Schwetzinger Zeitung
16. Dezember 2008

3. Barockfestival eröffnet: Festvortrag von Professorin Silke Leopold fand große Resonanz
Gesittete Charaktere wahren höfisches Dekorum

Von unserer Mitarbeiterin Sibylle M. Derr


Concerti, Concerti und nochmals Concerti hat Antonio Vivaldi im Kopf gehabt, selbst wenn es ans Komponieren von Opern ging. Igor Stravinsky warf deswegen einmal süffisant ein, der Venezianer habe nicht 600 verschiedene, sondern nur ein einziges Konzertstück 600 Mal geschrieben. Solcherlei musikwissenschaftliche Delikatessen servierte Professorin Silke Leopold (Universität Heidelberg) den Zuhörern ihres sehr gut besuchten Festvortrags "Toll trieben es die alten Römer", mit dem das 3. Barockfestival "Winter in Schwetzingen" am Sonntagabend eröffnet wurde. Anschließend folgte die deutsche Erstaufführung von Vivaldis Barockoper "Tito Manlio" im Rokokotheater.

Bereits im 18. Jahrhundert war der italienische Komponist Antonio Vivaldi eine lebende Legende. Im 19. Jahrhundert rümpfte man über ihn die Nase und wertete ihn als "Vielschreiber" ab. Erst im 20. Jahrhundert blühte der einstige Ruhm des "Prete rosso", des rothaarigen Priesters, wieder auf, nachdem man in den 1920er Jahren seine Notenbibliothek wieder entdeckt hatte. "Tito Manlio" ist die dritte Barockoper von Antonio Vivaldi, die beim "Winter in Schwetzingen" aufgeführt wird.

Vivaldi unterrichtete in Venedig zunächst am Ospedale della Pietà, einem Waisenhaus für Mädchen, Geige, Violoncello und Gambe. "Die Oper", so Leopold, "kam erst später". Zwischen 1713 und 1718 verfasste er acht Opern, davon alleine sieben für verschiedene Theater Venedigs. 1718 trat er in die Dienste des Landgrafen Philipp von Hessen-Darmstadt ein, der am Hof von Mantua residierte. Dort schrieb Vivaldi 1719 den "Tito Manlio" für eine Fürstenhochzeit, die allerdings ins Wasser fiel.

Wie auf dem Reißbrett konstruiert

Trotzdem wurde die Barockoper ein Erfolg: 1719 wurde sie 36 Mal beim Karneval aufgeführt. Sie sei als Hochzeitsoper so gelungen, da zwei Paare kräftig vom Schicksal durcheinander gewirbelt am Ende heirateten. "Tito Manlio ist eine heroische Oper, die wie auf dem Reißbrett konstruiert ist", so Leopold. Pate stand bei dem Libretto von Matteo Noris der römische Konsul Titus Manlius, der um 340 v. Chr. regierte. Er verkörperte die Tugenden der Redlichkeit (fides), der Tapferkeit (virtus) und des Pflichtgefühls (pietas).

Leopold zeichnete in dem römischen Konsul das Porträt eines Mannes, der, koste es, was es wolle - notfalls auch das Leben des eigenen Sohnes - , die alten römischen Tugenden verkörpert. Titus Manlius verurteilt - aus sturer Gesetzestreue - den eigenen Sohn Manlio zum Tode und dieser ist zu sterben bereit. Dass es nicht zum Äußersten kommt, ist einer Intervention des Heeres zu verdanken, das im römischen Staat eine höhere Macht als die des Konsuls darstellte. Manlio geht als jugendlicher Held aus diesem Zweikampf mit dem Vater hervor, weil er das Vaterland verteidigte.

Der jugendliche Held Manlio verkörpert das Ideal des weisen Herrschers, der zu vergeben bereit ist und Milde walten lassen kann, während dem Vater Titus Manlius nur die Strenge zur Verfügung stand. "Manlio ist auch musikalisch unbestritten die Hauptfigur", sagte Leopold. Ihm sind sieben Arien, der Vaterfigur nur vier Arien eingeräumt. Titus Arien sind für Bassstimme komponiert, die in barocken Oratorien Teufeln und Dämonen vorbehalten waren, während die hohen Stimmen für die gesellschaftlich höchsten Ränge vorgesehen waren.

Vivaldis "Tito Manlio" sei ein wahres Feuerwerk an Klangfarben. Seine Arien seien eher Konzertstücke als Seelengemälde. Im Grunde habe Vivaldi immer nur "Concerti" (Konzerte) komponiert, starke Charakterzeichnungen vermieden, um die Zuhörer mit dieser distanzschaffenden Musik vor Gefühlsausbrüchen, die in der höfischen Gesellschaft als Entgleisungen verachtet wurden, zu schützen und sie damit zu stützen. "Vivaldis Figuren entgleisen nicht." Ganz im Gegensatz zu Händel, der menschliche Abgründe und Kontrollverlust hörbar machte. Bei Vivaldi dagegen "blieb das Dekorum gewahrt".

 

Morgenmagazin
11. Dezember 2008

MUSIKTHEATER: Beim "Winter in Schwetzingen" wird Vivaldis "Tito Manlio" gegeben
Zwischen Hass und Liebe

Schwetzingen. Wenn politischer Streit die Beziehungen zwischen den Menschen zerstört, dann sind Gefühle im Spiel. Verletzte Eitelkeiten und zerstörte Erwartungen. Im alten Rom war das nicht anders als heute - vielleicht wirkt deshalb die Geschichte um den römischen Konsul Tito Manlio immer noch so aktuell. Sicher ist, dass Vivaldis Oper bisher nicht oft zu hören war und nun im Rahmen des Barockfestivals "Winter in Schwetzingen" aufgeführt wird. Unter der Leitung von Operndirektor Bernd Feuchtner spielt das Philharmonische Orchester Heidelberg "Tito Manlio" am Sonntag, 14. Dezember, im Schwetzinger Rokokotheater.

Antonio Vivaldi hatte seine Oper 1719 für eine Fürstenhochzeit in Mantua geschrieben. Doch die Braut machte vor den Toren der Stadt kehrt und fuhr in ihr heimatliches Florenz zurück, so dass die Festvorstellung ausfiel. In Schwetzingen wird das Stück also quasi wiederentdeckt. Eine Geschichte, in der die Römer die Latiner zu Feinden erklären. Allerdings weiß der Konsul nicht, dass er sich damit auch den Liebhaber seiner Tochter und die Verlobte seines Sohnes zu Feinden macht - ein Riss geht also durch die Familie und gebiert Hass und Verzweiflung.

Gesungen wird die Geschichte von Sebastian Geyer, Jana Kurucová und Gabriel Urrutia Benet aus dem Opernensemble. Die Sopranistin Angela Kerrison ist die "feindliche" Verlobte Servilia, die indes viel milder gestimmt ist als die emotionale Vitellia der Rosa Dominguez. Auf der Bühne steht außerdem Countertenor Yosemeh Adjei. Ausstatterin Claudia Doderer und Regisseur Hendrik Müller sorgen für die attraktive szenische Gestaltung, die musikalische Leitung liegt bei Michael Form. aki

 

Sehnsucht 28