"La Juive" VON BERNHARD USKE Kann man sich eine spannende Oper über den interreligiösen Dialog vorstellen - mit Arien und Ensembles in "versöhnter Verschiedenheit" und "geschwisterlicher Achtung"? Wohl kaum, denn die Oper braucht den Konflikt der Unversöhnlichkeit, massiert die Affekte doch nichts so gut wie mindestens ein Toter, der auf der Walstatt der Gefühle für unser aller Gemütsbewegung geopfert wird. "La Juive" des französischen Komponisten Jacques Fromental Halévy macht da keine Ausnahme und schafft zwischen einem jüdischen Goldschmied und seiner an Kindes Statt angenommenen Tochter, deren wahrem Vater, Kardinal Brogni, sowie einem sich wegen seiner Liebe zu der jungen Frau als Juden ausgebenden christlichen Reichsfürsten eine spannende Atmosphäre von christlich-jüdischer Unduldsamkeit. John Dew, Hausherr des Staatstheaters Darmstadt, hat der Versuchung widerstanden, die neue Prominenz des Religiösen, die aktuellen religionspolitischen Sollbruchstellen oder die Geschichte des Dritten Reichs zu einem regietheatralischen Showdown der Kulte, Zeichen und Bekenntnisse zu machen. Im Vordergrund stehen die triangulierten Väter-Töchter-Liebhaber-Konstellationen, die Suche nach Identität, die Täuschungen aus Liebe. Ein riesiges Dreieck aus rechtwinklig gefassten Glasscheiben (Bühne: Heinz Balthes) in unterschiedlichen Hängungen fungiert als raum- und sinngebendes Element für den christlichen, den jüdischen, den säkular-festlichen Bereich und zuletzt auch für die Welt der äußeren und inneren Gefangenschaft aller Beteiligter. Die Farbigkeit der Szene ist reduziert auf wenig klerikales Rot, auf das verordnete jüdische Gelb, auf das Schwarz des Volks sowie das Blau von Kirchenfenstern. Alle Farbigkeit ist gedeckt, ja abgeblasst, was die Konzentration des Zuschauers auf die individuellen Dynamismen vor dem Hintergrund des ebenfalls bedeckt agierenden Volks regelrecht erzwingt. Das Dreieck der Dreifaltigkeit, die zwei Dreiecke des Davidssterns, die Beziehungsdreiecke - die Inszenierung versucht, die Ebenen des Stoffs von Eugène Scribe sowohl zu trennen als auch zusammenzusehen und sie schließlich zu verallgemeinern: Zwanghaftigkeit, Rache und Schwäche aus Fanatismus als die Treibsätze des Ganzen. In dem markant und zugleich subtil strukturierten Raum war ein bestens harmonierendes Ensemble aktiv. Die männlichen Rollen waren allesamt mit starken, modulationsfähigen Stimmen besetzt. Herausragend der jugendlich-geschmeidige Tenor von Mark Adler sowie der dunkel gefärbte Tenor Zurab Zurabishvilis. Beider anfänglich manchmal etwas fragil sitzende Stimme war spätestens mit dem 2. Akt voll gegenwärtig, wie überhaupt die stimmliche und gestische Beherrschung der Szene bei allen Beteiligten im Laufe des Abends wuchs. Überragend Susanne Serfling als Rachel: ein ebenso im lyrischen wie dramatischen Bereich mühelos sich artikulierender Sopran, der zusehends mehr Ausstrahlung gewann. Glockenhell die Stimme Margaret Rose Koenns als Rachel-Gegenspielerin Eudoxie. Die Basspartie des Kardinals war mit Thomas Mehnert szenisch etwas steif, im Stimmprofil sehr gut besetzt Das Staatsorchester Darmstadt unter Martin Lukas Meisters Leitung spielte sehr sauber und feingezeichnet, aber insgesamt zu blass und in der Temponahme zu verhalten. Exzellent die Leistungen des Chors. Staatstheater Darmstadt: 13. 9., 3., 15., 19. und 31. 10. Karten-Tel.: 06151 / 2811600. [ document info ] Dokument erstellt am 08.09.2008 um 16:48:14 Uhr Letzte Änderung am 08.09.2008 um 17:21:03 Uhr Erscheinungsdatum 08.09.2008 um 16:48:14 Uhr |
