Sandra Leupold und Catherine Rückwardt proben "Parsifal" Fünfeinhalb Stunden Wagner - da ist Kondition gefragt. Doch die anstrengenden Proben sollen dem Publikum ein ganz besonderes Opernerlebnis ermöglichen. MAINZ. Ihren Sängern hat Catherine Rückwardt erst einmal einen Tag absoluter Ruhe verordnet. "Wir haben in der letzten Woche vor der Premiere drei Durchläufe, das strengt schon sehr an", sagt die Generalmusikdirektorin des Mainzer Staatstheaters. Auf dem Programm steht Richard Wagners "Parsifal", ein "Bühnenweihfestspiel" in drei Aufzügen mit einer Dauer von fünfeinhalb Stunden. Wer die aufrecht auf der Bühne überstehen will, muss eine hervorragende Kondition haben. Durch die Länge kann nicht allzu oft am Stück geprobt werden. Die Sänger singen daher auch nicht immer voll aus, sondern bleiben in den Proben phasenweise auf Sparflamme. Doch wenn es Ernst wird, muss jeder Ton sitzen, darum das Konditionstraining auf der Zielgeraden. Rückwardt erwartet von allen Musikern, sowohl auf der Bühne als auch im Orchestergraben, dass sie die Realisierung als Teamarbeit begreifen: "Es ist unbefriedigend, wenn jeder sein Ding macht." Daher müssen die Sänger die Orchestermusiker in ihre Gestaltung mit einbinden, umgekehrt sollen die Instrumentalisten die Ensemblemitglieder auf der Bühne mitnehmen. Die Dirigentin sieht sich dabei als Schaltzentrale und erwartet von jedem, dass er sich engagiert einbringt. Mit Ende der Sommerpause begann die "heiße Phase" der Probenarbeit. Und die erste Premiere der Spielzeit ist immer etwas Besonderes. "Der Mittelpunkt der Stadt ist wieder da und lädt alle ein", ruft Catherine Rückwardt den Mainzern zu. Für die Inszenierung ist Sandra Leupold verantwortlich, die hier bereits mit Claude Debussys Oper "Pelléas et Mélisande" überzeugt hat. "Ich finde es toll, was wir hier machen", schmunzelt sie. Denn wie schon vor eineinhalb Jahren wird sie eine nahezu leere Bühne präsentieren. Die Spannung wird ganz allein durch Musik, Handlung und Licht erzeugt. Der großen Herausforderung stellt sich das Ensemble zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit. Leupold ist überzeugt, dass es auch diesmal klappt. "Ich möchte Oper glaubhaft machen", sagt sie. Und das gelingt ihr am besten dann, wenn das "Drumherum" zur Nebensächlichkeit degradiert oder gar komplett "eliminiert" wird. Niklas Sommer Für die Premiere am Freitag, 17 Uhr, gibt"s Restkarten an der Abendkasse. | |
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Fünfeinhalb Stunden "Parsifal" im Großen Haus des Staatstheaters Richard Wagners "Parsifal" in der Inszenierung von Sandra Leupold steht ab dem 12. September auf dem Spielplan des Staatstheaters. Von Daniel Honsack Alexander Spemann singt die Titelrolle in der fünfeinhalbstündigen Inszenierung von Richard Wagners "Parsifal" (Probenfoto), mit der die neue Spielzeit startet. Die Kostüme hat Marie-Luise Strandt für das Staatstheater gestaltet. Foto: Martina Pipprich Angst vor Wagner hat Sandra Leupold nicht. Auch nicht vor dessen Bühnenweihfestspiel "Parsifal". Angst hat sie aber vor Kompromissen, die unmöglich machen könnten, was sie sich vorgenommen hat. "Ich möchte Oper glaubhaft machen", sagt sie. Und das meint sie angesichts der Dauer des massiven Werks auch ganz ernst. "Ich möchte nicht, dass diese fünfeinhalb Stunden zu einer Zumutung werden", betont sie. Es gibt, das hat sie von Anfang an erkannt, "große Sachverhalte zu verhandeln". Parsifal