Berliner Morgenpost
Sonntag, 8. Februar 2009

OPER
"Ich liebe es nicht, mich aufzuregen"

Von Volker Tarnow

Eine Frage sollte man Violeta Urmana nicht stellen: Sind Sie eigentlich Litauerin oder Russin? Dann gibt es ein kleines Empörungsgewitter, Urmana sei doch niemals russisch und außerdem heiße sie ja Urmanavièiûtë. Die zweite Hälfte des Namens wurde gekappt, als die junge Sängerin 1991 in den Westen ging.

- Seitdem ist sie Violeta Urmana, und spätestens seit ihrem Sieglinde-Debüt 2001 in Bayreuth eine der gefragtesten Sängerinnen unserer Zeit. Heute gibt sie die Ariadne in Robert Carsens Neuinszenierung an der Deutschen Oper Berlin.

Nach Bayreuth gab es 2002 gleich eine Premiere als Iphigenie an der Mailänder Scala, und spätestens diese Information müsste Opernfreunde jetzt stutzen lassen: warum singt die gefeierte Mezzosopranistin aus Litauen ständig Sopranrollen? Die Antwort ist ebenso leicht wie schwer, sie hat mit der kunterbunten Karriere der Urmana zu tun und ihrer Art, die Anarchie künstlerisch zu bewältigen.

SIE HAT KLAVIER STUDIERT

Denn zunächst begann die Mezzosopranistin ein Stockwerk höher, nämlich im Fach Sopran. Zuvor aber hatte sie ganz ordentlich, und im Falle Urmana heißt das ganz unordentlich, Klavier studiert. 17 Jahre bearbeitete sie das schwarze Monstrum, legte in dem Fach sogar ein Diplom ab. Aber es war nicht ihr Fach. "Ich war sehr faul", berichtet die Sängerin von ihrer ersten Studienzeit in Vilnius. "Ich machte alles mit links, ging lieber ins Kino oder in die Stadtbibliothek, wo man Schallplatten der großen alten Sänger hören konnte." Schon damals scheint das Urmana-System gut funktioniert zu haben, man ließ sie gewähren, und sie hatte Erfolg. "Ich glaube, in all den Jahren bin ich morgens nur zweimal zum Üben in der Hochschule gewesen. Meine Lehrerin war ein Engel, es gab auch keinen Ärger, wenn ich mit viel zu langen Fingernägeln auf den Tasten herumklapperte."

So klapperte sie sich denn bis zum Diplom durch, Diplom mit Auszeichnung, versteht sich. Nur mittelmäßige Schüler müssen fleißig sein; Fräulein Urmanavièiûtë meisterte alles auf ihre genialische Art, sie zog das Improvisieren dem sturen Büffeln vor. "Beim Klavierstudium bewegte ich mich immer an der Grenze des Möglichen, irgendwie ging es gut. Mehr als drei Stunden übte ich selten - pro Woche..."

An das Klavierstudium wurde dann noch ein fünfjähriges Gesangsstudium gehängt. Violeta konnte endlich ihrer Berufung folgen. Und es war eine Offenbarung. Denn eine Arie lernt sich, anders als eine Etüde von Chopin, in einem einzigen Augenblick. Wenn man Urmana heißt. Trotzdem gab es hier wieder die übliche Verwirrung: nach vier Jahren Sopran-Studium wurde ihr vorsichtig nahe gelegt, es lieber als Mezzo zu versuchen. Auch war es durchaus problematisch, nur Gesang zu studieren und kein Schauspiel. Ihre Professorin wollte es so. "Nach Deutschland ging ich mit null Repertoire und null Erfahrung" - und ohne ein Wörtchen Deutsch. Aber schon nach zwei Monaten parlierte sie flüssig in der neuen Sprache. Heute spricht Violeta Urmana ein exzellentes, mit viel Witz gewürztes Deutsch. Und den Rollenwechsel ins Mezzofach schaffte sie natürlich ebenso souverän. Die Eboli in Verdis "Don Carlos" und Kundry in Wagners "Parsifal" sind ihre fast schon legendären Mezzo-Rollen. Aber frühzeitig ging es auch schon wieder Richtung Sopran. Den großen Opernhäusern in London, Wien, Paris und New York ist sie in jedem Fach willkommen.

Ihr zu Hause jedoch heißt München. Violeta Urmana liebt Deutschland, von der Isar will sie nie mehr weg. Höchstens im Sommer, den sie mit ihrem Mann, dem Tenor Alfredo Nigro, am Strand in Apulien verbringt. Für Heimatbesuche reicht es nur noch alle zwei Jahre. Aufgewachsen im sowjetischen Litauen, ist diese Zeit für sie eine weit zurückliegende Vergangenheit. Sie erinnert sich noch lebhaft an ihren ersten westlichen Kulturschock: "Maurice Béjart und sein ,Ballet du XXe siècle' gastierten in Vilnius, Jorge Donn tanzte. Es war so genial, dass ich danach vier Wochen nur geweint habe."

Exzesse dieser Art gönnt sich Violeta Urmana heute eher selten. Die Opernwelt sei etwas über der Wirklichkeit, sagt sie, eine andere Sphäre. Und Opernfiguren immer in Konfliktsituationen, zerrissen, kompliziert. Sie selbst meidet solche Situationen. "Ich bin nicht gespalten, sondern sehr ausgeglichen und sanft. Ich liebe es nicht, mich aufzuregen." Zweifellos ein hilfreicher Charakterzug, wenn es Ärger gibt mit Regisseuren. Den umschifft Violeta Urmana meistens weiträumig; sie macht ohnehin nur wenige Neuproduktionen, informiert sich zuvor genau über die beteiligten Personen. Regisseure, die beispielsweise für Vulgaritäten bekannt sind, werden von ihr kategorisch aussortiert. Kommt es trotzdem zum Konflikt, löst ihn die Urmana auf ihre Art.

DIE ARIADNE SANG SIE SCHON IN NEW YORK

Mit Robert Carsen, der die neue Ariadne inszeniert, lief alles paletti. Violeta Urmana hat diese Rolle bereits einmal gesungen, 2005 an der Met, eine sehr schöne Inszenierung, wie sie sagt, erhaben und königlich. "Bei Robert Carsen sind es nur schwarze Wände. Aber das beschreibt die ausweglose Situation der Ariadne bestens, schließlich geht es um eine Dame, die auf einer Insel gefangen ist." Gegen modernes Regietheater hat Violeta Urmana überhaupt nichts - sofern sie sich nicht darüber aufregen muss.

Deutsche Oper , Bismarckstr. 35, Charlottenburg. Premiere: heute 18 Uhr. Wieder am 11., 19. und 21.2. Ab dem 27.2. singt Michaela Kaune die Ariadne. Tel. 343 84 343