WESTDEUTSCHE ZEITUNG
22. Juni 2008

Nachrichten
Oper: Meisterwerk vom 16-jährigen Mozart
Christof Loy inszeniert in Düsseldorf ein frühes Werk von Wolfgang Amadeus Mozart: das Drama „Lucio Silla". Jubel und Applaus.

von Sophia Willems


Celia (Romana Noack), Lucio Silla (Kerstin Avemo), Aufidio (Mirko Roschkowski), Giunia (Simone Kermes) und Titelheld Bruce Rankin. (Foto: Eduard Straub)

Düsseldorf. Wir sind in mehrfacher Hinsicht auf einer Baustelle. Nicht nur ist der Palast des römischen Tyrannen Lucio Silla mit Baugerüsten umstanden. Vielleicht sind das sogar schon die Barrikaden für den Volksaufstand. Auch das Portal ist zugemauert wie für eine Tote. Zumindest als Gefangene hält der Diktator auch die von ihm begehrte Giunia, Tochter des Marius, den er, Silla, ermorden ließ. Kurzum, das Schalten und Walten dieses grausamen Politikers ist insgesamt eine Baustelle, oder direkter: ein Trümmerhaufen.

Der sehr junge Mozart nahm sich eines sehr ernsten Themas an. Auch überrascht, wie oft da Menschen am Rande der Verzweiflung sich an Gräbern versammeln. Die ebenso ernste, feierliche Inszenierung von Christof Loy (Regie) und Herbert Murauer (weiß ausgeschlagene Bühne, strenge Kostüme und Anzüge), dazu Richard Traubs exzellent- diskretes Lichtdesign sind Partitur regelrecht abgelauscht.

Zentrales „Möbel" ist, umrahmt von fünf Lüstern, eine Hebebühne, auf der auf einem weißen Stühlchen die gefangene Guinia kauert und trauert, hat doch Silla ihr heimtückisch suggeriert, ihr Verlobter Cecilio sei tot. Und die Musik – Andreas Stoehr dirigiert ein Kammerensemble der Düsseldorfer Symphoniker, für die Accompagnati Cembalo und Violoncello – lässt in der ersten Ouvertüre aufhorchen: spritzig und dann wieder mit herrschaftlichem Auftritt, präsent und präzise.

Wie bei Michelangelo finden die Finger nicht zueinander

Doch das Ereignis dieser „opera seria", Mozarts zweiter, sind die mehr als zehn halsbrecherischen Koloraturarien. Simone Kermes als Giunia tobt durch die Tonleitern, dass man vergisst zu atmen.

Im zweiten Teil schreibt ihr Mozart eine Koloratur auf den Leib, in der die Schrecken nahenden Wahnsinns schreien. Denn Cecilios Plan ist: Sie soll Silla ehelichen, um ihn in der ersten Nacht zu erdolchen. Plötzlich stehen da drei Menschen mit Dolchen bereit: außer ihr noch Cecilio und Sillas Ratgeber Lucio Cinna. Silla ist erschüttert.

Eines kann man ganz schlicht sagen: es wird durchweg auf Weltklasse-Niveau gesungen. Vielleicht mangelt es der Musik gelegentlich an Obertönigkeit, aber das mag der Premierennervosität geschuldet gewesen sein. Außerdem legt Loy höchsten Wert auf eine sensible Personenführung; da gibt es nur überlegte, bedachte und begründete Bewegungen, Gesten und Konstellationen.

Wenn Giunia und Cecilio sich am Bauholz gegenüber sitzen, ihre Hände sich nicht erreichen können, sieht man Michelangelos Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle. Selbst im Moment, wenn Lucio ihr Gewalt antun will, schafft er es nur, die Gürtelschnalle zu öffnen. Da wird präzise Sillas Klage über seine Feigheit umgesetzt.

Auch wenn er zum unerwarteten Staatsakt antritt, die Ansprache an sein Volk hält und ihm seine überraschende Entscheidung mitteilt, künftig auf alles zu verzichten, vollzieht sich diese Revolution ohne martialische Gewalt oder pompöse Geste. So hat diese Inszenierung den Charakter eines Gesamtkunstwerkes.

Natürlich gab es schon nach jeder Koloraturarie Bravi und begeistertehn, beglückten Applaus, am Ende auch für Stoehr und die Musiker. Warum aber das Düsseldorfer Publikum teilweise dem Regisseur Loy nach wie vor die Anerkennung verweigert, ist sein Geheimnis.

Italien. Leopold Mozart schleppte seinen jungen Sohn über drei Jahre durch italienische Opernhäuser, zwei Uraufführungen schrieb er für Mailand: „Mitridate" als 14-jähriger, „Lucio Silla" als 16-jähriger. Doch die Hoffnung auf eine Festanstellung als Komponist erfüllten sich trotz außerordentlicher Erfolge nicht.

Handlung. Das Libretto von Giovanni di Gamerra handelt vom Tyrann Lucio Silla, der die meisten seiner Gegner, so auch Giunias Vater, ermordet hat. Ihr heimlicher Verlobter ist der verbannte Senator Cecilio. Silla aber will Giunia besitzen. Am Ende fasst er einen völlig überraschenden, weisen Entschluss.

Dauer. 3 Stunden und 20 Minuten. Eine Pause

 

Nord Rhein Zeitung
23.06.2008

Oper
Gefühlskämpfe in Zeitlupe
Düsseldorf. Buhrufe bei der Premiere von Mozarts "Lucio Silla" im Düsseldorfer Haus der Rheinoper. Christof Loys neuer Stil: Strenge, Reduktion und die Entdeckung der extremen Langsamkeit.