Gestern im TheaterErfolg für „Die Jüdin" DARMSTADT. Als der Regisseur John Dew, der derzeitige Intendant am Staatstheater Darmstadt, noch Oberspielleiter in Bielefeld gewesen war, hat er 1989 Fromental Halévys Oper „Die Jüdin" eigentlich erst für die Bühne wiederentdeckt. Sie fasziniert ihn noch heute. Jetzt kommt das Werk auch hier zu neuen Ehren. Am gestrigen Sonntag war die Premiere im Großen Haus, und das Publikum applaudierte nach der über drei Stunden dauernden Aufführung lange und begeistert. Der Beifall galt vor allem den Sängern der beiden Hauptpartien: Susanne Serfling in der Titelrolle der Rachel und Zurab Zurabishvili als deren Ziehvater Eléazar. Beider Stimmen harmonierten bestens miteinander. Zwei Sänger, die glänzende Interpretationen lieferten. Gesungen wurde in französischer Sprache (mit deutschen Übertiteln), weshalb die Oper auch als „La Juive" auf dem Darmstädter Spielplan steht. Kostüme und Bühnenbild beschwören zeitlose Moderne. Martin Lukas Meister dirigierte die packende, hochdramatische Partitur, die am Ende der Tragödie einen gewaltsamen Schlusspunkt setzt. hz
Warten auf den großen Schlag
Heinz Zietsch DARMSTADT. Bis zuletzt verschweigt Eléazar, wo sich die Tochter des Kardinals Brogni befindet. Just im Augenblick der Hinrichtung eröffnet ihm der jüdische Goldschmied, die Tochter sei hier. Hinter einer transparenten, von Fenstern unterteilten dreieckigen Wand sieht der Zuschauer ein Seil baumeln. Verbittert hat Eléazar Rache genommen für das Leid, das ihm Brogni einst zugefügt hatte, als dieser Eléazars Söhne hat töten lassen. Brogni wiederum hat Frau und Tochter in seinem brennenden Haus verloren und danach als Kirchenmann Karriere gemacht. Tatsächlich aber hat der Goldschmied dessen Tochter aus den Flammen gerettet und an Kindes Statt im jüdischen Glauben erzogen. Brogni ist ein gebrochener Mann. Ganz leise zieht sich die Musik in Fromental Halévys Oper „Die Jüdin" zurück, um dann wie zu einem großen Schlag auszuholen, der nach einer Aufführungsdauer von über drei Stunden (die Pause eingerechnet) den Schlusspunkt in dieser Oper setzt. Martin Lukas Meister am Dirigentenpult arbeitet ihn bei der Premiere dieser Oper am vergangenen Sonntag im Staatstheater Darmstadt kontrastreich heraus. Doch insgesamt fehlt es der Aufführung an zupackendem Biss, und die Einleitung entwickelt zu wenig Spannung; so wirken die Pausen wie Löcher, in denen die Musik fehlt. Das erstaunt, da doch Meister Gespür für dramatische Entwicklungen besitzt, auf die er sonst sorgsam hinzuarbeiten pflegt. Besser gelingen ihm in dieser Oper die lyrischen Abschnitte, wenn er umsichtig den Gesang begleitend unterstützt und am Ende das Orchester gar mit dem Hervortönen der Holzbläser jiddisches Flair und Melancholie verbreitet. Eine der faszinierendsten Szenen gelingt dem Dirigenten, wenn Rachel sich im Kerker befindet, nur untermalt von der feinsinnigen, fast kammermusikalisch geführten Instrumentalbegleitung. Die Regie von John Dew, dem Intendanten des Staatstheaters Darmstadt, wirkt hier auf Dauer kaum mehr als routiniert. Das macht sich auch beim Schlussbeifall im Großen Haus bemerkbar, der allenfalls lang und mäßig begeistert, keineswegs überschwänglich ausfiel. Vor allem die Sänger wurden mit Begeisterung empfangen, während Dew bei seinem Erscheinen auch Buhs hinnehmen musste. Vielleicht hat Dew dieses wichtige Werk der französischen Grand Opéra, das 1835 mit großem Pomp in Paris uraufgeführt wurde – sogar richtige Pferde sollen damals auf der Bühne mitgewirkt haben – inzwischen zu oft inszeniert. Jedenfalls gebührt ihm das Verdienst, 1989 in Bielefeld erstmals auf dieses bedeutende Werk, das Wagner bis