Wenn Politik und Kirche alles Private zerstören Von Birgit Popp Mit Verdis „Don Carlos" kommt eines der bedeutendsten Werke der Operngeschichte auf die Frankfurter Bühne, wo das Stück zuletzt vor 37 Jahr inszeniert wurde. Ein Werk, dessen tiefgreifende Aussagen zur Gedanken- und Religionsfreiheit, zum Zwiespalt zwischen von außen aufgezwungenen Entscheidungen und inneren Wünschen, zur Bedeutung von Freundschaft, Vertrauen, Misstrauen und Verrat, über Jahrhunderte hinweg zeitlose Aktualität und fortwährende Gültigkeit besitzen. Sowohl Schillers 1787 veröffentlichtes Drama als auch Verdis Oper bringen jedoch nicht die realen, historischen Personen auf die Bühne, sondern dramatisch verdichtete, idealisierte, teils auch fiktive Figuren wie den Marquis von Posa (in Frankfurt gesungen von George Petean), die männliche Lichtfigur der Oper. Der „Don Carlos" hat Verdi einen Großteil seines künstlerischen Schaffens begleitet. Insgesamt gibt es nicht weniger als sieben verschiedene Fassungen des Werkes. 1867 wurde es als fünfaktige, französische Oper in Paris mit Balletteinlagen uraufgeführt. Eine vieraktige, italienische Fassung ohne den Fontainebleau-Akt zu Beginn der Oper folgte 1884, während die Frankfurter Inszenierung auf der letzten italienischen Fassung in fünf Akten von 1886 basiert. Den Fontainebleau-Akt aufzuführen macht die Handlung für die Opernbesucher verständlicher, denn er zeigt, dass sich Don Carlos in seine ihm zugedachte Verlobte Elisabeth bereits verliebt hatte, bevor sein Vater Philipp II. sich entschloss, sie aus Staatsräsongründen selbst zu heiraten. Im „Don Carlos" hat Verdi neue musikalische Wege beschritten, gänzlich weg von der Nummernoper, weniger Arien, dafür mehr Duette und Ensemblesätze und durchkomponierte Szenen geschrieben. Und wie der musikalische Leiter der Frankfurter Neuinszenierung, der Italiener Carlo Franci feststellt: „Die Farbe der Partitur ist oft düster, der Weg zu einem beklemmenden, bleiernen Höhepunkt, nur unterbrochen von blendenden Blitzlichtern wie der ‚Canzone del velo‘, dem Schleierlied, gesungen von der Prinzessin Eboli. Die Komposition ist ein echtes Eintauchen in das Licht Spaniens." Und ein Meisterwerk an subtiler, farbenreicher Orchestrierung. Bestes Beispiel hierfür ist das melancholische Cello-Vorspiel zu Philipps Arie „Ella giammai m’amo" (Sie hat mich niemals geliebt) zu Beginn des vierten Aktes. Im anschließenden Wortduell von König Philipp II. und dem Großinquisitor, in dem die weltliche der kirchlichen Macht unterliegt, hat Verdi das wohl gewaltigste Bassduett der Opernliteratur geschrieben, aber auch der Treueschwur von Posa und Don Carlos (Yonghoon Lee) oder die Sterbeszene Posas suchen ihresgleichen. Nicht zu vergessen die beiden Glanzpartien für Sopran und Mezzosopran in den Figuren der Königin Elisabeth (Annalisa Raspagliosi) und der Prinzessin Eboli (Michaela Schuster). Auch fürs Auge will die Frankfurter Inszenierung einiges bieten: Die von Brigitte Reiffenstuel entworfenen Kostüme, für die mehr als zwei Kilometer Stoff verarbeitet wurden, sind bis aufs kleinste Detail der historischen Kleidung aus der Mitte des 16. Jahrhunderts nachempfunden. Doch Regisseur David McVicar geht es weniger um den optischen Genuss für die Zuschauer als um ein authentisches Gefühl: „Beziehungen zwischen den Menschen haben immer mit gesellschaftlichen Gegebenheiten zu tun, und die kann man nicht ohne schwerwiegende Eingriffe in das Handlungsgefüge verändern. Sänger tragen keine Kostüme, sondern Kleidung." Und weiter: „Im ,Don Carlos‘ interessiert mich die Idee der Vaterfigur als tyrannischer Patriarch. Die Vaterfigur erscheint wörtlich als Philipp, politisch als der Inquisitor und sinnbildlich in der zerstörerischen Dominanz der Kirche." In der Partie des Philipp wird Kwangchul Youn sein Debüt in Frankfurt geben, wo er am 7. November auch in einem Liederabend zu hören sein wird. Der Südkoreaner zählte in den Jahren 1993 bis 