Von Michael-Georg Müller


Glänzen: Mariselle Martinez als Cecilio und Kerstin Avemo als Lucio Sinna.
(Foto: Eduard Straub)

Schwarze Wände rollen hin und her, trennen die erstarrte Welt des eisigen Diktators "Lucio Silla" von der Bretterbude des Senators Cecilio. Dessen Geliebte Giunia weckt die Gier des Tyrannen Silla - in Mozarts Opera Seria, die er als 16-Jähriger für den Mailänder Hof komponierte. Regisseur Christof Loy wählte ausgerechnet dieses selten gespielte Werk des Spätbarock, um seinen neuen Stil vorzustellen: Schwarz-weiß, Reduktion, strenge Choreographie und extreme Langsamkeit dehnten die Gefühlskämpfe am Hofe des römischen Imperators auf dreieinhalb Stunden. Das gefiel den Fans der Rheinoper nicht. So begeistert sie das hervorragende Sängerensemble feierten, für Loy donnerte es Buhrufe - nach der Vorstellung und sogar noch bei der Premierenfeier. Loy, dessen steile Karriere vor 12 Jahren hier begann, reagierte zornig, zeigte Nerven.

Schon während der Ouvertüre lässt Loy die Figuren - alle in dunklen Anzügen und Kostümen - auf der Rampe posieren und sich vorstellen. Halblaut, so dass auf dem Rang kein Wort zu verstehen ist. Danach schreiten sie auf einen Platz in dem weißen Kubus. Und warum fahren ein Riesen-Podest und Kristall-Lüster rauf und runte? Warum kommt der versöhnliche Schluss-Chor, mit der Barock üblichen Lobpreisung des geläuterten Diktators, vom Band? Müsste der Chor sonst zu viele Dienste machen, eine Sparmaßnahme?

Pessimismus und Bravourarien

Spannungslos, mit gedehnten Pausen und Tempi zieht sich die Geschichte des Liebespaares in die Länge. Alles wirkt anthrazit, wie die Anzüge. Lucio Silla mit polarweißen Haaren (Bruce Rankin mit flachem, wenig ausdruckstarken Tenor) hegt von Anfang an Zweifel an den harten Strafen für Giunia, die ihm die Liebe immer wieder verweigert. Sillas Freund Aufidio (Mikro Roschkowski mit strahlendem Tenor) rät ihm zwar dazu, den verbannten Cecilio zu töten, doch obsiegt am Ende der Entschluss zur Größe, zur Milde, zum Vergeben. Die düstere Strindberg-Stimmung, die vereisten Mienen und die räumliche Distanz zwischen Liebenden aber weisen auf Deprimierung und schwelende Selbstmord-Gedanken.

Loy, ein Pessimist? Dafür spricht die Art der Bewegung. Wie in Trance oder von Geisterhand geführt, schleichen sie im Zeitlupentempo, verkriechen sich in Embryonalhaltung, und selbst beim ihrem heimlichen Liebestreffen umarmen sich Giunia und Cecilio wie Marionetten, nicht wie Menschen aus Fleisch und Blut. Zum Glück reißen ab und zu zwei Hauptdarstellerinnen und zwei Nebenfiguren den Abend durch ein Feuerwerk von Koloraturen aus Lethargie und Zähigkeit. Hochdramatisch spannend und sinnlich legt Simone Kermes die Bravourarien an, sie fasziniert durch Pianissimo-Zauber in Höchst-Registern und aberwitzige Koloraturschleifen. Ebenso brilliert Mariselle Martinez mit großem, tiefem Mezzospran, samtigem Timbre und runden Höhen. Eine Entdeckung ist die Schwedin Kerstin Avemo (Cinna), die ihren schlankgeführten Sopran selbst in Koloraturen zum Glühen bringt. Nicht weniger die aparte Romana Noack: Sie überzeugt durch Stilempfinden und Sicherheit. (NRZ)

 

Koelnischer Rundschau
22.06.2008

„Lucio Silla"
Rettung bietet nur der Gesang
VON OLAF WEIDEN

Christof Loy inszeniert an der Rheinoper "Lucio Silla" von Mozart. Alles, was Freude, Hoffnung und Erfolg verspricht, wurde ausgemerzt. Selbst der Chor wurde gestrichen. Das schöne Haus der Deutschen Oper wird auf der Bühne wieder zur Baustelle.

DÜSSELDORF. Die Bühne flankieren Baugerüste, ein Laufsteg aus wackeligen Holzplanken weist in Richtung Orchestergraben. Ein paar einsame Stühle, fünf prächtige Lüster, dies beschreibt die renovierungsbedürftige Welt des Lucio Silla, Diktator zu Rom, 80 Jahre vor Christi. Optisch trocknet das schwarz-weiße Bild in der Düsseldorfer Neuinszenierung der Opera seria den Bühnenstreich des 16-jährigen Mozart aus. Musikalisch treiben die zahllosen komponierten Tränen zu Liebes- und Todesschwüren Blüten für eine beinahe konzertante Operngala ausgesucht schöner Stimmen.