zuletzt besonders geschätzt hat, aufmerksam gemacht und es wieder entdeckt zu haben, so dass danach weitere Bühnen folgten. Dew selbst hat dieses Stück immer wieder beschäftigt, ohne ihm dabei aber neue Facetten abzugewinnen: 1994 in Nürnberg, 1995 bot er damit in Dortmund seinen Einstand als Intendant, und jetzt wollte er es in Darmstadt noch einmal wissen. Obwohl „La Juive – Die Jüdin" in Darmstadt in französischer Sprache (mit deutschen Übertiteln) gesungen wird, vermeiden Dew und sein Bühnenbildner Heinz Balthes sowie sein Kostümbildner José-Manuel Vázquez geradezu akribisch die Nähe zur aufwendigen Grand Opéra. Alles wird eher reduziert und symbolhaft angedeutet. Aus dem Staatsbankett zu Ehren des Reichsfürsten Léopold, den Rachel verbotenerweise liebt, wird ein Stehempfang, fast statuarisch-oratorisch wirkend, den die von André Weiss durchweg sicher einstudierten Chöre, die sich sonst weitaus mehr bewegen, exakt exekutieren. Große transparente Dreiecks-Wände, Kirchenfenstern ähnlich, markieren den Raum, verschieben sich ineinander zum gelben Judenstern. Doch eine plumpe Annäherung an die dreißiger Jahre wird trotz faschistoid wirkender Soldateska vermieden, die Kostüme sind zeitlos modern. In den Mittelpunkt rückt der Widerstreit der Religionen, schließlich lassen auch heute noch orthodoxe Juden eine Verbindung zwischen Andersgläubigen und Juden nicht zu. Und bei Halévys „Jüdin" sind beide Seiten extrem verbohrt, denn es drohen drastische Strafen bei einer nicht konformen Verbindung. Gleich zu Beginn der Oper wird der Gegensatz sichtbar: Am linken Bühnenrand wird das Kreuz gezeichnet, am rechten der Davidsstern, in dessen Mitte „Juif" (Jude) zu lesen ist. Sängerisch wurde in Darmstadt allerdings einiges geboten. Zu entdecken war vor allem Susanne Serfling in der Titelpartie der Rachel als neuer großartiger dramatischer Sopran am Darmstädter Sängerhimmel – und man müsste sich wundern, wenn sie nicht bald weiter Karriere machen wird. Faszinierend, wie sie die Dynamik wechselt, selbst noch im feinsten Pianissimo eine volltönende Stimme besitzt und diese starken Stimmungsschwankungen unterworfene Partie bis zuletzt durchhält. Dew hat, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ein sicheres Gespür für Sänger und deren Möglichkeiten. Dahin gehört auch Thomas Mehnert als Brogni, der sich mehr und mehr zu einem gewichtigen wie profunden Bass wandelt und seinem Part zunehmend Fülle verleiht. Von Zurab Zurabishvili hat man erwartet, dass er mit seiner großen Belcanto-Stimme den Eléazar ausfüllt wie kaum ein zweiter, bis zum Schluss hinein nicht schwächelt und dazu noch wunderschön harmonisch mit Susanne Serfling zu singen versteht. Gelenk und klar die Koloraturen der Sopranistin Margaret Rose Koenn als Eudoxie. Mark Adler hat als Léopold in dieser Oper gewiss den schwierigsten und undankbarsten Part zu bewältigen. Allein die vielen Höhen, die er zu meistern hat und am Anfang auch vor lauter Anspannung abknickt, wirken halsbrecherisch, während er den Mittellagen klare Konturen verleiht und als Sänger-Darsteller sich windet wie ein Aal, wenn es in der Beziehung zwischen ihm und Rachel ernst wird. Selbst die kleineren Rollen sind mit Oleksandr Prytolyuk als Ruggiero und Werner Volker Meyer als Albert bestens besetzt und setzen auch hier stimmliche Glanzpunkte, so dass „Die Jüdin" zum Ereignis wird. |
