des Museumsorchesters hat einen feines Gespür für Farben und Agogik. Er motiviert zu sattem Streicherklang und rundem, großem Tutti, aber er begleitet auch stets aufmerksam und übertüncht nie die Sänger. Unbedingt erwähnt werden muss hier Martina Beck, die die Hirtenklarinettensoli am Bühnenrand mit solistischer Emphase und ruhender Größe in den Raum wohltönend verströmte.

Die Sänger waren, wie zuletzt immer in Frankfurt, auf ganz hohem Niveau: Michaela Schuster ist herausragend. Sie besitzt die eine reichhaltige, dramatische Stimme mit bezauberndem Timbre ohne technische Mühen. Und eine Seltenheit bei dramatischen Frauenstimmen: man versteht jedes Wort. So gelingt es ihr, alle Facetten der Marta filigran auszuloten und den Spannungsbogen über die ganze Oper differenziert zuziehen. John Treleaven als Pedro hat nur zu Beginn einige Härten in der Stimme, aber gerade im zweiten Teil blüht sein Heldentenor wunderbar auf, und ihm gelingt auch, den Naivling glaubhaft zu machen. Das Duett der beiden ist sicher ein Höhepunkt des Abends. Lucio Gallo, der an sich eher idiomatisch bedingt im Italienischen zuhause ist, singt überraschend verständlich, teils mit großem heldenhaften baritonalem Pathos. Darstellerisch einfarbig hängt er als Sebastiano allzu sehr in der Schablone des Schurken. Ein Lichtblick dramaturgisch wie stimmlich ist die warmstimmige Nuri von Juanita Lascarro. Bewundernswert souverän und bassbaritonal sehr konturiert springt Dietrich Volle wohl kurzfristig als Moruccio ein. Der Hirte Nando wird von Peter Marsh mit klar leuchtendem Tenor mehr als sehr gut verkörpert. Ein bisschen holzig, Magnus Baldvinsson´s Bass als Tommaso, hingegen fast überbesetzt die drei erstklassig singenden Damen von der Mühlstelle: Sonja Mühleck, Claudia Mahnke und Elzbieta Ardam.

Es lohnt sich, dem Werk Eugen d´Alberts wieder zu begegnen, auch wenn in der Frankfurter Aufführung gerade szenisch nicht viel gelungen ist. Ein Hörgenuß bleibt es allemal.

Damian Kern

 

opernnetz
13.12.2006

Verismo - Spätromantik - Postmoderne

Alte dramatische Geschichten zu erzählen, kann nostalgische Erinnerungen nach oben spülen. Wenn diese Geschichten allerdings zum literarischen, historischen, musikalischen, inszenatorischen Selbstzweck werden, fragt man sich nach der „Bedeutung" des Unterfangens. So geht es d’Alberts Tiefland, diesem bemühten Bankert von italienischem Verismo und deutscher Spätromantik (1906 uraufgeführt), wenn nur postmodern-akzentuierte Kostüme seine zeitgebundene Erzählweise „aktualisieren" .

In Frankfurt ist eine Inszenierung Anselm Webers zu erleben, die offenbar der Botschaft des tümelnden Werks vertraut und die Moral der Ganghofer-Romane und die Klischees der unsäglichen Heimatfilme reproduziert. Ein gültig-abstrahierender Umgang mit dem Drama um den Naturburschen Pedro und die vom Großgrundbesitzer Sebastiano missbrauchte Marta ist nicht zu konstatieren. Die Abläufe folgen devot der Vorlage, und das Bühnenhandeln ist eine nervende Abfolge bloß einstudierter Gänge.

Auch Hermann Feuchters Dekorationen setzen auf unbegriffene Klischees, ohne den Berggipfel-Prospekt, die industrialisierte Mühle oder das postmoderne Dorf zum Mittel reflektierbarer Emotionen aufzuwerten (Kostüme : Bettina Walter).