Alles, was Freude, Hoffnung und Erfolg verspricht, ward ausgemerzt. Selbst der Chor, der irgendwann ob glücklicher Fügung sein „Gloria" anstimmen sollte, wurde gestrichen. Regisseur Christof Loy und sein Ausstatter Herbert Maurer haben in dieser Koproduktion mit der Kopenhagener Oper reduziert bis unter die Haut: Das schöne Haus der Deutschen Oper am Rhein, das gerade erst seine Generalüberholung überstanden hat, wird auf der Bühne wieder Baustelle. Drei Stunden rasen Koloraturen aus verschiedenen Kehlen über Berg und Tal. Es gibt sechs Menschen auf der Bühne. Fünf davon schmetternd virtuose Bravour- bzw. Rache- bzw. Todesarien. Kein Duett, kein Terzett, keine Ensembles, keine Choraufläufe lassen die Einsamkeit der leidenden Einzelpersonen erträglicher erscheinen. Und Lucio (Bruce Rankin), der Tyrann, kriegt nicht Weib noch den Gesang: Die Rolle ist sängerisch bescheiden, vielleicht, weil Mozarts Tenor vor der Premiere in Mailand ausfiel, vielleicht als psychologisches Rollenprofil. Letzteres käme dem Regisseur entgegen, denn er setzt auf die Einsamkeit seiner Held(inn)en. Und auf den Begeisterungswillen seines Dirigenten Andreas Stoehr, der neben der Direktion seiner voll tönenden Düsseldorfer Symphoniker noch das Basso continuo der Rezitative am zweiten Cembalo ausficht.

Apropos Rezitative: Sie sind sehr frei ausgestaltet, langes Schweigen erzeugt Kälte, die erbarmungslos ausgekosteten Pausen zerfressen auch den musikalischen Fluss. Aber es wirkt in die gewünschte Richtung: Rettung für die verzweifelten Seelen und für das Publikum bieten nur die herrlichen Vor- und Nachspiele Mozarts, die Arien und ihre Interpreten: Allen voran die große Simone Kermes als von Silla gefangene und begehrte Giunia, die ein Feuerwerk an Technik mit Kraft zündete.

Geliebt wird sie auch von Cecilio, mit Mariselle Martinez in einer Hosenrolle, mit brustiger Tiefe und glühendem Kern in der Stimme. Selbst Romana Noack als Sillas Schwester und der Tenor Mirko Roschkowski als Freund begeisterten Stimmliebhaber. Die zweite Hosenrolle Lucio Cinna, eine Figur zwischen den Fronten, sang die schwedische Sopranistin Kerstin Avemo so mühelos natürlich und verinnerlicht, das war ein kleines Wunder.

Vorstellungen heute, 25., 27., 29. Juni. Karten 0211-89 25 211.

 

WIENER ZEITUNG
Sonntag, 22. Juni 2008

Rheinoper: Regie-Star Christof Loy und der Wiener Dirigent Andreas Stoehr reüssieren mit Mozarts "Lucio Silla"
Machtkonflikte im Business-Grau
Von Oliver Schneider


Ein schnörkelloses Intrigenspiel:
Simone Kermes (Giunia) und Bruce Rankin (Silla) in Düsseldorf.
Foto: Eduard Straub

Menschliche Kälte und Unterdrückung prägen die Schreckensherrschaft des Lucio Silla respektive des historischen römischen Diktators Sulla. Der geächtete Senator Cecilio und die von ihm geliebte Giunia dürfen nicht zueinander finden, weil Silla Giunia selbst heiraten möchte. Da sie ihn aber zurückweist und ein Mordanschlag Cecilios auf den verhassten Diktator misslingt, erwarten beide den Tod. Anders als erwartet, verzeiht Silla seinen Widersachern und legt sein Amt nieder.

An der Rheinoper in Düsseldorf lässt Christof Loy Mozarts "Lucio Silla" in einem modernen Staat spielen, in dem Misstrauen und Distanziertheit vorherrschen. Ausstatter Herbert Murauer hat einen nackten weißen Raum geschaffen, in dem nur einige Kronleuchter und Sessel an die Entstehungszeit von Mozarts Jugendoper erinnern. Baugerüste, eine polyvalent genutzte Hebebühne und die später in weißes Tuch eingehüllten Leuchter bereiten szenisch das Opera-seria-typische und historisch begründete Happy End vor.

Distanzierte Akteure

Silla ist ein Politiker in Business-Grau, der sich schon altersmäßig von den übrigen Protagonisten abhebt. Ein von Selbstzweifeln geplagter Tyrann, dessen Wandel zum geläuterten Herrscher Bruce Rankin am Schluss durch seine Ansprache durchs Mikrofon glaubwürdig wiedergibt.

Ihm gegenüber stehen vier junge Menschen: vor allem Cecilio und Giunia, die sich nur noch nach dem Tod sehnen. Aber auch der knabenhafte, äußerlich zum Establishment gehörende Cinna, der eigentliche Drahtzieher des Mordanschlags, und die ihn liebende Celia, Sillas Schwester.

Loys Personenführung ist schnörkellos wie die Bühne und auf die inneren Konfliktsituationen der Protagonisten fokussiert. Interaktionen und körperliche Nähe sind auf ein Minimum beschränkt. Konsequenterweise steht auch kein singender Chor auf der Bühne; stattdessen gibt es einen männlichen Bewegungs chor, der dem Silla mit Misstrauen begegnet.