Musiktheater: Martin Lukas Meister dirigiert Halévys "Die Jüdin" exzellent, John Dew setzt sie etwas eigenartig kahl in SzeneKühle Welt im Dreiecksformat trifft Mensch Von unserem Redaktionsmitglied Stefan M. DettlingerErfinde Welten für die Stoffe, die du verhandelst, heißt es in Paragraf 1 des ungeschriebenen Theatergesetzbuches für Regieteams. Heinz Balthes, der Bühnenbildner dieses Darmstädter Abends, hat dies versucht. Demnach ist die Welt schwarz und gelb und besteht aus einem Kreuz und einem Davidstern und zwei gleichschenkligen Dreiecken, die entweder (isoliert) zwei gleichschenklige Dreiecke ergeben oder (in verschränkter Überlagerung) einen Davidstern. Balthes umreißt mit dieser asketischen Ästhetik, wenn auch etwas altmodisch modern, so doch ziemlich genialisch die gesamte Thematik von Fromental Halévys Fünfakter "La Juive": Im Konstanz zu Zeiten des Konzils (1414) liebt ein Christ eine Jüdin, die als Christin geboren wurde, davon aber nichts weiß. Die Sache mit der Liebe scheitert am Glauben, der am Ende die Jüdin Rachel und ihren Vater Eléazar das Leben kostet. Beide werden bei lebendigem Leibe und unter übelsten Akkord-Schlägen in einem Kessel gekocht. Tod oder Seelenentschwebung Dass aber genau dieser grausame Moment im Staatstheater Darmstadt eher beiläufig und schwach wirkt, kann nur ihm angelastet werden: John Dew, Intendant des Hauses in der Hügelstraße. Dew hat keinen Brühkessel und auch keine andere Mordmethode, sondern deutet den Tod der Rachel durch den Blick ihres Vaters nach oben an, der wohl dem entschwebenden Geist seiner armen Tochter nachblickt. Die Szene ist ein Beispiel dafür, dass Dews Regie nicht ganz funktioniert. Im Verlauf des Abends gewinnen wir immer wieder den Eindruck, dass Balthes' abstrakt reduziertes Bühnenbild nicht zur Personenführung passt, die, nun ja, die Gebärden und Bewegungen der Sänger eher ihnen selbst zu überlassen scheint. Mit anderen Worten: Die kühle geometrische Formenwelt trifft auf Personen, die wie auf einer Bühne des 19. Jahrhunderts handeln. Aufgefangen wird diese Diskrepanz durch die musikalische Leistung. Da ist zum einen Darmstadts erster Kapellmeister, der 34 Jahre junge Martin Lukas Meister aus der Schweiz, der das Staatsorchester samt Chor mit mäßiger Verve, aber mit vielen wunderbaren Klangfarben vor allem der Holzbläser dirigiert. Viel mehr ist da aber noch eine Gesangsleistung fast ohne Schwachstellen. Angeführt wird sie von einem Mann aus Tiflis (Georgien), der der Person des Eléazar alles gibt, was er braucht: Nuancenreichtum, tenoralen Glanz und Strahlkraft, deren Ton ganz plötzlich in eine seelische Katastrophe und weiche Lyrismen münden kann. Den Namen muss man sich - auch wenn's schwer fällt - merken: Zurab Zurabishvili. Susanne Serflings Rachel (beseelt und schön geführt) ist mindestens so erwähnenswert wie die Prinzessin Eudoxie von Margaret Rose Koenn, die mit feinen Koloraturen aufhorchen lässt, während Mark Adler als Léopold hörbare Probleme mit der Beherrschung seines guten Stimmmaterials hat und Thomas Mehnerts Kardinal allzu hohl und groß tönt. Trotzdem: Darmstadt ist eine Reise wert, und man darf schon sehr gespannt sein, wie John Dew Richard Wagners "Meistersinger" auf die Bühne bringt. Am 12. Oktober ist Premiere. Bühnenbildner ist wieder Heinz Balthes, der dann wohl wieder eine neue Welt kreieren wird. |