ist die Gestalt, auf die Gralskönig Amfortas und die Gralsgemeinschaft alles setzen müssen. Der verstoßene Ritter Klingsor hat den heiligen Speer geraubt und den König verletzt, der nun an einer schmerzhaften Wunde leidet. Doch nicht nur dieser physische Schmerz ist es, der hier behandelt wird. "Es ist das Elend des Menschseins und die Utopie von einer entsündigten Welt", interpretiert die Regisseurin das Werk. Auch Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt formuliert ihren Respekt vor der "szenischen Messe". Sandra Leupold geht "ran an die Figuren", wie sie betont. Dafür benötigt sie Platz für Mensch und Musik. Den schafft sie sich, indem sie die Bühne minimal möbliert und maximal nutzt. Den leeren Raum füllt sie dann nicht nur mit Geschichte und Mythos, sondern auch mit dem ganz pragmatischen Herangehen der Sänger an ihre Aufgabe. Denn in ihrem Parsifal wird der Zuschauer gleichzeitig auch Teilhaber an einem künstlerischen Prozess. Leupold zeigt sich fasziniert von den emotionalen Gegensätzen die aufeinander prallen und die will sie zeigen. Sie ist aber auch von einer "ultimativen schmerzlichen Musik" begeistert. "Wie kann man all das vermitteln?", dieser Frage hat sich Wagner nach Ansicht von Catherine Rückwardt erfolgreich gewidmet. Die wichtigen Themen seien ständig präsent. "Nur durch das Mitleid haben wir eine Chance", empfindet sie der Musik nach. Für die Sänger war die Einstudierung vor allem in den Hauptpartien eine große Herausforderung. Die Generalmusikdirektorin vergleicht diese Arbeit ohne zu Zögern mit Leistungssport. Angesichts einer Dauer von fünfeinhalb Stunden liegt der Vergleich jedenfalls nahe. Vor der Premiere Die Regisseurin Sandra Leupold hat 2007 bereits in ihrer Inszenierung von Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" mit spartanischer Ausstattung eine dichte Erzählsprache gefunden. Deutschlandweites Aufsehen erlangte sie, als sie vor vielen Jahren in der Berliner Kulturbrauerei Mozarts "Don Giovanni" mit lediglich sieben Stühlen inszenierte. Die Schülerin von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny war auch persönliche Mitarbeiterin von Hans Neuenfels und vereint damit die ganz großen Namen der Theater-Regie in ihrer Biografie. Die Bühne wird von Tom Misch eingerichtet, für die Kostüme zeichnet Marie-Luise Strandt verantwortlich. | |
"Ich muss an das Viech glauben" Sandra Leupold verspricht einen kurzweiligen "Parsifal" in Mainz |
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"Ich leide, wenn Oper langweilt und nur Zeit kostet." Das sagten Sie im FR-Interview, als Sie eine Inszenierung für die Oper Frankfurt vorbereiteten. Gibt es eine Oper, die mehr Zeit kostet als die, die Sie in Mainz auf die Bühne bringen, Richard Wagners "Parsifal"? Nein, sicher nicht. Es muss mir also darum gehen, gegen die Langeweile konkrete Inhalte begreiflich zu machen. Würde ein "Parsifal" automatisch langweilen ohne Regie? Ja, unweigerlich. Würden wir nur das auf der Bühne machen, was im Stück steht, also bezüglich der puren Anwesenheit von Menschen, die Interesse heucheln, 20 Minuten lang singend zu monologisieren, dann würde etwas dabei herauskommen, was mit unserem Zeitempfinden nicht mehr in Übereinstimmung zu bekommen ist. Auch die reine Ereignisdichte passt nicht mehr zu der von fünfeinhalb Stunden eines echten Lebens. Und diese Stunden lasten auf den Sängern in Echtzeit und verrinnen unendlich langsam. In Bayreuth hat