Nur im Finale lässt Loy das Volk aus scheppernden Lautsprechern jubeln – wie bereits in seiner "Armida" im Salzburger Festspielsommer des Vorjahres. Auch der seit Jahren zu den festen Stützen der Rheinoper gehörende Regisseur kocht nur mit Wasser.

Musikalisch stechen zwei Sängerinnen aus dem volltönend und mit jugendlicher Frische singenden Ensemble hervor: Die Chilenin Mariselle Martinez weiß ihrer vibratoreichen, warmen Stimme für den Cecilio alle nur erdenklichen Farben zu entlocken und bewältigt die Registersprünge souverän. Virtuos und bravourös in den wahnwitzigen Koloraturen gibt Simone Kermes die Giunia als starke Frau in Existenznöten.

Unter dem Wiener Dirigenten Andreas Stoehr entfalten die Düsseldorfer Symphoniker einen durchsichtigen, wenn auch traditionellen Klang. Stoehr arbeitet die Gegensätze zwischen den vielen Ombra-Szenen und den dramatischen Momenten scharf heraus und lässt seine Musiker dabei prägnant artikulieren.

Oper s Lucio Silla von Wolfgang A. Mozart
Andreas Stoehr (Dirigent) Christof Loy (Regie) Mit Bruce Rankin u. a.

 

www.Opernnetz.de
23. Juni 2008

Die opera seria als Baustelle

Wolfgang Amadeus Mozarts „Lucio Silla" ist eine Randerscheinung im Spielplan der Opernhäuser. Und nach der Premiere in der Düsseldorfer Rheinoper – ein durch und durch überwältigender Erfolg für das Haus - beginnt man zu ahnen, weshalb. „Lucio Silla" nämlich rechnet mit einem Sängersextett, das höchsten Anforderungen genügen muss. Mozart standen für seine dritte Oper, die er im Alter von 16 Jahren für Mailand schrieb, die besten Künstler Italiens zur Verfügung. Die lockte der junge Heißsporn mit aberwitzigen Koloraturen, überlangen Phrasen, wahnsinnigen Sprüngen aus der Reserve. Welches „normale" Stadttheater kann heutzutage dieses Stück adäquat besetzen?

In Düsseldorf gelingt dies. Und neben der musikalischen Qualität ist es die Inszenierung von Christof Loy, die überschäumend gefeiert wird – von nörglerischen „Buhs" einmal abgesehen. Dabei unternimmt der Regisseur eigentlich nichts Spektakuläres. Wie auch? „Lucio Silla", die Geschichte des römischen Diktators, der seine Grausamkeit ablegt und am Ende seinen Feinden verzeiht, ist wenig theatralisch. Doch für den jungen Mozart beginnt mit diesem Werk das Ringen um eine neue Form der Oper, das Bemühen, die opera seria zu reformieren. Eine formale Baustelle sozusagen.

Diesen Gedanken nimmt Christof Loy auf und lässt sich von Herbert Murauer einen noch unfertigen Festsaal auf die Bühne stellen; ausgestattet mit Gerüsten, einem in der Höhe variablen Podest, etlichen schon zum Einsatz bereiten Kronleuchtern und einem Mikrofonverstärker. In dieser schlichten Umgebung sprühen sie: die großartigen Gefühle, die eruptiven Ausbrüche von Hass und Verzweiflung, innigste Glücksmomente. Dies alles gekleidet in eine unglaublich sprechende, anrührende Musik!

Eine fortschreitende Handlung tritt gegenüber dem expressiven musikalischen Moment deutlich zurück. Und auch hier greift Loys Baustellengedanke. Bei ihm bewegen sich die Solisten in Konzertkleidung gemessenen Schrittes über die Rampen und Ebenen, stellen sich zueinander, tauschen Blicke aus - wie es ihrer Gemütsverfassung entspricht. Nicht um die Entwicklung von Figuren, sondern um die Auslotung von Emotionen geht es.

Hier steht und fällt alles mit den Stimmen, wobei man in Düsseldorf fast ausnahmslos aus dem Vollen schöpfen kann: einzig Bruce Rankin in der Rolle des Titelhelden bietet Mittelmaß, singt verhalten und ist unsauber in der Intonation. Mirko Roschkowski gibt mit ebenmäßigem und jederzeit strahlendem Tenor den Silla-Vertrauten Aufidio. Kerstin Avemo als Lucio Cinna und Romana Noack als Celia, der Schwester des Diktators, lassen ihren schönen Sopranen freien Lauf, singen mit Bereitschaft zum Risiko, ohne angezogene Handbremse, formulieren virtuos und mit großer Sicherheit ihre aberwitzigen Klangkaskaden.

Der verbannte, heimlich zurückgekehrte Cecilio, der die von Lucio Silla begehrte Geliebte Giunia retten will, ist Mariselle Martinez. Ihr toller Mezzo erfüllt alle von Mozart verlangten Tugenden: füllige Tiefe und brillante Höhe, stupende Koloratursicherheit und intensive Farben. Als Giunia - im Grunde die Hauptrolle der ganzen Oper - ist in Düsseldorf Simone Kermes verpflichtet, die sich im barockem Repertoire sehr profiliert hat. Und das merkt man auch hier in dieser Inszenierung. Ihre Arien setzt Kermes zu wahren Feuerwerken um, jede Koloratur ist auf das Feinste gearbeitet, noch jede geringste Schattierung von Emotion kommt zum Ausdruck - bis ganz zum Schluss, wo sie im fiktiven Dialog mit ihrem Geliebten ihr ergreifendes „Frà i pensier" anstimmt, begleitet von den con sordino spielenden Streichern. Gänsehaut pur!