Das überzeugend spielfreudige Ensemble gibt eine Vorstellung davon, welch auch heute noch nachvollziehbare Emotionaliät in dem eigentümlichen Werk steckt: die soziale und sexuelle Hörigkeit der Marta wird von Michaela Schuster intensiv vermittelt. John Treleaven ist ein naiv-unkundiger Naturbursche und Lucio Gallo gibt einen skrupellosen lokalen Potentaten. Ihr Gesang arbeitet sich an den stilistischen Unsauberkeiten d’Alberts ab, lässt aber in demonstrativen Solo-Nummern stimmliche Glanzlichter aufblitzen. Aus dem engagierten Frankfurter Ensemble besonders hervorzuheben: Juanita Lascarro als unschuldig-fragende Nuri.

Sebastian Weigle kann sich mit dem technisch perfekten Frankfurter Museumsorchester nicht für eine konsequente Spielart entscheiden: es will kein Duktus entstehen, der die ambivalente Atmosphäre klanglich nachvollziehbar umsetzt.

Eine kompetente dramaturgische Bearbeitung von Libretto und Partitur hätte dem musealen Opus sicherlich gut getan. So verlässt das gnädig gestimmte Frankfurter Publikum einigermaßen ratlos den Ort der „erschröcklichen Thaten". (frs)

Musik 3/5
Gesang 4/5
Regie 3/5
Bühne 3/5
Publikum 3/5
Chat-Faktor 3/5

 

Il giornale della musica
11 dicembre 2006

Tiefland e l'equivoco della modernità

A Francofore va in in scena "Tiefland" di d'Albert, singolare caso di opera verista di area germanica. Purtroppo la regia di Anselm Weber ne tradisce lo spirito, tentandone una impossibile attualizzazione, contestata dal pubblico. Eccellente la compagnia di canto su cui spiccano i tre protagonisti Michaela Schuster, John Treleaven e Lucio Gallo. Dirige con misura e giusto slancio Sebastian Weigle, futuro direttore musicale dell'Oper Frankfurt.

Ci sono opere che non sopravvivono a letture inadeguate e velleitarie. Successe anni fa al "Sogno di un walzer" svuotato di senso da un'ambientazione nel realismo cementizio di una stazione della metropolitana e ritirato velocemente dal repertorio. Succederà probabilmente anche a questa infelice produzione di "Tiefland".

L'opera di d'Albert, citata spesso come esempio di opera verista di area germanica, è in effetti un tipico prodotto di inizio Novecento: intreccio di passioni brucianti destinate ad un finale tragico, sentimentalismo ipertrofico, generosa vena melodica a rendere il tutto, se non verosimile, almeno accettabile all'orecchio. In più nel libretto di Lothar rimane qualche traccia di tematica sociale, ben più presente nel dramma del catalanista Guimerá, nel conflitto fra misticismo della montagna e corruzione della civiltà del bassopiano. Traccia alla quale Anselm Weber si appiglia, cercando un messaggio attuale in un'opera fatalmente datata. Oltre ad una ambietazione iperrealistica nello squallido capannone industriale, disegnato da Hermann Feuchter, che aggiorna l'anacronistico mulino dell'originale, di idee nuove se ne sono viste poche. Paradossalmente, per la scarsa cura del gesto teatrale, lo spettacolo risulta vecchio e stereotipato.

Molto meglio il piano musicale, che può contare su una compagnia vocale di gran livello. Se dello stentoreo Treleaven si apprezza più la sicurezza nella tessitura spinta, Michaela Schuster e Lucio Gallo convincono pienamente per l'onesta adesione ai rispettivi ruoli nonché per l'ottima musicalità. Fra i ruoli minori, citiamo la fresca Nuri di Juanita Lascarro, il solido Tommaso di Magnus Balvinsson e il preciso Nando di Peter Marsh. Sebastian Weigle ha diretto con misura e giusto slancio un'orchestra al meglio della forma.

Stefano Nardelli