Tödliche Rache Von Daniel Honsack Jacques Fromental Elie Halévy ist heute kaum mehr bekannt. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts sah das schon anders aus. Da war der Cherubini-Schützling einer der Großen – und Dauerkonkurrent von Giacomo Meyerbeer. Zu seinen Schülern zählten George Bizet, Camille Saint-Saëns und Charles Gounod. Die Oper "La Juive" (Die Jüdin) schrieb der Sohn eines hebräischen Dichters im Jahr 1835. Sein Erstling wurde bis 1893 550 Mal an der Opéra Paris gespielt. Nachdem John Dew die Oper 1989 in Bielefeld, fünf Jahre später in Nürnberg und 1995 in Dortmund auf die Bühne gebracht hatte, war nun Darmstadt an der Reihe. Das Stück spielt ursprünglich im Konstanz des Jahres 1414, wo der Sieg von Reichsfürst Léopold über die Hussiten gefeiert wird. Der jüdische Goldschmied Eléazar und seine Tochter Rachel ziehen den Volkszorn auf sich und werden von einem Mann, der sich als Samuel ausgibt und eine Liaison mit Rachel eingegangen ist, gerettet. In Wirklichkeit ist er jener Reichsfürst Leopold, für den die Feier ausgerichtet wird. Als er sich seiner Geliebten zu erkennen gibt, zeigt die sich entsetzt, will ihn dennoch halten, selbst Eléazar lässt sich erweichen, dem Paar seinen Segen zu geben. Doch Leopold ist an Eudoxie, die Nichte des Kaisers, gebunden. Während der öffentlichen Hochzeits-Zeremonie klagt Rachel ihn an, mit einer Jüdin verkehrt zu haben, worauf die Todesstrafe steht. Später widerruft sie auf Drängen Eudoxies und rettet ihm damit den Kopf. Sie und ihr Vater aber werden zum Tode verurteilt. Für Eléazar bildet dieser Tod seine verquere Rache an Kardinal Brogny, dessen Tochter er einst aus einem brennenden Haus gerettet und als seine eigene aufgezogen hat. Als Rachel hingerichtet wird, eröffnet er dem Geistlichen das bittere Geheimnis. Die klanglich ansprechend umspielte Geschichte lässt es an einigen Stellen an erzählerischer Konsequenz fehlen. Nicht immer wird die Handlung verständlich vermittelt. Auch Dews zurückhaltende Inszenierung, die wenig Personenführung erkennen lässt, trägt nicht zur Aufklärung bei. Das Bühnenbild von Heinz Balthes wirkt zudem mit seiner Reduzierung auf zwei von der Decke herabhängende Dreiecke, die im ersten Akt einen Davidstern bilden, wenig motiviert. Musikalisch wird eine meist solide Aufführung abgeliefert. Zurab Zurabishvili als Eléazar und Susanne Serfling als Rachel sind der Herausforderung stimmlich gewachsen, Thomas Mehnert gibt dem Kardinal mit knarrig-erdigem Bass eine würdige Statur. Mark Adler hat mit der Partie des Leopold mehrfach zu kämpfen, besonders die Höhen machen ihm zu schaffen. Martin Lukas Meister hat das präzise aufspielende Orchester und den flexiblen Chor gut im Griff. |
Der Triumph der Vergeltung über die Vergebung Der internationale Kunstbetrieb kennt in allen Gattungen das Phänomen des unterbewerteten oder sogar vergessenen Künstlers. So wie Schubert im 19. Jahrhundert lange Zeit als Salonmusiker belächelt wurde, fristete auch so mancher Schriftsteller oder Maler völlig zu Unrecht ein weitgehend von der Öffentlichkeit unbeachtetes – posthumes – Dasein. Im Bereich der Opernmusik trifft dies – mit Einschränkungen – auf den französischen Komponisten Fromental Halévy zu, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris eine herausragende Rolle spielte, nach dem 2. Weltkrieg gegenüber seinen „Mitbewerbern" Mozart, Verdi, Wagner und den anderen wohlbekannten Protagonisten des Opernbetriebs jedoch deutlich an Bekanntheitsgrad einbüßte. Fragte man einen durchschnittlichen Opernabonnenten nach diesem Namen, würde man höchstwahrscheinlich nur ein Achselzucken ernten. Das Erstaunliche daran ist, dass dieser Verlust an „Marktpräsenz" nicht auf ein ephemeres, nur den Zeitgeschmack bedienendes Werk zurückzuführen ist. Im Gegenteil, seine Oper „La Juive", die jetzt in Darmstadt zum ersten Mal nach dem Jahr 1918 wieder auf dem Spielplan stand, zeichnet sich durch emotionale Wucht, hohe Dichte und ein zeitloses Thema aus. Intendant John Dew, der dieses Werk bereits 1989 aus der Versenkung geholt hatte, präsentierte es jetzt dem Darmstädter Publikum.