Den vollen Erfolg dieser Mozart-Produktion runden die Düsseldorfer Symphoniker unter Andreas Stoehr ab. Gut, wenn ein Opernhaus einen in historischer Aufführungspraxis bewanderten Kapellmeister engagiert hat. So können „ganz normale" Orchestermusiker zu Spezialisten werden, die Mozart jeden Moment lang lebendig werden lassen.

Christof Loys Inszenierung ist auch in der kommenden Spielzeit 2008/2009 zu sehen. Nichts wie hin! Man sollte sich allerdings auf einen langen Vier-Stunden-Abend einstellen. Ein Teil des Premieren-Publikums schien damit überfordert und verließ das Theater statt zur Pause erst später: mitten oder gegen Ende des zweiten Aktes. Ein Fauxpas ersten Ranges - und das in der sich ach so etwas auf die Etiketten haltenden Landeshauptstadt!

Christoph Schulte im Walde

nnnnn Musik
nnnnn Gesang
nnnnn Regie
nnnnn Bühne
nnnnn Publikum
nnnnn Chat-Faktor

 

onlinemusikmagazin
29. Juni 2008

Familienkrach im Hause Silla
Von Stefan Schmöe

Mozart war gerade einmal 16 Jahre alt und befand sich auf seiner zweiten Italien-Reise, als er im Herbst 1772 auf einen Auftrag aus Mailand hin den Lucio Silla komponierte. Ein allzu großer Erfolg war die Uraufführung am 26.12.1772 allerdings nicht, jedenfalls zerschlugen sich Mozarts Hoffnungen, in Italien eine feste Anstellung zu finden. Gelegen hat dies, auch wenn es paradox anmutet, womöglich an der hohen Qualität des Werkes, das zwar dem Schema der opera seria folgt, aber bereits unverkennbar individualistische Züge zeigt: Mozarts Gespür für Figurenzeichnung könnte das adelige Publikum, das in den Jahren zuvor an den konventionelleren Werken Mitridate und Ascanio in Alba Gefallen gefunden hatte, allzu sehr irritiert haben. Mozart verließ Mailand enttäuscht – und kehrte nie wieder nach Italien zurück.


Vergebliche Annäherungsversuche: Lucio Silla (Bruce Rankin) und Giunia (Simone Kermes)

Hört man Lucio Silla heute, so sind die Eindrücke ambivalent. Auf der einen Seite ist das großartige Musik, die über das halbwissenschaftliche Interesse an der Entwicklung des Genies Mozart hinaus die gelegentliche Aufführung allemal wert ist; auf der anderen Seite ist aber der riesige Abstand zum Figaro oder Don Giovanni unüberhörbar. Es wird an dieser Produktion frappierend deutlich, in welchem Maß Mozart einige Jahre später das gängige Opernschema gesprengt und mit der Konvention gespielt hat. Das Erfassen von Gefühlsregungen in Sekundenbruchteilen, das brillante Wechselspiel von Text und Musik – davon ist Lucio Silla noch weit entfernt. Aber es zeichnen sich Modelle ab, die Mozart später aufgreifen wird, inhaltlich wie musikalisch. So lehnt Giunia das Liebesbegehren des Diktators Silla mit musikalischen Floskeln ab, die entfernt bereits an Konstanzes Widerstand gegen den Bassa Selim in der Entführung aus dem Serail gemahnen, und die düstere Friedhofsszene, in der Giunia auf ihren Liebhaber Cecilio trifft, weist mit fahlen Klängen auf den Don Giovanni hin.


Familiendrama mit Hebebühne: Giunia (Simone Kermes) ist nur scheinbar obenauf; Silla (Bruce rankin) links sitzen gelassen, Lucio Cinna (Kerstin Avremo, 2. v.r) und Sillas Schwester Celia (Romana Noack) warten ab.

Eines ist Lucio Silla aber auch: lang. Damit ist weniger die Spielzeit von deutlich mehr als drei Stunden gemeint als vielmehr die schier unendliche Länge vieler Arien, die in nervöser Motorik in sich kreisen (und auch die textlich oft umständlichen Rezitative stellen vor manche Geduldsprobe). Die instrumental anmutende Stimmführung mit halsbrecherischen Koloraturen macht die Oper immer wieder zum Vokalkonzert, das die bei Mozart fast sprichwörtlich gewordenen „geläufigen Gurgeln" von höchstem technischen Format erfordert: Ein Festival der Bravourstimmen. Dem entgegen steht der Anspruch des Musiktheaters und insbesondere eines Regisseurs wie Christof Loy, eben mehr als nur Wunschkonzert in Kostümen zu bieten. Loy hat das Stück recht spröde und mit viel Distanz zu den agierenden Personen in Szene gesetzt – und während der langen Arien werden die Sänger doch meist sich selbst und der Musik überlassen. Eine unterkühlte Regie lässt das Personal in modernen Anzügen auftreten, und das Spiel um den Tyrannen, der letztendlich der nicht erwiderten Liebe entsagt und seinen Feinden verzeiht, wird zum Familienstück in einem nüchternen weißen Saal, vor dem noch ein paar Baugerüste stehen. Nun gut, die Beziehungen der Personen zueinander haben in der Tat den Charakter einer Baustelle, aber das Konzept „trägt" die Sänger nicht, gibt ihnen keinen Schutz, weil es nicht durch einen plausiblen Handlungsfaden nachvollziehbare Charaktere entstehen lässt. Vielmehr scheint die Devise zu sein: Nun singt mal schön von eurem Platz aus, die Regie macht eine Viertelstunde Pause. Das mag auf die Tradition der opera seria verweisen, ist aber auf die Dauer etwas wenig.