in diesem Jahr Daniele Gatti den wohl denkbar langsamsten "Parsifal" dirigiert. Wie hängen musikalisches Tempo und szenisches Tempo zusammen? Sehr eng, das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir hier in Mainz treffen eine Spielvereinbarung für diesen Abend, die einerseits die denkbar simpelste ist, andererseits aber auch die denkbar anspruchsvollste: Wir machen kenntlich, dass es sich auf der Bühne um Menschen von heute handelt, vom gleichen Stoff wie die Zuschauer und mit der gleichen Angst vor den fünfeinhalb Stunden. So nackt begeben wir uns in den Abend, auf einer leeren Bühne, mit einer Kiste für die paar Requisiten. Damit wird die Ereignisdichte erst mal größer, denn wir haben einen Darsteller, der den Amfortas spielt, und eben den Amfortas. Durch diese zweite Ebene wird die Ereignisdichte aber auch wieder entschlackt, denn der als Spieler Gekennzeichnete spielt gegen die Verklebung und Verzähflüssigung von Wagners Werk an. Ich kann dafür garantieren, dass der Abend unglaublich kurzweilig ist, ohne an Substanz zu verlieren. Und wir erreichen eine wohltuende Nähe zu den Darstellern. Sie haben also ein Herz für Ihre Sänger, Mitleid gar? Total! Ich halte es für eine enorme Zumutung, im "Parsifal"-Ensemble singen zu müssen. Ist dies Ihre erste Wagner-Inszenierung? Und dann gleich dieses riesengroße Pfund? Ja. Wenn Wagner, dann gleich richtig und nicht mit dem Kinderprogramm! Kann eigentlich ein nicht allzu großes Haus wie das Staatstheater Mainz einen "Parsifal" stemmen? Ich muss gestehen, ich bin überrascht, wie beeindruckend gut das klappt. Obwohl ja Wagner selbst alles getan hat, damit nicht ein Theater wie das in Mainz seinen "Parsifal" spielt. Mein Konzept, das auf Kulisse verzichtet, ist aber nicht so geworden, weil es für Mainzer Verhältnisse gedacht war - ich hätte es für Bayreuth nicht anders gemacht -, sondern weil es das Einzige ist, an das ich glaube. Können Sie das präzisieren? Es ist für mich unvorstellbar, von einer Kulisse zu erwarten, dass sie mir den Gralstempel macht. Ich weiß nicht, wie man etwas anderes als etwas Lächerliches herstellt, wenn man einen wie auch immer stilisierten Schwan aus dem Schnürboden purzeln lässt. Es kann nur ein lächerlicher Moment werden. Dabei ist der Schwan wichtig in vielerlei Hinsicht: das erste Blut auf der Bühne, zwölf Kilo Fleisch in einer Zwangsvegetariergruppe, der Vorbote alles Kommenden - ich kann ihn nicht weglassen, es muss ein Schwan sein. Ich muss an das Viech glauben - und kann das nur, wenn ich ihm die Chance gebe zu sein, was es ist: nämlich ein Theaterrequisit. Der Schwan, der Gral, das darf bei uns in aller Keuschheit so aussehen, wie Mutti sich das vorstellt, weil es eben die zweite Ebene gibt, die all das als Requisiten kenntlich macht. Interview: Stefan Schickhaus Parsifal, 12.9., 17 Uhr (Premiere), weitere Termine 28.9., 3., 12.10., Staatstheater Mainz, Gutenbergplatz 7, Telefon 0 61 31 / 28 51 - 2 22 [ document info ] |
zur person Sandra Leupold, in der Schweiz geboren und in Berlin aufgewachsen, wurde von der Zeitschrift Opernwelt mehrfach als "Regisseurin des Jahres" nominiert. Ausgebildet wurde sie von Ruth Berghaus und Peter Konwitschny. Erste Erfahrungen sammelte sie als persönliche Mitarbeiterin von George Tabori, Hans Neuenfels und Jürgen Rose. Im Rhein-Main-Gebiet inszenierte sie zuletzt "Pelléas et Mélisande" am Staatstheater Mainz und "Ariane et Barbe-Bleue" an der Oper Frankfurt. |