Die Oper spielt im Jahr 1410 zur Zeit des Konstanzer Konzils und handelt im Kern von dem jüdischen Goldschmied Eléazar, der mit seiner Tochter Rachel in Konstanz lebt. Rachel liebt den jungen Künstler Samuel, der jedoch in Wirklichkeit der Reichsfürst Leopold ist, der sich wegen dieser religionsüberschreitenden Liebschaft als Jude tarnt. zum Konzil ist auch der Kardinal Brogny erschienen, der einst als - noch weltlicher - Magistrat von Rom durch plündernde Soldaten Frau und kleine Tochter verlor und sich seitdem Gott gewidmet hat. Noch als römischer Beamter hat er Eléazars beiden Söhne auf den Scheiterhaufen gebracht und sich dadurch dessen unversöhnlichen Hass zugezogen. Als Eléazar und seine Tochter wegen ihrer Arbeit an einem hohen kirchlichen Feiertag vor den Statthalter Ruggiero gezerrt und von diesem unverzüglich zum Tode (!) verurteilt werden, schreitet der mild gestimmte Brogny ein und rettet die beiden, ohne seinen Feind zu erkennen. Eléazar jedoch erkennt den verhassten Widersacher sofort. Als die unter ständigen Anfeindungen leidende jüdische Familie ein zweites Mal in die Fänge des lynchsüchtigen Volkes gerät, rettet der vermeintlich bedeutungslose Künstler Samuel die beiden mit ungeahnter Autorität, was Rachel stutzig macht. Als er auch noch bei der Feier des Passah-Festes heimlich die Riten verweigert, stellt Rachel ihn zur Rede, woraufhin er seine Identität als Christ offenbart. Diese für einen gläubigen Juden schreckliche und in der christlichen Gesellschaft tödliche Tatsache schockt Rachel zutiefst, doch kann sie von ihrem ebenso erschütterten und erzürnten Vater die Zustimmung zur Heirat erwirken. Als Samuel alias Leopold die Heirat verweigert, bricht für Vater und Tochter eine Welt zusammen. Der Zuschauer kennt zu diesem Zeitpunkt bereits den Grund der Weigerung; Leopold ist bereits verheiratet. Als seine Frau ihm öffentlich einen ausgerechnet bei Eléazar gekauften Schmuck als Lohn für seinen Sieg über die hussitischen Feinde überreicht, geht Rachel dazwischen und gesteht öffentlich die „Blutschande", woraufhin sie, ihr Vater und Leopold umgehend eingekerkert werden. Leopolds Frau fleht die sowieso dem Tode geweihte Rachel an, durch die Übernahme aller Schuld ihrem Mann das Leben zu retten, und Rachel, von der Enttäuschung geläutert und dem Tode nahe, stimmt zu. Währenddessen schlägt Brogny Eléazar vor, durch einen Übertritt zum Katholizismus wenigstens seine Tochter zu retten, doch dieser lehnt ab und konfrontiert im Gegenzug Brogny mit der Eröffnung, dass seine Tochter bei dem Brand seines Hauses von einem Juden gerettet worden sei, verrät dem verzweifelten Brogny jedoch nicht dessen Namen. Brogny versucht Rachel, die er unbedingt retten will, ebenfalls zur Konversion zu überreden, aber auch diese lehnt ab. Eléazar öffnet in einer letzten Aufwallung von Mitleid seiner – vermeintlichen – Tochter den Weg zum Leben durch die Möglichkeit der Aufgabe ihrer Religion, doch diese will lieber sterben als ihren Gott zu verraten,und geht in den Tod. Als Brogny in einem letzten Versuch von dem an der Schwelle des Todes stehenden Eléazar die Identität seiner Tochter erfahren will, zeigt dieser auf die soeben hingerichtete Rachel. Der Rache ist Genüge getan, der Glaube bleibt unbeschädigt.