Noch mehr Annäherungsversuche: Lucio Silla (Bruce Rankin) und Giunia (Simone Kermes)

Dabei scheint insbesondere Simone Kermes als Giunia, der musikalisch vielschichtigsten Figur der Oper, wild entschlossen, eben nicht nur seelenloses Konzert, sondern lebendiges Theater zu bieten. Mit allen Ausdrucksmitteln stürzt sie sich in die fast schon absurden technischen Schwierigkeiten der Partie, was hier und da zu einer manierierten Gestaltung führt, aber durch die Intensität wie die Virtuosität des Singens das Premierenpublikum wiederholt zu langen (und berechtigten) Beifallsstürmen hinriss. Zurückhaltender, aber mit schön abgedunkelter und tragfähiger Stimme und ebenfalls sehr überzeugend singt Mariselle Martinez den Cecilio, Gegenspieler des Silla. Beide haben die Partien schon in Kopenhagen (die dortige Oper ist Koproduzent) gesungen, wo diese Produktion bereits zu sehen war.

Tapfer schlägt sich Bruce Rankin in der Titelpartie, ein eleganter Patriarch mit silbergrauem Haar. Die Stimme besitzt die erforderliche Geläufigkeit, ist allerdings flach und konturlos und unschön gestemmt in den Spitzentönen. Die schönere, aber ungelenkere Tenorstimme hat Mirko Roschkowski in der relativ kleinen Partie des Aufidio (ein Freund und Gehilfe des Tyrannen). Kerstin Avemo als zwielichtiger Lucio Cinna (vorgeblich ein Freund Sillas, der aber die Revolte anzettelt und dann doch nicht ausführt) ist knabenhaft in Aussehen und Stimme – hier wollte der Regisseur wohl den kleinen, noch kindhaften Bruder andeuten. Das macht die Sängerin perfekt, brilliert auch stimmlich, aber um den Preis, dass die Partie sehr leicht besetzt ist.


Friedhofsatmosphäre: Cecilio (Mariselle Martinez) leidet

Dirigent Andreas Stoehr hat mit den Düsseldorfer Symphonikern daran gearbeitet, einen halbwegs „historisches" Klangbild zu erzeugen - und genau so, nämlich „halbwegs", ist das auch gelungen. Alles ist akkurat musiziert, auch harte Akzente und überraschende Klangmischungen fehlen nicht und lassen ein um das andere Mal aufhorchen. Ganz ausgegoren klingt das aber nicht, es liegt etwas Halbfertiges über dieser musikalischen Interpretation, die nicht immer schlüssig zwischen Extremen vermitteln kann und in manchen Arien allzu schematisch die rasenden Achtelketten abspult.

Der Schlusschor kommt vom Band. Das glückliche Ende verweigert Loy – man muss wohl sagen: natürlich. (Es käme wohl einer szenischen Revolution gleich, den Librettisten einmal beim Wort zu nehmen – obwohl das Publikum zuvor auch manchen textlichen Unsinn zu schlucken hat wie etwa bei den endlosen Erklärungen der Protagonisten, warum der Tyrannenmord unterbleibt. Wie angenehm knapp und doch viel plausibler wird Pamina später den Mord an Sarastro verweigern.) Daher muss Aufidio den das Stück beschließenden Huldigungschor per Stereoanlage auflegen. Szenische Wirkung hat das, immerhin, nachdem das auf wenige, betont theatralisch dargestellte Gesten reduzierte Spiel zuvor eindeutig Kopfsache war. Bei allem Respekt: Eine Herzensangelegenheit wird Lucio Silla durch diese Produktion nicht.

FAZIT
Schwere Kost: Obwohl musikalisch mit einigen Glanzlichtern präsentiert, ist Mozarts distanziert inszeniertes Jugendwerk auch eine Geduldsprobe.

 

Der Neue Merker
23. Juni 2008

W.A.Mozart LUCIO SILLA
Premiere Rheinoper Düsseldorf, 21. Juni 2008
Im Mausoleum der Gefühle

Eine seltsame Spezies Mensch, die Herrscher Roms, die uns der Genius Wolfgang Amadeus Mozart im Lichte der Aufklärung vorführt. Während der letzte Kaiser Mozarts, "Titus" seine Güte und Milde bereits im Titel trägt und Mozart auf ihn die Ideale der Freimauerei projiziert, malt uns der 16jährige Genius ein seltsames Seelenbild eines der grausamsten Herrscher: Sulla, vor dem Feind und Freund erzitterten und der Tausende abschlachten ließ. Im Libretto, wie in der Oper, italianisiert zu "Lucio Silla" tritt uns der Blutfürst als ein grüblerisches, von Selbstzweifeln zerfressenes und gepeinigtes Wesen entgegen, fast unfähig zur Kommunikation. Dieser Umstand mag eine vordergründig oberflächliche Ursache haben: Da der eigentlich für die Mailänder Uraufführung 1772 vorgesehene Star-Tenor der Vorgängerin der Scala di Milano erkrankte und der Ersatz bei weitem nicht über die heikle Technik seines Kollegen verfügte, sah sich Mozart gezwungen, dem Tenor einige Bravour- und Affektenarien zu streichen. Wie das Tyrannen-Portrait also ohne diesen Umstand ausgefallen wäre, läßt sich allenfalls erahnen. In der vorliegenden Version erscheint uns diese Rolle als ein recht "moderner" Mensch von frappierender Aktualität in einer Zeit,  in der es trotz medialer Kommunikationsinstrumente immer schwerer wird, miteinander zu kommunizieren.