2004 zum Ensemble der Berliner Staatsoper und ist heute regelmäßiger Gast an Häusern wie der Wiener Staatsoper, der Met und in Bayreuth. Für den „Spezialisten" für Königspartien (Heinrich der Vogler/„Lohengrin", Marke/„Tristan und Isolde", Philipp/„Don Carlos") zählt die Partie des zweifelnden, spanischen Königs zu einer der größten Herausforderungen für einen Bass, „In der Inszenierung an der Berliner Staatsoper habe ich sowohl den König als auch den Großinquisitor gesungen, aber die Partie des Königs ist viel vielschichtiger und stimmlich viel farbenreicher. Es ist eine Partie, in der man eine umfangreiche Palette an Gefühlen zeigen muss. In der italienischen Oper ist diese Rolle eine Krönung für einen Bass-Sänger", so Youn. „Für mich ist Philipp ein Mensch, wie du und ich, eigentlich ein armer Bube. Die Politik und die Kirche haben alles Private zerstört. Er ist ein sehr sensibler, facettenreicher Mensch. Auf ihm ruht viel Last. Er versucht seine Familie und sein Land zu retten." |
Opulenter Opern-Stoff Frau Reiffenstuel, der Intendant der Oper Frankfurt Bernd Loebe sagte kürzlich über den "Don Carlo": "Wir haben bei dieser Produktion keine Kosten gescheut", und er verspricht eine fast allzu opulente Inszenierung. Hatten Sie einen doppelten Kostüm-Etat zur Verfügung? Dadurch, dass die Entscheidung für historisch korrekte Kostüme und für die fünfaktige Fassung dieser Oper gefallen ist, ging das Kostümbudget automatisch in die Höhe. Wir benötigen hier 220 Kostüme mit jeweils rund zehn Metern Stoff. Da muss man dann doch wieder recht sparsam umgehen. Wir haben hier weiß Gott nichts verschleudert. Historische Kostüme wie diese, bei denen wir uns an spanischen und französischen Abbildungen aus dem 16. Jahrhundert orientiert haben, sind immer teurer als moderne, die man zum Teil bereits von der Stange kaufen kann. 220 Kostüme - wie bewältigen Sie das? Bei dieser Menge konnten wir das nicht alles in den eigenen Werkstätten erledigen, sondern mussten vieles in externe Schneidereien geben. Warum hält sich Regisseur David McVicar, mit dem Sie zuletzt in Glyndebourne "Giulio Cesare" auf die Bühne brachten, so streng an die klassische Ausprägung, also an Ort und Zeit "Spanien um 1560"? Seine Frankfurter "Agrippina" katapultierte er voriges Jahr ja in die Jetztzeit. Jedes einzelne Werk immer in die Moderne setzen und im schwarzen Einheitsanzug spielen lassen zu müssen ist eine Art "German disease" und in dieser Berechenbarkeit schon wieder langweilig. McVicar dagegen überlegt bei jedem Stück neu, wo er es ansiedelt. Hat man als Kostümbildnerin Einfluss auf die zeitliche und stilistische Verortung einer Oper? Manchmal ja. David Alden etwa, mit dem ich am Münchener Nationaltheater häufig gearbeitet habe, ist da sehr offen. McVicar dagegen gibt das Thema vor. Bei ihm ist die zeitliche Positionierung einer der ersten Gedanken, auf dem er dann alles aufbaut. Was empfinden Sie persönlich als reizvoller: Kostüme mit Halskrause, Federhut und Degen oder abstrakte, zeitlose Ausstattungen? Ich finde beides reizvoll. Und weder das eine noch das andere gibt es in Reinform: Auch bei noch so historisch korrekten Kostümen muss man für die Bühne Details abstrahieren. Zurück zu "Don Carlo": Wie schafft man es, dass Sänger mit so viel Stoff am Leib sich dennoch frei bewegen und vor allem singen können? Sie müssen diese Kostüme mal probieren, die sind superbequem! Federleicht, aus besonderen, in England hergestellten Stoffen. Würde man die Sängerinnen in Kleider der damaligen Zeit stecken, würden die reihenweise ohnmächtig umfallen. Würden Sie auch mal dem Opernpublikum Kostüme schneidern? An der Mailänder Scala dachte man ja kürzlich über Bekleidungsvorschriften für Operngänger nach. Nein, gar nicht. Was das Publikum anhat, ist mir persönlich ziemlich egal. Ich finde es besser, wenn jemand an der Kleidung spart und nicht an der Opernkarte. Interview: Stefan Schickhaus [ document info ] |
|