Dieses menschliche Drama unterlegt Halévy mit einer emotional hoch aufgeladenen Musik, die den Verlauf der Handlung und die Gefühle der Protagonisten fast programmatisch widerspiegelt. Den dramatischen Höhepunkten entspricht eine wild sich aufbäumende oder in drohenden Moll-Akkorden sich auslebende Orchestrierung; die Liebes- oder Glaubensarien sind, ganz dem romantischen Credo der Zeit folgend, besonders lyrisch-einfühlsam gehalten. Subtilität des Ausdruck oder gar ironische Distanz zum Geschehen gehören nicht zu Halévys musikalischem Repertoire; die „Grand Opéra" verlangt auch die große, unverfälschte Geste, die man damals – mit einem gewissen Recht - auch noch für authentisch hielt. John Dew konterkariert diese emotionale Aufladung durch verschiedene bühnenbildnerische und inszenatorische Maßnahmen. Bühnenbildner Heinz Balthes lässt über einer leeren, schwarzen Bühne einen überdimensionalen dreieckigen Glasrahmen schweben, den man aufgrund seiner Sprossen als Fenster interpretieren kann. Auf diesen Rahmen projiziert er anfangs ein typisch gotisches Kirchenfenster, später bildet er mit einem zweiten, mit der Spitze nach oben weisenden Glasrahmen einen Judenstern im Bühnenraum. Mit dieser relative simplen, aber wirkungsvollen Anordnung veranschaulicht er den Grundkonflikt der Handlung. Den von André Weiß geleiteten Chor lässt Dew wider die übliche Gewohnheit relativ statisch agieren. Das führt zwar vor allem im ersten Teil vor der Pause zu einigen Längen, verhindert jedoch ein Entgleiten in das unkontrollierte Sentiment. Außerdem entspricht diese anfangs fast statuarische Inszenierung dem Weltbild der großen monotheistischen Religionen und gibt dieses authentisch wieder. Im zweiten Teil, wenn der Konflikt auf den Höhepunkt zutreibt, gewinnt die Inszenierung dann auch ohne irgendwelche Regiekniffe außerordentlich an Dynamik und Dichte. Die Handlung selbst und die inneren Konflikte der Protagonisten treiben die Handlung voran und ihrem tragischen Ende entgegen. Im Grunde geht es dabei um zwei parallele Handlungsstränge: einmal die von Rache und Vergebung geprägte Auseinandersetzung zwischen Eléazar und Brogny, die auch eine starke religionskritische und gesellschaftspolitische Komponente enthält. Die Szenen mit dem nicht zuletzt vom Statthalter aufgewiegelten Mob, der die Juden am liebsten selbst lynchen würde, sind als deutliche Kritik an den über Jahrhunderte anhaltenden Pogromen zu deuten. In Eléazars unbeugsamem Racheverlangen kann man andererseits einen latenten Antisemitismus verorten, der den Juden eben dieses Stereotyp zuordnet. Der zweite Handlungsstrang besteht in der Beziehung zwischen Rachel und Leopold und thematisiert einerseits das Verbot der interreligiösen „Mischehe", andererseits den Ehebruch.
Bisweilen kommentiert eine Inszenierung auch ungewollt auf fast makabre Weise die aktuelle Politik. Wenn der – aus der Ukraine stammende – Oleksandr Prytolyuk, dessen Physiognomie gewisse Ähnlichkeiten mit der Wladimir Putins aufweist – Entschuldigung Oleksandr -, in der Rolle des Statthalters den vom georgischen Tenor Zurab Zurabishvili gespielten Eléazar zum Tode verurteilt, gewinnt diese Szene plötzlich eine ungeahnte Brisanz. Da ist dann die seltsame Analogie des Drei-Männer-Kampfes – Brogny, Eléazar und Leopold - um Macht und Rache zu den Vorgängen in der Bundes-SPD am Tage der Premiere das assoziative „Sahnehäubchen". Zumal auch in der Tagespolitik eine Frau mit einer „unstandesgemäßen Liaison" eine Rolle spielt. Doch zurück zur Inszenierung: auch ohne tagespolitische Assoziationen entwickelt sie mehr als ausreichende überzeitliche Bedeutung. Dabei kommt ihr der Verzicht auf jegliche plakative Modernisierung zugute. Selbst die Soldaten des Systems sind trotz ihrer schwarzen Uniformen keine sofort identifizierbaren SS-Schergen sondern nur die notorischen militärischen Erfüllungsgehilfen der Herrschenden. Eléazar ist bei Dew kein hämischer Shylock, der sich an seiner Rache weidet, sondern er leidet unter ihr. Auf der einen Seite verlangen die ewige Verfolgung, Unterdrückung seiner Glaubensbrüder und die Ermordung seiner Söhne nach Sühne, andererseits zeigt er durch die Errettung des Christenkindes aus dem Feuer Mitleid und kann sich auch dem inneren Leid seines Feindes nicht entziehen. Seine Vergeltung ist mehr Befolgung einer religiösen Pflicht als die Befriedigung eines persönlichen Hasses und zeigt damit die totalitäre Seite aller - hier religiöser – Ideologien. Brogny ist bei Halévy – und bei Dew – ein geläuterter Christ, der für Vergebung plädiert. Das mag bei Halévy eine innere Selbstzensur widerspiegeln, die den gesellschaftlichen Druck in eine politisch korrekte Figur umformte, Dew jedoch hat sich für diese Figur offensichtlich nicht sonderlich interessiert, und so darf Brogny bei ihm weiterhin Liebe predigen und sich für die zum Tode Verurteilten einsetzen. Ohne verfälschende Textauslassungen hätte man dieser Rolle jedoch auch nur mit Schwierigkeiten eine andere Kontur verleihen können.