Für Christof Loy mag das auch ein Ansatzpunkt für seine radikale, weite Teile des Düsseldorfer Publikums verstörende, Sichtweise gewesen sein. Wie inszeniert man Gefühlskälte einer Gesellschaft, die unfähig zum Miteinander, zum gemeinsamen Kommunizieren geworden ist und in der Gefühle unterdrückt werden, damit sie nicht als "Schwäche" ausgelegt werden?

Herbert Murauer baut "seinem" Regisseur einen seiner oberflächlich "leeren", "kühlen" Räume einer vordergründig abstoßenden, befremdlichen Architektur. Weiße Wände mit einer türähnlichen Aussparung, wenige Stühle, fünf Kandelaber (Rokkoko assoziierend), eine Hebebühne, eine Tonstudioanlage stehen eher für die mediale Gesellschaft unserer Tage, davor ein ausgesparter Raum mit Baugerüsten und Bretter.

Das wirkt wie ein kühler Raum in einem Museum für moderne Kunst, in dem ein Projektkünstler sein kühnstes Werk ausgestellt hat: Ein "Mausoleum der Gefühle". Während im hinteren Teil Liebe, Haß, Trauer, Rache ihre "Ausstellung" finden, ist der vordere Raum, noch unfertig, der Leidenschaft vorbehalten. Objekt ist eine Frau - Giunia, Tochter des von Silla ermordeten Marius - vom Tyrannen zur Ikone stilisiert, soll sie eine ihn liebende Gattin werden und er läßt sie im Glauben, daß ihr Geliebter Cecilio in der Verbannung gestorben sei. Auf dem Podest werden dann alle Gefühlsregungen des Objekts vorgeführt und auch der Herrscher selbst, da ihm die Frau die Liebe nicht gewähren will, sucht dieses Podest als Forum für seinen Rachegedanken, den einzigen, den er als Arie zu artikulieren weiß. Den grüblerischen Selbstzweifeln kann er nur in fast gestammelten Rezitativen Ausdruck verleihen, sein Ringen und seine sich in ihm letztendlich bahnbrechende Milde geht stumm vonstatten.

Mit seziererischer Genauigkeit führt uns Loy die Gefühle, die Regungen der Nerven in diesem Forum vor. Dabei setzt und vertraut der Regisseur ganz der Musik, keine Geste, keine Bewegung, kein Gang zu viel, nichts, was von der Musik ablenken könnte. Verwandlung erfährt dieser Raum nur durch Licht (kongenial das Lichtdesign von Reinhard Traub). Was bedarf es hier eines real gebauten Friedhofs? Die wie in einem stummen Ritual herunterfahrenden Kandelaber tauchen den Raum in ein irreales Kerzengelb, was alles wächsern erscheinen läßt. Wie Mozart mißtraut auch Loy dem Volkesjubel zum Schluß, was nach diesem Gefühlsleidensweg nur wie ein hohler Appendix wirkt. Loy greift hier zum vielleicht radikalsten Mittel: Der Chor wird über besagte Lautsprecheranlage eingespielt, die Personen entfernen sich, der abgedankte Kaiser, in seiner grüblerischen (Alters-)milde, nun selbst Ikone, bleibt allein zurück.

Solch eine auf Präzision und Perfektion in minimalistischer Gestik ausgelegte Inszenierung bedarf eines kongenialen Widerparts in der Musik. In Andreas Stöhr hat Loy solch einen Partner, der mit ebenbürtiger Genauigkeit die Partitur, selbst die Rezitative, auslotet und die musikalische wie die inszenatorische Aussage zu einem Ganzen verschmelzen läßt. Die teilweise nervenzerreißenden Pausen in den Rezitativen, die der Sprachlosigkeit der Figuren kongenial Nachdruck verleihen und sich in getupften aufgelösten Akkorden entladen, gehören ebenso dazu, wie die instrumentale Kühnheit und Klarheit, die Stöhr den Düsseldorfen Symphonikern abverlangt. Als sei der junge Mozart bei den Düsseldorfer Symphonikern an der Tagesordnung, zeigten sie sich an diesem Samstag von einer selten erlebten Präzision und Spiellaune. Vor allem der Streicherapparat mit seinen fulminanten Bratschern in der Friedhofszene leistete Aberwitziges.

Das Sängersextett dürfte, zumindest in den großen Partien, kaum trefflicher besetzt werden können: Angeführt vom jugendlichen Heißsporn und Speichellecker Lucio Cinna, den die junge schwedische Koloratursopranistin Kerstin Avemo mit dem teuflisch sprudelnden Vitriol ihrer gestochen zisilierten Koloraturkaskaden versah.

Cecilio, der Verbannte Geliebte fand in Marisella Martinez eine seltene Vertreterin des Koloratur-Mezzos, die rare Spezies, die ahnen läßt, welche Faszination von den Kastraten-"Stars" ausgegangen sein mag. Kühnste Koloraturkaskaden von Sopranhöhe zu fast brustig bassiger Tiefe, die Martinez bewältigt das mühelos.