Auch Leopold bleibt in John Dews Inszenierung etwas blass. Abgesehen von der Tatsache, dass er nicht zum Zentrum des Geschehens gehört, hätte man aus seinem erotischen Grenzgang zwischen den Religionen und vor allem aus seinem Ehebruch etwas mehr machen können, aber das hätte vielleicht sogar zu einer Verzettelung der Aussage geführt, denn in dieser Oper geht es in erster Linie um Religion, Rache und Unterdrückung und weniger um die Aufrichtigkeit in erotischen Beziehungen. Der Aspekt des Ehebruch dient wohl nur als Katalysator, um die öffentliche Bloßstellung von Leopolds Doppelleben durch die enttäuschte Geliebte herbeizuführen. Das Auge dieses Gefühlssturmes liegt eindeutig in dem Dreieck Brogny – Eléazar – Rachel; hier spielen sich die dramatischen Konflikte und letztlich tödlichen Kämpfe ab. Am Ende sind alle drei tot, auch wenn Brogny rein physisch überlebt. Leopold dagegen darf als „unwichtige" Person weiterleben. Und in diesem Dreieck ergeben sich dann auch die eindrucksvollsten darstellerischen Leistungen. Zurab Zurabishvili und Susanne Serfling als Eléazar und Rachel bilden dabei ein ideales Paar, das sich aneinander steigert. Stimmlich decken beide einen weiten Bereich mühelos ab und zeigen eine hohe Präsenz, die das Publikum in jedem Moment gefangen nimmt. Susanne Serfling begeistert mit scheinbar mühelos gesungenen Koloraturen und einer außerordentlichen Ausdrucksvielfalt von der verliebten Lyrik über den blanken Hass der betrogenen Geliebten bis zur Entsagung der geläuterten, immer noch liebenden Frau. Zurab Zurabishvili steht ihr mit einem durchsetzungsstarken und dennoch geschmeidigen Tenor zu Seite und bringt das Schwanken Eléazars zwischen abgrundtiefem Racheverlangen und mitfühlendem Herzen überzeugend zum Ausdruck. Thomas Mehnert brilliert als Brogny mit einem in allen Lagen machtvollen Bass und lässt die Verunsicherung und das Aufbrechen alten Leids aufgrund der Aussage Eléazars auf geradezu beklemmende Weise sichtbar werden. Mark Adler zeigte bei der Premiere im ersten Teil eine ungewohnte Nervosität, die sich in deutlichen Problemen bei hohen Tönen äußerte. Später schien er dadurch ein wenig verunsichert und hielt sich darstellerisch und gesanglich etwas zurück. Margaret Rose Koenn verlieh der Prinzessin Euxodie, Gattin Leopolds, eine für die Bedeutung dieser Rolle sowohl stimmlich wie darstellerisch erstaunlich scharfe Kontur und bereicherte dadurch die Inszenierung nicht unwesentlich, Oleksandr Prytolyuk sang und spielte den Statthalter Ruggiero mit genau der ihm zukommenden Bedeutung, souverän und glaubwürdig, ohne sich dabei zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Dasselbe gilt für Werner Volker Meyer in der Rolle des Offiziers Albert, die er souverän ausfüllte und den wir gerne wieder öfter in wichtigen Rollen sehen würden. Das Orchester unter Kapellmeister Martin Lukas Meister bemühte sich erfolgreich um Prägnanz und Transparenz, um der Gefahr des falschen romantischen Gestus zu entgehen. Zwar darf und soll man diese Musik nicht intellektuell-distanziert spielen, aber das naiv-impulsive Ausbreiten dieser teilweise doch programmatischen Gefühlsmusik wäre fatal. Dirigent Meister musste sich also auf eine Gradwanderung zwischen Gefühlswallungen und kühler Sachlichkeit begeben, die er und sein Orchester jedoch souverän meisterten. Zu keinem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, einer „Herz-Schmerz"-Oper beizuwohnen, sondern stets bildeten Bühnenhandlung und die Musik eine in sich glaubwürdige und geschlossene Einheit. Das Premierenpublikum würdigte die Leistung des gesamten Ensembles einschließlich Regie durch lang anhaltenden, begeisterten Beifall und „Bravo"-Rufe vor allem für Zurab Zurabishvili und Susanne Serfling. Frank Raudszus |