Giunia ist vielleicht die erste "Hochdramatische" Mozarts: Der 16jährige ist in der Anlage dieser schillernden Gestalt so fasziniert, so kühn, daß sie fast als Urmutter aller großen Frauenpartien seiner späteren Werke gelten kann. Ob Wahnsinnskaskaden einer "Elettra", die innige Klage einer Pamina, die Trauerarbeit "Donna Annas", die Rachsucht einer "Vitellia" oder die in ihrer Keuschheit gefestigte "Konstanze": Giunia vereint alle diese Facetten in sich. Die Rheinoper darf sich glücklich schätzen, Simone Kermes, die diese Rolle schon in Kopenhagen sang, verpflichtet zu haben. Die Barockspezialistin scheint geradezu prädestiniert für diese Rolle und ist die Idealbesetzung für diese außergewöhnliche Regie. Wieland Wagners Bonmot, "was brauche ich eine Tanne auf der Bühne, wenn ich eine Astrid Varnay habe", auf diesen Samstag-Abend gemünzt: Was braucht ein Christof Loy Gestik, Bühnen- und Kostümenzauber, wenn er eine Simone Kermes hat?

Wie sich die Kermes diese mörderische Partie einverleibt, ist frappierend. Von stupenden Piano über irrwitzige Koloraturläufe bishin zum ergreifenden "Fra i pensier", das sie zur erschütternden "Preghiera" erhebt, zeigt die Kermes alle Facetten ihrer Kunst und läßt uns mitleiden an dieser grandiosen Frauengestalt.

Lucio Silla ist nicht der strahlende Tenorheld wie seine "Nachfolger" "Idomeneo"oder "Titus". Dem grandiosen Charakterbildner Bruce Rankin, der mit noblem, sicher geführtem Charaktertenor dem grübelnden Herrscher menschliche Züge verleiht, glaubt man in seiner Soigniertheit das Ringen dieses zwielichtigen Menschen. Auch er ist für diese Produktion eine Idealbestzung. Solidität zeichnet die Celia Romana Noacks aus, nur Mirko Roschkowski bleibt als Aufidio zu blaß und weit hinter den Erwartungen zurück.

Bedauernswert, daß diese polarisierende Arbeit an einem nicht alltäglichen Werk Mozarts in dieser Besetzungskonstellation (vorerst) keine Fortsetzung findet.

Trotz des obligaten Jubels für die an der Musik Beteiligten, bleibt der Nachgeschmack des Unverstands eines Publikums, das nicht erkennen konnte oder wollte, daß die Rheinoper mit Christof Loys mutiger Regiearbeit einen Meilenstein der Mozart-Rezeption gesetzt hat. An diesem Abend war ein Hauch von Festspielreife in der Rheinoper zu spüren, diesen Hauch verwehte ein Orkan von Respektlosigkeit.

Dirk Altenaer

 

Il giornale della musica
23 giugno 2008

L'alfabeto minimo dei sentimenti
A Düsseldorf il regista Christof Loy torna a Mozart con "Lucio Silla", spettacolo di linearità e ricchezza espressiva esemplari. Ottima la compagine vocale su cui dominano Simone Kermes e Mariselle Martinez.


Bruce Rankin (Lucio Silla), Simone Kermes (Giunia), Kerstin Avemo (Lucio Cinna) e Romana Noack (Celia) nel "Lucio Silla"

Uno spazio quasi vuoto definito da alte pareti bianche. In scena pochi elementi decorativi (sedie bianche dalla linea classica, cinque lampadari barocchi) ma soprattutto oggetti funzionali (tralicci, ponteggi, assi di legno, una piattaforma elevatrice). È l'universo rigoroso che Loy impiega per raccontare le passioni e i sentimenti dei sei personaggi del dramma di De Gamerra e Mozart. Più riuscito del suo recente "Così fan tutte" a Francoforte – troppo smaccatamente "loyesco" per non far pensare ad un algido esercizio di stile – questo "Lucio Silla" reca i segni tipici del suo alfabeto minimo, che nel corso del tempo si è fatto (se possibile) ancor più austero: analiticità, essenzialità, pulizia e rigore, cura estrema del gesto scenico. Un alfabeto che dà pathos e tensione alle oltre tre ore del racconto, in cui si coglie in maniera esemplare il senso profondamente teatrale delle lunghe arie e i recitativi eseguiti nella loro integralità (come usa "chez Loy").

Fondamentale l'apporto dei sei interpreti, in cui il reparto femminile dominava nettamente. Incantevole Simone Kermes, che affrontava con la sicurezza dell'interprete di rango la complessa scrittura vocale del ruolo di Giunia, resa con intensa espressività. Le teneva degnamente testa il Cecilio di Mariselle Martinez, mezzosoprano di bel timbro brunito e impeccabile linea vocale. Bene anche le fresche Kerstin Avemo come Cinna e Romana Noack come Celia, mentre il sanguigno Silla di Bruce Rankin soffriva un po' nel registro acuto.

Il direttore Andreas Stoehr guidava i precisi Düsseldorfer Symphoniker con equilibrio e discreta varietà di accenti, dando il giusto risalto al canto. Il coro registrato nel finale raffreddava i trionfalismi celebrativi del finale, poco appropriati all'austera cifra registica.

Caldo successo.

Stefano Nardelli